Ein Alptraumsommer, heiße Kisten, neblige Düsternis: Drei schöne Comics scheitern an ihrer Story – die Outtakes (3)
Skrupellose Sommerliebe
Eine seltsame Geschichte: 1962. Drei Jungs in einem französischen Küstenort. Der letzte Sommer vor der Uni – alle drei wollen Karriere machen wie ihre Eltern. Dann trifft Odette die drei am Strand, zieht sich wortlos aus und badet mit ihnen nackt. Nachts darauf schlägt sie vor, man könnte in leerstehende Villen einsteigen und dort vögeln. Und während zwei Jungs sich schon mal nackig machen, lässt Odette ihre Komplizen rein, die sie überraschend fotografieren. Zwecks Erpressung: Odette und ihre Komplizen räumen die Häuser aus, die Erpressten können als Informanten hinterher nicht mal zur Polizei. Ende?
Nein: Odette hat sich in einen der Jungs verliebt. Und er hängt sich fasziniert an sie und drängt sich in die Einbrecherbande….
Was ist „Unter den Kieseln der Strand“ nun? Die Geschichte einer Sommerliebe? Eine Abrechnung mit der spießigen Gesellschaft, die sich erst vor kurzem mit ihren Nazis arrangiert hat und bald ihr eigenwilliges Rechtsverständnis zeigen wird? Pascal Rabaté, Zeichner und Autor macht es einem nicht leicht. Die Bilder der Sommerliebe sind zart und hübsch, aber auch kühl, weil Rabaté den Gelbanteil praktisch auf Null reduziert. Auch zum Identifizieren taugen die Liebenden nicht recht: sie sind zwiespältig, nicht immer ehrlich – sie sind nur wegen ihrer Jugend am entschuldbarsten. Das ist letztlich das Problem: Der guten Geschichte, die vieles aufgreift, fehlt jemand, dem man folgen mag.
Wie frisch aus der Waschanlage
Gerade Autofans könnten Jaouen Salaüns „Asphalt Blues“ mindestens anfangs mögen. Salaün zeigt eine nahe Zukunft, in der noch immer viel gefahren wird. Die Bilder sind ansehnlich, aber zu sauber und zu glatt. Liegt vermutlich auch an der Technik: digital gezeichnet kann sehr abwaschbar aussehen. Vor allem, wenn dann auch kein richtiger Grund zum Weiterlesen kommt: Ein Paar streitet, aber so ausgedehnt und reizlos, dass schon wieder das Auto, in dem sie unterwegs sind, das Interessanteste darin ist. Salaün kann Wasser und Oberflächen zeichnen und Leute mit Sonnenbrillen – aber er kann ihnen nichts zu tun geben.
Die Nebelmaschine
So ist das eben auch manchmal: Da fängt ein Comic schön rätselhaft an, minimalistisch, wortkarg, wie diese Geschichte von dem Falkner, der mit seinem Vogel an irgendeiner merkwürdig nebligen Küste etwas erlegt, was aussieht wie eine gigantische Staubmilbe. Und man denkt die ganze Zeit: Super, das ist ein Gefühl, als hätte man sich total verlaufen, jetzt macht mir das bloß nicht kaputt...
Und dann ändert sich der Stil, und es wird jede Menge und immer mehr Zeug geredet und die Handlung wird immer wirrer. Sich im Nebel verlaufen ist mystisch, sich im Geschwafel verlaufen ist anstrengend und wird dann irgendwann auch ein bisschen fad. Was bleibt, das sind Dave McKeans streckenweise hübsche Bilder. Aber die sind, zugegeben, sehr hübsch.
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Locker-leichtes Schwergewicht: Pascal Rabatés Graphic Novel „Der Schwindler“ ist eine fünf Pfund schwere Reise in die russische Revolutionszeit – bitter, brutal und alptraumhaft schön
Ich weiß auch nicht, warum mich das so beschäftigt, aber: Der Comic ist schwarz-weiß getuscht. Ja, schon klar, ist ja nicht so, dass man noch nie einen schwarz-weißen Comic gesehen hätte, aber der hier ist, als hätte ihn jemand bunt gezeichnet (wie das Cover, beispielsweise) und dann schwarz-weiß eingescannt. Hat der Jemand aber nicht: Er hat sich für die ganzen Farben offenbar entsprechende Grautöne ausgedacht, und diesen Gedanken finde ich einerseits spannend, andererseits verwirrend kompliziert: Wie dunkel ist Grün, wenn man es in Grau übersetzt? Heller als Rot? Aber zugegeben, die eigentliche Frage lautet: Ist der Comic gut? Und das ist er, oh ja. „Der Schwindler“ heißt er und stammt von Pascal Rabaté.
Fünf Pfund Buch: lustig, spannend, bitter
Ein ziemlicher Wälzer, das vorweg, über 500 Seiten im Albumformat, über fünf Pfund Buch, das ist manchmal recht unpraktisch – aber sehr lustig, sehr spannend, sehr bitter. Rabaté hat den gleichnamigen Roman umgesetzt, von Tolstoi, aber dem anderen, Alexej: Eine Geschichte vom Vorabend der russischen Revolution.
