Religiöse Debatten im nostalgisch-verträumten Urlaubsflair: Ein Wiedersehen mit Joann Sfars „Katze des Rabbiners“ und ihrem besonderen Blick auf den Glaubens-Irrsinn
Diese Comic-Katze hab ich wirklich vermisst. Gibt ja einige, auf die man problemlos verzichten kann, ich sage nur mal: Garfield. Und ganz besonders Garfield. Aber diese hier fehlt einem gelegentlich schon sehr. Schaitan heißt sie manchmal, meistens ist sie einfach nur „Die Katze des Rabbiners“. Weitere drei Alben sind jetzt im neuen und inzwischen dritten Sammelband von Joann Sfar vereint, empfehlen kann und muss man sie alle. Vorausgesetzt, man mag’s verspielt und hat nichts dagegen, wenn die Dinge ein wenig rätselhaft bleiben, unzweideutig, unaufgelöst und unaufgeräumt.
Eine Katze, die Jude werden will
Die Katze des Rabbiners ist ein Kater, grau, dünn, mit riesigen Ohren (wer bei Whiskas nachschlägt, kriegt Devon Rex oder Siamkatze angeboten). Er kann sprechen, seit er einen Papagei gefressen hat – was soll man sagen, ein Wunder eben. Das erste Abenteuer bestand schon mal darin, dass der Rabbi seiner Katze daraufhin den Umgang mit seiner Tochter verbot, weshalb die Katze – weil sie die hübsche Tochter liebt und verehrt – dringend Jude werden will. Und genau diese Frage, ob ein Kater Jude werden kann, skizziert schon mal ganz gut, worum es geht und mit welchem Humor man zu rechnen hat.
Die Katze ist widerspenstig, hemmungslos egoistisch und nicht auf den Mund gefallen, es gibt boshafte Debatten über den Sinn und die Logik von Religion, Sex, Beziehungen zwischen Mann, Frau und Katze und all das im Algier der 20er Jahre – was dem Projekt ein unschuldig verträumtes Nostalgieflair verleiht.
Gekalkte Häuschen, blaues Mittelmeer
Vieles in der „Katze“ erinnert an Sfars Reihe „Klezmer“. Aber während Klezmer manchmal derart frisch zusammengenagelt aussieht, dass man fürchtet, sich beim Anfassen Spreißel in den Finger zu ziehen, ist die „Katze“ viel hübscher lackiert. Hier sitzen keine bettelarmen Musiker in Russland zusammen und lassen sich volllaufen, hier ist man belesen und bürgerlich. Man sitzt in hübschen weißgelb gekalkten Häuschen am Mittelmeer, der Blick geht über den Hafen in die Hügel, da geht einem das Herz auf und das nächste Reisebüro nicht mehr aus dem Kopf.
Man trinkt Tee und Kaffee und schnabuliert kleine Leckereien im Schatten der Palmen auf der Dachterrasse. Nachts schläft man außen, tagsüber flieht man vor der Hitze ins Orientalisch-Schattige. Sfar legt bunte Teppiche aus, fliest seine Wohnräume immer wieder neu, und die hübsche Tochter des Rabbiners, die in den neuen Bänden trotz Pluderhosen noch etwas knapper bekleidet durch die Panels huscht als sonst schon, kriegt samt ihren Freundinnen fröhlich gemusterte Kleider.
Wie im Netz: Der Katz fehlen die Likes
Was passiert diesmal? Die Tochter hat nicht nur geheiratet und ist ausgezogen, sie kriegt zum Leidwesen der Katze von ihrem blöden Mann auch noch ein Kind. Wie die Katze ihr Wohlergehen ausschließlich an der Aufmerksamkeit bemisst – da kann man jetzt streiten, ob das ein Kommentar zur „Like mich, bemerk mich, bestätige mich“-Welt des Internets sein soll. Wenn die Katze seitenlang beim Huschen über die Dächer der Sommernacht darüber klagt, dass sie keine Lust auf Veränderungen hat, dass sie möchte, dass alles bleibt wie es ist oder mal war oder mal gewesen sein soll, gemütlich und vertraut und mit warmer Milch und Sorglosigkeit und vielviel Früher, da kann man natürlich wehmütig nicken.
