Die Outtakes (16): Eine ansehnliche Familiengeschichte, ein finsterer Serienkiller und eine etwas zu gute Goldgräberin
Wiederholungstäter
True Crime-Nachschub aus der Mottenkiste: In den 2010er Jahren (als es noch gar nicht so schick war) verfasste Peer Meter gleich drei empfehlenswerte Szenarios über Serienmörder. Nämlich „Gift“ über die Bremerin Gesche Gottfried mit der (hier bleistiftgrau-sig guten) Barbara Yelin, „Haarmann“ über den gleichnamigen Männermörder (mit Isabel Kreitz), und zuletzt „Vasmers Bruder“ über den unbekanntesten der drei, Karl Denke. Letzteren Band habe ich gerade erst gelesen, der finsterste von allen, auch weil Meter die Geschichte hier in die Gegenwart verlängert und David von Bassewitz sie so zappendüster illustriert, dass man kaum die Hand vor Augen sieht. Zu den Outtakes muss sie leider dennoch, aus zweierlei Gründen: Erstens ist sie knapp zehn Jahre alt, zweitens nicht mehr lieferbar: Sie müssen ein bisschen bei Medimops, Rebuy, Booklooker oder auch in Ihrer Bibliothek stöbern, aber sparen dafür auch etwas Geld.
Zergrübelt
Sehr hübsche, zarte Zeichnungen. Sehr grüblerische Herangehensweise. Kerstin Wichmann blickt in „Auf schwankendem Boden“ schlaglichthaft in ihre Familiengeschichte. Aber so gut das aussieht, so rasch geht es in der eigenen Nachdenklichkeit unter. Was man erst an der Episode mit dem Großvater merkt: Der hat einen eigenwilligen Schwimmstil, und Wichmann lüftet geschickt das Rätsel darum. Aber genau dieses Geschick ist es, was meist fehlt. Und das ist ausgesprochen schade: Weil man so dankbar für jeden guten Grund wäre, noch mehr Zeit in den schönen Meer-Küste-Brandung-Ungemütlichkeit-Zeichnungen zu verbringen.
Holzgeschnitzte Wölfin
Sieht hübsch aus, ist frauenaffin, umweltbewusst – und trotzdem hebt Núria Tamarits „Die Polarwölfin“ nicht recht ab. Dabei sind die Zutaten reizvoll: Wir sind halbvermutlich in Nordamerika, zur Zeit des Goldrauschs. Die junge Joana investiert ihr letztes Geld, um an einer Goldgräber-Expedition teilzunehmen, aber die Männer lassen sie sitzen. Joana folgt ihnen auf eigene Faust. Die Männer sind überhaupt fies zu den Frauen der Expedition: zu Führerin Tala, zur alten Medizinfrau Opal. Männer sind auch schuld daran, dass Joana so am Hund ist, weil sie ihre alte Heimat abgefackelt und ihre Familie umgebracht haben. Und ein Mann ist schuld, dass Joanas dreibeiniger Hund so am Hund ist, weil er ihm die Pfote zertrümmert hat. Es sind auch die Männer, die beim Goldgraben bedenkenlos die Natur kaputtmachen, wohingegen die drei Frauen immer versuchen, nur das Nötigste aus der Natur zu nehmen. Weshalb sie auch von der gigantischen titelgebenden Polarwölfin verschont bleiben, die immer wieder für die Natur Rache nimmt, und, hm… liest sich das verärgert? Dabei nimmt man Tamarits Geschichte doch gern in der Hand: Die sternklaren Nächte, das eisige Alaska-Elend kontrastiert mit sonnenbunten Rückblenden ins Farmerparadies, die dämonische Wölfin, die flammenden Infernos, all das sieht einfach sehr gut aus. Aber die Haudrauf-Inhalte nerven. Wenn Joana so gut allein klarkommt, warum zog sie nicht gleich allein los? Und ja, Männer sind oft fies, aber dass ALLE Arschlöcher sind und zugleich auch noch Umweltsäue und ALLE Frauen vernünftig und auch noch nachhaltig, geht’s noch holzschnittartiger?
