Fünf Mangas in fünf Minuten (V): Diese Titel decken alles ab, von Mystery bis Erotik. Einen gibt's sogar gratis – nicht mal der schlechteste
Zum Heul-Suhlen
Eine auch im Manga gern genutzte Technik ist die des Suhlens. Mustergültig führt das die Aschenputtelgeschichte „Meine ganz besondere Hochzeit“ vor: Aschenputtel wächst bei Stiefmutti und Fies-Vati auf, hat eine blöde Halbschwester und muss die niedersten Sachen machen. Stiefmutti und Schwesterlein beklauen sie und machen sie voll zum Arschenputtel. Als die Töchter heiraten sollen, kriegt Schwesterlein einen Traumbold, aber Arschenputtel kriegt einen Merkwürdoboy. Und jetzt: Zeitlupe auf Arschenputtel und alle Gedanken und Erinnerungen nochmal, und wie ungerecht und gemein das alles ist und nochmal und nochmal, ahh, herrlich – eben reinstes Suhlen.
Gut? Schlecht? Vielleicht sollte man’s Psychoporno nennen, weil’s erzählerisch auf diesem Fetischmoment verharrt, den „Kick“ bierernst betont, denn Humor oder jede andere Nuance gibt’s nicht. Und wer den Kick nicht geil findet, der steigt früh aus. So wie ich.
Dämonen für Sehbehinderte
Die Geschichte von „Demon Slayer“ ist gut. Der arme Tanjiro kommt heim und findet seine Familie hingeschlachtet von Dämonen. Nur seine Schwester lebt noch, ist aber infiziert und wird jetzt auch Dämon. Doch: Sie kämpft gegen die Krankheit/den-Dämon-in-sich an, also verteidigt der Bruder sie. Vor allem gegen die titelgebenden Dämonenkiller, die die Neu-Dämonin köpfen wollen. Nicht neu, aber halbneu zusammengesetzt. Okay...
So richtig nervt die Erzählform, die es bisher nur im TV gab, als „Audiodeskription für Sehbehinderte“. Ich meine: Der Junge rutscht im Schnee aus und denkt: „Ich bin im Schnee ausgerutscht“. Er fällt einen Abhang runter und landet eher weich, weil Schnee liegt. „Ein Glück, dass Schnee liegt“, denkt er. Und dann wieder: „Aber im Schnee bin ich auch ausgerutscht.“ Ja, Schnee hat Vor- und Nachteile. Es kommt zum Zweikampf mit einem Demon Slayer. Tanjiro wendet einen Trick an. „Tanjiro hat einen Trick angewendet“, denkt der Demon Slayer. Unzo-weita-unzo-weita. Jetzt mache ich einen Absatz.
Das ist der neue Absatz. Darin ist ein Fazit. Im Fazit steht, dass ich das redundante Geseier unmöglich noch einen weiteren Band lang aushalte: Ich halte das redundante Geseier unmöglich noch einen weiteren Band lang aus.
Wenn mehr mehr ist
Gut sieht anders aus, nämlich so: In Hiroya Okus „Gigant“ freundet sich Rei (16) mit dem Pornostar Papico an. Warum? Weil er eines Nachts was Nettes tut: jemand hat im Viertel Hass-Poster über sie verteilt, Rei reißt sie alle ab. Sie sieht es und lädt ihn auf 'ne Cola ein, dann werden sie ein Paar – oder? Nee: Papico geht heim, wo ihr Arschfreund sie übel verdrischt. Dann findet sie nachts den Sonderling des Viertels verletzt auf der Straße.
Sie will die Polizei rufen, der Sonderling packt sie und pflanzt ihr eine seltsame Stoppuhr ein. Mit der kann sie plötzlich ihre Größe ändern – und wird Superheldin? Wieder falsch, ihr Produzent nutzt das für Riesinnen-Pornos. Währenddessen wird eine seltsame Website populär: Schüler können über bizarre Vorhersagen abstimmen, die mit den meisten Stimmen wird wahr. Weshalb es tags darauf Scheiße regnet…
Alles schön rätselhaft und unterhaltsam. Doppelt erfreulich: die Beziehung Rei/Papico bleibt sehr unschuldig, gut möglich, dass da garnichts laufen wird. Wie überhaupt Hiroya Oku oft Stille zeigt und Soundwords einfach weglässt. Löblich!
