Die Outtakes (20): Mit einer rosa Alptraumfrau, Mangas für die Kurzstrecke und erfundenen Western von gestern
Heilsteinreich
Viel Gutes zieht mich in Claus Daniel Herrmanns „Pinke Monster“: Die schön simplen, zugleich kräftigen Zeichnungen aus Bleistift, Grau und Pink als Signalfarbe. Die Einfamilienhaus-Siedlungs-Location. Die reduzierten Figuren und die schlicht-gute Story: Teenie Frank lebt mit seiner Mutter und seinem depressiven Vater, er hat Liebesprobleme, und all das verkompliziert sich dadurch, dass er ahnt, dass schwul ist. Als Zündstoff gibt es eine matronige Wunderheilerin, die zu Papas Rettung gerufen wird und die Familie sofort mit Heilsteinen versorgt. Ab hier könnte alles exzellent werden, wird’s aber nicht: Zu sehr, zu schnell, zu eindeutig wird die Zauberbrumme als suspekt gezeigt, zu schnell ihre Macht eingeführt und ausgespielt, zu sehr ihre Ent-Machtung dann als Lösung präsentiert. Oder scheint mir das nur aus Erwachsenensicht so? Ist das womöglich für junge Menschen grade das Richtige? Oder soll man auch junge Leute nicht unterfordern? Müssen Sie wohl selber rausfinden.
Häppchenweise
Genervt von ewig langen Manga-Serien? Hier ist eine Gelegenheit für kurze Häppchen aus berufener Hand: „Hatschi!“ versammelt einige von Naoki Urasawas Kurzgeschichten. Da ist recht ulkiges Material darunter, etwa seine musikalischen Erinnerungen an Rockkonzerte seiner Helden (McCartney! Dylan!), auch eine nette Persiflage auf Japans Monster-unter Berücksichtigung der Eigenheit, dass all diese Monster immer ausgerechnet Japan heimsuchen müssen. Obendrein ist der Farbanteil im meist schwarz-weißen Genre unerwartet hoch. Aaaber: All das speist sich eher aus dem Interesse an Urasawa, und wer ihn nicht durch „Asadora!“ oder die „20th Century Boys“ kennt, dem kommt das Ganze womöglich weniger bedeutsam vor.
Canifflig einen an der Klatsche
Metaebene nennt man das wohl: „Texas Kid, mein Bruder“ ist ein Comic über Comics und ihre Zeichner, zugleich aber auch ein Vater-Sohn-Drama. In dem sich der Sohn mit seinem Übervater quält, der als berühmter Zeichner den Held „Texas Kid“ erschuf. Und dann: Mieser Vater, hat den Sohn nie lieb, ist immer streng, und plötzlich wird Texas Kid real und verdrängt den Sohn, kritisiert dessen mediokre Schöpfungen und Zeichnungen, kann alles viel besser, hmm. Die Story von Darko Macan und Ivan Kordej knarzt arg, hat zwar gelegentlich Momente, aber viel öfter leider nicht. Weil beide zu viel reinrühren: Zuviel Vatergeschichte, zu viel Sohngejammer, und die real gewordene Comicfigur ist weder brutal noch lustig genug, dass man darüber hinwegsehen könnte, dass sie eben erfunden ist. Weshalb der Sohn halt entweder einen an der Klatsche hat oder auf sehr hochgekünstlertem Niveau langatmig vor sich hin leidet. Und weshalb Kordejs canifflige Zeichenorgien den Verhau auch nicht retten können.
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Liegt's am Schnee oder an der Dunkelheit? Zwischen den Jahren gibt's zwei melancholische Manga-Tipps. Bei einem davon hat sogar ein Häuptling geweint!
Zwischen den Jahren arbeitet es sich etwas leichter durch den Comic-Stapel, der auch deshalb wächst, weil man Tipps aus der Vergangenheit kriegt. Das führt heute zu zwei Manga-Empfehlungen, die auf Anhieb gar nicht so viel miteinander zu tun haben, die aber doch eines verbindet: Sie investieren reichlich Zeit in den Aufbau, um dann fulminant die Ernte einzufahren. Und ja, ich habe schon Mangas beschimpft, die ewig nicht vom Fleck kommen: Aber bei diesem Duo ist die Relation von Vorbereitung zu Ernte absolut angemessen.
Blöde Jobs und Essen von Mutti
Tipp Eins stammt von Häuptling Berufener Mund, einem der großen Comic-Indianer. Mit dem sprach ich jüngst über diesen Comic. Bei dem, sagte der Häuptling, sei ihm das Herz schwer geworden, und seine Augen hätten das Wasser freigegeben wie die Blase des bedürftigen Bisons in der endlosen Prärie. Oder so. Was zuletzt beim Comic „Solanin“ geschehen sei. Wenn aber Häuptling Berufener Mund weint wie ein Waschweib, dann prüft man besser, ob einem was entgeht, wenn man nicht mitheult.
