Schultheiss zeichnet Bukowski: Der Klassiker „Kaputt in der City“ feiert ein Comeback in Farbe - und ist womöglich die Wiederentdeckung des Jahres
Was für ein Wiedersehen! Was für eine Gelegenheit! Was für eine Neuentdeckung! Oder hat der Splitter Verlag einfach nur mal den Gebraucht-Comicmarkt angeguckt? Denn dort sieht man, dass ein Comic namens „Kaputt in der City“, schwarz-weiß, Softcover, Neupreis einst 30 Mark, inzwischen für das Doppelte gehandelt wird. In Euro. Und völlig zu Recht.
Jeder bescheißt jeden
„Kaputt in der City“ ist einer der Glücksfälle, bei denen so viele günstige Einzelteile zusammenkommen, dass etwas einmalig Gutes entsteht. Vorausgesetzt, man mag Charles Bukowski und seine zynisch-bissig-miesepetrig-versoffenen Erzählungen aus dem Amerika von ziemlich weit unten. Die ihren besonderen Witz daraus ziehen, dass der Erzähler einerseits weiß, dass in diesem Amerika jeder jeden bescheißt, ausbeutet, beklaut, dass er andererseits auch jederzeit zugibt, dass er keine Lust hat, sich groß anzustrengen. Ein Faulpelz mit Charakter, könnte man sagen.
Diese Kurzgeschichten wählte sich in den 80er Jahren der aufstrebende Comic-Star Matthias Schultheiss als Vorlage. Was deshalb so ideal passt, weil Schultheiss kein USA-Basher ist. Schultheiss liebt Amerika glühend, aber mit offenen Augen: Er leidet daran, dass die unbegrenzten Möglichkeiten oft mit grenzenloser Rücksichtslosigkeit einhergehen. Vermutlich wählte Schultheiss deshalb einen Stil, der sich von seinen opulenten Bänden wie „Die Haie von Lagos“ deutlich unterscheidet: Kaum Flächen, nur Striche und Schraffuren, recht nahe an Robert Crumb, aber mit schultheiss-typischem Sinn für Licht und Schatten. Ein drittes Element macht jedoch die Mischung erst perfekt.
Amerika, gesehen mit offenen Augen
Es ist die Sicherheit, mit der Schultheiss, der seine Szenarien sonst selbst schreibt, den Fremdtext behandelt. Wie souverän er ihn zu wortlosen Panels und aufregend geschnittenen Seiten umkomponiert, wie präzise er den Dialog umsetzt, wie treffsicher er Erzähltext aus dem Off einsetzt und wie oft er (was für einen Fan ja noch viel schwieriger ist) diesen Erzähltext weglässt. Wer mit Bukowskis Version startet, wird bei Schultheiss nichts vermissen. Wer mit Schultheiss‘ Version beginnt, wird bei Bukowski alles wiederfinden. Die Frage ist, ob es eine gute Idee ist, die Storys zu kolorieren.
Aber auch hier macht Schultheiss nichts falsch: Er färbt einfühlsam. Es wird nirgends poppig bunt, er unterstreicht nur, was in seinen Zeichnung angelegt ist. Die Farben sind oft gedeckt, fahl, düster, staubig, dreckig und so stimmig, dass man sich im Nachhinein wundert, wie präzise die Schwarzweiß-Variante bereits die jetzt gewählten Farben suggerierte. Das Weißgelb der glühenden Sonne, das Dreckbraun der verklebten Theken, das Nachtviolett der New Yorker Hochbahn. Das Besondere ist nicht, was die Farbe den Zeichnungen hinzufügt, sondern wie gelassen sie auf deren Wirkung vertraut und sie nur sanft betont.
