Dem Autor folgen (3): Zwei Fachfrauen fürs Heranwachsen tauchen in die heroische Frühgeschichte – mal zahm, mal zornig, mal sehr, sehr witzig

Superhelden sind auf diesem Blog ein bisschen in den Hintergrund getreten (zu den Gründen schreib ich demnächst wohl mal was). Einstweilen gibt’s hier aber drei Ausnahmen von der Regel. Gefunden hab ich sie beim Autorenverfolgen zu Mariko und Jillian Tamaki. Und mindestens in zwei Fällen klappt die Kombination Tamaki/Supercharaktere richtig gut.
Newslos glücklich

„Being Super“ von Mariko Tamaki ist jedoch eher Durchschnitt. Ich mag zwar den Ansatz des Supergirl-Prequels: ein Mädchen, das noch nicht ahnt, dass Superkräfte zur Superheldin qualifizieren. Das sich an der High School zurechtfinden muss. Aber das Genre verursacht zu viele Probleme, und dass Supergirls neue Laufschuhe ihr nicht beim ersten Sprint durch schiere Reibungshitze vom Fuß schmelzen, ist nur das kleinste. Dass eine 15- oder 16-Jährige nie Nachrichten guckt und daher nie überlegt, was sie ihre Power ändern könnte, nehme ich zähneknirschend hin. Aber dass ein Null-News-Girl zugleich so vernünftig ist, stets ihre Kräfte zu verbergen, das war schon bei Superboy kaum nachvollziehbar. Seit aber junge Menschen selbstbewusster rebellieren, werden Rücksichtnahmen immer unglaubwürdiger. Und zuguternochlangenichtletzt kann auch Mariko Tamaki nicht verhindern, dass das ständige Neuerzählen von Helden-Jugenden in den 50ern, 60ern, 70ern, 80ern, 90ern, Nullern die Legenden komplett entmythisiert. Wenn die Held(inn)en-Jugend so war oder so oder so – dann ... so what? Die Operation verhindert das Veralten, ja, aber der Patient wird durch Um- und Ab-Nutzung zunehmend belanglos.
Niedlicher Raubauz

Harley Quinn, die Partnerin des Jokers, ist wohl die Topaufsteigerin des Batman-Universums. Laut bisherigen Schilderungen erlag Psychologiestudentin Harleen Quinzel während eines Praktikums im Irrenhaus der Faszination des Chaos-Clowns und war fortan seine Geliebte und Handlangerin. Irrsinn, bedingungslos-wahnsinnige Liebe, eine starke Frau, die sich alles rausnimmt – das wiederum macht sie zur idealen Protagonistin für ein Mariko Tamaki. Die sich freilich Änderungen vorbehält.
Den Psychologie-Aspekt wirft sie über Bord, weil: Diese Quinzel-Version ist zu jung. Sie kommt nämlich als schwer erziehbarer Teenie nach Gotham. Harleen ist supercrazy, zuckersüchtig, und nimmt sich an der neuen Schule die Freundinnen, die sie möchte. Wie sie sich naiv-aufdringlich-anlehnungsbedürftig Ivy aussucht, das hat viel raubauzig-niedlichen Charme. Ähnlich struppig stromert sie in ihr neues Zuhause: eine LGBTQ-Community rund um die fassartig-mütterliche Drag-Queen Mama. Dann allerdings wollen böse Reiche das Haus der Community gentrifizieren. Und ein clownartiger Krawallmacher/Politaktivist bietet sich als Partner an.
Das alles ist nicht superneu, aber die Rechnung geht auf. Weil Tamaki Harley sturheil für das Gute kämpfen lässt, wie eine gut gelaunte Klimakleberin mit ungewöhnlicher Prügelfreude, also: im Grunde harmlos, noch. Und weil Tamakis Joker sich nicht als Geistesverwandter entpuppt, sondern als Arschloch. Statt der Amour fou gibt’s also eine sehr alltägliche Enttäuschung. Dafür im attraktiven Gewand.
Steve Pugh erstklassig gezeichnete Superhelden-Panels lassen Tamakis Harley erfrischend in Pippi Langstrumpfs Spuren wandeln. Wie bei Tamaki üblich, finden die LGBTQ-Elemente ohne Debatte einfach statt, angenehm unaufgeregt. Zu Nörgeln gibt's nicht viel – bis auf den Punkt, dass wieder mal eine ganz andere Geschichte erzählt wird. Aber das Thema „Legendenentwertung“ hatten wir ja schon bei „Supergirl“. Und hier endet die Kosten-Nutzen-Rechnung deutlich im Plus.
P.S.: Die bisher beste „klassische“ Harley Quinn fand ich bislang in Stjepan Sejics „Harleen“.
Die Furcht vorm Falschen

