Schwindende Schockmomente
Gemischtes Grusel-Doppel: Zwei Titel starten derzeit mit einem fantastischen Szenario. Doch nur einer hält das verheißungsvolle Niveau bis zum Schluss durch
Hab ich eigentlich schon mal erwähnt, wie sehr ich fantastische Erzählungen mag? Bzw.: Wie gern ich mal eine gute läse? Ja? Dann kann ich’s mir diesmal ja schenken und gleich zum Punkt kommen: Es sind zwei Titel erschienen, in die ich große Hoffnungen gesetzt habe. Wobei der eine davon eigentlich eher eine Bildungslücke ist.
Ideal zum Neu-Entdecken
Denn Miguelanxo Prado, dem Autor, haben sie in Erlangen schon1990 den Max-und-Moritz-Preis umgehängt. Ich kannte ihn bisher so wenig wie den (1994 nominierten) Band „Kreidestriche“, der jetzt nach über 20 Jahren neu aufgelegt wurde – und der jetzt eine Top-Gelegenheit zum Entdecken ist.
Die Story ist simpel: Ein Mann in einem Segelboot landet auf einer winzigen Insel, die auf den Seekarten nicht eingezeichnet ist. Auf der hübschen Insel befinden sich weiterhin: eine hoffnungslos überdimensionierte weißgekalkte Hafenmauer (an der ein zweites Boot liegt), ein kaputter Leuchtturm, ein Schwarm Möwen und ein Bauernhof/Gasthof/Miniladen, den eine Frau mit ihrem jugendlichen Sohn betreibt.
Verstörende Wirkung ohne Tricks
Schön ist schon mal, wie unheimlich das Setting sofort ist, denn die ganze Insel ergibt keinen rechten Sinn: Ein Leuchtturm im Nichts? Ein Laden ohne Kunden? Schöner ist, wie Prado das erkennt und ausspielt: Indem er möglichst wenig hinzufügt. Die Leute benehmen sich recht normal, es gibt auch keine Düsternis, wie sonst so oft: Die Insel sehen wir fast nur bei angenehmem Wetter, der Mann im Boot versucht mit der alleinsegelnden Dame des anderen Bootes anzubandeln. Und als zwei weitere Männer in einem dritten Boot anlanden, wird’s zwar dramatisch, aber nicht übernatürlich – für das bizarre Bauchgefühl sorgt weiter nur das Inselkonstrukt.
Und mindestens genauso schön sind die Zeichnungen: sattes Rasengrün über blendendweißen Kreidefelsen im blautürkisfarbenen Meer. Immer wieder die wunderbar inszenierte Insel, mal von oben mit der nadelgleich ins Meer schießenden Mauer, mal vom Meer aus nach oben mit dem thronenden Turm, mal mit dem idyllischen Höfchen. Reichlich Segelschiff-Romantik. Gute, nicht geschwätzige Dialoge. Ein rundum gelungenes Paket, und dass in den letzten 20 Jahren das noch mehr Leute so sahen, zeigen ein paar Bonus-Extras. Prado hat die Erfolgs-Insel offenbar in den letzten 30 Jahren immer wieder für kurze Episoden besucht. Aber die verdeutlichen vor allem, dass die Story am besten ist, wie sie war: ohne künstliche Fortsätze.
Bübchen in der Grube
Da kann der Niederländer Erik Kriek nicht mithalten, obwohl er mit seiner Geschichte „Die Grube“ stark startet. Eine einsame Kamerafahrt durch den Wald, ein dunkler Pfuhl, und erst zum Schluss sehen wir die seltsamen Symbole in den Baumstämmen. Schnitt: Helikopterperspektive, ein Auto, das durch den Wald fährt, vermutlich zu dieser Grube: „Shining“. Und da fangen die Probleme an.
Sensationell dusslige Wurstigkeit
Nicht bei den Reminiszenzen („Pet Cemetary“, „Poltergeist“ etc.), Horrorstories nutzen ja oft ähnliche Szenarien. Sondern bei den hölzernen Dialogen, in denen dauernd wer sagt, was man sich ohnehin denkt. Oder in der Wurstigkeit, mit der das Paar den düsteren Ort im Wald findet und praktisch NULL reagiert: „Blair Witch, haha“. Denn: Bei wunderlichen Symbolen an den Bäumen muss man ja noch nicht mal Geister auf dem eigenen Besitz befürchten: Religiöse Spinner will man da doch auch nicht haben. Aber hey, was soll's?
Derart brachial kenne ich das eigentlich nur aus der eigenen Kindheit: Manchmal wollten wir eine Spielfigur in eine sensationelle Gefahr stürzen, die leider so himmelschreiend vorhersehbar war, dass jeder normale Mensch sofort kehrtmachen würde. Also ließen wir die Figur sowas sagen wie: „Ach, egal. Wird schon gutgehen!“ Tja, und etwa auf diesem Level erzählt Erik Kriek auch weiter. Seltsame Vorkommnisse, seltsam egal. Was den Band ein wenig rettet, ist die geschickte Farbgestaltung und ein, zwei sehr solide Gruselmomente. Die Kriek aber kurz drauf wieder derart überbetont, dass auffällt, wie wenig Suspense er eigentlich zu bieten hat. Schade, da war mehr drin.
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