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Das Superfood unter den Comics

Chilibilibilibilibili, bom, bom, bom: Joann Sfars Reihe „Klezmer“ kehrt zurück – die verwegene, verwirrende, verführerische Musiker-Saga mit der Extraportion Kunst


Illustration: Joann Sfar - Avant Verlag

Ich fürchte, diesmal wird es anspruchsvoll. Muss aber sein, weil: lohnt sich. Ich kenne im Comicbereich nichts Vergleichbares. Nichts, das mich so sehr unterhält, verärgert, fordert, auch fördert, ja, richtig gelesen, fördert, weil, gelernt hab ich obendrein noch was. Der einzige Vergleich, den ich habe, kommt von Nahrungsmitteln: Da gibt es sogenannte Superfoods, die sind mordsgesund und auch noch kubiklecker, wie Heidelbeeren. Wenn das stimmt, ist „Klezmer“ ein Supercomic. Gerade erschien der fünfte Band. „Klezmer“ ist von Joann Sfar. Natürlich.


Bekannte Zutaten minzfrisch aufbereitet


Der Franzose, 47, ist einer der Köpfe hinter „Donjon“, jener Fantasy-Hommage-Satire, die mit frecher Coolness aus eigentlich abgestandenen Zutaten wie Helden und Magiern einen 44-bändigen, geradezu minzfrischen Aufguss zauberte. Er hat den übersinnlichen Ermittler Professor Bell erfunden, den schüchternen Vampir Ferdinand. Mit dem Bestseller „Die Katze des Rabbiners“ lieferte der Max-und-Moritz-Preisträger zudem einen gewitzten, gut konsumierbaren Zugang zu einer guten, alten, jüdischen Welt. Im Nachhinein wirkt die „Katze“ allerdings nur wie eine Fingerübung.


„Klezmer“ beginnt mit zehn jüdischen Musikern, die um 1900 durch die Ukraine fahren, niedlich karikaturhaft gezeichnet, so gefällig, dass man schon gähnen will, als auf Seite zwei neun von ihnen erschossen werden. Der Überlebende folgt den Mördern, anderen Musikern, zu einer Hochzeit. Er lässt sie dort spielen, bis sie sich sicher fühlen – dann steigt er mit seiner Mundharmonika ein. Sfar verzichtet auf jeden Dialog, er mischt einfach unter das „chilibilibilibili“ der Kapelle, unter die heiteren Tanzbilder nach und nach ein immer bedrohlicheres „bom! Bom! BOM!“, bis die erbleichenden Musiker begreifen, wer da ungefragt mitbläst. Der unerbittliche Showdown – fällt aus: Der Überlebende spielt so gut, dass der Ortsrabbiner befiehlt, die Mördermusiker müssten künftig Mundharmonika spielen – das ist die Rache des Überlebenden. Er verlässt den Ort, verfolgt von der begeisterten Sängerin Chava. Ihr enthüllt er seinen Namen: Er ist der „Baron vom Arsch“.


Sfar mischt, was unmischbar scheint


Das ist der ganz normale Sfar, zunächst mal: Das Entsetzliche schmuggelt er lapidar neben das Skurrile und das Sinnliche, er mischt zusammen, was eigentlich unmischbar ist. Er vergrößert die Kapelle des Arschbarons nach und nach mit dem orthodoxen verklemmten Geigenvirtuosen Vincenzo, dem redenschwingenden Zigeuner Tchokola, dem 15-jährigen Talmudschüler Jaacov, der Dieb werden will und sich in Chava verliebt.


Illustration: Joann Sfar - Avant Verlag

Es wird viel gestohlen, getrickst, es wird viel philosophiert, aber nichts davon ist so ernst, dass es nicht im nächsten Moment in kompletten Blödsinn umkippen kann. Tchokola soll zwischen den Musikstücken jüdische Geschichten erzählen, kennt aber keine: Jaacov rät ihm, Märchen zu nehmen und „Prinzessin“ mit „Tochter des Rabbiners“ zu ersetzen. Für ein Happy-End solle er den Sohn des Rabbiners zum Berater des Königs machen, der dann Pogrome verbietet. Ohne zuviel zu verraten: Tchokolas Geschichten sind, hm, eigenwillig.