Tatsächlich ist „Solanin“ ein erstaunlicher, sehr erwachsener Manga. Was man sofort mitkriegt, weil die Story um die Twens Meiko und Naruo recht raffiniert eingeführt wird: Ein Paket, das für Meiko ankommt, gegengeschnitten mit Naruo, der nach Hause rollert. Naruo kommt an, der Paketbote geht weg, beide begegnen sich am Briefkasten – Zoom aufs Wohnungsschild mit den Namen von Meiko und Naruo. Da ist viel Film, man muss gucken und aufpassen und nicht weiterhasten, nur weil im Panel grade kein Text ist. Geduldig fächert Autor Inio Asano dann die verunsicherten Leben der beiden und ihrer Freunde auf: Öde Jobs, verschüttete Träume, eine wacklige Beziehung, nirgends richtig angekommen, noch nicht richtig erwachsen, und Mutti schickt noch immer Essen für den Kühlschrank. Und dann, gerade als Asano eine Perspektive und Zukunft eröffnet, lässt er das Schicksal brutal zuschlagen.
Teil zwei: So einfühlsam wie selten
Die gesamte zweite Hälfte der abgeschlossenen Serie widmet er daraufhin so einfühlsam dem Umgang der Gruppe mit den Folgen, dass man sich nicht mehr wundert, warum Häuptling Berufener Mund sehr gerührt ist. Auch ein bisschen traurig ist allerdings, dass vom (auf deutsch zweibändigen) Comic nur Band 1 noch auf Papier lieferbar ist. Zum Nachlesen von Teil 2 brauchen Sie entweder ein E-Book, eine gute Stadtbibliothek, oder aber Sie wechseln je nach Sprachkenntnissen zur englischen/italienischen/französischen Ausgabe. Da wird nämlich munter nachgedruckt. Zu Recht.
Die Angst der Spieler vor dem Match
Tipp Zwei ist der inzwischen erschienene letzte Band der ausgezeichneten Serie „Ping Pong“, auf die ich (ahem) bereits hier hingewiesen habe. Dieser dritte Teil zeigt auf eine etwas andere Art, wie sich geduldiger Aufbau auszahlen kann. Denn wer gleich mit diesem Band anfängt, kann eigentlich gar nicht mal so viel Freude am munteren, extrem schnell und einfallsreich geschnittenen Geschmetter haben. Wer hingegen das Heranwachsen der jungen Spieler Peco und Smile verfolgt hat, ihre Niederlagen, ihre Kämpfe mit sich und dem Halb-Erwachsenwerden, die aufrichtigen Bemühungen ihrer geduldigen Trainer, der wird vor jedem der Duelle Angst haben. Weil man von Spiel zu Spiel weniger möchte, dass einer der Protagonisten verliert. Zumal ein Großteil der Geschichten auch den Druck und die Ängste der Jungs einschließt: Ich kenne kaum einen anderen Comic, bei dem sich die Protagonisten 8-Mile-artig vor Nervosität kotzend auf der Toilette einschließen.
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5 Mangas in 5 Minuten (7): Serienmörder, Geisterkinder und ein nutzloser Mann - die Vorlieben von Deutschlands bekanntestem Comic-Historiker im Test
Herzlichen Dank: Die „Fünf Mangas in fünf Minuten“-Serie durfte als „Mangas auf Speed“ on the road zur Comic-Lesewoche nach Dortmund, mit einer Bonus-Beigabe: Denn der Comic-Historiker Alexander Braun hat nicht nur gleichfalls seinen Senf zu bereits besprochenen Manga-Bestsellern gegeben, sondern auch seine fünf Lieblingsmangas zur Beurteilung vorgelegt. Es folgt: das Verdikt.
Vergeigte Höllenmusik
Eigenwilliges aus der Vergangenheit: „Kitaro vom Friedhof“ ist eine über 50 Jahre alte Serie um einen einäugigen Geisterbuben und seinen Vater, der nur noch aus einem hüpfenden Augapfel besteht. Irritierender als diese Kombi ist jedoch ein anderer Mix: Einerseits werden dort Seelen gegessen, Menschen verschlungen, superdüstere Geschichten erzählt – die aber
in Erzählweise und Logik wirken, als kämen sie von einer Zwölfjährigen. Weshalb Kitaro auch mal zur Schule geht, in der Oper Höllenmusik vorgeigt oder um einen verzauberten Baseballschläger kämpft. Die Richtung der Stories ist unvorhersehbar, kann jederzeit kippen, es ist kaum möglich zu sagen: Ist das für Kinder? Oder nicht? Tatsächlich lesen sich manche Gespenstergeschichten verglichen mit Kitaro dramaturgisch geradezu hochkomplex. Aber: unbestreitbar hat es einen ganz eigenen, schwer widerstehlichen Charme, etwas Kindgerechtes, manchmal auch Splatteriges, das aber zu Halloween ja auch dazugehört.