Man kann aber auch Herrn Trump und seine Wähler drin erkennen, die – nicht völlig unverständlich – den schönen Heckflossenautos der 50er nachweinen. Und wenn der Rabbiner seine Synagoge den Muslimen zum Gotteshaus-Sharing anbietet, weil ihre Moschee gerade einen Wasserschaden hat und wenn dann die unbürokratische Hilfe nicht am neuen, aber am alten Imam scheitert, am Rabbiner des Rabbiners und an ihren beiderseits völlig vernagelten Gläubigen, da kann man natürlich einen hochpolitisch-aktuellen Kontext festhalten. Man kann das alles aber auch einfach genießen als Einblick in den schönen Schwachsinn der Menschheit.
Der Zeitsprung zurück hilft beim Entschärfen
Denn die Nostalgie verleiht den Geschichten einen angenehm spätsommerlichen Glanz. Die Handlung spielt in den 20er Jahren, Israel ist noch nicht gegründet, alle reden noch miteinander und bewerfen sich nicht als Allererstes mit Bomben. Das macht die religiöse Thematik erstaunlich zugänglich: „Anfangs hab ich den Comic für mich gezeichnet“, sagt Sfar in einem Interview, „aber nach zehn Jahren hab ich gemerkt, dass er Auswirkungen hat. In einer Schule hat mir dann mal ein Mädchen gesagt: ,Erst wollten wir das nicht lesen, aber dann haben wir’s gemocht, weil wir gesehen haben, dass Juden und Araber gleich doof sind.‘ Genau das wollte ich: die Beziehung von Christen, Juden, Moslems entspannen.“
Und nicht nur die: Männer gehen fremd, Frauen verlieben sich neu, wissen sich gewitzt durchzusetzen, es gibt kein Problem, das man nicht lösen oder wenigstens besser ertragen könnte, indem man einer Katze den Bauch krault oder das Kinn oder oben zwischen den Ohren. Mit einer traurigen Ausnahme: Die Katze des Zeichners, genannt Imhotep, das reale Vorbild der Rabbinerkatze, ist 2018 leider gestorben.
Joann Sfar, Die Katze des Rabbiners, Avant Verlag, Bände 1-3, je 29,95 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
Lustlose Zeichnungen, schiefe Vergleiche und Gags, die man erklären muss – wie Star-Cartoonistin Liv Strömquist mit ihren Bestsellern die Frauenbewegung sabotiert
Nie hätte ich gedacht, dass man Frauen heute noch so behandeln darf. Dass man ihnen Sachen so erklärt, als wären sie etwas zurückgeblieben. Dass man sie mit schiefen Argumenten abspeist und glaubt, sie würden es nicht merken. Dass man ihre Möglichkeit zum eigenverantwortlichen Handeln einfach ignoriert – kurz: dass man sie so behandelt wie es Liv Strömquist tut.
Vielleicht erwarte ich das Falsche: Cartoons mit Witz
Die 41-Jährige ist eine schwedische Feministin, Cartoonistin und Bestsellerautorin, jedenfalls im Comicmaßstab. Ihre Bände „Der Ursprung der Liebe“ und „Der Ursprung der Welt“ verkaufen sich tüchtig, sie wurde gelobt („sehr witzig“/RBB, „hinterfotzig“/NZZ), auch hier und hier bei Spiegel Online („überzeugende Witzarbeit“). Jetzt erscheint ihr dritter Band „I’m Every Woman“. Nach der Lektüre bin ich enttäuscht, gelinde gesagt. Aber vielleicht erwarte ich auch das Falsche. Zum Beispiel Cartoons, die a) witzig sein sollten, womöglich sogar durch b) die Zeichnung.
Ich gebe zu, dass weder a) noch b) leicht fallen, wenn der Cartoon darin besteht, dass man entweder eine Figur zum einer randvollen Sprechblase stellt oder die Figur lieber gleich ganz weglässt, um eine handschriftliche Bleiwüste zu drucken. Es kann aber auch daran liegen, dass Strömquist erhebliche Probleme mit dem Konzept von „Humor“ hat. Wie erklärt sich sonst ihr Simpsons-Cartoon?
Erkennt Strömquist Satire, wenn sie davorsteht?
