Die Outtakes (4): Kolonialexotik, Fußball und ein spinnender Niederländer – ab hier lesen Sie auf eigene Gefahr
Linie klar, Inhalt sparsam
„Rampokan“ erzählt die Geschichte der niederländischen Besatzer auf Java, die nach der Niederlage der Japaner zurückkehren. Ligne claire, hübsch gezeichnet, zweifellos. Doch so ansehnlich die Menge an Lokalkolorit, so wissenswert der Hintergrund auch ist, beides versinkt in so viel Geschwafel, dass man nicht weiß, wozu man weiterlesen soll. Und sich wundert, wie es möglich ist, in eine Kolonial-Militärgeschichte so wenig Action zu packen.
Ersatzterix
„Gilles der Gauner“ ist ein Paradebeleg dafür, dass man seine Jugend nicht mehr einfach zurückholen kann. Hätte ich vor 45 Jahren den Comic in die Finger bekommen, hätte ich ihn verschlungen. Heute habe ich zu viel gelesen, das besser ist. Und das kann ich leider nicht mehr löschen.
Gilles ist ein Asterix-Mitbewerber aus den 80ern und spielt im 16. Jahrhundert. Die Spanier, die die Niederlande erobern wollen, sollen die Römer ersetzen. Und die Niederländer – aber da geht's schon los. Die Niederländer sind nicht die Hauptdarsteller, Star ist der Wegelagerer Gilles, und der ist irgendwie auf keiner Seite. Er ist weder freundlich noch ideenreich, sogar leicht dämlich, und als Sympathieträger fällt er auch deshalb aus, weil man zwar weiß, dass man (Hauptrolle!) auf seiner Seite sein sollte, aber leider nicht wieso. Manche Stories erinnern an die Bemühungen des Koyoten vom Roadrunner, sind aber nicht halb so komisch. Weil die halbverhungerte, tragische Viehgur keine Wahl hat, Gilles hingegen – tja, was will der eigentlich?
Aber: Es ist eine hübsche Gelegenheit zur Comicpädagogik. Schenken Sie's Kindern. Gucken Sie, ob sich Gilles gegen Asterix durchsetzen kann.
Finden Sie die Unterschiede.
Reden Sie mal drüber.
Gottes Händchen
Fußballcomics sind schwierig, schwieriger noch als Boxercomics, weil Fußball mehr aus Szenen besteht als aus Momenten. Texter Paolo Baron und Zeichner Ernesto Carbonetti weichen daher in ihrem Comic über Diego Maradona geschickt dem Fußball aus. In „Die Hand Gottes“ konzentrieren sie sich auf die Biografie, einige ikonische Bilder und die nahezu religiöse Kombination aus Maradona und Neapel, wo er sieben Jahre lang spielte.
Das sieht streckenweise richtig gut aus, geht aber nur für Fans vollständig auf. Denn: Um diesen erst genialen, dann koksenden und schließlich übergewichtigen Weltstar faszinierend zu finden, muss man jene komplexen, mehrsekündigen Szenen erlebt haben, die er einem Millionenpublikum vorzauberte. Und Nachgucken bei Youtube ist kaum ein wirklicher Ersatz.
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
Ein Alptraumsommer, heiße Kisten, neblige Düsternis: Drei schöne Comics scheitern an ihrer Story – die Outtakes (3)
Skrupellose Sommerliebe
Eine seltsame Geschichte: 1962. Drei Jungs in einem französischen Küstenort. Der letzte Sommer vor der Uni – alle drei wollen Karriere machen wie ihre Eltern. Dann trifft Odette die drei am Strand, zieht sich wortlos aus und badet mit ihnen nackt. Nachts darauf schlägt sie vor, man könnte in leerstehende Villen einsteigen und dort vögeln. Und während zwei Jungs sich schon mal nackig machen, lässt Odette ihre Komplizen rein, die sie überraschend fotografieren. Zwecks Erpressung: Odette und ihre Komplizen räumen die Häuser aus, die Erpressten können als Informanten hinterher nicht mal zur Polizei. Ende?
Nein: Odette hat sich in einen der Jungs verliebt. Und er hängt sich fasziniert an sie und drängt sich in die Einbrecherbande….
Was ist „Unter den Kieseln der Strand“ nun? Die Geschichte einer Sommerliebe? Eine Abrechnung mit der spießigen Gesellschaft, die sich erst vor kurzem mit ihren Nazis arrangiert hat und bald ihr eigenwilliges Rechtsverständnis zeigen wird? Pascal Rabaté, Zeichner und Autor macht es einem nicht leicht. Die Bilder der Sommerliebe sind zart und hübsch, aber auch kühl, weil Rabaté den Gelbanteil praktisch auf Null reduziert. Auch zum Identifizieren taugen die Liebenden nicht recht: sie sind zwiespältig, nicht immer ehrlich – sie sind nur wegen ihrer Jugend am entschuldbarsten. Das ist letztlich das Problem: Der guten Geschichte, die vieles aufgreift, fehlt jemand, dem man folgen mag.
Wie frisch aus der Waschanlage
Gerade Autofans könnten Jaouen Salaüns „Asphalt Blues“ mindestens anfangs mögen. Salaün zeigt eine nahe Zukunft, in der noch immer viel gefahren wird. Die Bilder sind ansehnlich, aber zu sauber und zu glatt. Liegt vermutlich auch an der Technik: digital gezeichnet kann sehr abwaschbar aussehen. Vor allem, wenn dann auch kein richtiger Grund zum Weiterlesen kommt: Ein Paar streitet, aber so ausgedehnt und reizlos, dass schon wieder das Auto, in dem sie unterwegs sind, das Interessanteste darin ist. Salaün kann Wasser und Oberflächen zeichnen und Leute mit Sonnenbrillen – aber er kann ihnen nichts zu tun geben.
