Verständnis wecken, kurz und knapp: Das gut gemachte Webprojekt „Wie geht es dir“ vermittelt im Nahost-Konflikt
Heute gibt’s mal wieder was Kostenloses. Und politisch Interessantes, Brisantes, aber in jedem Fall: Sehens- und Lesenswertes. Nämlich die Netzseite „Wie geht es dir“, die nach dem 7. Oktober online ging – wie man am Datum sieht, geht's um die aktuelle Entwicklung im Nahostkonflikt. Einmal pro Woche fabrizieren deutsche Comic-Künstler aus einem Gespräch mit Konflikt-Betroffenen eine Seite, elf Stück sind schon zusammengekommen. Vieles daran ist gut, aber mit zum Besten gehört schon mal: die Einleitung.
Gelungene Gewichtung
„Der grauenhafte Überfall der Hamas auf Israel … und das entsetzliche Leid, das die anhaltenden Angriffe des israelischen Militärs … über die Menschen bringen, machen uns fassungslos.“ Da ist schon mal in selten gelungener Gewichtung alles drin: Wer die jüngste Eskalation ausgelöst hat. Wer derart zurückschlägt, dass man es kaum noch angemessen finden kann. Und die Fassungslosigkeit, die wohl jeden packt, der den Irrsinn verfolgt. Unterfüttert von der endlosen Vorgeschichte, die nur eine Erzählrichtung kennt: schlimmer.
Die eigentliche Herausforderung des Projektes besteht allerdings darin, diesem Anspruch gerecht zu werden. Sonst drohen die Beiträge so fade zu werden wie der über die Erlanger „Initiative kritisches Gedenken“. Und auch die Befragung des Historikers Andreas Brämer, der den aufwallenden Antisemitismus und seinen Kampf dagegen schildert, ist reichlich erwartbar. Könnte aber auch an der Auswahl der Gesprächsteilnehmer liegen: Birgit Weyhe gelang etwa ein viel spannenderer Griff.
Manche haben mehr zu sagen
Weyhe befragt die Halb-Libanesin Andrea Karime. Die sagt deutlich, was im Grunde jeder beobachtet: „Je nachdem, mit wem ich mich unterhielt, war Empathie nur für eine Seite erlaubt, Israel oder Palästina. Dabei ist alles gleichzeitig furchtbar.“ Und so erzählt Karime, wie Bekannte (wegen ihres arabischen Vaters) ihr häufig im Zu-kurz-Schluss Sympathie für die Hamas unterstellen. Wie soll man damit umgehen, wenn man nur eine Seite bedauern darf? Plötzlich fühlt sie sich unter Generalverdacht, spürt, wie sie als Deutsche wieder zur fragwürdigen Araberin wird – und ist damit ganz nah bei der jüdischen Tante von Zeichnerin Hannah Brinkmann.
Die stammt aus Israel, sah sich aber stets als Israeli unter Israelis und eben nicht als Jüdin – sie war endlich die Sonderrolle los. Jetzt, in London lebend, stellt sie fest, dass sie wieder bei den Juden einsortiert wird. Auch bei ihr zerfällt der Traum von der Normalität. Bemerkenswert: Dieselbe Tante registriert enttäuscht, dass nach dem Hamas-Attentat zwar viele Bekannte besorgt anrufen, aber nur wenige aus Deutschland. Also aus dem Land, das selbst so gern „normal“ wäre. Und an das die Israeli jetzt ihrerseits spezielle Erwartungen richtet. Brinkmann kommentiert das nicht, sie gibt es zum Begrübeln frei.
Schwimmen gegen die Wut und den Strom
Auch sehr elegant: Die beiden Beiträge von Barbara Yelin. Im ersten greift sie naheliegender Weise auf ihre Kooperation mit der Holocaustüberlebenden Emmie Arbel zurück, die resigniert dem Frieden Priorität vor dem Zuhause einräumt. Yelins zweiter Beitrag widmet sich einer gebürtigen Araberin, die mit elf nach Deutschland kam – der Autorin Rasha Khayat. Die macht es schier wahnsinnig, dass sie seit Jahren für eine pluralistische Gesellschaft schreibt und sieht, wie ihre Arbeit durch das Hassgeplapper in den sozialen Netzwerken weggespült wird. Yelin zeigt sie beim Schwimmen, wie sie mühsam Bahn um Bahn versucht wieder runterzukommen.
Generell ist das Projekt geschickt gemacht: Kein endloser Sums, eine knackige Seite pro Woche, die auch mal eingängig reduziert werden kann wie beim piktografischen Beitrag von Thomas Gilke. Der Einleitung gemäß wären mehr reflektierte palästinensisch-muslimische Gesprächspartner schön, vor allem, weil deren Perspektive hier noch immer ungewohnter ist – aber das kann ja noch kommen. Auffallend ist hingegen jetzt schon, was den Interviewten fast durchgehend fehlt: Überraschung.