Die „Simpsons“ karikieren seit 30 Jahren die Ehe von Marge und Homer. Ein fetter, träger Depp ignoriert seine Frau, die deutlich cleverer ist als er, weshalb der Zuschauer sofort denkt: „Das ist nicht okay.“ Und Strömquist? Sie zeichnet Homer und Marge mit vertauschten Rollen: Marge sitzt fett auf dem Sofa, ein sportlich-schlanker Homer muss ihr Bier holen und das Kind hüten. Sinn ergibt das nur, wenn Strömquist den Simpsons-Machern unterstellt, sie hielten diese Ehe für vorbildlich. Kann doch nicht sein.
Oder?
Nun ja. Strömquist glaubt auch, dass man Witze erklären muss. Eine Cartoonserie von ihr schreibt tierisches Verhalten Menschen zu: Nachts geil schreien, bis ein Sexpartner kommt. Oder eigene Kinder anderen vor die Tür legen. Muss man Katze oder Kuckuck dazu schreiben? Strömquist muss.
Waren die Eagles wirklich im Hotel California?
Doppelbödiges kennt sie nicht. Strömquist reiht auch Sting in die Liste der „unsäglichsten Lover der Weltgeschichte“, weil „Every Breath You Take“ Stalker ermutigt. Glaubt Strömquist wirklich, dass jede/r alles meint, was er/sie in der ersten Person singt? Waren die Eagles echt im Hotel California? Nee, oder? Aber wenn sie das nicht glaubt, was bleibt dann von dem Gag übrig? Okay, witzarme Cartoonisten gibt’s öfter. Aber bissige, überzeugende Argumente kann man schon erwarten, nicht wahr? Leider hat Strömquist gerade die nicht im Repertoire. Stattdessen gibt es Windschiefes im Dutzend billiger.
Arschloch findet Frau, die bei ihm bleibt – wer ist schuld?
Die übrigen 19 Seiten der „Unsägliche-Lover“-Story etwa: Marx, Munch, Picasso, Strömquist zählt Egoisten auf, die sich wohl auch arschlochmäßig verhalten haben. Kann man tadeln, muss man tadeln, aber – im Gegensatz zu ihrer Whitney Houston/Bobby Brown-Story – unterstellt hier nicht einmal Strömquist selbst diesen Ärschen, die Frauen gezwungen zu haben, sich so behandeln zu lassen. Wenn aber die Frau jederzeit aufstehen und gehen könnte, dann bleibt vom „unsäglichsten Lover der Weltgeschichte“ nur noch ein Arsch, der eine Dumme gefunden hat. Man könnte also auf dieser Basis mit derselben Berechtigung die Liste der „Dümmsten Geliebten der Weltgeschichte“ erstellen.
Exakt auf diese wacklige Argumentation hat sich Strömquist im neuen Band leider spezialisiert. Wir kriegen dasselbe von Elvis Presley erzählt, von Jackson Pollock, John Lennon oder von Stalin. Und sogar bei Stalin belegt Strömquists Schilderung nichts weiter als dass der Fall erledigt ist, sobald man den Arsch sitzenlässt. Warum sie nicht einfach bessere Beispiele sucht? Es liegt nahe, dass es ihr wichtiger ist, Promis postmortal einen reinzuwürgen als stringent zu argumentieren. Denn Trug- und Scheinschlüsse ziehen sich wie ein roter Faden durch ihr Werk.
Strömquists Skandal: Formwandler wählt falsche Form
Sie findet, dass Modekonsum Ausbeutung ist: Teures T-Shirt hier gleich ausgebeutete Arbeiter dort. Ist das so? Nö: Das Problem ist nicht das Shirt, sondern dass die Arbeiter keine angemessenen Löhne kriegen. Eigentlich könnte niemand das besser wissen als eben – eine Frau. Aber Strömquist schimpft auch, dass Barbamama feminin gerundet ist, Barbapapa hingegen ein Klumpen. Ja, die zwei aus der Trickserie. Wo ist der Sinn des Vorwurfs, wenn die Zauberfiguren mit einem Fingerschnippen jede Form annehmen können? Sicher, man kann den Körperkult kritisieren – aber wieso mit Protagonisten, die ihre Optik so mühelos wechseln wie ein Chamäleon die Farbe?