Neue Sorgen braucht das Land
Das ist mal eine ganz neue Sorge: Die noch sehr junge Prinzessin Leia aus Star Wars soll bald Thronfolgerin werden und, jetzt kommt's: Sie findet, dass ihre Eltern sie nicht mehr so beachten wie früher. Obwohl sie doch früher gesagt haben, dass sie sie immer lieben werden und so. Leider ist Prinzessin Leia nicht sechs, sondern 16, und dadurch wirkt dasselbe Problem nicht mehr süß, sondern ein wenig krankhaft.
Dafür wird der sauber gezeichnete Rest immerhin solide runtergenudelt, das Imperium ist böse wie eh und je, und die Prinzessin besteht Abenteuer, bis der Hauptfilm losgeht.
Überraschend gut – und gratis
Gefunden habe ich „Dortmund Dungeon Trip“ im Schauraum comic + cartoon in Dortmund. Mit überraschend positivem Ergebnis: denn von dem zweiteiligen Mini-Manga ist eigentlich nichts zu erwarten. Es ist eine Auftragsarbeit für die Dortmunder Stadtwerke, und sowas ist normalerweise randvoll mit peinlicher Dortmund-PR. Alexandra Völker hat aber einen munteren Feelgood-Manga draus gemacht, in dem ein netzsüchtiger chinesischer Junge zum Schüleraustausch nach Dortmund kommt. Schön ist, dass Völker die angestrebte Dortmund-Werbung angenehm klein hält (und damit gerade erst dafür sorgt, dass man sie nicht genervt weglegt). Habe mich schon mal mehr gelangweilt.
... wird natürlich fortgesetzt
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Fünf Mangas in fünf Minuten (III): Diesmal finden sich zwischen Monstern, Geistern und Kampfhähnen auch – ganz normale Leute
Der Gockel rockt
Eine Parodie, die mindestens reizvoll anfängt: Monster überfallen die Welt, und wer rettet uns? Ein Gockel! Das geht schön albern los, und die Monster sind außergewöhnlich zurechterfunden: Das erste ist hochhaushoch, mit drei Hälsen und drei gehörnten Köpfen und einer übergewichtigen Figur, aber im BH. Das zweite eine Spinne mit Fingern als Beinen, einem gehörnten Menschenkopf mit Seitenscheitel und einer Krawatte. Die Fights sind ausbaufähig, der Hahn kann nämlich nur schnell flitzen und laut krähen. Das ist auf Dauer ein bisschen sparsam, weshalb der Hahn bald ein Team bildet, und zwar mit einer Schildkröte. Naja. Aber die abgedrehte Monsterpalette verfolge ich gerne weiter.
„Hanako vom Mädchenklo“
Sorry, der Titel ist nicht von mir: Der Reim sagt, wo’s lang geht. „Mein Schulgeist Hanako“ ist ein Comedy-Romantik-Spuk. Nene ist unglücklich verliebt – und hat eine Sage gehört: Auf der Toilette der Schule gibt’s einen Geist, der hilft. Und tatsächlich, „Hanako vom Mädchenklo“ ist zur Stelle, aber aufgrund einiger Missgeschicke kriegt Nene die erstrebten Jungs nicht und muss Hanako ab sofort als Magd dienen. Das klingt so zurechtgekrampft wie „Seinfelds“ Butler-Plot, wird aber passend mit der Brechstange erzählt. Die Magd muss ab sofort täglich die Klos putzen (wieso eigentlich?), wird gelegentlich nassgespritzt und lernt, dass der Geist möglicherweise ihr wahrer Freund ist. Okay, ist für eine junge Zielgruppe. Die sollte dann aber (Klo putzen! Nassgespritzt! Haha!) wirklich noch nicht viel anderes gelesen haben.
Geschickt geködert
Mangas arbeiten häufig mit langen Handlungsbögen: Fans schwärmen dann von unglaublichen Wendungen ab Band 9 oder so. Auch „Jojo’s Bizarre Adventure“ gehört dazu. Aber: So weit muss man erstmal kommen. Deshalb begeistert mich „20th Century Boys“.
Die Story beginnt 1969: Vier Buben bauen sich ein Versteck, erfinden Geschichten und ein Symbol. 30 Jahre später treffen wir die Jungs wieder: Jetzt passieren seltsame Dinge, Menschen sterben auf mysteriöse Weise, und das Symbol taucht wieder auf – als Logo der bizarren Sekte eines Mannes, der sich „der Freund“ nennt.
