Keine deutsche Comic-Künstlerin traut sich so viel wie Olivia Vieweg. Jetzt veröffentlicht die Jenaerin mit „Fangirl Fantasy“ endlich neuen Lesestoff
Es gibt was Neues von Deutschland bedenkenlosester Comic-Künstlerin, und wenn Sie jetzt fragen, ob das eine gute Nachricht ist: Ja, eindeutig, denn es sollte viel mehr Comics geben wie die von Olivia Vieweg. Die 36-Jährige ist eine absolute Ausnahmeerscheinung, und selten wurde das so deutlich wie bei der Sonderausstellung, die man ihr auf dem Erlanger Comic-Salon gewidmet hat. Übrigens gerade weil mancher da berechtigt fragen konnte: „Was is’n an der ihrem Zeug so toll?“
Kleiner Aufwand, große Wirkung
Da geht’s schon mal los: Optisch ist das eigentlich echt nicht besonders. Vieweg zeichnet bunt, lebendig, aber im Grunde ist es das schon. Vieweg zeichnet nach Bedarf, oft gerade das Nötigste, um ihre Geschichte zu erzählen. Deshalb gibt es auch wenig bis nichts, was man sich als Original ins Zimmer hängen möchte, und nicht wenige haben hinter vorgehaltener Hand gemosert, das sei ja eigentlich keine große Bildkunst. Stimmt, aber dennoch sind es große Comics. Weil bei der Jenaerin die Geschichte alles ist. Dabei bringt sie auch noch das Kunststück fertig, sehr deutsch und undeutsch zugleich zu sein.
Deutsch sind ihre Locations und ihre Vorliebe für die Provinz. Vieweg verstreut ihre Geschichten wie die ARD ihre Krimis, sie spielen an der Nordsee, in einer Kleinstadt, in der deutschen Zukunft oder in Halle an der Saale. Undeutscher sind da schon ihre Themen: Vieweg hat eine Version von Mark Twains Huckleberry Finn gebastelt, eine Liebesgeschichte zwischen einem sehr jungen Mädchen und einem Kutterkapitän, eine Zombie-Apokalypse und einen Rachethriller. Noch undeutscher ist ihr Zeichenstil: zu schlicht, naiv, unvollkommen für ein Land, in dem die Leser bei fehlendem Fotorealismus besonders schnell vermuten, die Künstlerin könne gar nicht zeichnen. Doch am undeutschesten ist Viewegs Entschlossenheit zur unterhaltsamen Geschichte.
Hollywood-Härte in der Provinz
Ihre meist leise beginnenden Erzählungen verführen mit sympathischen Charakteren und stets sehr unterhaltsamen Dialogen. Aber dann dreht sie auf und die Geschichte nimmt meist eine Wendung, die so brachial ist, dass einem der Mund offen bleibt. Weil in deutschen Romanen oder gerade auch im Fernsehen kaum einer so hinlangt wie sie; weil man findet, dass solche Wendungen nur was für Hollywood sind, also fürs richtige, weltweite, große Kino. Man kann sagen: Die Wandlung von Glenn Close in der „Verhängnisvollen Affäre“, DAS wäre ein typischer Vieweg-Twist.
„Antoinette kehrt zurück“ etwa: Eine Top-Werbemanagerin aus L.A., die sich einen Filmstar geangelt hat, besucht wieder ihre deutsche Heimat, wo die Erinnerungen an ihre zermobbte Jugend sie überwältigen. Und dann macht Antoinette – nein, das darf man nicht verraten. Oder: Heidi ist zwölf, und jedesmal steht sie am Kai, wenn der Fischkutter „Seewolf“ in den Hafen einläuft. Die Crew lädt sie ein bisschen spöttisch zum Essen in die Kombüse, wo aus Heidi plötzlich die technischen Details des Kutters purzeln: Motorleistung, Fangquote, Baujahr, alles. Weshalb Heidi von der Crew einen Gutschein für eine Fahrt ins Blaue bekommt. Doch die Fahrt wird nicht stattfinden, denn – nein, das kann ich jetzt nicht schreiben. Und wie in die thüringische Zombie-Einöde plötzlich die Giraffen reinkommen, natürlich auch nicht.