Übertreibe ich? Möglich. Es tut einfach in der Seele weh, wenn eine gute Sache so lausige Fürsprecher hat. Und Strömquist ist Wiederholungstäterin. Im „Ursprung der Liebe“ kritisiert sie über zig Seiten, wie die Menstruation verteufelt wurde. Nicht mit simplem Verweis auf die Natur, sondern indem sie anführt, wie oft die Menstruation als gute Magie verehrt wurde. Dass die Magie des einen auch nichts anderes ist als die Hexerei des anderen – scheißwurscht. Kann sein, dass Strömquist so sehr an ihre Sache glaubt, dass sie davon ausgeht, automatisch Recht zu haben. Aber dann argumentiert sie genauso schlampig, beliebig und selbstgefällig wie jeder 90-jährige Landrat der CSU.
Argumente wie von einem CSU-Landrat
Okay: Warum sollten Frauen sich mehr Mühe geben als Männer?
Weil Männer ihre Gleichberechtigung schon haben. Und weil Frauen daher starke Verbündete gut brauchen könnten: Ideenreichtum etwa, Charme oder souveräne und witzige Überzeugungskraft.
Bedeutet: So lange Frau Strömquist dran arbeitet, haben Männer wenig zu fürchten.
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
Der letzte Band der Peanuts-Werkausgabe ist erschienen. Unerwartetes Fazit: Charles M. Schulz‘ meisterhafte Serie hatte eigentlich nur eine wirklich starke Phase
Es zieht sich. Erstaunlich. Und nicht nur der soeben erschienene letzte Band der „Peanuts“-Werkausgabe, der die Jahre 1999 und 2000 zusammenfasst: Das wäre ja auch albern. 1999 war Charles M. Schulz, Mitte 70, bereits krebskrank, zitterte beim Zeichnen und schickte sich an, mit seinen „Peanuts“ das fünfte Jahrzehnt zu beenden – da kann man schon mal nachlassen. Nein, das Überraschende ist, wenn man die Werkausgabe zur Hand nimmt, wie früh die Qualität schon nachgelassen hat.
Die geheime Zutat: Furcht
Mitte der 90er? Anfang der 90er? In den 80ern? Es fällt mir selbst schwer, das so zu sagen, aber ehrlich gesagt: Schon Mitte der 70er wird die Angelegenheit ziemlich öde. Und damit sind nicht die Zeichnungen gemeint: Schulz‘ klassischer reduzierter Stil blieb bis zum Ende zuverlässig. Es sind die Pointen und ihre Ausarbeitung, die zunehmend in einer Mischung aus Routine und Ideenarmut versinken. Oder liegt es vielleicht nur am Kontrast?
1950 hatte Schulz den Strip gestartet. Er lieferte zunächst solide optische Gags, Slapstick und Erwachsenes aus Kindersicht. Doch um 1957 passiert eine erstaunliche Wandlung: „Peanuts“ wird düsterer, bedrohlicher und zugleich weitaus witziger. Die magische Zutat dabei ist denkbar ungewöhnlich: Furcht.
Linus und Charlie Brown liegen nachts wach
Sie beherrscht den ganzen Strip, und damit ist nicht nur Charlie Brown gemeint, der erst jetzt allmählich zum ewigen Verlierer wird, zum depressiven Pechvogel mit Versagensängsten. Auch Linus liegt nachts schlaflos im Bett, sogar Snoopy (in einem Strip 1959 sogar Charlie Brown, Schröder, Lucy und Snoopy gleichzeitig). Der nächste Schultag droht, das nächste Spiel der Baseballmannschaft, die Weihnachtsaufführung, die Fahrt ins Ferienlager, der Abriss der Hundehütte.
Einer der besten, weil entsetzlichsten Strips erscheint 1964: Lucy, inzwischen nebenberufliche Psychiaterin, beschließt Charlie Brown zu therapieren, indem sie ihm seine Fehler als Dia-Show vorführt. Man sieht kein einziges dieser Dias, aber man sieht die Reaktion in Charlies panischen Schreien. Drei Panels lang führte Schulz den Leser in eine absurde Horrorwelt aus Kinderperspektive, das vierte Panel bietet eine Pointe, die zwar erlöst, aber tatsächlich oft nur mit sarkastischem Galgenhumor.
