Es gibt Perlen unter den Mangas, aber man muss sie unter viel Fabrikware herauslesen. Der jährliche Selbstversuch mit Fernostcomics führt zu verborgenen Schätzen und einem Hilferuf
Also echt, das Schwerste beim Manga-Lesen ist: nicht wahnsinnig werden. Ich akzeptiere ja Manga-Schrullen, andere Kultur und so, klar. Aber manchmal ... Diese Geräuschmalerei zum Beispiel. Die macht mich richtig fertig.
Die Sache mit den Doppelungen
Sagen wir, jemand kehrt den Hof. Normale Comics zeigen das, daneben steht ein Wort fürs Kehrgeräusch, sagen wir: „ffttt, fffttt“. Im Manga steht da „kehr“. Wow. Außerdem gibt es auch Text für stille Tätigkeiten, etwa „den-besen-in-die-ecke-stell“. Und Texte für das, was das Bild ohnehin zeigt: Den Jemand freut der saubere Hof, er lächelt zufrieden, dann steht daneben „zufrieden lächel“. Nach zehn Mangabänden will man dringend mit einem Eimer schwarzer Farbe nach Japan fliegen, den Autor aufsuchen und an seine Bürowand „ICH HAB’S BEGRIFFEN!!!“ schreiben. Zwei Meter hoch, mit einem Tapezierpinsel.
Und „wütend-dreinblick“ dazu. Zur Sicherheit.
Post aus der Schmusefabrik
So, das musste raus. Ich versuche tapfer weiter, den Manga-Zauber zu enträtseln, aber meist gehe ich nur die Wände hoch. Für wie doof muss man die Leser halten, dass man ihnen alles zigmal erklärt? Stockdoof, das zeigt auch dieser Trend „Der Manga-Autor schreibt am Ende ein Briefchen“. Denn diese Briefchen sind alle gleich. „Hallo, Leser, lieb dass du da bist. Das ist mein erstes Werk, ich bin so glücklich, dass ich gedruckt werde, ich mache sicher Fehler, aber ich werde mir Mühe geben. Lies mich bitte weiter.“ Einer wie der andere, ehrlich, da fehlt nur noch: „nach Diktat verreist“. Glauben die denn, das fällt nicht auf? Oder jubeln Manga-Leser über das Immergleiche wie sonst nur die Fans von „Dinner for one“?
Ich bin jedenfalls noch nicht soweit.
Trotzdem kann Ihnen in den hier empfohlenen Mangas so was begegnen, aber nicht so extrem wie in „Relife“, einer Bodyswitch-Geschichte für Leute, die neben einem Witz gerne „lach“ stehen haben (nichtmög!). Was bleibt also übrig, wenn man den Berg Zauberhexen („Atelier of Witch Hat“, „Zelda Twilight Princess“, „Braut des Magiers“) aussortiert, die was Besonderes sind, es aber noch nicht wissen, und dann „turbulente Action mach“, und „sich heitere Verwicklungen ergeb“, so dass „sich wegschmeiß“?
Altmeisterliches von Mizuki und Tsuge
Erstmal was Altmodisches: zwei Titel von Altmeistern. Einer davon ist „Tante NonNon“ von Shigeru Mizuki. Mizuki verarbeitet seine Kindheit, und da akzeptiert der westliche Blick die karikierten Figuren viel bereitwilliger als etwa in Mizukis Hitlerbiographie aus den 70ern. Wer Mawils „Kinderland“ mag, ist hier richtig.
Themenverwandt ist der hübsche Band „Rote Blüten“ von Yoshiharu Tsuge: Ebenfalls autobiografisch geprägt, mit zahlreichen Kurzgeschichten, die Tsuge aus den Erlebnissen seiner Wandertrips in die ärmeren Gegenden Japans speist. Entstanden sind eigenwillige Miniaturen, nicht auf Pointe getrimmt, melancholisch, mitunter sogar kafkaesk verstörend.
Der Kochtrend kommt im Manga an
Im Trend liegt offenbar auch: Kochen. Eine Version fand ich haarsträubend, nämlich „Delicious in Dungeon“ von Ryoko Kui. In einer Fantasywelt beschließen vier Abenteurer aus Geldmangel, sich von Monstern zu ernähren, das ist schon der ganze Gag: Monster essen, igitt. Das wird nicht komischer als bei Kaviar zu sagen: „Iih, Fischeier“, da helfen auch die erfundenen Rezepte nicht.
Spannender ist da „Golden Kamuy“ von Satoru Noda, ein blutiger Mix aus „Was ist was?“ und der „Sendung mit der Maus“.
Erst ist’s nur eine makabre Schnitzeljagd: Ein erfolgloser Goldschürfer erfährt von einem Schatz. Den Ort des Verstecks hat ein Gangster aus dem Knast geschmuggelt, indem er Mithäftlingen Teile der Information in die Haut tätowiert hat. Die Häftlinge sind inzwischen in der Wildnis verstreut, um sie zu finden, ist der Schürfer plötzlich auf ein Mädchen angewiesen. Sie ist eine Ainu, eine japanische Ureinwohnerin, naturverbunden, gewiefte Jägerin. Ab hier ergänzen immer wieder Ainu-Informationen das Gemetzel. Was muss man in der Natur dabei haben, wie und wo fängt man Eichhörnchen (und wie isst man sie), wie baut man eine Schutzhütte, wie liest man Spuren. Nodas Bildungswunsch lässt ihn diese Infos manchmal arg hölzern einbauen, aber das verzeiht man, weil dieses Actiontainment erstklassig unterhält.
Actionreich durchgenudelt
Richtig gut gefallen hat mir vor allem ein Band, der nicht von einem Manga-Profi stammt: „Ryuko“ von Eldo Yoshimizu, einem Bildhauer. „Ryuko“ ist eine solide Yakuza-Story mit dünn bekleideten Mangamädels, aber die Action-Sequenzen sind schwindelerregend. Yoshimizu schneidet extrem schnell und wechselt seine ungewöhnlichen Perspektiven so rasch, dass der durchgeschleuderte Leser im Rausch der Sinne selber nicht mehr weiß, ob er gerade sitzt, steht oder liegt. Vergleichbares hab ich lange nicht gesehen, aber wer „Ryuko“ mit dem Rest des Angebots vergleicht, der ahnt, dass der durchschnittliche Manga-Leser wohl was anderes will.
Wenn ich nur wüsste, warum.
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.