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Star-Biographien sind auch in Coronazeiten zukunftssicher: Zu Beethoven, Rembrandt und David Bowie sind gerade drei erschienen – aber nur zwei haben auch was zu sagen
Zufall oder Zukunft? Klar, die Comic-Biographien, die es gerade auf den Markt drückt, wurden alle schon vor Corona begonnen. Trotzdem dürften solche Themen stärker als bisher den Markt bestimmen: Weil keiner so recht weiß, was nach Corona noch wichtig sein wird. Weil Corona selbst schon jetzt langweilt. Und weil daher nur Bereiche zukunftssicher sind, in denen sich wenig ändert: etwa Geschichte. Die ist praktischerweise schon vorbei, ihre großen Namen waren Stars, sind es und werden es bleiben. Leute wie David Bowie, Rembrandt oder Beethoven. Zeitloses Krisenmaterial also – das deswegen aber nicht schlecht sein muss.
Rembrandt: Dickschiff mit Goldschnitt
Das dickste Schiff hierbei ist fraglos „Rembrandt“ von Typex, einem holländischen Illustrator, der im Auftrag des Amsterdamer Rijksmuseums drei Jahre lang an der Comicbiografie arbeitete. Herausgekommen ist ein erfreulicher Band, bei dem weder Gewicht noch Preis noch der scheußlich-schöne Goldschnitt vom Lesen abhalten sollten. Ich wusste übrigens von Rembrandt vorher auch nicht viel mehr als „Goldhelm“, „Nachtwache“ und das Bild, wo der mit dem Hut an der Leiche zupft. Typex versucht klugerweise gar nicht, meine Lücken zu stopfen, er macht stattdessen neugierig. Er erzählt von einem erfolgreichen Maler, der ständig pleite ist, der extra an den Hafen fährt, weil dort ein Elefant angeliefert wird, um ihn aus erster Hand zu zeichnen. Typex zeigt verknautschte Gesichter in wundervoller Vielfalt, lebenspralle Wirtshausszenen und immer wieder Dialoge, Landschaften, Ansichten in einem nüchternen, modern-filigranen Stil, so dass nach wenigen Seiten klar ist, dass er Rembrandts Portfolio an Techniken nutzt und den Stil imitiert. Die Frage „Was ist Rembrandt, was ist Typex“ lockt geschickt ins Internet, wo wenige Klicks genügen, um diese Stile wieder zu finden, etwa auf dem (mir vorher unbekannten) Hundertguldenblatt. Ein Band, der unterhält und Lust macht zum Weiterstöbern – schon mal kein schlechter Anfang. Es kommt aber noch besser.
Beethoven: wunderbar widerliche Abrechnung
Obwohl Peer Meter mit „Beethoven“ keine richtige Biografie geschrieben hat. Meter, der schon prima Szenarien für „Haarmann“ und vor allem „Gift“ lieferte, macht aus Beethovens Tod und seiner Beisetzung in Wien eine wunderbar-widerliche Abrechnung mit den Leuten an sich und dem Promikult samt Wien im Besonderen. Die Story entstand, als Meter erfuhr, dass dem toten Beethoven der Schädel fehlt, und nicht nur der. Meter bastelt nun die Geschichte dazu: Wie noch auf dem Sterbebett jeder ein Autogramm will (dauert doch nicht lang, unterschreiben wird er dieses Notenblatt wohl noch können). Wie jeder eine Locke erbettelt, in die Wohnung reinschauen möchte, obwohl zugleich auch jeder denkt, der Meister sei längst nicht mehr so gut wie früher, aber, naja, berühmt sei er halt schon noch. Wie ihn jeder am besten gekannt hat, jeder eine wirklich, wirklich wahre Geschichte erzählen konnte, das ist schon sehr schön fies aus Echtem und Erfundenem zurechtkomponiert. Was der Geschichte dabei gut tut, ist die Abwesenheit von jeglichem Fan-atismus. Es ist unmöglich zu sagen, ob Meter Beethoven mag, deswegen kann er die Elemente umso rücksichtsloser zum Nutzen der Story einsetzen. Die Zeichnungen von Rem Broo sind nicht so meins, was die Figuren angeht, ist aber Geschmackssache – die Einblicke in den Schmutz und die Unerfreulichkeit von Beethovens Ableben sind in jedem Fall schön abstoßend. Wer schimpfen will: Meter kann nicht gut Dialekt, mag’s aber auch nicht völlig lassen, sein Kompromiss stört manchmal, aber vielleicht nur mich. Richtig gut gefallen hat mir „Beethoven“ trotzdem. Jedenfalls mit Abstand mehr als „Bowie“ von Michael Allred.