No Country for Frauen
Zuguterletzt: Wie ist das mit Bukowski und den Frauen? Ungeschönt. In einer Welt, in der jeder konsequent nach unten tritt, haben Frauen schlechte Perspektiven. Aber wer mit (frauenlosen) Storys wie „Kid Stardust im Schlachthof“ oder „New York für 95 Cents am Tag“ beginnt, ahnt rasch, dass Leute aus dieser Welt ihre Mitmenschen ähnlich behandeln wie sie selbst behandelt werden. Bukowskis Antihelden raffen sich manchmal zu einer eigenwillig verdreht-verlotterten Sorte von Ritterlichkeit auf, mehr ist nicht drin. Man mag das bedauern, aber überraschend ist es nicht. Schultheiss setzt diese Zustände 1:1 um, mit Körpern, die auch beim Sex so unansehnlich sind wie die Zimmer, in denen all das stattfindet. nein, schön ist all das nicht. Aber verdammt gut!
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
"Von Mäusen und Menschen": Rebecca Dautremers erstaunliche Umsetzung des John-Steinbeck-Klassikers beindruckt mit einer raffinierten Zutat: gezeichneter Zeit
Also: Die Bilder sind toll.
Und der Text ist exzellent. Weltliteratur, kann man sagen.
Aber ist es noch ein Comic?
Und wenn’s kein Comic ist – was ist es dann?
Mal ganz von vorn: Vor mir liegt ein dicker Wälzer, er heißt „Von Mäusen und Menschen“. Ja, der Roman von John Steinbeck, den ich bisher nie gelesen habe. Die Handlung dreht sich um die beiden Wanderarbeiter George und Lennie in den USA der 30er Jahre. George ist umsichtig, sorgfältig, Lennie hingegen ist langsam, gutmütig, schon ziemlich nahe am Schwachsinn. Es gab mit ihm Ärger bei der letzten Farm, mit einem Mädchen, sie mussten abhauen und sind jetzt auf dem Weg zu einer neuen Arbeitsstelle. Steinbeck beschreibt das einfühlsam, er spricht vieles nicht aus, deutet es geschickt an. Und er arrangiert die Szenen praktisch filmreif. Woher ich das als Steinbeck-Nichtleser weiß?
Weil ich hier tatsächlich den gesamten Romantext vor mir habe. Ungekürzt.
Angenehm lesbar: ein Roman in Häppchen
Die französische Zeichnerin Rebecca Dautremer hat ihn illustriert, und zwar gründlich. Was als Text auf rund 120 Taschenbuchseiten passt, nimmt jetzt im Comic-Band 400 Seiten ein, die aufgeklappt fast die Fläche eines Vinyl-Doppelalbums belegen. Dennoch liest alles sich superangenehm, weil Dautremer soviel Platz hat und ihn nutzt, indem sie den Text häppchenhaft stückelt.
Die Einstiegsszene am Fluss etwa zeichnet sie über fünf Seiten, die Landschaft, die Tiere, eben alles, was Steinbeck beschreibt, in wundervoll detaillierten Bildern. Dann beginnen Lennie und George zu reden: Den Dialog trennt sie in kleine Mehrzeiler, und zu jedem Satz gibt es ein neues Bildchen der beiden. Ab hier wird es gewöhnungsbedürftig.
Eingängig und anspruchsvoll
Nicht, weil es nicht eingängig wäre. Doch Comic-Leser sind es gewohnt, eine Eigenleistung zu bringen. Bilder oder Details zu deuten, die eben nicht im Text stehen. In Steinbecks knappem Text steckt aber alles drin. Jedes Zögern, jede Geste, die Dautremer penibel nachvollzieht. Diese Text-Bild-Parallele wirkt zunächst unnötig, fast redundant. Doppelt redundant, weil die 51-Jährige oft auch noch englische Originalfetzen ins Bild einwebt. Buch-Leser hingegen könnten sich in ihrer Fantasie beschnitten fühlen: George und Lennie kann man sich nicht mehr vorstellen wie man will, Rebecca Dautremer legt sie fest. Erst allmählich zeigt die Französin, womit sie Steinbecks Erzählung bereichern wird: Sie fügt Zeit hinzu.
