Erst wiederbelebt, dann bis zum 50. Geburtstag gepusht: Die Independent-Legende U-Comix zuckt recht lebendig und ermöglicht zum Fest gleich zwei erstaunliche Wiedersehen
Alle mal herhören: U-Comix ist 50!
Tusch! Doppeltusch!
Na?
Das Frankenstein-Monster der 9. Kunst
Also gut, ich seh schon, der Jubel ist ausbaufähig. Ist ja auch lange her. Die sich erinnern, sagen wahrscheinlich: „50? Sind die nicht tot?“ Waren sie auch eine Zeitlang, zugegeben. Es hat einen richtigen Doktor Frankenstein gebraucht, der den Leichnam wieder unter Strom gesetzt hat, aber da sind wir ja auch schon mitten im Thema.
Denn eigentlich ist es genau das, was U-Comix immer gewesen ist, eine Art Frankensteinsches Monster der neunten Kunst, ein Comic-Magazin, zusammengesetzt aus eigenwilligen Einzelteilen, allesamt natürlich ausgegraben, denn das „U“ steht und stand für „Underground“: Untergrund.
Die Ursuppe unterm Mainstream
Der Untergrund ist das, was sich unterhalb des Mainstreams sammelt, entstanden in den 60er Jahren in den USA, nachdem konservative Strömungen dort die Comics-Code-Authority erzwungen hatten, eine Selbstzensur der Comicverlage. Ohne CCA-Siegel blieb nur die weniger lukrative Veröffentlichung mit Independent-Verlagen – etwas für Leute, denen Inhalte wichtiger waren als Gewinne. Also (je nach Ansicht) abgedrehte, geschmacklose Irre oder sensationelle, meinungsstarke, unangepasste Künstler wie Gilbert Shelton.
1969 beschloss Raymond Martin, derlei auch in Deutschland zu veröffentlichen. Leider gab (und, seufz, gibt) es hier etwas viel wirksameres als die CCA: Die breite Überzeugung, dass Comics blöd wären oder für Kinder oder beides, und dass man sie deshalb am besten weder liest noch kauft. Die Idee, in diesem Markt auch noch Untergrundcomics verkaufen zu wollen, war, um es vorsichtig auszudrücken: sportlich und führte zum ersten Konkurs.
Der Schwung kam aus Nürnberg
Erst der Nürnberger Alpha-Comic Verlag unter seinem rührigen Chef Achim Schnurrer brachte Mitte der 80er Jahre wirtschaftlichen Schwung in die Sache: Schnurrer präzisierte die mit U-Comix-Kundschaft, angepeilt wurden jene, die nicht mehr im MAD-Alter waren, aber gern etwas Ähnliches gehabt hätten. Humor, ein bisschen alternativ, ein bisschen sponti, grell, konsequent hemmungsarm.
Schnurrer fuhr die Alt-Hippie-Inhalte zurück, brachte zu den Franzosen wie Gotlib neue Gesichter wie Pierre Clement oder auch mehr deutsche Inhalte, Leute wie Walter Moers, Klaus Cornfield, Ralf König oder den grandiosen Gerd Bauer. Zudem hatte er einen deutlich größeren Markt ausgespäht: Sonderalben der Künstler, deren Einzelgeschichten die Leser im Heft kennen und schätzen gelernt hatten – Ralf Königs Klassiker „Kondom des Grauens“ etwa erschien zuerst keineswegs bei Rowohlt, sondern im Alpha-Comic Verlag.
"Kondom des Grauens" feierte hier Premiere
Der Konkurs 1997 war denn auch weniger wirtschaftlich als staatsanwaltlich bedingt. Wohl auch deshalb fand sich anschließend niemand, der es riskiert hätte, U-Comix weiterzuführen – bis 2013. Seit inzwischen sechs Jahren haucht der Zeichner Steff Murschetz der Leiche neues Leben ein, und das erfreulich traditionsbewusst: U-Comix ist eine liebevoll gemischte Fundgrube, die Jubiläumsausgabe hat zudem zwei echte Sensationen an Bord.
Murschetz hat bislang Unübersetztes von Gilbert Shelton ausgegraben, vier Fat Freddy-Abenteuer, von Shelton betextet, gezeichnet von Hal Robins, Jack Jackson, Spain Rodriguez und Paul Mavrides. Nicht minder sagenhaft: Murschetz hat Édika reaktiviert. Tatsächlich haben ja viele inklusive mir selber geglaubt, der französische Kult-Eskalationsmeister sei entweder verschollen oder tot oder mangels Lesern verhungert. Immerhin war er einer der Top-Stars der verblichenen U-Comix, mit rund 20 eigenen Alben voller blühendem Unfug – und doch hatte man seit dem Konkurs in Deutschland nichts mehr von ihm gelesen.
Ein Wiedersehen mit Èdika
Siehe da: Édika war nie weg, er sitzt und zeichnet noch, es hat ihn nur keiner mehr übersetzen mögen. Außerdem ist er nicht ganz leicht zu finden und zu erreichen, Murschetz ist ihm jahrelang hinterhergelaufen. Zwei Édika-Stories hat das Jubiläumsheft, das Wiedersehen allein ist schon den Kaufpreis wert.
