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Wer entführt schon eine Giraffe?

Schaurig schön, traurig schön: Die Graphic Novel „Stadt der drei Heiligen“ vermischt Kleinstadt, Kleinkram und Kleinganoven zu einer eigenwillig brutalen Idylle


Illustration: Stefano Nardelli/Vincenzo Bizzarri - Schreiber & Leser

Gekriegt haben sie mich mit der Giraffe, und die kommt fast gleich am Anfang – erfreulicherweise. Man weiß bei Italienern in Comics oder Filmen ja nie: Trostlose Umgebung, heruntergekommene Typen, sicher, das kann sowas wie „Gomorrha“ werden, aber wenn man Pech hat, dann ist es mehr so wie „Fahrraddiebe“. Depri, mit einem Schuss ins Aussichtslose oder so, keine Ahnung, ich hab es nie geschafft, den Film bis zum Ende zu sehen. Aber in „Die Stadt der drei Heiligen“ kommt dann eben die Geschichte mit der Giraffe.


Wie blöd muss einer sein?


Tonio und Rodolfo, so erzählt man sich, haben sie einem Wanderzirkus geklaut, um Lösegeld zu erpressen. Und das genügt schon, dass man sich so oft an den Kopf greifen möchte, dass einem die Hände ausgehen. Weil offenbar jeder weiß, wer die Giraffe geklaut hat. Weil man sich sofort fragt, wie blöd einer sein muss, um zu glauben, dass bei einem Wanderzirkus viel Lösegeld zu holen wäre. Oder auch, weil es niemanden wundert, wenn zwei Typen eine Giraffe klauen.


Letzteres wird schnell verständlich: Wir sind in einer süditalienischen Kleinstadt. Wenn es nicht um verschwundene Giraffen geht, geht es um einen Überfall auf eine Post, bei dem drei Idioten auf mehrere Menschen geschossen haben. Jüngere diskutieren auf dem heruntergekommenen Sportplatz, wie man sowas besser macht, und am Schnellimbiss von Marciano ist auch niemand empört, sondern eher verwundert: Früher, sagen sie, hätte man für solche Aktionen vorher den örtlichen Mafioso um Erlaubnis hätte bitten müssen, aber heute….


Debatte am Sportplatz: Wie klaut man besser?


Es ist eine ziemlich gute Kleinstadtballade, die Stefano Nardella und Vincenzo Bizzarri da abliefern. Es geht nie um große Verbrechen, um Mord, es geht immer nur um Kleingeld, Kleinkram, Kleinscheiß. Um das Schutzgeld, das Marciano plötzlich für seinen Imbiss zahlen soll: Wieviel kann das schon sein, wenn das Top-Produkt ein Brötchen mit Lamm-Innereien ist?


Der alternde Ex-Boxer Michele mopst seinem Kleindealer, dem Schüler Nicandro, ein Tütchen Stoff, auch nicht gerade ein Vermögen. Und Nicandro selbst hat auch deshalb Ärger, weil seine Freundin Titti Druck von ihren Brüdern bekommt: Nicandro sei kein Umgang für sie. Die Brüder sind in der Tat Experten für schlechten Umgang, sie veranstalten schließlich nicht nur illegale Hundekämpfe, sie haben auch gerade erst eine Giraffe gekidnappt.


Am Stehimbiss gibt's Lammhoden


Geschickt hat Szenarist Nardella seine versammelten Aussichtslosigkeiten der Realität abgeguckt – niemand kann sich in diesem Städtchen dem Ärger entziehen: Lammhodenbrater Marciano ist zu alt, um nochmal neu anzufangen, und sobald er bei der Polizei anruft, steckt ihm die Mafia den Imbiss an, noch ehe er aufgelegt hat. Michele kümmert sich um seine alte Mutter und kann sie nicht zurücklassen, außerdem ist das bisschen Ruhm als lokale Box-Größe alles, was ihn noch von einem Penner unterscheidet.

Illustration: Stefano Nardelli/Vincenzo Bizzarri - Schreiber & Leser

Nicandro muss zuerst sich und seiner Freundin beweisen, dass er ein echter Mann ist, der sich nicht nur gegen Tittis Brüder durchsetzen kann, sondern auch gegen zahlungsunwillige Kunden. Eine schönen Schluss kann es bei diesen Voraussetzungen nicht wirklich geben. Trotzdem gelingt es Zeichner Bizzari, die Trostlosigkeit aufzulockern, ohne sie zu verharmlosen.


Goldenes Licht in blaugrauer Ödnis


Mal ist es der auf allen Seiten spürbare italienische Sommer, das wunderschöne goldene Licht, mit dem er die blaugraue Eintönigkeit erleuchtet. Mal ist es die jährliche Heiligenprozession, die der Pfarrer geschickt an Marcianos Imbissbude vorbeiführt – im Angesicht der vorbeigetragenen Statuen muss auch der heruntergekommenste Mafioso seine Schutzgelderpressung vorübergehend auf Eis legen.


Es gibt keine Anonymität der Großstadt, im Gegenteil hat man den Eindruck, dass sich hier Täter und Opfer und überhaupt alle kennen und verstehen, selbst wenn sie dadurch nicht netter miteinander umgehen. Und es gibt sogar ein bisschen Hoffnung: Von dem Trio Michele, Marciano und Nicandro wird nur einer sterben müssen, die anderen beiden überleben – jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Graphic Novel sie zurücklässt. Und die Giraffe kriegt sogar ein Happy-End – und dabei den absurdesten und wunderschönsten Auftritt von allen Beteiligten. Mit Feuerwerk!


Stefano Nardelli/Vincenzo Bizzarri, Stadt der drei Heiligen, Schreiber & Leser, 29,80 Euro.


Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.

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