- vor 3 Tagen
Raus aus der Vanille-Bubble: Diese zwei Comic-Bände bieten erstaunlich gute Unterhaltung – wenn man sich drauf einlässt

In München gibt’s eine Eisdiele, die macht unter anderem Eis der Sorte: „Gurke-Joghurt-Dill“. Das klingt vielleicht zuerst nicht nach einer guten Idee, aber ich schwöre, wer’s probiert, sagt „das hat was“. Oder: „Das geht!“ Oder: „Das geht sogar sehr gut!“ Und deshalb gibt’s heute für Sie zwei Comics der Sorte „Gurke-Joghurt-Dill“. Weil man manchmal einfach raus muss aus der Vanille-Schoko-Erdbeer-Bubble.
Exzellent unbehaglich
Wissen Sie, was ein „Tequila Rambo“ ist? Ein grandios bescheuerter Drink, und eines der lustigsten Elemente aus Olivier Schrauwens bizarrem Band „Sonntag”, den die New York Times als eine der acht besten Graphic Novels 2024 lobt – und da ist was dran. Nur comicverführerisch ist „Sonntag“ nicht, dafür exzellent verschroben und unbehaglich.

Schrauwen schildert einen Sonntag im Leben seines (realen? erfundenen?) Cousins Thibault. Der ist allein zuhaus, die Freundin wird irgendwann am Abend aus einem längeren Urlaub zurückkommen, aber bis dahin hat er frei und die Bude ganz für sich. Und anfangs klingt der Sonntag auch superentspannt, verheißungsvoll, der Tag, an dem man endlich dies machen könnte oder jenes, aber rasch wird klar, dass nichts davon passiert, vom Sonntag wird nichts bleiben als der üble Nachgeschmack verschwendeter Lebenszeit.
Wie die Zeit verplätschert
Kommt Ihnen bekannt vor? Genau das ist die Stärke des Bandes, der Fremd- und Eigenscham auf ungeahnte Höhen treibt. Man macht sich noch einen Kaffee, man öffnet noch E-Mails, man bleibt hier hängen und dort, und so verplätschert die Zeit. Was in diesem Fall ein sehr eigenwilliger Genuss ist.

Denn dieser gedruckte Tag voll Zeitmüll liest sich leicht, schnell und mit einer sensationellen Gefühlsanalogie: Die Zeit verstreicht wie die Seiten, auf Seite 250 ist es Nachmittag und man sitzt gefühlt selbst noch immer im Bademantel da. Man fühlt sich irgendwie elend, und dabei hat man doch – anders als Thibault! – schon praktisch einen ganzen, fetten Comicband weggelesen. Was für eine bizarre Erfahrung!
Geheimrezept „Tequila Rambo“
Das Weglesen klappt deshalb, weil Schrauwens in zwei Punkten mogelt: Zum einen eröffnet er eine zweite Handlungsebene um den nervigen Rik, der unterwegs ist um Thibault zu überraschen. Und zweitens ist sein Protagonist nach etwa einem Drittel eine deutliche Spur zu verschroben – was dem Leser eine kleine Ausflucht bietet: „Na, so einen Dachschaden hab ich gottseidank doch noch nicht.“ Aber sonst wäre vermutlich auch die akribische Füllung von 16 vertrödelten Stunden nicht so gut möglich gewesen. Fazit: Großartig, aber eben nicht verführerisch, und ... bitte? Der „Tequila Rambo“?