Star Trek, Cartoons und Katzenkram
Woher dieser Mut? Vermutlich daher, dass Vieweg nicht wartet, bis ihr jemand Fördermittel oder Werbeaufträge gibt. Vieweg macht Cartoonbücher mit dicken Katzen, sie verkauft Katzen-Kalender, sie macht Bücher über „Star Trek“, illustriert ärztliche Ratgeber, Mainstreamthemen lösen bei ihr überhaupt keine Berührungsängste aus. Ich meine: Welche namhafte deutsche Comic-Autorin würde sonst für die YouTuberinnen VictoriaSarina die ziemlich schaurig klingende „Rosenhof“-Reihe illustrieren? Die Hörbuchfassungen erstellen? Und wenn Olivia Vieweg das macht: Wie schlimm kann es dann noch sein? Zumal sie selbst 2014 mit „Bin ich blöd, oder was?“ einen pfiffig durchillustrierten und ausgesprochen unterhaltsamen Mädchenroman rausgehauen hat, genregerecht als Schneiderbuch, trashy gestylt, aber tatsächlich garnicht trashy, sondern voll smashy, sowas von!
Das einzige, was Olivia Vieweg nicht sooo gut kann, sind Cartoons. Autobiografisch hingeschmunzelte Bände wie „Zu Erlangen musst du ein Buch machen“ oder „Hingeschlunzt“ überzeugen nicht, weil sie sich nur lesen wie das Gespräch mit einer guten Freundin am Telefon. Also eher was für kostenlos bei Youtube oder aufm persönlichen Tageblog oder so. Humor auf ein Kracherpanel runterdestillieren gelingt ihr eher nicht, sobald sie mehr Platz hat (wie in ihren Tagesspiegel-Strips „Augenfutter“), liest sich’s sofort viel launig-lockerer. Bislang, kann aber alles noch kommen. 36 ist ja kein Alter. Und jetzt: „Fangirl Fantasy“.
Auf die Kundschaft zugeschnitten
Das ist Viewegs neuester Streich, vielleicht sogar ihr bislang persönlichster: Drei Fangirls entführen einen Filmstar, der sich von seinen Kommerzfilmen ins ernste Fach verabschieden will. Sie wollen, dass er für sie ihre Fanfiction-Fantasien nachspielt. Klingt etwas nach „Misery“ und funktioniert leider nur so mittelgut, unter anderem auch, weil den Entführerinnen Annies brutale Entschlossenheit fehlt. Was man Vieweg nur halb verübeln kann, weil sie selbst bekennendes Fangirl ist. Der Schluss liegt nahe, dass sie sich da ein wenig im Weg stand – aber vielleicht ist’s auch genau anders herum: Eben weil Vieweg weiß, wie man einen Markt professionell bedient, liefert sie ein versöhnliches Drama, das sie genau auf sich – und damit ihre Kundschaft zugeschnitten hat. Zu der gehöre ich diesmal nicht, aber nächstes Mal bestimmt wieder!
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Zombies aus heimischer Produktion, Teil 3: Olivia Viewegs Graphic Novel „Endzeit“ platziert die Untoten im deutschen Osten zwischen Weimar und Jena – mit erfrischenden Folgen
Und wiedermal geht es um Untote aus Deutschland. Aus dem Osten, genauer gesagt, aber gemeint ist diesmal nicht Björn Höcke: Die Zombies stammen von Olivia Vieweg, einer 30-jährigen Illustratorin und Zeichnerin aus Jena. „Endzeit“ heißt die knapp 300 Seiten starke Graphic Novel, und das Ergebnis ist – das vorweg – sehr deutsch, in vielerlei Hinsicht, aber auf jeden Fall deutsch im besten Sinne.
Viewegs Geschichte spielt in Weimar. Wo die Zombies herkommen, weiß niemand, es gibt sie einfach seit zwei Jahren. Die Städte werden mit Zäunen geschützt, die man regelmäßig flicken muss. Sonderlich elaboriert sind diese Zäune nicht, auch Viewegs Zombies sind keine raffinierten Genies. Wie Vieweg den Zombie generell weder neu erfindet noch sonderlich Lust hat, auf die Ungereimtheiten des Genres näher einzugehen: Sie interessiert etwas anderes, sie beleuchtet, was die äußere Bedrohung mit den Menschen drinnen macht.
