Fünf Jahre alt und brandaktuell: Der Reportageband "Liebe auf iranisch" zeigt in einfallsreichen Bildern, was junge Menschen im Iran derzeit auf die Straße treibt.
Ganz schön was los im Iran. Wer wissen will, wieviel Druck da gerade im Kessel ist, den möchte ich hier gerne auf einen nicht mehr ganz frischen, aber dafür brandaktuellen Titel hinweisen: Liebe auf Iranisch. Rund fünf Jahre alt ist er, und für den Band hat ein Journalistenduo unter dem Pseudonym Jane Deuxard heimlich junge Menschen im Iran interviewt, zu dem ganz schlichten Thema: Wie liebt ihr euch?
Knutschen? Nur mit eigenem Auto
Zusammen mit dem Zeichner Zac Deloupy sind neun Reportagen entstanden. Über das Paar, das beim Sex auf Unberührtheit achten muss, weil jederzeit Jungfräulichkeitstests angesetzt werden können. Den Kellner, der ein Auge darauf haben muss, dass die Frauen im Café verschleiert sind, weil jederzeit Patrouillen den Sitz des Kopftuchs kontrollieren können. Der seine Freundin monatelang nicht mal küssen kann, weil sie keinen Ort haben, an dem sie unbeobachtet sind.
Die Frau, die erzählt, wie junge Iraner wahllos in der Gegend herumtelefonieren, weil ihnen beim stumpfen Zuhausehocken nur das Handy als Freiheitsrest bleibt. Die Männer danach auswählt, ob sie ein Auto haben, weil man dann wenigstens irgendwo hinfahren und knutschen kann. Die überzeugt ist, dass ihre Familie sie umbringen wird, wenn herauskommt, dass sie Sex hat. Der junge Mann, der das Land verlassen will, damit ihn seine Familie in keiner arrangierten Ehe unterbringt. Und, und, und.
Die Scheinheiligkeit ist überall
Kommunikation und Internet werden überwacht, auf den Straßen wird die Reporterin angehalten, weil unter ihrer langen Hose vier Zentimeter Knöchel zu sehen sind. Das Internet wird zensiert, das Fernsehen blockiert, aber alle lernen Tricks, die Gesetze zu umgehen. Jeder versucht privat frei zu sein und lebt öffentlich die Lüge, die Scheinheiligkeit ist überall und wird von jedem verlangt. Manche spitzeln aus Treue zum Regime – mindestens genauso viele auch aus Angst, man könnte ihnen vorwerfen, irgendwas nicht gemeldet zu haben.
Mit am schlimmsten trifft es eben die jungen, gut ausgebildeten Iranerinnen und Iraner, die das Regime dringend braucht, um international mithalten zu können. Aber man kann Menschen nicht zugleich ausbilden, dumm halten und für blöd verkaufen. 2009, lernt man, gab es ebenfalls Unruhen. Die jungen Leute hatten bei der Wahl auf eine liberalere Regierung gehofft, fühlten sich danach betrogen, gingen auf die Straße, das Regime knüppelte den Protest nieder.
Ein echter Bonus: Deloupys Bilder
Zac Deloupy (von dem ich gern mehr sehen würde, der aber kaum ins Deutsche oder Englische übersetzt wird) findet für die ohnmächtige Wut, die Angst, die Beklemmung immer neue, angenehm einfallsreiche Bilder. Die vielköpfige Mutti-Hydra (im Bild), der Mullah, der aus dem Handy herausdunstet, die arrangierte Ehe als Blinde-Kuh-Spiel - Deloupy liefert zu vielen empörenden Schilderungen eine angemessene und gewitzte zweite Ebene.
Druck im Kessel?
Das ist noch gar kein Ausdruck.