Ach ja, also der geht so: Man nimmt ein Glas Tequila, eine Zitronenscheibe und Salz.
Erst spritzt man sich den Zitronensaft ins Auge.
Dann schnupft man das Salz.
Dann kippt man den Schnaps.
Zuviel versprochen?
Hemmungsloses Farbkompott

Was für ein lustiges Farbkompott! Die Kolorierung ist die munterbunte Eintrittskarte zu Tara Booths „Überwindungen“. Schon das Innencover: Eine ganze Seite blau, mit lauter schwarz weißen Stinktieren. Nächste Seite: Tanzende graue Mäuse auf knallrotem Grund, dazwischen lauterprallgelbe Käseecken. Dann: Erstes Selbstporträt Tara Booths, eine klobige Klumpenfrau, aber mit grasgrünen Schuhen, einer gelben Hose, auf der blaue Elefanten sind. Auf der nächsten Seite trägt sie ein T-Shirt, Aufschrift: „Protect me from what I want“, und ich komme garnicht dazu „oje, Psychokacke“ zu denken, wegen der buntgemusterten Hose, den knalligen Farben. Noch nie war Psychokacke so attraktiv, so lebendig!

Denn tatsächlich geht es darum: „Überwindungen“ ist autobiographisch, Booth schreibt über ihre Meisen und Dachschäden, Essstörungen, Alkoholprobleme, sarkastisch, schonungslos, manchmal sehr witzig. Sie ist beziehungsunfähig, findet Partner, mit denen sie gut klarkommt unattraktiv und daher plötzlich attraktiv, sobald die die Lust verlieren. Und jedesmal, wenn mein Kopf denkt: „Blablabla, das hatten wir doch schon alles“, protestieren meine Augen: „Aber nicht so fröhlichfrisch.“ Und ich muss zugeben, die Augen sehen das ziemlich richtig!

Tara Booth produziert endlos optische Ideen, ein müheloser Mustergeysir. Beispiel: Die These „Meine sexuelle Orientierung ist ,interessiert an allem was mir Aufmerksamkeit schenkt‘, illustriert sie mit sieben Szenen von sich und einer anderen Person. Ergibt bei ihr nicht 1+7 verschiedene Shirts/Oberteile, sondern zwölf, alle knallkoloriert, frech – und funny, weil eine der Personen eine Plastiktüte ist und eine weitere ein Blumentopf.
Das Big-Bändchen
Eine Graphic Novel (wie von der New York Times behauptet) ist das nicht, eher eine locker verknüpfte Cartoonsammlung, aber wen juckt das, wenn jedes Panel so belebend ist wie eine Schüssel Eiswasser ins Gesicht? Selbst schwächere Pointen oder ihre schwarz-blauen Depressions-Cartoons ergeben noch immer ein starkes Wandplakat – oder ergäben es, denn das 400 Seiten starke Big-Bändchen ist mit 12 x 16,5 cm kleiner als die meisten Mangas. Bin ich jetzt herzlos oder was? Ich denke: Nein. Tara Booth hat hier hoffentlich einen unterhaltsamen Weg gefunden sich selbst zu therapieren, der sie nebenher auch noch ernährt: Die Skunks auf blauem Grund gibt's bei Frau Booths Homepage als Hose oder T-Shirt.
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
- 7. Juli 2024
Drei neue Comics thematisieren „Sexuelle Identität“. Doch am cleversten für Verständnis und Normalisierung wirbt ausgerechnet: ein alter, weißer Mann

Das Reiz- oder Trendthema „Sexuelle Identität“ ist längst im Comic angekommen, wahrscheinlich sogar mehr als in Buch oder Film: Erstens ist die Community der Comic-Künstler- und -LeserInnen recht aufgeschlossen, zweitens ist sie durch Mangas exzellent eingearbeitet. Die decken nämlich längst mit großer Lust und Freude im Rahmen ihrer flächendeckenden Erotikberichterstattung jede Spielart ab, und das in der gesamten Bandbreite von dezent bis deftig. Der einzige Nachteil: die Schwerpunkte liegen auf „Knistern“ und „Knattern“. Was inzwischen vielen Menschen nicht ernsthaft genug ist. Drei Titel, die zuletzt für Aufmerksamkeit sorgten, versuchen derzeit dieses Defizit zu beheben.
Schubladenhüter

