21 Comics für lau: Am 11. Mai ist Gratis-Kids-Comictag. Sechs Tipps aus zwei unterschiedlich alten Augenpaaren
Ordentliche Comics für umsonst: ein zweites Weihnachten. Daher bin ich jederzeit bereit, den Gratis-KIDS-Comictag zu bejubeln, obwohl ich nicht mehr direkt zur Zielgruppe gehöre. Bis zu 21 Titel können Kinder und Kindgebliebene am 11. Mai beim Comichändler Ihres Vertrauens (finden Sie hier) einsammeln. Mal sind's Episoden, mal die ersten Kapitel, mal ganze Abenteuer, aber immer gratis. Falsch kann man nichts machen. Und ja, es gibt Rosinen im Kuchen. Aber welche Hefte das sind, hängt davon ab, wen man fragt. Weshalb ich mir wieder mal Copilotin Julia (12) ins Cockpit geholt habe.
Waise 1: Oma sucht Grab
Es wird halbgruselig: Julia hat als erstes Heft „Sam und die Geister“ gewählt. Das Waisenmädchen Sam lebt bei seinem erwachsenen Bruder, und entdeckt beim Besuch auf dem Friedhof, dass es Geister sehen und mit ihnen reden kann. Ihr Bruder glaubt ihr erst nicht, dann macht er aber einfach mit, weil, hm, sonst die Story nicht weitergeht. Zu zweit sorgen sie im ersten Abenteuer für das Seelenheil der niedlichen Oma Luise. Die Geschichte von Carbone (Text) und Julien Monier (Zeichnungen) ist nicht zu drückend, nicht zu banal, und mit 56 Seiten ein richtig dickes Abenteuer.
Haustier zum Abendessen
Mein Tipp Nummer Eins: Die Abenteuer von „Akissi“, dem Mädchen aus der/von der Elfenbeinküste. Gespeist aus den Erinnerungen von Marguerite Abouet, weshalb dort die Kinder auch mal im Müll spielen, sich sehr undiplomatisch gegenüber Behinderten äußern oder ein Haustier beinahe von den Nachbarn gegessen wird. Julia ist mit 12 aus dem Akissi-Alter schon ein bisschen raus, aber ich finde die Geschichten des vielzopfigen Mädchens nach wie vor angenehm sparsam gefiltert. Und die Perspektive der Abenteuer ist auf dem Comicmarkt nach wie vor ziemlich einmalig.
Waise 2: Frosch fährt Bus
Ja sowas: In Julias zweiter Wahl, „Elfies Zauberbuch“, geht es schon wieder um ein Waisenmädchen. Das wohnt aber nicht bei seinem Bruder, sondern bei seiner Schwester im lustigen Doppeldeckerbus, und es kriegt ein magisches Zauberbuch, dass sie selbst vollschreiben muss, und mit dem sie einen Papierfrosch zum Leben erweckt. Ein bisschen Drama, ein bisschen Spaß, eine ausführliche Geschichte: das Konzept von Toonfish geht bei Julia gut auf. Kein Wunder, dass sie mit „Elle(s)“ das dritte Gratisheft des Splitter-Ablegers auf Platz 4 setzen würde. Wir hatten aber drei Tipps ausgemacht.
Hübsches Chinesenchaos
Mein Kandidat Nummer Zwei: „Der Weg“ von Cai mogu de Sima gonggong, ein Titel des Verlags Chinabooks, bei dem ich politische Unabhängigkeit mal eher nicht vermute. Was Cai mogu de Sima gonggongs Zeichnungen nicht weniger sehenswert macht. Die Handlung hingegen ist komplett unverständlich, was an der Kapitelauswahl und am Text liegt. Der ist verwirrend zweisprachig (vielleicht damit der Verlag das Ganze auch in seiner Sprachunterrichts-Sparte verkaufen kann?) und bis hin zum Klappentext schlecht, sinnentstellend oder auch einfach nicht lektoriert. Aber daran, dass ich's trotzdem empfehle, kann man vielleicht ahnen, wie ansehnlich die Bilder sind…
Geheimrezept Hunderix
Da hätte ich drauf wetten können: „Idefix und die Unbeugsamen“ sind bei Julias Auswahl natürlich dabei. Die Mischung aus Asterix und Hunden ist unwiderstehlich, und Julia kennt bisher nur Band 1, das Abenteuer „Die Statue des Labienus“ ist aber offenbar aus Band 2. Ich habe zwar auch diesmal dieselben Bedenken wie beim Test hier, außerdem sitzt mit Philippe Fenech ein Zeichner der Sorte „Idefix von der Stange“ am Stift, aber was versteh ich schon von der Sache? Gratis Hinweis fürs Marketing: Das Poster in der Mitte wird Julia nicht aufhängen, weil von den fünf Tieren nur zwei niedlich genug sind. Dringend nachsüßen!