Aber all das, der gewagte Mix aus Pointe und Pogrom, ist normaler Sfar. Super wird es erst, wenn man an die Zeichnungen geht. Obwohl die zunächst nicht viel hermachen.


Sie wirken sogar beinahe schlampig. Ganz schnell gezeichnet, skizzenhaft. Manchmal so sparsam gestrichelt wie beim Cartoonisten Sempé, den Sfar bewundert, manchmal aber auch regelrecht krakelig. Das irritiert erst, weil man ja weiß, dass Sfar es doch auch kommerziell sauber kann, aber dann merkt man, dass hier einer Dinge nach festen Spielregeln ausprobiert.


Kleiner Service: Der Anhang zeigt das "Making of"


Zum Beispiel aquarellierte Zeichnungen. Er verrät diese Regeln selbst, im Anhang, der in jedem Band eine Mischung aus „Making of“ und Skizzenbuch ist: Aquarell ist für ihn nicht „zeichnen und dann ausmalen“, sondern „vieles in der Zeichnung weglassen und dafür mit der Farbe ergänzen“. Außerdem, so seine Regeln, soll nicht nur jedes Panel seinen eigenen Charakter haben, sondern jede Doppelseite als Komposition funktionieren. Und die normalen, naheliegenden Farben findet er langweilig.


Das klingt furchtbar verkopft und verkunstet, aber Sfar jubelt es einem gewieft unter: Über sieben Doppelseiten sehen wir etwa, wie sich Jaacov und Chava während eines Konzerts ins Badezimmer schleichen und dort die Wanne ausprobieren. Nackt im heißen Wasser überlegt der 15-Jährige, wo er hinfassen darf oder nicht, sie genießt seine Verlegenheit und Bewunderung so sehr wie das warme Wasser, beide seifen sich gegenseitig ein und drohen entdeckt zu werden, und Sfars Kunst kriegt man ganz beiläufig dazuserviert, wie beim Italiener den Parmesan. Auch deshalb vertraut man Sfar inzwischen Filme an: Weil die Produzenten wissen, dass er nicht vor lauter Kunst den Film vergisst.


Seitensprung ins Film-Business


Er drehte die eigenwillige Künstlerbiografie „Gainsbourg“, gerade erschien „The lady in the car with glasses and a gun“ als Video – was besonders gut für Sfar geeignet ist, weil er Frauen bei aller Kunst stets sagenhaft gut aussehen lässt. Besser sehen bei ihm nur Katzen aus.


Bloß manchmal wird’s ärgerlich. Wenn Rötelvorzeichnungen im Bild bleiben, oder Bleistiftspuren den Entwurf erkennen lassen, dann nervt das, wenn man wie ich mit einem sauber gezeichneten Asterix aufgewachsen ist. Aber das gehört dazu, weil sehr schnell klar ist, dass Sfar den Leser einfach in seinen Werkzeugkasten sehen lässt. Zugucken als Zusatzreiz, ein Prinzip, das gerade Männern vertraut ist: Dieser Comic ist eine Baustelle, auch in Band fünf.


Cleverer Streit über die Schuld


Diesmal begegnen wir den Musikern beim Baden im Meer, der Arschbaron dirigiert einen Zug voller Juden durch den Wilden Osten und Sympathieträger Tchokola begeht einen völlig unentschuldbaren Mord. Es gibt viel Sex, Doppelseiten in Bleistift, zarten Blau- und Rottönen, kubistischen Formen und im Anhang diesmal ein Plädoyer dafür, die Schuldgefühle gegenüber den Juden fallenzulassen, weil diese Schuldgefühle alles noch schlimmer machen, worüber man streiten kann – und sollte. Aber unabhängig davon, ob man Sfars politischen Ansichten zustimmen mag, gilt bei „Klezmer“ fünf Bände lang: Augen auf und durch!


Joann Sfar, Klezmer 5, „Tollhaus Kischinew“, Avant-Verlag, 19,95 Euro


Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.

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