Eine Wahrsagerin prophezeit dem Hallodri Semjon Newsorow, er würde reich werden. Fortan begleiten wir diesen rückgratlosen Windbeutel dabei, wie er eifrig versucht diese Prophezeiung umzusetzen. Erster Erfolg: Er begegnet einem Antiquitätenhändler. Reiche Russen versuchen in der unsicheren Zeit das Land zu verlassen, brauchen Bargeld und verkaufen ihre Sachen günstig. Als der Händler überfallen wird, schnappt sich Newsorow sein Vermögen: Er tötet den Verletzten mit einem schweren Schrank und setzt mit dem Geld nach Moskau ab, wo er sich als Graf ausgibt, sich ein Liebchen sucht, vögelt, kokst und einen Spielsalon eröffnet.
Ein stümperhafter Romanheld
Als die Bolschewiki sich durchsetzen, wird der Salon geschlossen, Newsorow setzt sich ins von Deutschen besetzte Charkow ab und lässt sich dort – selbst nicht die hellste Kerze am Leuchter – ein Landgut aufschwatzen. Als die Deutschen abziehen, stecken die wütenden Bauern das Gut in Brand, Newsorow flieht nach Odessa, wird als Spion angeheuert, lügt und betrügt sich recht stümperhaft durch die Gegend, das ist an sich schon mal recht unterhaltsam. Ob sich’s als Roman gut liest, weiß ich nicht, aber Pascal Rabaté macht einen hervorragenden Comic daraus, obwohl seine Kunst zunächst recht unscheinbar wirkt.
Seine Seitenaufteilung zum Beispiel ist ziemlich konservativ, im Prinzip besteht die Seite aus sechs Panels, da werden dann manchmal welche quer oder längs zusammengefasst. Aber wie Rabaté den Bildausschnitt wählt, das ist schon ganz großes Kino.
Enthemmte Welt mit schönen Bildern
Er lässt Newsorow etwa in ein verlassenes Dorf stolpern, ein Pferd stehlen – und beim Davonreiten bemerken, warum das Dorf verlassen ist: Die ehemalige Bevölkerung hängt an der Landstraße, aufgeknüpft an den Drähten der Telegrafenleitung, über Kilometer hinweg. Rabaté zeigt es wortlos, lässt seine Kamera vom Boden aufsteigen und wählt dann die Hunderte von Krähen für den Vordergrund, die an den Leichen knabbern, bis er den Abschluss komponiert, seitengroß, die immer neu hinzukommenden Vögel, während Newsorow entsetzt in die weite Ebene davonreitet – obwohl klar ist, dass diese Welt auch woanders völlig unmenschlich sein wird. Bauern, die nach den Kämpfen zwischen roten und weißen Truppen die Toten ausplündern und die Verletzten zu Toten machen, damit sie nicht davon berichten können. Erstaunlich ist, dass Rabaté in dieser völlig verwahrlosten, enthemmten Welt immer wieder schöne Bilder findet.
Verführerisch arrangierte Stadtansichten von Istanbul oder Odessa zum Beispiel. Überhaupt findet Rabaté Schönheit überall, wo es sonnig ist und Hoffnung für Newsorow aufscheint, und dieser unterhaltsame, spindeldürre Dreckskerl findet jede Menge Hoffnung in dieser chaotischen Welt: Frauen, Alkohol, verheißungsvolle Betrügereien – wechseln sich ab in erstaunlich variantenreichen Szenen. Drei Geschäftemacher treffen sich in einer Bar, das gibt zwar viel Dialog, optisch aber eigentlich nicht viel her – doch wie Rabaté da zwischen den Perspektiven umherspringt, Gesten mit Mimik kombiniert, über wechselnde Schultern oder auch ganz woanders hin schaut, das ist eine rechte Freude. Ein Teil des Spaßes liegt auch in der faszinierenden Beobachtung, dass da jemand in schwarz-weiß so knallbunt arbeiten kann, dass man hinterher schwören könnte, man hätte die Farben gesehen.
Nicht totzukriegen
Nicht minder erfreulich: der Schluss. Ohne zu viel zu verraten: Newsorow überlebt. Er habe es versucht, ihn umzubringen, sagt Romanautor Alexei Tolstoi im Nachwort, aber einer wie Nemsorow sei schlichtweg nicht totzukriegen. Rabaté hat das Schlusswort mit abgedruckt – neben vielen Cover-Entwürfen für die Originalalben, die in Frankreich in vier Bänden erschienen. Diese Cover sind übrigens tatsächlich knallbunt. Nur für den Fall, dass einer meint, Rabaté könne das womöglich gar nicht.
Pascal Rabaté, Der Schwindler, Schreiber & Leser, 39,80 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.