Unvergessliche Bilder
Ahh, so wird’s gemacht: Gute Geschichte, geht sofort los, und ist extrem einfallsreich, allerdings auf eine unglaublich brutale Art. Held ist ein Super-Profiler, der aber eine mehrfach gespaltene Persönlichkeit ist. Und während er Serienmorde aufklärt, erfahren wir immer mehr von den Gründen der Spaltung und der vermutlich noch viel furchtbareren Geschichte dahinter. Ganz zu schweigen von den vielen Toten, bei denen man etwas Besonderes entdeckt, wenn man ihr unteres Augenlid runterzieht: einen Strichcode. MPD Psycho ist erschreckend gut: Weil es Persönlichkeitsentwicklung, Dialog und Schockmomente exzellent dosiert. Und diese Schockmomente sind so abstoßend wie bewundernswert: Die Tatorte liefern detailliert gezeichnete Bilder, die man nicht vergisst. Selbst wenn man möchte. Darf man das überhaupt? Schauen Sie in die Nachrichten: Der wahre Horror kommt aus Bomben und Schnellfeuergewehren.
Raumschiff kommt und bleibt
Dead Dead Demon’s Dededede Destruction – das sind fünf Schülerinnen in Tokyo. Eine nachdenklich, eine ausgeflippt, eine ruhig. Plötzlich ist da dieses Raumschiff über der Stadt. Und es greift an! Schnitt: Drei Jahre später. Die Schülerinnen sind älter. Das Raumschiff ist immer noch da, aber es greift kaum noch an. Irgendwie hat sich die Stadt dran gewöhnt, und die Raumschiff-Abwehr-Industrie ist total wichtig geworden. Gelegentlich mischen sich Aliens unter die Bevölkerung, und das könnte auch ganz interessant sein, wenn unser Fokus nicht dauernd auf diesen fünf wenig aufregenden Amseln bliebe. Kommt da jetzt noch was? Nach zweieinhalb Bänden geb ich’s auf. Klar, das erinnert daran, wie man sich an den Ukrainekrieg gewöhnt oder an Fukushima. Aber ab und an sollte schon irgendwas passieren. Auf später vertrösten ist als Geschäftsmodell bisschen dünn.
Wie beim Franzosen
Comic und Film: sehr verwandt. Comic und Manga: auch. Gut zu sehen in „Unlucky Young Men“. Schon die Optik: Aufwendige, extrem einfallsreiche Einstellungen, sensible Schnitte. Dann in der Handlung: Die beiden Protagonisten drehen einen Film über einen Überfall auf einen Geldtransport, der zugleich tatsächlich stattfinden wird. Und dann die Art der Erzählung: Kennen Sie diese französischen Filme, in denen so furchtbar viel gequatscht wird und so furchtbar wenig passiert? Genauso machen es Kamui Fujiwara und Eiji Otsuka. Und sie machen es so gut, dass man jederzeit die Vorbilder spüren kann. Leider mehr Rohmer statt Chabrol. Weshalb man dasitzt und staunt, dass es möglich ist, eine Story mit einem Überfall, mit einer durchgeknallten Killerin (!), derart langweilig zu zerzeichnen. Den zweiten Band hab ich echt nicht mehr über mich gebracht.
Munterer Kummerbund
Das hier klingt erstmal nach wenig. In „Der nutzlose Mann” zeichnet ein eher melancholischer Herr Mangas, kann aber nicht davon leben. Doch sonst kann er eigentlich nichts. Er mag auch niemanden fragen, um nichts bitten und kommt insgesamt nicht gut mit Menschen klar. Deshalb fängt er auch ausgesprochen merkwürdige Jobs an: Er trägt Leute über einen Fluss – direkt neben einer Brücke. Er versucht Steine zu verkaufen, die er am Ufer findet, und die ziemlich genauso aussehen wie alle anderen Steine. Nichts davon bringt Geld, seine Familie (eine verbitterte Frau, ein ewig verheulter Sohn), verliert jeden Respekt vor ihm, und all das wird erzählt in dieser selbstmitleidigen, melancholischen Art – Moment, dieses ganze Elend ist eigentlich sogar ziemlich witzig. Wenn man damit klarkommt, dass es gerade eben nicht als Gagparade serviert wird.
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