Eine richtige Überraschung war Jillian Tamakis „Supermutant Magic Academy“. Auch, weil nicht selbstverständlich ist, dass Zeichnende auch gut texten. Tamaki wich vor gut zehn Jahren der Erwartungshaltung jedoch geschickt aus. Die Gag-Cartoons aus je sechs Panels erschienen als Webcomic, der rasch ein Eigenleben entwickelte. Die Helden sind Schüler der titelgebenden Akademie, etwa wie Jungmutanten bei Marvels X-Men. Ihre Kräfte sind allerdings selten zu sehen, dafür um so mehr ihre verschrobenen Sorgen: Sie grübeln über korrektes Verhalten, ihre Erscheinung, ihre eigene Wichtigkeit und überhaupt alles. Ein Mädchen beklebt sich im Kunstprojekt mit Wattebällchen (gegen die Globalisierung), alle tun sehr beeindruckt und gerührt und erwachsen. Darf man beim Besenfliegen anderen Mädchen unter den Rock gucken? Tatsächlich erinnert mich die Academy oft an die düstersten Folgen der „Peanuts“, an die ständig drohende Gefahr des Falschmachens, Falschsagens, Falschlebens. Was insgesamt wiederum unheimlich witzig ist. Und bleibt, weil Jillian Tamaki das Ganze nicht bis zur Unendlichkeit fortsetzt, sondern einfach nach einem Band wieder Schluss damit macht. Auch mal schön.

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Comeback für Karen Reyes, das Grusel-Girl mit Unterbiss: Erfüllt die Fortsetzung des Sensations-Debüts „Am liebsten mag ich Monster 2“ die hohen Erwartungen?

Ich hatte leicht Angst vor diesem Comic. Denn der Vorgängerband „Am liebsten mag ich Monster“ war einfach rundum gut. Aus dem Stand zeichnete sich Emil Ferris damit mit ihrem Debüt direkt zu einem Ignatz und einem Eisner-Award. Aber dann hat man sechs Jahre lang nichts mehr von ihr gehört. Überhaupt ist Ferris schwer einzusortieren. Wer mit Mitte 50 anfängt Comics zu zeichnen, hört vielleicht genauso unerwartet wieder auf. Oder wird schlecht, und dann ist „Am liebsten mag ich Monster 2“ auch noch eine Fortsetzung, sowas kann ins Auge gehen...
Schneller ging's echt nicht

Klar ist schon mal: schneller ging’s nicht. Noch immer sind Ferris geschickt und einfallsreich komponierte Bilderwelten ein schraffiertes Paradies. Obwohl sie nicht immer Paradiesisches zeigen: Aber wenn Sie nur ein bisschen für diesen Zauber übrighaben, wenn ein Bild Ihre Augen in die Tiefe zieht, wo es sich in immer feinere, dichter oder großzügiger platzierte Linien auflöst, um Sekundenbruchteile später wieder ein buntes, üppiges Ganzes zu ergeben – dann ist es eigentlich undenkbar, dass Ferris Sie enttäuscht.
Die Story bleibt natürlich dieselbe: Ferris imitiert das Skizzenbuch von Karen Reyes, einem Chicagoer Mädchen Ende der 60er Jahre, das sich für hässlich hält (und sich daher als Horror-Fan selbst als Monster zeichnet). Karen hält in ihrem Buch alles fest, was sie bewegt, und sie hat sich vorgenommen, den Tod einer Wohnungsnachbarin aufzuklären.

Also ergießen sich dieser Mix aus Kinderdetektiv-Universum und Horrorfantasie in abenteuerlichen Bilderwelten über die original Ringbuchoptik, Schreiblinien und Abheft-Lochung inklusive. Mal schwarz-weiß, mal mit Buntstift, immer wieder unterbrochen von wundervoll erfundenen Covern alter Horror-Comics, die stets wie beiläufig einen Faden der Handlung aufgreifen.
Herrliche Abscheulichkeit

Ferris‘ Ehrgeiz ist dabei ungebrochen: Sie will außerdem auch noch Kunstgeschichte unterbringen (Karen geht mit ihrem großen Bruder Deeze gern ins Museum), die Gesellschaft der 60er Jahre, den Rassenkonflikt – und das Wunderlichste ist: es gelingt. In Karens Skizzenbuch lässt sich alles zusammenführen, die schon damals umhergeisternden Verschwörungstheorien über Fluor im Wasser genauso wie die realen Schrecken des Holocaust, in abstrusen Bildern mal kindlich zugespitzt, mal kindlich abgefedert, mit herrlich abscheulichen Monstern garniert und kommentiert. Wenn auch nicht mehr ganz so überzeugend und federleicht souverän wie im ersten Teil. Vermutlich, weil Ferris die eigene Biographie eben doch noch in die Quere kommt.
„Am liebsten mag ich Monster“ war schon immer sehr autobiographisch: Ferris stammt selbst aus Chicago, liebte als Kind Horror und Kunst, wurde missbraucht, sah die Chicagoer Polizeigewalt der 60er und lebte in der Nachbarschaft von Holocaust-Opfern, exakt wie Karen. Das zu abstrahieren und nicht missmutig zu verbechdeln, ist Ferris‘ größte Kunst. Nur beim Thema Sexualität klappt das nicht ganz so gut: Karen entdeckt in Band 2 ihren Lesbianismus, verliebt sich, trifft die queere Community (was alles okay ist), doch gerade dieser neue Schwerpunkt wird so gut wie nicht durch Karens sonst so ergiebigen Hirnwolf gedreht.