So schlimmer wie immer
Nur mal zur Erinnerung: Es gab die grausigen, extrabrutal inszenierten Anschläge, es läuft ein Rachefeldzug, der zigmal mehr Opfer fordert und diese inzwischen beinahe ebenso gleichgültig auswählt. Und all die befragten Menschen sind enttäuscht, frustriert, schockiert, über Ausführung und Ausmaß, aber kein einziger ist überrascht. Warum sollten sie es auch sein? Weil irgendwas diesmal noch schlimmer ist als vorher? Wen sollte das überraschen?
Und das ist denn auch das Einzige, was man dem Projekt, das vor allem Verständnis wecken möchte, (noch) wünschen würde: eine Perspektive, eine Folgerung. Um der drohenden Hoffnungslosigkeit wenigstens ein bisschen Hoffnung hinzuzufügen.
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Mehr von Kafka, dem Jahrhundert-Toten: Nicht nur zwei Comics sind zu entdecken, sondern auch die Zeichnungen des Schriftstellers selbst
Es kafkt weiter, geradezu kafkadenhaft. Und zu Recht: Immer wieder fällt auch durch die Comic-Versionen die reizvolle Kauzigkeit des gerade jahrhundertlang Toten auf, sein wehleidiger Witz, seine absurden Ängste, die heutigen wie damaligen Lesern genauso nahekommen wie sie ihnen zugleich fern liegen. Und siehe da: Kafka selbst hat auch gezeichnet. Wie gut er seine Arbeiten selbst fand? Vermutlich ungefähr so: „Ich will niemandem die Mühe des Einstampfens machen.“
Zersäbelt wie alte Bravohefte
Da sind sie also, Kafkas Zeichnungen: Schon schick. Oft sehr knapp, auf den Punkt. Manchmal schön schwungvoll, wie der Fechter (ganz oben), manchmal aus wenigen, eleganten Kurven und Kringeln zusammengesetzt. Meistens spielerisch, der Charme besteht auch in der Kombination aus geringem Aufwand und unerwartet viel Wirkung. Aber für mehr waren sie erkennbar nicht gedacht. Und so viele von ihnen gibt es auch gar nicht. Interessanter ist daher eigentlich die hier schön aufgearbeitete Geschichte ihrer Veröffentlichung bzw. ihrer langen Nichtveröffentlichung.
Auf dem Nachlass saß ja lange Kafkas Schriftstellerfreund Max Brod, der sich erst zierte, dann ein paar Zeichnungen als Appetithäppchen herumreichte, um sie später doch lieber seiner Sekretärin zu schenken. Die sich genauso hartnäckig und bruthennenartig darauf niederließ. Bei der 2022 endlich erfolgten Veröffentlichung zeigte sich schlussendlich, dass Brod die Zeichnungen nicht viel rücksichtsvoller behandelt hatte als die Texte: Er säbelte Kafkas Zeichnungen nach Gutdünken mit der Schere aus dessen Skizzenheft wie weiland jugendliche Fans die Fotos ihrer Lieblingsband aus der Bravo. Aber warum sollte gerade dieses KafKapitel normaler sein als die anderen?
Der Interpret
Kafka und Farbe? Geht das? Die meisten Comic-Zeichner sehen ihre Kafka-Versionen ja eher in schwarz-weiß. Moritz Stetter nicht. Seine Umsetzung von Kafkas „Urteil“ entfernt sich auch deutlich weiter von naheliegenden Bildern als Crumbs bizarr-groteske Variante. Den mysteriösen Geschäftspartner des Protagonisten Georg verstrickt Stetter in pflanzlich-zopfartige Ornamente, und auch während des harten Dialogs zwischen Georg und seinem Vater lässt er den Sohn durch rätselhafte Gehirnwindungen kriechen, bevor er die Beziehung in den Panels geradezu wörtlich in Scherben zerschmettert. Das ist gut und einfallsreich gemacht, die Zufriedenheit des Lesers hängt hier daher wohl auch von etwas anderem ab: ob er seinen Kafka eher illustriert oder eher interpretiert bevorzugt.
Blättern im KafKatalog
Optisch ist es schon angenehm finster, was Danijel Zezelj da in „Wie ein Hund“ zeigt. Geschickte schwarz-weiße Düsternis, etwas zu viel Froschperspektive vielleicht, aber insgesamt bedrückend und cool zugleich. Doch es bleibt rätselhaft, warum Zezelj sich entschlossen hat, statt einer Originalgeschichte lieber aus Kafkatexten eine eigene Story zusammenzustückeln. Es beginnt mit gut gewählten Auszügen aus „Ein Hungerkünstler“, dieser immer wieder verblüffend zeitlosen Kurzgeschichte über Publikumsgeschmack und Künstlereitelkeit (die Wikipedia zufolge das tatsächliche Abklingen der einstigen Attraktion „Schau-Hungern“ in den 1920er Jahren aufgreift). Aber jetzt dichtet Zezelj plötzlich dem Hungerkünstler die Türhüterparabel an. Dann geht’s zurück zum Zirkus und von da zur Botschaft des Kaisers, alles fulminant bebildert, aber komplett beliebig. Letztlich hält man so einen schön illustrierten KafKatalog in Händen, ähnlich überzeugend wie weiland das Beatles-Medley von „Stars on 45“ – was schlussendlich wiederum die Wirkung der Bilder unnötig beeinträchtigt. Schade, eigentlich.
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