Die Nebelmaschine
So ist das eben auch manchmal: Da fängt ein Comic schön rätselhaft an, minimalistisch, wortkarg, wie diese Geschichte von dem Falkner, der mit seinem Vogel an irgendeiner merkwürdig nebligen Küste etwas erlegt, was aussieht wie eine gigantische Staubmilbe. Und man denkt die ganze Zeit: Super, das ist ein Gefühl, als hätte man sich total verlaufen, jetzt macht mir das bloß nicht kaputt...
Und dann ändert sich der Stil, und es wird jede Menge und immer mehr Zeug geredet und die Handlung wird immer wirrer. Sich im Nebel verlaufen ist mystisch, sich im Geschwafel verlaufen ist anstrengend und wird dann irgendwann auch ein bisschen fad. Was bleibt, das sind Dave McKeans streckenweise hübsche Bilder. Aber die sind, zugegeben, sehr hübsch.
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
Schultheiss zeichnet Bukowski: Der Klassiker „Kaputt in der City“ feiert ein Comeback in Farbe - und ist womöglich die Wiederentdeckung des Jahres
Was für ein Wiedersehen! Was für eine Gelegenheit! Was für eine Neuentdeckung! Oder hat der Splitter Verlag einfach nur mal den Gebraucht-Comicmarkt angeguckt? Denn dort sieht man, dass ein Comic namens „Kaputt in der City“, schwarz-weiß, Softcover, Neupreis einst 30 Mark, inzwischen für das Doppelte gehandelt wird. In Euro. Und völlig zu Recht.
Jeder bescheißt jeden
„Kaputt in der City“ ist einer der Glücksfälle, bei denen so viele günstige Einzelteile zusammenkommen, dass etwas einmalig Gutes entsteht. Vorausgesetzt, man mag Charles Bukowski und seine zynisch-bissig-miesepetrig-versoffenen Erzählungen aus dem Amerika von ziemlich weit unten. Die ihren besonderen Witz daraus ziehen, dass der Erzähler einerseits weiß, dass in diesem Amerika jeder jeden bescheißt, ausbeutet, beklaut, dass er andererseits auch jederzeit zugibt, dass er keine Lust hat, sich groß anzustrengen. Ein Faulpelz mit Charakter, könnte man sagen.
Diese Kurzgeschichten wählte sich in den 80er Jahren der aufstrebende Comic-Star Matthias Schultheiss als Vorlage. Was deshalb so ideal passt, weil Schultheiss kein USA-Basher ist. Schultheiss liebt Amerika glühend, aber mit offenen Augen: Er leidet daran, dass die unbegrenzten Möglichkeiten oft mit grenzenloser Rücksichtslosigkeit einhergehen. Vermutlich wählte Schultheiss deshalb einen Stil, der sich von seinen opulenten Bänden wie „Die Haie von Lagos“ deutlich unterscheidet: Kaum Flächen, nur Striche und Schraffuren, recht nahe an Robert Crumb, aber mit schultheiss-typischem Sinn für Licht und Schatten. Ein drittes Element macht jedoch die Mischung erst perfekt.
Amerika, gesehen mit offenen Augen
Es ist die Sicherheit, mit der Schultheiss, der seine Szenarien sonst selbst schreibt, den Fremdtext behandelt. Wie souverän er ihn zu wortlosen Panels und aufregend geschnittenen Seiten umkomponiert, wie präzise er den Dialog umsetzt, wie treffsicher er Erzähltext aus dem Off einsetzt und wie oft er (was für einen Fan ja noch viel schwieriger ist) diesen Erzähltext weglässt. Wer mit Bukowskis Version startet, wird bei Schultheiss nichts vermissen. Wer mit Schultheiss‘ Version beginnt, wird bei Bukowski alles wiederfinden. Die Frage ist, ob es eine gute Idee ist, die Storys zu kolorieren.
Aber auch hier macht Schultheiss nichts falsch: Er färbt einfühlsam. Es wird nirgends poppig bunt, er unterstreicht nur, was in seinen Zeichnung angelegt ist. Die Farben sind oft gedeckt, fahl, düster, staubig, dreckig und so stimmig, dass man sich im Nachhinein wundert, wie präzise die Schwarzweiß-Variante bereits die jetzt gewählten Farben suggerierte. Das Weißgelb der glühenden Sonne, das Dreckbraun der verklebten Theken, das Nachtviolett der New Yorker Hochbahn. Das Besondere ist nicht, was die Farbe den Zeichnungen hinzufügt, sondern wie gelassen sie auf deren Wirkung vertraut und sie nur sanft betont.
No Country for Frauen
Zuguterletzt: Wie ist das mit Bukowski und den Frauen? Ungeschönt. In einer Welt, in der jeder konsequent nach unten tritt, haben Frauen schlechte Perspektiven. Aber wer mit (frauenlosen) Storys wie „Kid Stardust im Schlachthof“ oder „New York für 95 Cents am Tag“ beginnt, ahnt rasch, dass Leute aus dieser Welt ihre Mitmenschen ähnlich behandeln wie sie selbst behandelt werden. Bukowskis Antihelden raffen sich manchmal zu einer eigenwillig verdreht-verlotterten Sorte von Ritterlichkeit auf, mehr ist nicht drin. Man mag das bedauern, aber überraschend ist es nicht. Schultheiss setzt diese Zustände 1:1 um, mit Körpern, die auch beim Sex so unansehnlich sind wie die Zimmer, in denen all das stattfindet. nein, schön ist all das nicht. Aber verdammt gut!
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier: