- 11. Feb. 2018
Mangas sind auch nur Comics – oder? Ein skeptischer Selbstversuch zum ersten Todestag des Alt- und Großmeisters Jiro Taniguchi

Vor einem Jahr ist Jiro Taniguchi gestorben, den viele als den König der Mangas verehren. Kann es eine bessere Gelegenheit geben als anlässlich des ersten Todestags mit ihm wieder einmal den Einstieg ins Mangathema zu probieren? Denn bislang findet Manga bei mir nicht statt, und ich kann beim besten Willen nicht genau sagen, wieso. Sind doch auch nur Comics, oder?
Aufwändige Optik, extrem akkurat
Mangas gibt es in allen Themenbereichen, Action, Science Fiction, alles wie gewünscht, und dass man das Heft von hinten nach vorn lesen muss, kann ja wohl kein ernsthaftes Argument dagegen sein. Noch besser: Die Zeichnungen beim Manga sind oft unglaublich aufwändig und akkurat, und das gilt nicht nur für Taniguchi: Neben seinem neuen Kurzgeschichtenband „Killers“, der Novel „Ikarus“ und „Ice Age“ liegt vor mir auch „Monstress“ von Sana Takeda, eine neue Serie, zweimal für den Eisner Award nominiert. Überhaupt hinterlassen Mangas immer, wenn ich sie mal in die Hand nehme, einen ähnlich guten Eindruck wie deutsche Autos, deutsches Brot, deutsches Bier: Nicht immer Weltklasse, aber auf jeden Fall ordentlich verarbeitet. Sollte eigentlich eine Bank sein.
Zumal Taniguchi oft und gerne beeindruckende Technikpanoramen ausbreitet: In „Ikarus“, der Geschichte eines mutierten Kindes, das fliegen kann, entwirft er stadtteilgroße Labore, Werkshallen mit aberwitzigen Apparaturen. „Ice Age“ spielt in einer arktischen Mine, bietet gigantische Bergbau-Werke, umgeben von endlos aufragenden Felswänden, dazu Bergsteigerdramatik – wie geschaffen für Mangas, die auch gerne mit ungewöhnlicher Bildaufteilung arbeiten.
Gewitzte Beschleunigung mit dem richtigen Bildformat
Eine Felswand im Hochformat, noch eine Felswand im Hochformat – und dann das plötzliche Spannen des Seils als schmaler Bildstreifen quer über die komplette Seite gelegt, aber nicht rechtwinklig, sondern leicht angeschrägt, und dann die Folgen drunter Schlag auf Schlag in vier engen, extrem hochformatigen Bildern: das Entsetzen in den Augen, das plötzliche Gewicht auf dem Haken – da wird dem Leser routiniert und raffiniert eine aberwitzige Geschwindigkeit aufs wehrlose Auge gedrückt.
Und auch an die Speed Lines kann man sich gewöhnen, eine Art Strahlenkranz, der die Aufmerksamkeit wie eine Zoomfahrt mit der Kamera auf Personen und/oder Objekte fokussiert. Mich stören auch nicht die bisweilen eigenwilligen Geräusche, die in der deutschen Übersetzung für die japanischen Schriftzeichen eingesetzt werden: Ich habe zwar keine Ahnung, wie „KROOB“, „GWUTT“, „BATTS“ oder „SGWOON“ klingen soll, aber es gibt dem Manga etwas angenehm verwirrend Exotisches, wie Koriander in der Asiaküche. Nur die vielen Verzögerungen gehen allmählich auf die Nerven.
"KROOB", "GWUTT", "SGWOON"!
Das Prinzip kennt man, etwa von Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“: Drei Männer warten am Bahnhof, und dieses Warten zieht Leone extrem in die Länge bis zum großen Knall. Das funktioniert aber nur deshalb, weil Leone das nicht den ganzen Film hindurch ständig macht. Taniguchi macht es lieber und öfter, wie er überhaupt auch gerne Leute beeindruckend dastehen lässt. Und so gerne ich Killer nachdenklich rauchen und stehen und beobachten sehe, irgendwann sagt einem das Bild nicht mehr als „Aha, ist es wieder mal so weit.“ Was auch für Schuhe und Schuhspitzen gilt: Vorliebe hin und her, irgendwann winkt man die Schuhe nur noch durch. Aber kleine Marotten können einem den Spaß nicht komplett verderben – die Gesichter hingegen schon.
Es geht noch nicht einmal so sehr um das, was man öfter als die „typischen Mangagesichter“ bezeichnet, diese Figuren mit den großen Augen, dem dauerniedlichen Kindergesicht, der dreieckige Mund, die vor Glück oder Verlegenheit zugekniffenen Augen – das macht Taniguchi nicht. Es geht auch nicht um die plötzlich grotesk verzerrten Gesichter, ebenfalls mangatypisch: So ähnlich wie Jim Carrey in der „Maske“, ein Comedy-Element, das bei Taniguchi so gut wie nicht auftritt. Nein, es sind die ganz normalen Gesichter, die samt und sonders aussehen, als würden sie in einer arg limitierten Mimikfabrik produziert.
