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Comicverfuehrer

Raus aus der Vanille-Bubble: Diese zwei Comic-Bände bieten erstaunlich gute Unterhaltung – wenn man sich drauf einlässt

Illustration: Tara Booth - Edition Moderne
Illustration: Tara Booth - Edition Moderne

In München gibt’s eine Eisdiele, die macht unter anderem Eis der Sorte: „Gurke-Joghurt-Dill“. Das klingt vielleicht zuerst nicht nach einer guten Idee, aber ich schwöre, wer’s probiert, sagt „das hat was“. Oder: „Das geht!“ Oder: „Das geht sogar sehr gut!“ Und deshalb gibt’s heute für Sie zwei Comics der Sorte „Gurke-Joghurt-Dill“. Weil man manchmal einfach raus muss aus der Vanille-Schoko-Erdbeer-Bubble.


Exzellent unbehaglich


Wissen Sie, was ein „Tequila Rambo“ ist? Ein grandios bescheuerter Drink, und eines der lustigsten Elemente aus Olivier Schrauwens bizarrem Band „Sonntag”, den die New York Times als eine der acht besten Graphic Novels 2024 lobt – und da ist was dran. Nur comicverführerisch ist „Sonntag“ nicht, dafür exzellent verschroben und unbehaglich.

Illustration: Olivier Schrauwens - Edition Moderne
Illustration: Olivier Schrauwens - Edition Moderne

Schrauwen schildert einen Sonntag im Leben seines (realen? erfundenen?) Cousins Thibault. Der ist allein zuhaus, die Freundin wird irgendwann am Abend aus einem längeren Urlaub zurückkommen, aber bis dahin hat er frei und die Bude ganz für sich. Und anfangs klingt der Sonntag auch superentspannt, verheißungsvoll, der Tag, an dem man endlich dies machen könnte oder jenes, aber rasch wird klar, dass nichts davon passiert, vom Sonntag wird nichts bleiben als der üble Nachgeschmack verschwendeter Lebenszeit.


Wie die Zeit verplätschert


Kommt Ihnen bekannt vor? Genau das ist die Stärke des Bandes, der Fremd- und Eigenscham auf ungeahnte Höhen treibt. Man macht sich noch einen Kaffee, man öffnet noch E-Mails, man bleibt hier hängen und dort, und so verplätschert die Zeit. Was in diesem Fall ein sehr eigenwilliger Genuss ist.

Illustration: Olivier Schrauwens - Edition Moderne
Illustration: Olivier Schrauwens - Edition Moderne

Denn dieser gedruckte Tag voll Zeitmüll liest sich leicht, schnell und mit einer sensationellen Gefühlsanalogie: Die Zeit verstreicht wie die Seiten, auf Seite 250 ist es Nachmittag und man sitzt gefühlt selbst noch immer im Bademantel da. Man fühlt sich irgendwie elend, und dabei hat man doch – anders als Thibault! – schon praktisch einen ganzen, fetten Comicband weggelesen. Was für eine bizarre Erfahrung!


Geheimrezept „Tequila Rambo“


Das Weglesen klappt deshalb, weil Schrauwens in zwei Punkten mogelt: Zum einen eröffnet er eine zweite Handlungsebene um den nervigen Rik, der unterwegs ist um Thibault zu  überraschen. Und zweitens ist sein Protagonist nach etwa einem Drittel eine deutliche Spur zu verschroben – was dem Leser eine kleine Ausflucht bietet: „Na, so einen Dachschaden hab ich gottseidank doch noch nicht.“ Aber sonst wäre vermutlich auch die akribische Füllung von 16 vertrödelten Stunden nicht so gut möglich gewesen. Fazit: Großartig, aber eben nicht verführerisch, und ... bitte? Der „Tequila Rambo“?

Illustration: Olivier Schrauwens - Edition Moderne
Illustration: Olivier Schrauwens - Edition Moderne

Ach ja, also der geht so: Man nimmt ein Glas Tequila, eine Zitronenscheibe und Salz.

Erst spritzt man sich den Zitronensaft ins Auge.

Dann schnupft man das Salz.

Dann kippt man den Schnaps.

Zuviel versprochen?

 

Hemmungsloses Farbkompott


Illustration: Tara Booth - Edition Moderne
Illustration: Tara Booth - Edition Moderne

Was für ein lustiges Farbkompott! Die Kolorierung ist die munterbunte Eintrittskarte zu Tara Booths „Überwindungen“. Schon das Innencover: Eine ganze Seite blau, mit lauter schwarz weißen Stinktieren. Nächste Seite: Tanzende graue Mäuse auf knallrotem Grund, dazwischen lauterprallgelbe Käseecken. Dann: Erstes Selbstporträt Tara Booths, eine klobige Klumpenfrau, aber mit grasgrünen Schuhen, einer gelben Hose, auf der blaue Elefanten sind. Auf der nächsten Seite trägt sie ein T-Shirt, Aufschrift: „Protect me from what I want“, und ich komme garnicht dazu „oje, Psychokacke“ zu denken, wegen der buntgemusterten Hose, den knalligen Farben. Noch nie war Psychokacke so attraktiv, so lebendig!

Illustration: Tara Booth - Edition Moderne
Illustration: Tara Booth - Edition Moderne

Denn tatsächlich geht es darum: „Überwindungen“ ist autobiographisch, Booth schreibt über ihre Meisen und Dachschäden, Essstörungen, Alkoholprobleme, sarkastisch, schonungslos, manchmal sehr witzig. Sie ist beziehungsunfähig, findet Partner, mit denen sie gut klarkommt unattraktiv und daher plötzlich attraktiv, sobald die die Lust verlieren. Und jedesmal, wenn mein Kopf denkt: „Blablabla, das hatten wir doch schon alles“, protestieren meine Augen: „Aber nicht so fröhlichfrisch.“ Und ich muss zugeben, die Augen sehen das ziemlich richtig!

Illustration: Tara Booth - Edition Moderne
Illustration: Tara Booth - Edition Moderne

Tara Booth produziert endlos optische Ideen, ein müheloser Mustergeysir. Beispiel: Die These „Meine sexuelle Orientierung ist ,interessiert an allem was mir Aufmerksamkeit schenkt‘, illustriert sie mit sieben  Szenen von sich und einer anderen Person. Ergibt bei ihr nicht 1+7 verschiedene Shirts/Oberteile, sondern zwölf, alle knallkoloriert, frech – und funny, weil eine der Personen eine Plastiktüte ist und eine weitere ein Blumentopf.


Das Big-Bändchen


Eine Graphic Novel (wie von der New York Times behauptet) ist das nicht, eher eine locker verknüpfte Cartoonsammlung, aber wen juckt das, wenn jedes Panel so belebend ist wie eine Schüssel Eiswasser ins Gesicht? Selbst schwächere Pointen oder ihre schwarz-blauen Depressions-Cartoons ergeben noch immer ein starkes Wandplakat – oder ergäben es, denn das 400 Seiten starke Big-Bändchen ist mit 12 x 16,5 cm kleiner als die meisten Mangas. Bin ich jetzt herzlos oder was? Ich denke: Nein. Tara Booth hat hier hoffentlich einen unterhaltsamen Weg gefunden sich selbst zu therapieren, der sie nebenher auch noch ernährt: Die Skunks auf blauem Grund gibt's bei Frau Booths Homepage als Hose oder T-Shirt.


Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:





 

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