Waise 3: Härte statt Harry
Tja, schon wieder. Auch wenn mir die erdrückend oft auftauchenden Elemente „Magie“ und „armes Waisenkind“ insgesamt schwer auf die Nerven harrypottern: „Rebis“ ist eine attraktive Mittelaltergeschichte mit stellenweise erstaunlicher Härte – was die gängige Mittelaltermarkt-Romantik mal gut konterkariert. Sollen Kinder erfahren, dass man früher Ketzer verbrannt hat? Und wenn, soll man dann lieber im entscheidenden Moment einfach mal wegsehen? Irene Marchesini und Carlotta Dicataldo entscheiden sich gegen das Wegsehen und zeigen es. Nicht exzessiv, aber trotzdem. Comics dürfen auch mal daheim Diskussionen auslösen.
Aber, wie gesagt: Probieren Sie sich durch, egal welches Heft Sie grade in die Finger kriegen! Dann dafür ist der Graits -Kids-Comictag gemacht!
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
Dicker Brocken: „Alldine & die Weltraumpiraten“ steigen ein ins Rennen um den besten Kindercomic – was sagt Julia (11) zu einem der Geheimfavoriten?
„Alldine“ ist eine Zukunftsgeschichte, paradoxerweise aus der Vergangenheit: Comic-Star Joann Sfar startete die Parodie-Serie „Sardine de l’espace“ vor gut 20 Jahren, der „Schaltzeit-Verlag“ hat sie ausgebuddelt, und jetzt gibt’s Teile davon unter dem Titel „Alldine & die Weltraumpiraten“. Das Titelmädchen reist mit seinem Piratenonkel Jack durchs All, das von den Schurken Supermuskelprotz und Dr. Knautsch beherrscht wird. Experten sagen: hoher Suchtfaktor, bei Kindern. Ich hab natürlich sofort was zu nörgeln: Der Schurke ist mehr so ein viel zu leicht überwindlicher Watschenkasper. Aber als Julia mit dem gelesenen Band zurückkommt, ist sofort klar: Alldine ist Titelkandidatin.
Da fehlt doch was – oder?
Das merkt man an den vielen Zetteln. Bei den Comics bisher suchte Julia angestrengt nach Stellen, an denen sie ihre Meinung festmachen konnte. Hier findet sie jede Menge. Und dabei hat „Alldine“ sogar einen Fehlstart! Julia findet einen faustdicken Continuity-Fehler. Drei Polizisten kommen in eine Weltraumbar, Onkel Jack haut den Chef k.o., und Alldine sagt, er solle sich als Polizeichef verkleiden, bevor die anderen beiden aufwachen. Hä? Die hat doch niemand ausgeknockt! Und warum hat Jack plötzlich einen Fleck auf dem Piratentuch?
Julia hat recht. Möglicher Grund: „Schaltzeit“ druckt nicht die Originalalben, sondern bedient sich querbeet am erschienenen Material. Weshalb die Auswahl auch mal zu lang für die standardisierte Buchseitenzahl sein könnte, und dann enden eben Teile der Prügelei in der Bar unterm Schneidetisch. Fände ich unelegant, ist Julia aber egal. Die anderen Zettel sind nämlich alle tolle Stellen!