Lucys Mix aus Therapie und Terror
Wie Schulz in diese harmlose Welt ein alltägliches Grauen packte, war unnachahmlich: der sonst so selbstsichere Schröder macht sich tagelang Vorwürfe, weil er Beethovens Geburtstag vergisst. Linus stellt fest, dass der Regen aufhört, als er einen harmlosen Kindervers aufsagt – prompt fürchtet er, gesteinigt zu werden. Seine einzige Zuflucht, die Schmusedecke, wird von seiner Schwester Lucy mal zerschnitten, mal zum Drachen verbaut und losgelassen. Und auch Lucy selbst hat Angst: mit ihrem Mix aus Terror und Therapie beweist sie vor allem sich selbst die Überlegenheit des eigenen Lebensmodells – weil der Gedanke, womöglich falsch zu leben, für sie so unerträglich ist, dass ihr nur die Option des Rechthabens und Gewinnens bleibt.
Absurde Bilder für die Ewigkeit
Vor diesem nachtschwarzen Hintergrund wirkten die parallel dazu entwickelten Absurditäten umso erleichternder. Man muss sie eigens aufzählen, weil man sie inzwischen schon für selbstverständlich hält: Snoopy liegt seit 1958 auf dem Dachfirst seiner Hundehütte – physikalisch und anatomisch unmöglich, inzwischen trotzdem ein Symbol gemütlicher Entspannung. Linus verehrt den Großen Kürbis – es hat ewig gedauert, bis ich begriffen habe, dass er damit sogar in Amerika allein ist. Beethovens Geburtstag, Leute so anzuschreien, dass sie in der Luft auf dem Kopf stehen, ein Hund mit Fliegerbrille, der in seiner Fantasie über den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs fliegt, so hingebungsvoll, dass sogar der Leser die Hundehütte als Jagdflugzeug akzeptiert. Knapp zehn Jahre lang zeichnete Schulz Geniestreiche, sieben Tage pro Woche, fast ausnahmslos. Dann begann der Abstieg.
Der Abstieg: Snoopy spielt Golf und Tennis
Kann man das tatsächlich so hart sagen? Man muss sogar, weil der Unterschied so augenfällig ist. Snoopy etwa spielt zunehmend Golf oder hadert mit seinem Tennis – wie jeder andere Sportler. Er joggt, und seine Körperteile beginnen miteinander zu diskutieren. Das Schulhaus fängt an zu reden. Peppermint Patty verheddert ihre Haare im Ringbuch. Woodstock und seine Mit-Vögel machen Dummheiten. All das hat nichts Besonderes, nichts Bedrohliches mehr: Ein Schulhaus hat nichts zu fürchten, Peppermint Patty akzeptiert ihre schlechten Noten achselzuckend. Die tiefschwarze Ebene hellt auf und nimmt dem Strip die Besonderheit. Schulz reduziert zudem den Aufwand.
Der früher exzellent konstruierte Vier-Panel-Strip schrumpft zuerst auf drei Panel – da muss man sich schon mal ein Bild weniger ausdenken. Aus dreien werden gelegentlich zwei oder auch nur eines, das ist dann ein Cartoon ohne jede Dramaturgie, dessen Pointe oft darin besteht, das Snoopy irgendeine Bemerkung mit Hund oder Keks denkt.
Die 90er: immer more of the same
Es erscheinen Aufguss-Figuren: Linus und Lucy bekommen den Bruder Rerun, Snoopy bekommt neben diversen witzlosen Brüdern einen Cousin namens Spike, der in der Wüste wohnt und sich mit Kakteen unterhält. Lucy schüchtert kaum noch ein, phasenweise ist sie so dämlich, dass sogar Charlie Brown Widerworte gibt. Mitte der 90er mutiert Charlie gar zu einer Art in sich ruhendem großen Bruder, dessen Selbstzweifel nachgelassen haben.
Er spielt zwar nicht besser Baseball, hat aber vorübergehend zwei Verehrerinnen, und da ist die Luft dann schon ziemlich raus: Derart raus, dass ich im Nachhinein die neuen Peanuts-Comics, die nach Schulz‘ Tod erstellt wurden, als beinahe gleichwertig akzeptieren muss. Da wurde das Original-Archiv zwar skrupellos geplündert, grausig nachgezeichnet und erschütternd koloriert, aber die spärlichen eigenen Ideen sind denen des ausgelaugten Schulz deprimierend ebenbürtig.
Was bleibt, ist ein großes Lebenswerk, das nicht komplett ins Regal muss – die Bände von 1958 bis, sagen wir, 1974, dafür aber unbedingt.
Charles M. Schulz, Die Peanuts, Werkausgabe, Carlsen, Band 1-25, 29,90-32,90 Euro
Peanuts, Cross Cult, je Band 10 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.