Verbieten muss und kann und darf man „Genderqueer“ natürlich nicht. Doch genau das geschieht derzeit häufig mit Maia Kobabes Graphic Novel, die der Verlag Reprodukt reaktionsschnell als meistzensiertes Buch der USA bewirbt. Nicht zu Unrecht: Denn die American Library Association zählt, wie häufig organisierte Gruppen das Verbot/die Entfernung eines Buches aus einer Bibliothek fordern (und oft auch bewilligt bekommen). „Genderqueer“ ist hier die Nummer Eins, schon das dritte Jahr in Folge. Und eben diesen Comic gibt’s jetzt auch auf deutsch. Lohnt sich’s?
Glück ist: Wie andere von dir denken
Kommt drauf an, ob Sie es mögen, wenn ein Mensch 240 Seiten lang darüber nachdenkt, was in seiner Hose ist und ob er damit glücklich ist und was Andere von ihm denken und was er, aber vor allem auch die Anderen besser machen können. Ich kenne keine Patentwege zum Glück, aber ich behaupte mal: Sich von den Gedanken und dem Verhalten anderer abhängig zu machen, ist mit Sicherheit keiner davon. Daher ergeben viele Überlegungen in „Genderqueer“ etwa so viel Sinn, als verlangten Frauen im Kampf um gerechtere Bezahlung erst mal eine eigene Währung.
Die Suche nach dem Glück ist bei Kobabe eine endlose Suche nach der richtigen Schublade, in der man sich selbst einsortieren kann. Und die stets wiederkehrende Kränkung darüber, dass nicht alle Leute diese Schublade genauso gut (an)erkennen. Selbstironie oder überhaupt einen Funken Humor sucht man vergebens. Überhaupt liest sich alles so freudlos, dass sich der Eindruck aufdrängt, ein Großteil des Vergnügens bestünde im Eintauchen in die Opferrolle. Denn, wohlgemerkt, Kobabe erzählt nicht etwa von (real existierenden) Verfolgungen der LGBTQ-Gemeinde, sondern vor allem von einer Sorte Ärger, die zum Beispiel auch Leute kennen, deren Namen dauernd falsch ausgesprochen wird.
Erschlagen vom Namedropping

Kennen Sie Rudi Dutschke? Ja? Und Elmar Altvater? Nicht? Genau das ist das Problem mit „United Queerdom“. Oder eines der Probleme von Kate Charlesworths Max-und-Moritz-bepreistem Graphic-Memoir-Queerstory-Hybridcomic. Charlesworth (Jahrgang 1950) erzählt einerseits ihr eigenes lesbisches Leben, und dazwischen in Einschüben die weltweite Geschichte der LGBTQ-Community. Das klappt insgesamt eher mittelgut und bei ihrem Leben noch am ehesten: In Jugend und Kindheit zeichnet sie mit optischer und erzählerischer Selbstironie die Entdeckung der geschlechtlichen Merkwürdigkeiten nach. Doch je älter sie wird, desto mehr verwirren die Dialoge: Wer meint jetzt was? Und warum ist das wichtig? Und so ertappe ich mich zunehmend beim Gedanken: „Muss man wohl dabei gewesen sein.“ Was auch beim historischen Teil gilt.
Das Schwerste ist das Weglassen
Da erschlägt Charlesworth uninformiertere Leser mit allem, was in Kultur und Politik für Schwule und Lesben hilfreich war. Das ist dann, wie wenn Altlinke feuchten Auges erklären, dass 1968 irgendwo auch Elmar Altvater dabei gewesen sei. Wer damals kein Nürnberger war, weiß nicht: Altvater war eine Art fränkischer Dutschke, ein junger, gut aussehender Vordenker. Denkt der neutrale Leser zu Recht: Hm, dann reicht mir eigentlich der Dutschke.
Fokussieren hätte also geholfen. Doch wie jüngst bei „Columbusstraße“ ahnt man auch hier: Charlesworth steckt zu tief drin, will zu viel und keinen vernachlässigen. Das ist aber der Haken bei solchen Projekten: das Schwerste und Wichtigste ist nicht die Vollständigkeit, sondern gerade eben das Weglassen. Und es ist jammerschade, wenn sich jemand viel Mühe gibt, mich zu informieren und dann vor lauter Erinnerung vergisst, dass ich nicht dabei war.
Allmählich stellt sich aber die Frage: Kann ich mir selber noch trauen? Ich bin immerhin ein alter weißer Mann, und ist doch nicht auszuschließen, dass ich nicht diese Comics seltsam finde, sondern die Genderei. Ich habe doch auch über „Ducks“ geschimpft und über Liv Strömquist. Hat mir denn überhaupt schon mal was gefallen? Und just in diesem Moment erscheint mit „Harter Psücharter“ der neue Band von Ralf König.
Einfach, kompliziert, lustvoll, frustriert und: komisch