Viel zum Lachen, viel zum Staunen
Allein die niedliche Katze, die jedes Abenteuer beendet, indem sie „Ende“ sagt. Und im ersten Abenteuer sagt sie sogar „Ende“ gleich am Anfang! Niedlich und lustig. Das Abenteuer, wo Julia den Figuren helfen muss, indem sie den Comic auf den Kopf stellt! Und wie der böse Dr. Knautsch befiehlt, dass nur noch zwei Figuren in einem Panel sein dürfen, und in jeder Sprechblase nur noch zwei Worte! Seltsam und super: Alldine und ihre Freunde wissen, dass sie selber in einem Comic sind! Und es gibt auch eine gruselige Stelle: Supermuskelprotz rupft nämlich allen Engeln die Flügel, um mit den Federn Kissen zu machen. Und das Rupfen, und die armen Engel mit den nackten Flügeln, die ihre eigenen Feder in die Kissen stopfen müssen, das findet Julia eigentlich zu heftig. Aber diese knallbunte Rundum-Mischung beschäftigt sie mehr als jeder Comic vorher, das sieht nicht gut aus für den bisherigen Spitzenreiter „Zack!“.
Die beste (weil lustigste) Stelle:
Die ganzen drei Zwei-Worte-pro-Sprechblase-Seiten, die Julia kichernd vorliest.
Die schönste Stelle:
Wie Alldine von einem Panel in das daneben hüpft.
Julias Entscheidung
Ein harter Kampf. Eine Gewissensprüfung. Weil „Zack!“ auch gute Stellen hat, und vor allem: Die Zeichnungen sind irgendwie hübscher. Julia ziert sich lange hin und her, weil, man muss ja fair sein und gerecht bleiben und alles, aber dann...
1. Alldine & die Weltraumpiraten
2. Zack!
3. Boris, Babette und lauter Skelette
4. Superglitzer
... wird natürlich fortgesetzt
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
Für Kinder ist Corona besonders fad. Was könnte man noch sehen, noch lesen? Zum Beispiel: Kinder-Comics. Julia, 8, hat für uns die neunte Kunst entdeckt – und unbestechlich kritisiert
Was tun, wenn die Schule dicht ist und alle Hausaufgaben gemacht? Julia ist langweilig und acht Jahre alt. Und was tut Gott? Er schickt mich vorbei, der einen Zentner voller Kindercomics vorliegen hat und eine kompetente Co-Kritikerin braucht. Also starten wir ein Projekt: Julia, die Comics bisher eigentlich wenig bis nicht liest, kriegt jeden Tag einen neuen Band zum Ausprobieren. Und los!
Tag 1: Manno von Anke Kuhl
Kuhls Erinnerungen sind frech, funny und normal: Kein Superabenteuer, nur Anke und ihre Schwester Eva im Alltag der 70er. Kuhl ist Jahrgang 1970, ihre Mama fuhr die erste Polo-Generation, die mit runden Lüftungsdeckeln hinten. Es gab kein Handy, Pranks waren noch Telefonstreiche. Julia liest 130 Seiten ratzfatz durch. Fehlende Handys sind ihr egal, denn Julia mag Rittergeschichten und sagt: „Da gibt’s auch kein Handy.“
Tag 2: Mira von Sabine Lamire und Rasmus Bregnhoi
Eine Mädchengeschichte: Aber die Welt ist hier weniger heil, Lamire/Bregnhoi suchen die größere Geschichte statt Episoden. Mira hat Geburtstag, will Bloggerin werden, einen Instagram-Account und nicht mehr so kindisch sein. Und „Mira“ zeigt unterhaltsam, wie zweischneidig das Erwachsenwerden ist. Finde ich gut. Aber Julia mag Mira nicht sehr. Das Thema „Verlieben“ ist in der dritten Klasse noch nicht so interessant. Die kleine Zeichenschule am Schluss hilft auch nicht: Das kennt sie, einmal hat sie es ausprobiert, aber da ging es um einen Stegosaurus, und der ist spannender. Julias Urteil: „Manno“ ist besser.
Tag 3: Hugo & Hassan, von Rasmus Bregnhoi und Kim Fupz-Aakeson (ab 21. August )
Nicht so meins. Hassan und Hugo lernen sich kennen, machen sich an und erkennen daran, dass sie – Freunde sind. Dann erleben sie einige Episoden, recht zeitgemäß: Die Jungs ballern vor allem am Bildschirm auf Nazis. Naja. Aber es ist genau Julias Ding: kürzere Geschichten. Weil man jede neu anfangen kann und nicht alles wissen muss, was bisher geschah. Jungs-Geschichten sind sogar besser, weil es um Fußball geht, Julia mag Sport und Bouldern: „Hugo & Hassan“ also an Manno und Mira vorbei auf die Eins.