Zwei Elemente machen die Story für mich sofort genießbar: Erstens die Enthüllungen und Querverweise, die's zwar nur in homöopathischen Mengen gibt, aber dafür von Anfang an. Und zweitens: die Charaktere, denen Naoki Urasawa ein richtiges Leben gibt, richtige Dialoge, richtig viel Platz und Zeit. Kenji, der unscheinbare Antiheld, trägt beispielsweise ständig ein Baby auf dem Rücken, das Kind seiner Schwester, die abgehauen ist. Er hat den Schnapsladen seines Vaters in einen Supermarkt umgewandelt und wird dafür von seiner Mutter ständig beschimpft. Und der Leiter der Supermarkt-Kette stellt ihn wegen Umsatzrückgangs vor die Wahl „Supermarkt oder Baby“. All das ergibt (auch emotional) starke Szenen, die elegant verzögern, aber doch immer wieder zur eigentlichen Story führen: denn man will ja wissen, was es mit der Sekte und den Morden auf sich hat.
Durch die Brust ins Auge
Erstaunlicher Anfang: In „Der Sommer, in dem Hikaru starb“ sitzen die Schulfreunde Hikaru und Yoshiki vor einem Kiosk und essen Eis. Bis Yoshiki Hikaru sagt, er könne unmöglich Hikaru sein. Woraufhin Hikaru das halbe Gesicht abfällt und er antwortet: „Ich dachte, ich hätte ihn perfekt kopiert...“
Gut, oder? Aber jetzt wird es schwierig.
Yoshiki und der falsche Hikaru bleiben Freunde, hängen miteinander ab. Es gibt Schwierigkeiten in der Schule, eine seltsame alte Frau warnt Yoshiki, und bizarre erotische Elemente kommen dazu: Yoshiki darf durch einen Schlitz in der Brust in Hikaru hineinfassen...
Oft schimpfe ich, dass Mangas vieles überdeutlich erklären: Bei „Der Sommer, in dem Hikaru starb“ schlägt das Pendel zu weit in die Gegenrichtung.
Denn Yoshiki stellt die allernaheliegendste Frage nicht: Was oder wer ist der Typ mit dem abnehmbaren Gesicht? Was so unverständlich ist, dass man dem Helden nur noch zweifelnd in die Geschichte folgt. Aus ungewissem Grusel wird Mystery mit der Brechstange, und die Story geht durch die Brust ins Auge.
Pikapika allerseits
Jetzt wird's ganz schlimm, weshalb man es am besten seinen Kindern antut: „Pokémon Reisen“ ist derselbe Blödsinn wie Pokémon Irgendwas, nur noch liebloser erzählt. Dabei ist noch verständlich, dass Kinder Pikachu niedlich finden und seine Dialogzeilen („Pikachu“, „Pika“ oder „Pikapika“) süß. Die Hauptfigur heißt Ash, schreit im ersten Panel „Ich heiße Ash“ und falls man es DANN noch nicht begriffen hat, steht in einem Kasten drunter: „Hauptfigur Ash“. Satzbau? Szenenaufbau? Alles scheißwurscht, nimm 'ne Figur, kleb 'nen Kasten dran, geht auch! Geht das Abendland deshalb unter? Unmöglich: Kann man ja auf einen Zettel „Abendland“ schreiben und ihn irgendwo hin kleben. Na dann: Pikapika allerseits.
... wird natürlich fortgesetzt
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5 Mangas in 5 Minuten (II): Ein Volltreffer und zweimal erotischer Kundenservice – im zweiten Fernost-Set überzeugt ein 50-jähriger Klassiker am meisten
Man kann über Mangas sagen was man will, aber sie sind erstaunlich vielfältig, zielen oft präzise auf die Schlüsselreize der Kundschaft und dröseln diese Reize gerade bei Erotik ähnlich fein auf wie die Pornobranche. Man muss das Ergebnis nicht mögen, aber: fad ist es nicht – auf zum nächsten Mangaquintett.
Per Händedruck durch die Zeit
Zeitsprünge hatten wir ja schon in der letzten Stunde: „look back“. Die „Tokyo Revengers“ arbeiten ähnlich. Der Loser Takemichi erfährt, dass seine Ex und ihr Bruder bei einem Bandenkrieg starben. Am selben Tag wird er vor eine U-Bahn gestoßen und ist plötzlich zwölf Jahre in der Vergangenheit, in der er den Bruder warnt. Der wird daraufhin in der Vergangenheit Polizist, um mit Takemichi den Bandenkrieg zu verhindern und so seine Schwester zu retten. Die Technik dazu: Takemichi springt jedesmal, wenn er den Bruder berührt, zwölf Jahre vor oder zurück. Warum? Darum!
Nerviger als diese Erklärung ist, wie unentschlossen die Geschichte zwischen Jugendbanden-Ding, Zeitreise und Beziehung herumeiert. Das Ergebnis ist eine Art „Zurück in die Zukunft“, aber nicht spielfilmlang, sondern ausgewalzt auf 16 Bände. Und: sehr, sehr witzlos.