Sie deutet etwa die dunkle Vorgeschichte an, ohne Worte, wie eine lautlose Erinnerung. Sie spielt Gedanken aus. Weil Lennie Bohnen mit Ketchup genauso liebt wie Streicheltiere, erfindet sie ganzseitige Reklametafeln mit Mäusen, für Bohnen, für Ketchup, für Latzhosen. Und sie wechselt dabei häufig den Stil. Wird die Hauptgeschichte noch weitgehend naturalistisch erzählt, karikiert sie beispielsweise Lennie auf einer Seite im Stil von Winsor McCays „Little Nemo“-Alpträumen. Als George Lennie eine tote Streichel-Maus wegnimmt und sie sicherheitshalber auch noch wegschleudert, fliegt diese als blaue Trickfilm-Maus durchs knallgelbe Bild – und landet supernaturalistisch auf dem Sandboden. Und wenn George Lennie die eigene Farm ausmalt, die sie beide sich für die Zukunft erträumen, dann tauchen die Felder und Tiere plötzlich knallbunt auf wie im sorgsam ausgemalten Skizzenbuch eines kleinen Jungen.
Er-Lesen in Echtzeit
Tatsächlich gelingt es Dautremer so, dem Leser für den enorm dichten, gut lesbaren Text mehr Zeit abzuluchsen, als eigentlich nötig wäre. Weil man mehr guckt, mehr schaut, mehr erforscht. Dennoch entschärft sie den Text nicht. Die Träume von der wunderbaren Zukunft bleiben unerreichbar und verdeutlichen die Trostlosigkeit der Gegenwart. Der glücklichste Moment von George und Lennie bleibt der Abend am Fluss, mit dem das Buch beginnt, der Abend vor dem neuen Job, ein Augenblick selbstbestimmter Freiheit und Entspannung. Das Ergebnis ist nicht nur eindrucksvoll, es ist auch vorlagentreuer als jeder Film.
Dautremers Illustrationsflut reduziert tatsächlich die Optionen des Lesers, aber dafür intensiviert sie die Stimmung. Schlüsselszenen wie die in der Hütte des schwarzen Stallknechts Crooks oder die verzweifelte Annäherung des alten Candy werden plastischer, die Dialoge werden auf echtes Sprechtempo abgebremst: Weil man eben nicht so schnell liest, wie man könnte – sondern nur so schnell, wie es die Bilder zulassen. Dautremers Kunst besteht dabei darin, Bilder zu liefern, bei denen man nicht spürt, dass sie bremsen. Indem sie schön sind oder originell oder ungewöhnlich oder komisch oder, oder, oder.
Ein guter Text in besten Händen
Ist das jetzt ein Comic? Eine Graphic Novel? Ein illustrierter Roman, der aber so gründlich illustriert ist, dass man meint, man bekäme ihn vorgelesen oder würde ihn sich selber vorlesen, während man das Ganze als Film sieht? Ein Graphic Hörspielbuchtheaterfilmdings?
Auf jeden Fall hab‘ ich „Von Mäusen und Menschen“ jetzt gelesen: Es war beeindruckend. Weil John Steinbecks Text bei Rebecca Dautremer in besten Händen ist.
Gutes im Dreierpack: Alexander Brauns fabelhafte Ausstellung "Die Katzenjammer Kids" in Dortmund
Also sowas. Da passiert mal was Gutes. Und dann wird das Gute nochmal besser. Und dann wird das Bessere nochmal optimiert! Und zum Schluss gibt’s all das auch noch kostenlos. Echt wahr! Neugierig?
Slapstick-Pionier
Also: Das Gute sind die „Katzenjammer Kids“, die gerade 125 Jahre alt werden. Es gibt eine Ausstellung zu dem amerikanischen Klassiker des Zeitungs-Comics im Schauraum Comic + Cartoon in Dortmund. Zwei Räume, viele original Zeitungsseiten mit den Abenteuern der von Rudolph Dirks gezeichneten Krawallbrüder Hans und Fritz, die ihre Mutter und den Ersatzvater, den Captain, seit 1897 Woche für Woche in den Wahnsinn trieben. Slapstick in Reinkultur, aus einer Zeit, in der Slapstick eigentlich noch gar nicht erfunden war.