Bowie: hanebüchen brav
Über Reinhard Kleists „Nick Cave“ habe ich noch gequengelt, weil man da zuviel selber Fan sein müsste. Aber Kleist wagte eine Interpretation und bot damit Fans in seinem typischen Stil etwas Neues, Eigenwilliges an. Was Michael Allred zusammenschustert, ist nicht mehr als eine 200 Seiten lange Zeitleiste, geradezu hanebüchen brav illustriert. Wenn Bowie mal wen wo getroffen hat, dann sieht man exakt das: Bowie auf einem Bild mit wem anders. Bowie trifft Marc Bolan und sagt, na was wohl? Genau: „Ah, hey, Marc.“ Und so quält sich das dahin, jedes Plattencover und jedes bekanntere Foto, jeder TV-Auftritt wird so dröge abgezeichnet, das man aus dem Gähnen nicht mehr rauskommt. Das Ziel ist das simple Wiedererkennen der Bilder, die man eh im Kopf hat – und wer sie nicht im Kopf hat, will die Originale meist nicht sehen, so hölzern wird da herumgestolpert.
Aber okay: „Two out of three ain‘t bad”, wie mal wer gesungen hat, der auch biographietauglich wäre. Im Dezember war er schon mal bei der German Comic Con.
Erstmals erschienen bei Spiegel Online.
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Mittendrin statt nur dabei: Bittersüß und kitschfrei bringt die Graphic Novel „Der Sommer ihres Lebens“ ihre Leser verblüffend nahe an Tod und Alter
Große, große, große Barbara Yelin. Ich krieg mich kaum noch ein. „Der Sommer ihres Lebens“, heißt das Werk, und ich muss sagen: Hammer. Was auch daher kommt, weil das bei Barbara Yelin nicht immer selbstverständlich ist. Beziehungsweise: Weil Barbara Yelin die Messlatte vom Start weg so hochgeschraubt hat, dass sie sie danach auch öfter mal reißen musste. 2010 war dieser Start, mit „Gift“.
„Gift“ war entsetzlich guter Trübsinn: Die Geschichte der Serienmörderin Gesche Gottfried, Peer Meter hatte ihr das Szenario geliefert, und sie hatte es mit dem Bleistift umgesetzt, eine schwarz-grau-neblige Ballade aus dem protestantisch-freudlosen Bremen des Jahres 1831. So bitter, dass man sie besser nur im Frühling lesen sollte. Mit schlackernden Ohren hab ich dann auf mehr von Frau Yelin gehofft, aber so gut habe ich sie nie wieder gefunden, seither. Also: Inhaltlich, weil zeichnerisch ist sie über jeden Zweifel erhaben und immer wieder erstaunlich wandelbar.
So gut war Yelin lange nicht mehr
2013 lieferte sie die Cartoonserie „Riekes Notizen“, bunt, lebhaft, aber leider mochte ich den Humor nicht so. 2014 kam „Irmina“, eine Frauen-im-Dritten-Reich-Geschichte aus den 30er Jahren, optisch wiederum überzeugend, aber nicht recht zupackend erzählt. Und Yelins BioGraphic Novel über die Schauspielerin Channa Maron mochte ich mir zwar jederzeit ansehen, aber lesen, naja, Max-und-Moritz-Preis hin oder her. Dann jetzt: „Der Sommer ihres Lebens.“ Was für ein Pfund!
Die Geschichte handelt von Gerda Wendt, die in einem Seniorenwohnheim lebt. Und die sich fragt, ob es das jetzt war, und wenn ja: Was „das“ dann gewesen ist. Was Gutes? Was Schlechtes? Mit diesem Bisschen an Inhalt füllt Yelin 80 Seiten, die deshalb so grandios sind, weil sie zusammen mit dem Autor Thomas von Steinaecker immer ganz aufs Ziel fixiert sind: Das ziemlich normale Altern zu schildern, das Leben auf der Zielgeraden, das mit etwas gesundheitlichem Glück bei uns allen nicht schlimmer aussehen wird, sondern genau so.