Gerade in den abstrusen Horror-Covern, die sonst so viel von Karens Innenleben zeigen und reflektieren, bleibt das Queere praktisch völlig außen vor. Die kindliche Unschärfe mit all ihren Möglichkeiten wird hier plötzlich durch sanftes Oberlehrern und gewichtige Grübeleien ersetzt.

Aber die Gesamtbegeisterung bremst das nicht. Dazu liefert Ferris auf 320 Seiten viel zu viel Erfreuliches. Stadtansichten, Häuserfassaden, sehr gute Dialoge, unerwartete Aphorismen, Gesichtern, karikierend, realistisch, das Wiedersehen mit dem malenden Monsterchen Karen, der bizarren 60er-Welt, in der Jeansjacken für Mädchen problematisch sind, Schwarze riesige Afros haben und die Häuser und die Menschen und ihre Afros sind ein Labyrinth von Linien, Linienchen, Linienchenchen...
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Die Outtakes (7): Wo der Teufel die Ideen klaut, Gottes Sohn sich prügelt und die Zukunft schwarz aussieht

Satanischer Aufguss
Mark Millar, dem man die ausgezeichnete „Kick-Ass“-Welt verdankt, fällt nach „King of Spies“ erneut unangenehm auf. Mit dem Dreiteiler „American Jesus“, den Netflix gerade verfilmt hat. Der Anfang geht noch: Jesus wird wieder mal wiedergeboren. Aber nach Teil Eins geht’s bergab. Epischer Gut-gegen-Böse-Blödsinn, in dem Millar sämtliche Verschwörungstheorien abnickt. Nicht ironisch wie „Men in Black“: sondern bierernst. 9/11 war lange von den Regierungen geplant, alle Leute kriegen Chips implantiert, in Kellern killt man Babys, der Teufel sitzt im Weißen Haus – kopiert das ultimative Böse wirklich QAnons Idiotenpornografie? Das Böse eher nicht, Mark Millar eher schon: Er schrieb die Serie nach dem Start 2004 erst 2019 weiter, als ihm der Verschwörungsquatsch gebrauchsfertig ins Haus schwappte. Und Peter Gross‘ harmlose Zeichnungen reißen’s auch nicht raus.
Blutiger Aufschlag

Diese Zweikämpfe gibt's nirgendwo anders: Wir sehen eine harte Vorhand von Rafael Nadal, mit der er einer bereits stark blutenden Gans den Rest geben will, aber was ist das? Im nächsten Panel kontert die Gans unerwartet, mit einem Hieb an den Kopf überrumpelt sie den 14-maligen French-Open-Sieger...
Sinn ergibt dieser Kampf aus Jan Soekens „Wer würde gewinnen?“ keinen, aber dafür jede Menge eigenwilligen Nonsens. Inline-Skaterin gegen Känguru, Grizzly gegen Hai, all das ist so absurd, dass man's fast mögen muss. Die Fights von Jesus (am Kreuz) oder Greta Thunberg sind vielleicht nicht ganz so geschmackssicher gewählt, aber dafür mit erfreulicher Entschlossenheit zu rücksichtslosem Blödsinn. Aber natürlich etwas zu speziell für eine vorbehaltlose Empfehlung.
Gemunkel im Dunkel

Da werden einige „Das kann ich auch“ sagen: Denn „Deep Me“ besteht zu einem großen Teil aus schwarzen Panels mit Text. Aber das muss nicht schlecht sein, der Kindercomic „Das unsichtbare Raumschiff“ konnte jüngst die totale Düsternis für eine Menge sehr ordentlicher Gags nutzen. „Deep Me“ beginnt als eine Art Mystery-Thriller: Da kommt jemand oder etwas zu Bewusstsein und muss rausfinden, was geschehen ist, ja sogar, wer sich hinter ihm/ihr überhaupt verbirgt. Aber so gut Rätselei und Ungewissheit hinhauen, so sehr schwindet die Wirkung , sobald die Erklärungen kommen. Auch, weil allerhand ferne Zukunft und Computerkram auftauchen, die aber so verständlich sind, als wäre alles heute programmiert worden. Schwer vorstellbar, wenn man bedenkt, dass schon nach 20 Jahren kaum noch einer weiß, was ein Diskettenlaufwerk war. Trotzdem: Ein interessanter Versuch, den andere vielleicht überzeugender finden als ich.