So weit, so gut.
Historiker als Augenöffner
Besonders empfehlenswert wird die Ausstellung, weil sie Deutschlands wohl bester (und gefühlt einziger) Comic-Historiker Alexander Braun zusammengerührt hat. Comic-Fans kennen Braun natürlich längst von seiner Arbeit für den und mit dem Taschen Verlag, alle anderen sollten sich den Namen unbedingt merken, weil Braun mindestens eine besondere Fähigkeit hat: Er präsentiert nicht nur die Comics, er setzt sie auch unermüdlich in überraschenden Kontext, weit über die üblicherweise bekannten Fakten hinaus.
So wissen wohl die meisten, dass die „Katzenjammer Kids“ deutsche Einwandererkinder sind, die ein entsprechendes Denglisch sprechen. Dass Dirks selbst Einwandererkind war, schon ein paar weniger. Dass er die „Kids“ tatsächlich als ziemlich exakte „Max und Moritz“-Kopie entwarf und entwickelte, auf Wunsch und mit Wissen des Verlegers Randolph Hearst, wie nahe er anfangs am Original von Wilhelm Busch war – da wird’s schon spannender.
Bezahlt wie ein Bundesliga-Profi
Braun zeigt, wie allmählich die Sprechblasen in den Text finden, wie der Klamauk zum Schlager wird, Dirks gewagter und gewitzter zu experimentieren beginnt, und gigantischen Erfolg genießt einstreicht. Die Kids gibt's als Bühnenstück, als erste Comic-Figuren in der Macy's-Parade. Braun rechnet aus, dass Dirks ein Star-Gehalt wie ein Bundesligaprofi kassieren kann, dass er mit diesem Geld zu den Sehenswürdigkeiten der Welt reiste, dass er dort praktischerweise auch seine „Kids“ hinreisen ließ. Dass zeitgleich die Idee der Postkarten boomte, von denen damals, so erfährt man, jedes Jahr eine Milliarde versendet wurden, und Braun hat auch noch die passenden Postkarten zur jeweiligen Kids-Episode parat – so wird aus einer schlichten Comic-Ausstellung eine regelrechte Zeitreise.
Braun präsentiert die lange Pfeife des Lehrer Lämpel als Symbol deutscher Rauchkultur, zeigt Pfeife samt weiteren Ritualen der deutschen Auswanderergemeinde. Und er zieht auch den Querverweis zum Thema „Wirtschaftsflüchtlinge“, nämlich: zu den Millionen deutscher Wirtschaftsflüchtlinge in den Vereinigten Staaten, von denen Land und Einwanderer gleichermaßen profitierten.
Traumziel: seriös Malen
Woher die ganzen Exponate stammen? Von Braun selbst, und das keineswegs zufällig: Denn Braun, so sagt er, hat nie wie ein Fan gesammelt, und nie nach Rendite – „sondern immer wie ein Museum“. All das ist auch deshalb ein Glücksfall, weil stundenlanges Comics lesen im Stehen durchaus anstrengend ist und ermüdend sein könnte. Es braucht Abwechslung, und die liefert Braun bis hin zu den Versuchen Dirks‘ in der „seriösen“ Malerei.
So weit, so besser.
Tja, und dann hätten wir noch diesen Schauraum Comic + Cartoon. Ich kannte ihn bislang nicht. Zwei ordentlich große Räume im Erdgeschoss eines städtischen Beton-Baus, genial gelegen, direkt gegenüber vom Dortmunder Hauptbahnhof. Zu Fuß sind’s vom Gleis 6 zirka 63 Sekunden, mit Rollkoffer im Schlepptau. Man kann (wie ich auf der Fahrt von Bochum nach München) auf der Durchreise aus dem Zug hüpfen, schnell mal reinschauen und danach ruckzuck wieder weiterfahren. Risikolos, weil: gratis ist es auch noch. Und täglich bis auf Montags geöffnet, mindestens von 11 bis 18 Uhr.
So weit, so grandios.