Gesichter wie aus der Gussform
Es gibt in „Ice Age“ eine Versammlung der Minenarbeiter. Sie sind wütend, und jeder von ihnen zeigt seine Wut – genau gleich. Es gibt einen Standardausdruck für Verwirrung, Zufriedenheit, Angst, Zweifel, Freude. Es gibt die Miene „nachdenklich“, „grimmig“, „entschlossen“, und wenn es von diesen in der Realität unendlich variierbaren Gemütszuständen bei Taniguchi immerhin mal eine zweite Variante gibt, dann ist es schon viel. Was eine Manga-Krankheit zu sein scheint: Auch die Gesichtervielfalt bei der Fantasysaga „Monstress“ ist keinen Hauch größer. Was den Genuss der Geschichten extrem beeinträchtigt, weil jeder Konflikt, jede Gefühlsregung dadurch geradezu ärgerlich synthetisch wirkt. Es ist, als wolle man die Bandbreite der internationalen Küche anbieten – mit der Vielfalt von McDonald‘s.
Irritierend dabei ist: der Aufwand. Mangas sind nicht hingeschludert, ganz im Gegenteil. Und dennoch würde ich jede Menge Schlamperei akzeptieren, wenn ich dafür einen Bezug zu den Geschichten und Personen aufbauen könnte. Vielleicht habe ich auch nur Pech mit der Auswahl gehabt, ich geb’s jedenfalls noch nicht ganz auf mit den Mangas. Wenn etwas in dieser Menge und Leidenschaft produziert wird, dann muss auch immer wieder mal was richtig Gutes dabei rauskommen. Bei Taniguchi sind’s immerhin schon mal seine Landschaften, seine Industrie- und Technikpanoramen: „Ice Age“ kann ich daher durchaus empfehlen, „Ikarus“ genauso. Seine Dialoge unter melancholisch rauchenden Killern gehen mir leider furchtbar auf die Nerven, wenn auch nicht ganz so sehr wie die Erklär-Katzen aus „Monstress“. Ich versuch’s aber weiter und bin für Empfehlungen dankbar.
Jiro Taniguchi, Ice Age, Schreiber & Leser, Band 1-2, je 16,95 Euro
Jiro Taniguchi/Natsuo Sekikawa, Tokio Killers, Schreiber & Leser, 16,95 Euro
Jiro Taniguchi/Moebius, Ikarus, Schreiber & Leser, 24,95 Euro
Marjorie Liu/Sana Takeda, Monstress, Cross Cult, Band 1-3, ab 15 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
- 31. März 2017
Der Berliner Verlag round not square bietet einen Rollcomic auf über 15 Metern Papier an. Ein Selbstversuch

Ein Comic, den man mit den Füßen zuklappt. Das ist tatsächlich mal was ganz Neues. Vielleicht gibt es auch andere Methoden, Sie können es gerne selbst versuchen – ich sag Ihnen kurz mal, worum’s geht: um einen Rollcomic.
Wie weiland der Teppich von Bayeux
Wat is eine Rollcomic? Sowas wie ein Rollmops? Ja, kommt gut hin: Dieser Rollcomic stammt vom Berliner Verlag „round not square“, ein Wortspiel, weil man das englische „square“ nicht nur mit „eckig“ übersetzen kann, sondern auch mit „langweilig“, und langweilig sind die Produkte nun wirklich nicht. Die Verleger Antonia Stolz, 33, und Ioan Brumer, 29, haben im Prinzip die alte Schriftrolle wieder ausgebuddelt und zum Rollbuch modernisiert – ein Buch auf einer einzigen, sehr, sehr langen Papierrolle. Und weil sie schon dabei waren, haben sie auch gleich den Rollcomic entwickelt, vielleicht sogar erfunden, weil: mir ist bisher noch kein anderer untergekommen, abgesehen vielleicht vom Teppich von Bayeux.
Der Umgang mit dem Rollcomic ist leichter als man vielleicht glaubt. Der Comic besteht aus einer Rolle Papier, die in einem steifen Kartoncover endet und liegt. Zum Lesen öffnet man dieses Cover und dreht es auf links. Die so entstandene hohle Coverrolle nimmt man in die linke Hand, auf sie wird man nun nach und nach die 15 Meter Handlung aufspulen, die man jetzt noch als kompakte Papierrolle in der rechten Hand hält. Unsere Geschichte heißt „Shipwreck“ und ist vom Augsburger Paul Rietzl. Science Fiction, im Weltraum, was auch angesichts des Mediums nicht schlecht gewählt ist.
