Die Rückkehr in den Wilden Westen: „Staying West“ von Alexander Braun überzeugt erneut mit dem einzigartigen Mix aus Anekdote und Kunstgeschichte
Falls Sie’s eilig haben: Diesmal gibt’s keinen Comic, sondern nur Informationen zur Geschichte der Comics. Trotzdem sehr unterhaltsam, aber wie gesagt: Wer sich nur für Comics interessiert, hat jetzt schon frei. Wenn nicht: Lassen Sie sich den neuen Band von Alexander Braun ans Herz legen, „Staying West“.
Fünf Gründe zum freudigen Zugreifen
Der Laie könnte skeptisch werden: Fast zwei Kilo Buch, eigentlich ein Begleitkatalog zu einer Ausstellung, und geschrieben von einem Kunsthistoriker, Hilfe! Aber hier kommen die Gründe, warum Sie stattdessen freudig zugreifen sollten. Erstens: Braun schreibt so, wie man es sonst eher von anglo-amerikanischen Sachbüchern kennt: Nicht nur fundiert, sondern auch unterhaltsam, abwechslungsreich, mit Sinn für Humor und einem sicheren Auge für lustige, traurige, spannende Details und Anekdoten. Da erfährt man nicht nur, wer hinter den so beliebten wie durchschnittlichen „Bessy“-Comics steckte, sondern auch wer sich mit der ähnlich weitverbreitet-mediokren Serie „Silberpfeil“ selbständig machte und sich – als sie nicht mehr gefragt war – in seinem Haus erhängte.
Zweitens, weil Braun immer auch den Kontext im Auge hat: Er strickt ein ganzes Kapitel rund um den Goldrausch in Alaska, weil…? Klar, Onkel Dagobert hat da schließlich sein Vermögen gemacht. Wussten Sie, wie schwer es war, da 1897 überhaupt hinzukommen? Je nach Route zwischen 800 und 1500 Kilometern, zu Fuß. Dauer: bis zu zwei Jahre. Braun illustriert’s mit Fotos, Comic-Panels und weiteren Comic-Vorschlägen.
Bilder, die begeistern
Drittens: Weil Braun hier alles reinpacken kann, wofür bei seiner ersten Western-Ausstellung „Going West“ der Platz nicht mehr reichte: Lucky Luke, Western im Ostblock-Haus des Sozialismus, die boomartige Verwurstung von Winnetou, das italienische Dauerphänomen „Tex“, aber auch die bei uns kaum bekannten argentinischen Comic-Legenden. Alles entstanden in einer Zeit, in der deutsche Kinder mit Durchschnittsware wie „Fix und Foxi“ und „Buffalo Bill“ abgespeist wurden. Apropos: Immer wieder erkundet Braun das Mysterium, warum gute Comics in Deutschland praktisch nicht veröffentlicht wurden – und das Medium genau aus diesem Grund auch keinen besseren Ruf erwerben konnte.
Viertens: Weil Braun ein liebevoller Bebilderer ist, der nicht nur Ihre Lieblinge von früher mit reinpackt, sondern auch wunderliches, nie gesehenes, aber jederzeit sehenswertes Zeug: Weil er Sie nämlich nicht quälen will, sondern begeistern.
Fümpftnz: Weil Sie dann wissen, warum Sie dringend mal einen Zug besteigen und nach Dortmund fahren sollten. Die Ausstellung zum Buch ist direkt gegenüber vom Hauptbahnhof im schauraum comic + cartoon, komfortabler geht’s nicht, das kriegt man vor jedem Heimspiel der Borussia bzw. jedem Auswärtsspiel im ehemaligen Westfalenstadion mühelos hin. Eintritt kostet auch nix. Geht's noch besser?
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Die Outtakes (6): Hörnerhelme, bodenlose Löcher und das eigenwillige Frühwerk einer Comic-Legende
Hägar, der nicht ganz so Schreckliche
Geschichten von Wilfried Lupano sind immer einen Blick wert. Die Hägar-Alternative „Wikinger im Nebel“ hat jedoch ihre Tücken. Aus unerfindlichen Gründen hat sich Lupano entschlossen, die Geschichte in halbseitigen Einzelstrips zu erzählen, vergleichbar den Sonntagsstrips in Zeitungen. Diese Form schadet hier mehr als sie nutzt: Einzelstrips brauchen extrem starke Gags, weil ihre Pointe geradezu fahrplanmäßig im vor-/letzten Panel erwartbar ist. Lupanos Gags funktionieren aber meistens, weil er sie überraschend im Vorübergehen fallen lässt. Ergebnis: Ich sage zuverlässig zweimal pro Seite „Naja.“
Vielleicht habe ich aber auch nur einen blöden Humor. Wem Hägar nicht genügt, der möge also vielleicht hier mal reinsehen.
Grusel mit Shutter-Island-Dressing
Gute Gruselstories sind was Feines. Jeff Lemire (der einen schon bei „Black Hammer“ angenehm lang im Ungewissen ließ) als Autor: verheißungsvoll. Und „Die Passage“ geht exzellent los: Ein Geologe kommt auf eine Leuchtturminsel, weil's dort auf einmal ein unabsehbar tiefes Loch gibt. Die Insel ist abgeschnitten von der Außenwelt, windumtost, die Wärterin verschroben, der Fährmann ein Arsch: Doch das „Shutter Island“-Dressing von Lemire und Zeichner Andrea Sorrentino überzeugt nur bis zur Hälfte. Dann wird's wirr. Das Problem ist nicht der Mix aus Illusion und Realität, sondern dass dem Leser kaum noch klar ist, was unser Geologe eigentlich grade durchmacht. Und ohne Angst um den Hauptdarsteller wird der Grusel zu oft zum „Hä?“
Die Quasselbande
Ich komme mehr und mehr zu dem Schluss, dass Hugo Pratt gerade zu Anfang seiner Karriere weit weniger gut schrieb als zeichnete. Schon „Corto Maltese“ fällt mir immer wieder als abenteuerlose Abenteuerserie ermüdend auf. Jetzt erscheint „Fort Wheeling“ neu, entstanden Anfang der 60er Jahre, und wieder quatschen sich die Helden den Mund fusselig und sagen am besten auch gleich nochmal dasselbe, was im Textkasten drübersteht, da wird der Leder- zum Laberstrumpf. Wenn man Glück hat, ist's wenigstens unfreiwillig komisch wie in der Antwort auf die Frage: „Waren es Indianer, die deine Eltern getötet haben?“ - „Ich glaube, ja. Die Indianer waren immer gut zu mir.“
Geschichten aus dieser Epoche hatte Pratt damals schon in „Ticonderoga“ erfolgreich erzählt, da hat ihm aber Hector Oesterheld das Szenario geschrieben, ein Unterschied wie Tag und Nacht. In „Ein indianischer Sommer“ hat Pratt dann für Milo Manara das sehr gute Skript geliefert, dafür kam „Fort Wheeling“ 20 Jahre zu früh. Doch: zum Serienstart gibt es knapp 20 Seiten mit zusätzlichen, für Pratt ungewöhnlich farbigen Zeichnungen, aus denen der Verlag verständlicherweise auch gleich das Covermotiv nahm. Das entschädigt ein bisschen für die Quasselei.
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Ab hier testen Sie auf eigene Gefahr - heute: „King Of Spies “ und „Lucky Luke - Rantanplans Arche“
Lauwarme Fleischbrühe
Warum der neue „Lucky Luke“ nicht gut ist? Es hilft zu überlegen, was der Goscinny/Morris-Lucky Luke aus Band 101 gemacht hätte. In „Rantanplans Arche“ begegnet Luke dem Tierschützer Byrde . Früher hätte er Byrde für einen eigenwilligen Vogel gehalten, kurz begleitet und dafür gesorgt, dass er leben kann, wie er möchte. Luke hätte nicht Stellung bezogen, nur schmunzelnd den Schwächeren verteidigt, weil Morris und Goscinny wussten, dass sich der Leser seinen Teil denkt: War sicher nicht leicht, als 1866 der erste Tierschutzverein gegründet wurde – die waren ihrer Zeit halt voraus und ihr Trinkwasser noch nicht gülleverseucht.
Achdé und Jul genügt das aber nicht. Als erstes machen sie den Tierschützer auch noch zum Veganer, was ja nicht zwingend zusammengehört. Dann lassen sie ihn reich werden, Revolverhelden anheuern und eine vegane Ökodiktatur errichten, inklusive Todesstrafe bei Fleischkonsum. Wie bitte?!?!?
Lucky Luke rettet jetzt bedrohte Steaks
Sorry, aber selbst ich als Freund der fränkischen Bratwurst sehe, dass hier zwei Typen, die um ihr Steak zittern, den Comic-Cowboy benutzen, um Veganern mal eine einzuschenken. Beim Galgen bleibt's ja nicht: Tierschützer Byrde ist nicht nur der Strick egal, sondern auch dass die Gangster das Volk ausplündern. Seinen Irrweg erkennt er erst, als der Topschurke auf ein Tier schießt. So sind sie, die Tierschützer.
Diese Humorarbeit mit dem Holzhammer kommt allerdings nicht überraschend. Der Großteil der Pointen von Achdé/Jul ist entweder ungenau oder langsam. Dass sich Byrde etwa beim Teeren und Federn über die Hühnerfedern ärgert, kann sich jeder denken – dennoch zieht sich der Gag über vier Panels.
Eine Überraschung ist zu wenig
Kann freilich auch sein, dass Achdé/Jul das Ganze eher routiniert-gedankenlos abnudeln. Denn tatsächlich kriegt Byrde auch den einzigen überraschenden Satz des ganzen Albums. Als Lucky Luke bezweifelt, dass die Amerikaner „bereit sind, auf das Steak zu verzichten“, verweist Byrde auf die reale Entwicklung der Comicfigur: „Sie haben es doch auch geschafft, mit dem Rauchen aufzuhören.“
Mehr hätte es nicht gebraucht.
Sparsame Ideen, unlogische Action
Ich bin Mark Millar ausgesprochen dankbar für „Kick Ass“, diese exzellente „Superheld-in-echt“-Studie. Aber so gut durchgereift sind seine Stories seither leider selten. So ist auch bei „König der Spione“ die Idee knalliger als das Ergebnis. Ein alternder Agent/Killer erfährt, dass er nur noch sechs Monate zu leben hat und beschließt, in diesem halben Jahr zur Wiedergutmachung endlich die umzubringen, die es verdienen. Naja, warum nicht?
Der erfahrene Spion, der alle Sicherheitsmaßnahmen aushebelt, das hat ja auch was. Alle wissen, wer dahintersteckt, aber keiner kann’s verhindern, weil er so viele Tricks im Ärmel hat. Was macht Millar? Schnitt zu: Killer ist drin, bringt Opfer um. Und wieder, und wieder. Tricks: Fehlanzeige. Hm.
Aber gut, vielleicht ging’s ihm um was anderes? Vielleicht sind die Opfer überraschend ausgewählt? Russische Milliardäre, ein anderer Killer, ein nichttrumpiger US-Präsident, der Papst. Gähn. Aber mit guter Action könnte man ja…
Der Papst kriegt einen Lynchtermin
Leider ist auch noch die Action stellenweise arg unlogisch. Ein Scharfschütze kann wie oft auf einmal schießen? Genau, und wieso sehen wir dann gleichzeitig zwei Kugeln in zwei Köpfe einschlagen? Unser Superspion springt von einem Hochhausdach, landet in einem (zufällig vorbeifahrenden!) Rettungswagen und hat keinen Kratzer? Zwei Männer kämpfen im freien Fall um einen Fallschirm, A gewinnt, indem er beim Fall auf einen (zufällig gerade vorbeifliegenden!) Hubschrauber den anderen im Rotor zerschreddert und selbst superheil durchkommt? Da hat doch einer bei der Suche nach besseren Lösungen sichtlich die Lust verloren, oder?
Den Papst schleppt der Killer in einen dunklen Wald, um ihn dort von allen Angehörigen missbrauchter Kinder lynchen zu lassen. Wo kriegt er die Angehörigen her? Telefoniert er die einzeln zusammen? Und die warten dann stundenlang im Wald und sind sowieso alle begeisterte Mörder? Himmelnocheins!
Pluspunkt: Sex im Alter
Auf der Habenseite verbuchen wir: Eine recht überraschende und gar nicht schlechte Sex-im-Alter-Szene, ein ungewöhnliches Killerpaar, das an Originalität gewinnt, wenn man „Mad Max 3“ nicht kennt, und Matteo Scaleras grundsolide Zeichnungen.
Das ist mehr als nichts, aber nicht genug. Leider.