Die Zielgerade des Lebens
Gerda kann mit dem Rollator gehen, sie ist körperlich wacklig, aber erträglich beieinander. Sie ist klar im Kopf, aber sie denkt in kurzen Sätzen, sie hat Probleme, die Stockwerke des Heims auseinanderzuhalten: Oft wirkt Gerda, als lebe sie in einer Art Nebel, weil der gebrechliche Körper ihr immer wieder die Klarheit des Hier und Jetzt unterbricht. „Oft denke ich, ich bin bereits tot“, schildert sie diese eigenwillige Zwischenwelt, „trotzdem will ich jetzt wieder öfter an früher denken. Ich spüre dann, ich lebe noch.“
Früher war Gerda ein aufgewecktes Mädchen, mit Interesse für Zahlen. Sie hat sich durchgesetzt, sie ist Astrophysikerin geworden, hat sich verliebt, eine Tochter bekommen und sich später von ihrem Mann getrennt. Ein ganz normales Leben, mit einem ganz normalen Alter.
Altern ist schwer, aber niemand ist schuld
Sie hat keine größere Krankheit, ihr fällt einfach nur jeder Schritt schwer. Gerda braucht jeden Tag Hilfe: Sie wird geweckt und gewaschen und betreut. Wer Angehörige in diesem Alter hat, erkennt an den Pflegerinnen mit ihrem freundlich-furchtbaren Schwäbisch, dass Gerda durchaus in einem recht guten Wohnheim wohnt. Auch das ein wichtiger Punkt, der den Comic mit seinem oft drückenden Thema so außerordentlich erträglich macht: Es geht von Steinaecker und Yelin nicht darum, irgendwem Schuld zuzuschieben. Es geht nicht darum, wie oft Tochter und Enkelin zu Besuch kommen – es geht nur darum, wie Gerda damit umgeht, dass sie einmal ein Leben hatte, ein richtiges, pulsierendes, und wie sie die Tatsache bewältigt, dass sie bald gar kein Leben mehr haben wird.
Konsequent spielen Yelin/Steinaecker zu diesem Zweck die Gegensätze aus: Gerda im Campingurlaub als Kind, Gerda, die sich Anerkennung und eine Assistenzstelle erarbeitet, die glücklich die Liebe in ihr Physikdeutsch übersetzt, die sich für ihren Mann gegen eine Stelle im Ausland entscheidet – diese Momente waren und sind genauso real wie es nun die tägliche Bitte der Pflegerin ist, Gerda möge doch die Arme „noch a Stückle höher“ nehmen, „wie wenn Sie fliege wollet“. Der starke Moment auf dem Cover ist nur ein Beispiel für diese bittersüßen Momente: Wir sehen oben das offene Fenster in der Mansarde, durch das wir hören, wie Gerdas späterer Mann ihr auf der Gitarre die Beatles vorspielt, der Blick geht hinaus, auf den Baum vor dem Haus und endet unter den Blättern neben dem Stamm bei Gerda, die vor ihrem Wohnheim steht. Ihr Blick zeigt uns dabei das Staunen, das wohl alle Menschen in dieser Situation gleichermaßen ergreift: Wenn diese beiden Momente real sind, warum ist es dann so unmöglich, zu dem schöneren zurückzukehren?
Druckversion schlägt Webcomic-Variante
Erstmals erschienen ist die Geschichte 2015, online, als 15-teiliger Webcomic bei 114, dem Onlinemagazin des S. Fischer Verlags – warum, ist nicht ganz einsichtig. Auf dem PC-Bildschirm bleibt von der Wirkung der Bilder wenig übrig, auf einem großen hochkant gehaltenen Tablet allenfalls etwas mehr, auf dem Handy praktisch nichts. Tatsächlich funktioniert der Comic erst jetzt richtig, weil gerade die ganzseitigen Illustrationen und die Umblätter-Momente gedruckt ihre eigentliche Wirkung entfalten können. Ich kann diesen Comic nicht genug empfehlen. Die einzige Einschränkung: Er schlägt vermutlich eindrucksvoller ein, wenn man deutlich jenseits der 30 ist.
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.