Der Fürst der Finsternis
Der neue Hellboy-Film enttäuscht? Macht nichts, jetzt gibt es seine Comics gesammelt. Die zeigen den roten Teufelsbuben in Bestform: eigenwillig, finster und märchenhaft gruselig
Es ist doch letztlich alles zu was gut, auch der angeblich verheerende „Hellboy“-Film: Cross Cult nutzt die Gelegenheit, um auf drei backsteinschwere Kompendien mit den Originalcomics von Mike Mignola hinzuweisen, und die hatte ich bisher noch nie in der Hand. Ich mochte Guillermo del Toros Filme und nahm bequemlichkeitshalber an, die Comics wären wohl ungefähr genauso, aber weit gefehlt: Die Comics sind eigenwillig, exzellent, anders. Hui und wow. Wenn Sie den passenden Geschmack mitbringen.
Haarsträubende Prämisse – zauberhafte Wirkung
Zuerst mal muss man über eine haarsträubende Ausgangslage wegkommen: Wie im Film entsteht Hellboy in den 40ern durch ein bizarres Ritual (!) Rasputins (!!) im Auftrag der Nazis (beliebig viele !!!). US-Soldaten greifen ein und adoptieren das rothäutige Bürschchen, das schnell zu einem rauflustigen Schrank heranwächst und nach kurzer Lehrzeit einen Job bei einer seltsamen Behörde findet, für die er paranormale Phänomene erforscht, kurz – blühendster Trash, den man eigentlich vom Start weg in die Tonne treten kann. Was Mike Mignola draus macht, ist reine Magie, vor allem dank zweier recht einfacher Zutaten.
Zutat Nummer eins ist schwarze Tusche, Tonnen davon. Mignolas Geschichten spielen im Dunklen, Licht und Farbe verwendet er, als koste ihn jeder Tupfer davon seine persönliche Lebenszeit. Egal wie oder wo Hellboy und seine Gegenspieler gehen und stehen, wenn man mehr als die Hälfte von ihnen sieht, ist es ungewöhnlich viel. Ehrlich: Mignola bringt es fertig eine Gruppe im Tageslicht auf einen schneebedeckten Berg zu scheuchen und dabei halb in Schatten zu verschlucken. All das tut seine Wirkung: Die allgegenwärtige Finsternis verunsichert, auch, weil Mignola zusätzliche Informationen sehr sparsam streut.
Genüsslich ausgespielte Atmosphäre
Er lässt sich Zeit, viele Panels sind ohne jede Sprechblase, zeigen Umgebung, Details, oder besser: zeigen nicht, mangels Licht. Mignola kostet die Atmosphäre aus, dabei lässt er den Leser immer schön mitarbeiten. So, wie der die Dunkelheit mit eigener Fantasie und Unsicherheit ausfüllt, gibt ihm Mignola auch bei dem, was er zeigt, nur einfache, extrem reduzierte Formen, Umrisse.
Genauso effektvoll, wie im Dunkel jeder Lichtfleck ist, wie aus der brachialen Finsternis jeder Farbpunkt herausstrahlt, so effektvoll sind die Actionsequenzen, obwohl Hellboy eigentlich selten mehr als Prügeleien liefert. Mignola inszeniert jeden Auftritt der Schurken düster, bedrohlich, gigantisch, er würzt die Finsternis mit dem größtmöglichen Kontrast, vom höllischen Glühen bis zu Blitzen, Explosionen, Feuer in jeder Form, und natürlich gilt auch hier Mignolas Gesetz: Wo viel Licht ist, das ist auf jeden Fall immer noch viel, viel mehr Schatten.
Zutat Nummer zwei sind vorwiegend europäische Märchen, Geister- und Gruselgeschichten, von denen der US-Amerikaner Mignola einen unendlichen Fundus zu haben scheint – und die er mit schwer nachahmlicher Sensibilität verarbeitet. Je länger die Serie andauert, desto mehr nutzt Mignola nicht nur die Bestandteile als Versatzstücke, er imitiert den ganzen märchenhaften Charakter, märchenhaft in einem faszinierend altmodischen Sinn: Hellboy begegnet seltsamen Gestalten, die an seltsamen Orten offenbar nur auf ihn warten, ganz so, wie in Sagen irgendwer im Wald plötzlich kegelnde Geister trifft, ohne sich zu wundern. Sie geben rätselhafte Antworten, die Hellboy nörgelnd akzeptieren muss. Erklärt wird praktisch nie was, und vieles von dem, was geschieht, übersteht Hellboy auch selbst nur dank seiner Unverwüstlichkeit. Oft steht er zum Schluss ordentlich durchgemangelt in irgendwelchen Ruinen und weiß selbst nicht, was passiert ist, was ihn gerettet hat, was er draus lernen soll.
Erklärt wird praktisch nie was
Wie gut all das eingesetzt ist, fällt aber erst auf, wenn man Hellboy selbst näher betrachte, der für all das eigentlich denkbar ungeeignet ist. Seine Unzerstörbarkeit nimmt dem Leser schon mal die größte Sorge um den Helden. Und auch wenn Hellboy kein Sprücheklopfer ist, so reagiert er doch auch auf die größten Herausforderungen meist genervt-selbstbewusst, etwa mit „Halt einfach die Klappe“ oder „Och nö“. Doch das ruiniert weder Handlung noch Szenen: Zum einen, weil Hellboys Ungerührtheit zusätzlich betont, wie entsetzlich trostlos die Welt der Geister ist, denen er begegnet. Und weil Mignola seinem Helden subtil Verletzlichkeit beimischt, meist nur daran erkennbar, was Hellboy nicht tut.
Hellboy will lieber nichts Genaues über seine Herkunft wissen oder wo seine gigantische rätselhafte rechte Steinhand herkommt oder zu was ihn diese Hand verpflichtet oder vielleicht auch nicht. Hellboy drückt sich vor solchen Klarheiten wie viele Männer vor dem Arztbesuch. All das macht „Hellboy“ zu einem angenehm ungemütlichen, elegant ausbalancierten Schaudererlebnis, das allerdings schnell leidet, wenn man die Rezeptur ändert, wenn etwa Mignola anderen Zeichnern Stift oder Ausgestaltung der Story überlässt. Für Duncan Fegredo etwa, der den dritten „Kompendium“-Band bestreitet, gilt dasselbe wie bei vielen späteren Mitzeichnern: Er zeichnet nicht nur heller, er ist auch ungeduldiger – aber Mignola beweist: Weniger ist mehr. Außer bei der Tusche.
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
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