Es fehlt: der Schnitt beim Umblättern
Denn so eine Rolle kann man nicht nur kontinuierlich ansehen, man kann sie auch so weit auseinanderziehen wie man will. 30 Zentimeter, 100, doppelt armbreit. Man hat also als Zeichner nach rechts unglaublich viel Platz, und viel Platz ist etwas, was man sehr gut brauchen kann, wenn man den Weltraum zeichnen will. Sofort zeigt sich auch noch etwas Eigentümliches: Es fehlt die Zäsur, die ganz automatisch immer dann entsteht, wenn man in einem normalen Comic eine Seite umblättert.
Beim Umblättern weiß man ja nicht, was als Nächstes kommt. Die rechte Seite kann man vielleicht so aus dem Augenwinkel ahnen, aber die linke Seite, keine Chance, noch während die Seite senkrecht steht, hat man nicht den Hauch einer Ahnung. Diesen Moment der Zwangsüberraschung hat der Rollcomic nicht. Dafür bietet er die Möglichkeit zu langen, langen Kamerafahrten.
Vorteil: lange Kamerafahrten
Reitzl nutzt das, um uns in die Geschichte einzuführen, diese Zukunft mit ihren epischen Weltraumschlachten, dazu gibt es viel Voice-over in Textkästen. Was auch kein Zufall ist: Denn während das Format bei Kamerafahrten glänzt, kann man schnelle Gesprächspassagen auch hier nur als normale Bilderabfolge zeigen. Das ist dann wie ein Ferrari in der Tempo-30-Zone, außer man zeigt Ali Baba und die vierzig Räuber beim Durchzählen. Schwierig ist aber auch, was dabei zu essen.
Schwierig: sich beim Lesen an der Nase kratzen
Zum Beispiel ein Käsebrot. Einen Teller mit Schnittchen schmieren und dann dazu ein Comicheft lesen – gar kein Problem. Mit einem Rollcomic ist das schon anders, weil man ja beide Hände voll hat. Man soll natürlich nicht beim Lesen essen, klar, aber es ist ohne Hände auch nicht ganz leicht, sich an der Nase zu kratzen. Hilfreich wäre daher, wenn die Geschichte so fesselnd wäre, dass man die Nase darüber vergisst – aber das ist schon im Normalformat enorm schwer.
Reitzl kann man dabei keinen Vorwurf machen. Er löst die meisten Herausforderungen, die ihm die Rolle stellt, geschickt und guckt sich viel vom Film ab. Weil es ohne Blättern schwer ist, im fortlaufenden Bild die Szene zu wechseln, nutzt Reitzl Vorder- und Hintergrund, zoomt heran, schwenkt von dort wo anders hin. Sein Weltraum ist auch nicht nachtschwarz, sondern endlos weiß, weil man dadurch elegant Innen- und Außenszenen mischen kann ohne dafür den Hintergrund ändern zu müssen.
Pionierarbeit: Es gibt kaum Vorbilder
Gelegentlich lässt Reitzl auch Rolle Rolle sein und klinkt ganz konventionell Bilder ein, um den Rhythmus zu ändern, und überhaupt schlägt er sich doppelt anerkennenswert, weil er kaum auf Vorbilder zurückgreifen kann und sich das Meiste selbst erarbeiten muss. Trotzdem kann man nur schwer bestreiten, dass seine Geschichte vor allem auch deshalb gut unterhält, weil man dabei den ungewöhnlichen Extraspaß mit den Papierrollen hat. Solange man nicht zu pedantisch ist, jedenfalls.
Es ist nämlich kaum möglich, beim Lesen die linke, gelesene Rolle so sauber aufzuwickeln wie die rechte, ungelesene. Und zum Schluss, wenn man das ganze Buch zurück spulen muss wie früher eine Musikcassette, geht das zwar sauberer, aber nicht mehr so kompakt, dass das Cover sofort wieder drumrum passt. Man muss dann die Rollenlöcher zwischen die Finger nehmen und straff ziehen. Die eigens mitgelieferte Anleitung sagt zwar, das ginge mit einem Finger, aber dann wird’s schief. Weshalb ich mich ganz zum Schluss gebückt, die Rolle zwischen die Finger genommen und dabei mit den Zehen das Cover festgehalten habe. Während derart interaktiven Bücklingen merkt man dann am eigenen Leib, wie man den Begriff „Liebe zum Buch“ mit ganz neuem Leben füllt.
Der Leser bestimmt selbst die Bildgröße
Klar ist, dass so ein Format nicht mit dem Standardbuch konkurriert. Bis zu 30 Meter Papier, am Stück auf dem Tintenstrahldrucker gedruckt, das ist nichts fürs Alltagslesen. Es ist aber auch kein Nischenprodukt für Sonderlinge. Auf Designmessen kommt das Rollbuch sehr gut an, wie man hört, und auch ein Kinderbuch ist im Programm, das sich bereits 700mal verkauft hat – weil Kinder es prima finden, wenn man die Bildgröße selbst bestimmen kann.
Ehrlich gesagt: nicht nur Kinder.
Paul Reitzl, Shipwreck, round not square, 28 Euro
www.round-not-square.com
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.