Gutes nur gegen Wohlverhalten
Die Folgen zeigt sie angenehm unaufgeregt: Es fehlt einfach an allem, und darum gibt es Vergünstigungen gegen Wohlverhalten. Es wird wenig geschwafelt, sondern viel getauscht: Was hast du, was kannst du mir geben? Und wer muss die unangenehmen Jobs erledigen? Das schüchterne, zurückhaltende Teenagermädchen Vivi, das in einem Heim wohnt, fürchtet nichts mehr, als zu den Arbeiten „am Zaun“ eingeteilt zu werden – und sie wird von der Heimleiterin erst dazu abgestellt, nachdem diese sie beim Klauen von Lebensmitteln erwischt. Man weist sie der etwas älteren Eva zu, die sich prompt wiederum bei ihrer Chefin beschwert, dass „bei ihr immer die Versager“ abgeladen werden. Man kann sich rasch ausrechnen, wer die fähigeren Neulinge kriegt und warum.
Prompt kommt es zu einem Zwischenfall am Zaun, als die Neulinge allein sind – Eva kann in letzter Minute das Loch stopfen. Ein Neuling wird gebissen und als Infizierte sofort getötet. Vivi versucht geschockt, sich das Leben zu nehmen: Der Versuch scheitert, und um nicht im Heim weggesperrt zu werden, beschließt sie aus Weimar zu fliehen. Unterwegs begegnet sie Eva. Denn die hat verschwiegen, dass sie bei dem Zwischenfall ebenfalls infiziert wurde und will nach Jena: Dort, heißt es, sollen sie angeblich Infizierte behandeln können.
MP braucht's nicht, Zaun reicht.
All das macht die Story schon mal sehr viel vorstellbar als die übliche Meterware: Es gibt neben „rennen“ und „töten“ eine dritte Option, die Heilung. Es laufen auch nicht alle mit Schnellfeuerwaffen und Samuraischwertern herum, weil ja ein einfacher Zaun reicht. Und mit Vivi wählt Vieweg eine Hauptperson, die selbst in der gefährlichsten Situation nicht blindlings durch die Gegend metzgern mag. Übrigens auch, weil – anders als in Amerika – Schusswaffen nicht zum Standardinventar der Bevölkerung der Bundesrepublik gehören. Man merkt einfach, dass Olivia Vieweg sich bereits zum dritten Mal mit dem Stoff befasst: Die Zombie-Geschichte begleitet sie schon seit 2011.
Damals hat sie studiumshalber eine kürzere Story gleichen Namens herausgebracht. Sie wurde beim Schwarzen Turm veröffentlicht, dann nach einem Drehbuchworkshop, hat Vieweg die Geschichte „gepitcht“, zu deutsch: Filmfirmen zum Fraß vorgeworfen. Daraus entstand ein Spielfilm, der bereits abgedreht wurde und 2018/19 ins Kino kommen soll.
Beim Drehbuchschreiben entdeckte und erlebte Vieweg dann die Vor- und Nachteile einer Kunstform, bei der einem eine Menge Leute reinquatschen. Das mag einer der Gründe sein, weshalb sie anschließend wieder eine Graphic Novel draus machte, eben auch weil man im Comic alles selbst in der Hand hat. Diesen Luxus genießt Vieweg auch deshalb sehr bewusst, da sie, wie viele deutsche Zeichner, nicht von ihren Comics leben kann. Sie illustriert zusätzlich Kinderbücher, sie verkauft Katzen-Cartoons und das Merchandising dazu, Tassen, Feuerzeuge. „Ich weiß, was ich kann“, sagt sie selbstbewusst. „Es gibt eine Menge Zeichner, die genauso gut oder besser sind – aber ich kann Geschichten erzählen, und ich hab die Disziplin, die man braucht, um ein Jahr lang ohne jede Ermutigung einen Comic zu zeichnen.“
Frau Viewegs Gespür für Szenen
Das mit der Disziplin stimmt sicher, die grafischen Qualitäten brauchen sich jedoch nicht zu verstecken. Vieweg zeichnet leicht mangaartig, sie wählt geschickt die passenden Bildausschnitte, sie zieht souverän das Tempo an und lässt sich immer wieder an den richtigen Stellen Zeit. Sie hat Gespür für gute Szenen, die sie dann in Splashes einfühlsam koloriert richtig zur Geltung bringt: Das sommerlich heiße Weimar. Ameisen, die in Straßenformation über nackte Zehen krabbeln. Ein schlichter Sternenhimmel. Oder auch plötzlich zwei Giraffen in der von Menschen entvölkerten, sonnendurchglühten Thüringer Einsamkeit. Das Ergebnis hat alle nötigen Zutaten wie Blut und Panik, ist aber dennoch alles andere als Standardware, eine Art Craft-Beer aus regionaler Produktion: Wohl bekomm’s!
Dieser Text erschien erstmals auf SPIEGEL Online.