Rohrloser Klempner
Cleveres Fastfood der sexuellen Orientierung: Die Schülerin Satomi verliebt sich in den coolen Kanda und hat den idealen Vorwand, ihn anzusprechen: Es fehlen Jungs für das Crossdress-Café am Unifest, bei dem sich (wie so üblich) Männer als Frauen und Frauen als Männer verkleiden. Kanda erklärt sich bereit, aber nur wenn – Satomi eine Nacht in einem Spukschloss verbringt? Nein, sondern: seine Freundin wird. Denkt er natürlich: Macht die nie. Macht sie aber doch! Fortan hat er sie an der Backe und will sie wieder loswerden. Denn: Kanda ist gar kein Junge, sondern ein Mädchen! Wieso das bisher keiner gemerkt hat (Sportunterricht?) – egal: die lesbische Zusatzverwirrung ist durchaus originell. Der Rest ist Profihandwerk: Gags und Story werden überdeutlich vorgekaut, dazwischen gibt’s den Fan-Modus, bei dem man als Bonus etwa die Handtaschen der beiden im „Fashion-Check“ vergleicht. Das Ergebnis ist gut gefertigte Romantik-Dienstleistung oder sexlose Pornografie: der Klempner verlegt halt kein großes Rohr, sondern hält Händchen und macht sich tiefe Gedanken darüber.
Deftiges ab 16
Okay, auch hier: handwerkliche Hochachtung für einen solide gemachten Halbporno. Was das ist? Man sieht viel, aber auch viel nicht, es gibt mehr Atmosphäre als Vollzug. Ryuta Amazumes Thema ist „Leder, SM und Scham“, und sie stielt die Story branchenüblich rücksichtslos ein: Kaoru stellt sich seine beste Freundin Nana in Leder vor, Mutti findet sein Lederzeugs, nimmt es ihm weg und gibt es wem zum Aufbewahren? Klar, Nana, wem sonst? Die es daraufhin, Überraschung: prompt neugierig anzieht, und so wird seine Fantasie wahr usw. So weit, so blöd.
Aber wie Amazume die Szenen ausspielt, ist schon wieder gut gemacht: es wird viel gedacht und gezweifelt, viel soll-ich/soll-ich-nicht, was-denkt-der-andere, viel Scham, endlose Überwindung – und das muss man auch erst mal richtig ausspielen können. Im Zentrum steht eindeutig Nanas Perspektive, es wird nach und nach gefesselt und gepinkelt und fotografiert, und all das so, dass man's doch immer noch „ab 16“ anbieten kann. Man staunt.
He-Man auf der Heizung
Au, au. „Fist of The North Star“ ist definitiv in der „Jojo“-Kategorie. Tumbe Dialoge und eine Art „Mad Max“-Welt, durch die der Held Kenshiro schreitet und sich Runde um Runde abkämpft. Ständig hält irgendwer irgendwem einen Vortrag über seinen Kampfstil und welcher besser ist und schnarch. An allen Ecken und Enden verrutscht die Perspektive, außer einer: Den schmollmundigen Heldenkopf sieht man vorzugsweise von unten rechts. Die Proportionen orientieren sich häufig an He-Man-Figuren, die man auf der Heizung vergessen hat. Es heißt, der Comic sei ultrabrutal, aber selbst die blutigste Prügelei ist nicht so schmerzhaft wie diese erstaunliche Kombination aus Storytelling, Artwork und Presswurst.
Kinderkram
Dieses Duo kann ich eindeutig empfehlen: In „Lone Wolf & Cub“ schiebt der Ex-Samurai und Jetzt-Auftragsmörder Ogami Itto seinen Dreijährigen in einem Kinderwagen durch die Gegend. Kazuo Koike und Goseki Kojima nutzen in diesem über 50 Jahre alten Klassiker die Konstellation nicht für billige Witze, sondern geschickt als zusätzliche Herausforderung: Für Ogami im Kampf – und für die Erzählung, denn Ogami findet umgekehrt auch immer wieder Lösungen, für die der Kleine hilfreich ist. All das wird in handlichen Episoden erzählt, die nicht nur spannend sein können, sondern auch tragisch, mit Zeichnungen, die explosiv sind, ideen- und abwechslungsreich, rasant und geduldig, je nach Situation. Und gerade durch die vielfältigen Episoden ahnt man: Hier ist eines der Vorbilder von Stan Sakais „Usagi Yojimbo“.
... wird natürlich fortgesetzt
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