König ist seit über 40 Jahren im Geschäft, so lang, dass man inzwischen gerne mal übersieht, was dieser Mann da eigentlich leistet. König zeichnet ausschließlich Comics aus der Perspektive einer durch ihre sexuelle Identität definierten Minderheit. Was bei 40 Jahren übrigens auch bedeutet, dass König noch die Zeiten gesetzlicher Verfolgung kennt (der § 175 wurde wann abgeschafft? 1994!). König hat seither Gut- und Bestseller geschrieben. Und was passiert in denen? Jammern seine Schwulen dauernd, wie blöd es ist, dass sie einen Schwanz in der Hose haben? Dass man sie nicht als richtige Männer ansieht? Dass die Heteros doof zu ihnen sind? Dass niemand sie ernst nimmt?
Die Gagbrücke zum Perspektivwechsel
Wer Königs Geschichten liest, lernt über die Gagbrücke die schwule Perspektive kennen, die zugleich komplett anders ist und komplett genauso. Er taucht schmunzelnd in diese einfache, komplizierte, lustvolle, frustrierte Welt, und wer nicht komplett verklemmt ist, der kann danach schwule Nachbarn unmöglich noch als Bedrohung oder Affront sehen. Dabei spart König kein Thema aus: Einsamkeit, Tod, Alter, Aids, sämtliche erotischen Spielformen, alles ist dabei. Übrigens auch das Entdecken seiner eigenen Schwulheit, das ich wesentlich nachvollziehbarer und unterhaltsamer in Erinnerung habe als jede Seite von „Genderqueer“.

Und, noch bemerkenswerter, König passt seine Protagonisten nicht an. Bei König gibt's kein schwul-light. Mal kriegen Konrad und Paul bei einem befreundeten Pärchen ein selbstgemachtes Faustfick-Video vorgeführt, im neuen Band entdeckt Paul, dass er Duftkosmetik für Männer durchaus gern riecht, vorausgesetzt sie kommt „auf den Bart, nicht auf die Rosette!“ Da ist nichts angedeutet, das knallt hart wie eine Bratpfanne, und genauso macht man Humor, der tatsächlich was bewegen kann.
Verführerischer Mix: Sex und Humor
Ein Geheimrezept Königs sollte man dabei nicht verschweigen: Er kann den Humor so stufenlos runterregeln, dass Sex trotz seiner Karikaturfiguren spannend und, hm, interessant wirkt. Und, verdammt nochmal, das ist doch der Grund, warum man Königs Schwule so mag: Weil man fast schon neidisch zusieht, wie sie Spaß mit sich und anderen haben und von ihrer Umgebung nur eine Kleinigkeit verlangen. Nämlich dass man sie beim Spaß bitte nicht stört.
Mehr Wumms mit Konrad, Paul und Mangas
Was umgekehrt die Frage stellt, warum gerade die weniger vertrauten sexuellen Identitäten so oft auf die Opferrolle setzen und so selten Leben und Lebensfreude ins Schaufenster stellen. Denn das ist doch das Erfolgsmodell hinter König, Mangas und Christopher Street Day: nicht lang diskutieren, sondern ausleben, fantasieren, mitmachen lassen. Und, nein, das heißt auch nicht, dass jede Lesbe jetzt den König machen soll. Man kann sich auch was drittes einfallen lassen, wie beispielsweise Stephen Appleby mit „Dragman“.