Tag 4: Dorothée de Monfreid, Die Hundebande in Paris
Die „Hundebande“ ist nett, straight erzählt, mit einem soliden Gag am Schluss. Sie ist von allen Bänden bisher am brävsten gezeichnet: beinahe konventionell. Julia sieht das anders: Sie mag Tiere, und Hunde sind die besten Tiere. Sie behält superviel vom Inhalt und strahlt hinterher wie Tschernobyl! Einiges gelernt hat sie auch, obwohl sie es noch nicht weiß: Denn die Hunde besuchen alle berühmten Bauten. Wie der Turm heißt, den die Hunde ersteigen, weiß sie noch nicht – aber sie wird ihn wiedererkennen, wenn sie ihn sieht. Und plötzlich sind „Hugo und Hassan“ auf der Zwei.
Tag 5: Luke Pearson, Hanna im Steinwald
Um Hanna habe ich Angst: Hanna verlangt mehr vom Leser. Wegen der schnelleren, erwachsenentauglichen Pointen, und auch grafisch. Pearson schneidet Szenen parallel gegeneinander, er zeigt oft nur Details, man muss erschließen, was man grade sieht, es sprechen Charaktere aus dem Off. Julia findet das gut. Sie kriegt alles mit, auch den Schluss, als Hilda verspricht, sich zu bessern, und ihre Mama sagt, sie soll so bleiben, wie sie ist. Und Julia hat ihren Spaß, obwohl die Geschichte lang ist. An die Hundebande kommt Hilda trotzdem nicht ran, aber sie kämpft mit „Hugo und Hassan“ um Platz zwei – und gewinnt.
Tag 6: Marguerite Abouet/Mathieu Sapin, Akissi – „Vorsicht, fliegende Schafe“
Spannend, weil fremd: Akissi ist ein Mädchen aus der Elfenbeinküste. Sie schläft in einer Baracke, auf Matratzen am Boden mit fünf Geschwistern. Macht sie Streiche, schwingen Erwachsene keine Fäuste, sondern Macheten. Und der Lehrer prügelt Kinder. Julia stört das nicht: Es fällt ihr auf, dass manches anders ist, dass man da von Schlangen gebissen werden kann. Aber sie mag Schlangen, die kommen hinter Hunden und Raubkatzen auf Platz drei. Weshalb „Akissi“ zwar „Hilda“ überholt, aber nicht die „Hundebande“.
Tag 7: Emmanuel Guibert/Marc Boutavant, Ariol – Mach die Fliege, Surrsula
Ich fand den kleinen Esel schon früher mal arg brav, aber die Abenteuer sind vergleichbar mit denen von „Hugo und Hassan“. Julia liest sich genauso begeistert durch: Die Story vom Abziehbild-Tattoo, mit dem Ariols Freund den Apotheker schocken will, dann aber selbst verladen wird, etwa. Trotzdem bleiben „Hugo und Hassan“ vorn – außer bei der Frage, mit welchem der Comic-Helden Julia am liebsten zur Schule gehen würde. Ariol überholt alle. Hunde dürfen nicht in die Schule.
Tag 8: Matthias Picard, Jim Curious – Streifzug durch den Dschungel
Ein Sonderfall: Jim Curious ist ein Bilderbuch mit 3D-Brille. Hier geht’s ums Gucken, und zu sehen gibt es (auch für Erwachsene!) viel. Man kann sich drin verlieren. Aber für Julia ist es zu wenig a) Geschichte und b) Text, nämlich keiner. Ohne Text ist für Julia schwerer zu lesen, weil man so viel gucken muss, um herauszufinden, auf was es dem Zeichner gerade ankommt. Umso erstaunlicher, dass „Hilda“ so weit nach vorn kommt. Und „Jim Curious“ sich noch an „Mira“ vorbeimogelt.
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.