Nicht immer hilfreich ist der 3-D-Running-Gag des Hefts: Murschetz hat eine 3-D-Brille spendiert, das Cover und 14 Heftseiten sind etwas dreidimensional, naja, und manche Frauen sind angezogen, wenn man sie mit dem einen Auge ansieht, und wenn man das andere nimmt, nicht. Ein bisschen Sex hat bei U-Comix immer dazugehört, allerdings – wie auch diesmal – derart übertrieben albern, dass jeglicher pornografische Nutzwert auszuschließen ist.
Greta fährt per Anhalter
Was gibt’s noch? Einen hübsch kranken Betrag von Klaus Cornfield: ein neues Abenteuer mit Akne-Jürgen. Und auch sehr schön irritierend: Die Aufarbeitung des Schwerpunktthemas „Zorro“ von Stefan Lausl. Sein Zorro nimmt Greta Thunberg im Auto mit, und es stellt sich sehr schnell heraus, dass der edle Held für die noch edlere Jungheldin nicht wohlmeinend genug ist und sowieso die komplett falschen Prioritäten setzt. Aber bitte, Geschmäcker gibt es viele, und mancher bevorzugt womöglich Murschetz‘ erstaunlich ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Bergbau im Ruhrgebiet. Auswahl gibt es genug, und mit ein bisschen Glück schaffen’s die U-Comix dann bis zum 60. Zu wünschen ist es ihnen.
U-Comix Nr 198, Undergroundcomix.de, 12 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
Der Karikaturist Gerhard Seyfried überrascht mit dem neuen Band "Zwille": Der 70-Jährige ist etwas bequem geworden - doch den absurden Biss hat er noch immer
Neulich habe ich über Brösels neuen „Werner“ gemault und darüber, dass man nicht sturheil den alten Sums weiter vernudeln kann, wenn sich die Welt (samt Zeichner) doch reichlich verändert hat. Da hatte ich bereits übersehen, dass mit weit weniger Gedöns ein weiterer Altstar Neues vorgelegt hat: Gerhard Seyfried. Aber, seltsam: Obwohl Seyfried mit inzwischen 70 nochmal zwei Jahre älter ist als Brösel und ebenfalls dem eigenen Kosmos treu bleibt, habe ich mir bei ihm keine so großen Sorgen gemacht. Und womit?
Mit Recht.
Freak-Brothers-Liebhaber, Sponti-Ikone
Denn Seyfried… den kennen Sie doch, oder? Nicht? Okay, für die Jüngeren aus der U-40-Liga: Gerhard Seyfried ist ein in München geborener linksalternativer, eher harmloser Anarchist, der in den 70ern nach Berlin geflohen und dort mit der Sponti-Szene verwachsen, aber nicht verschmolzen ist. Entscheidend war seine Begegnung mit Gilbert Sheltons Serie „The Fabulous Furry Freak Brothers“, eine Parodie, die die Hippie-Bewegung boshaft kritisierte und zugleich aber zutiefst mit ihr sympathisierte. Seyfrieds besondere, zweifellos bundesverdienstkreuzwürdige Leistung: Ähnlich wie Harald Schmidt in punkto Late Night oder Ralf Husmann bei The Office schuf er – inspiriert vom US-Vorbild – eine durch und durch eigenständige deutsche Variante, die man ohne jegliches Fremdschämen genießen kann.
Seine Cartoons wie „Haschisch! – Gesundheit!“ oder „Pop! Stolizei“ gehörten in den 80ern an jeden anständigen Kühlschrank und altern dort heute noch erstaunlich gut. Denn wie Shelton machte Seyfried immer auch klar, dass die Linken, Alternativen und Spontis vielleicht Gutmenschen, aber keine besseren Menschen sind: mitunter einfallsreich und witzig, aber vor allem eher widerspenstig und dabei meist bequem, genusssüchtig und ähnlich dusselig wie Staat und Polizei.
Gutmenschen sind gut, aber nicht besser
Mit zunehmendem Alter erweiterte Seyfried sein Spektrum: In „Starship Eden“ oder den grandios bitteren „Future Subjunkies“ schickte er sein Personal in die Zukunft, nur um dort spöttisch immer wieder dieselben Mechanismen aufzudecken: Gier, Gutgläubigkeit, Geltungsbedürfnis und die stets allgegenwärtige Werbung, die bei Seyfried immer besondere Freude macht, weil sie entweder brachial-platt daherkommt („Schweinefleisch-Sensation!“, „Buy more cheap junk!“) oder hauchdünn übertrieben wie im neuen Band, wo wir gleich im ersten Panel hinter Titelheld „Zwille“ ein schönes Plakat entdecken für „All you can see – Flatrate Sightseeing“.
Die Story beginnt, als Zwille und seinem Kumpel MacÖko die Sozialhilfe für Comicfiguren gestrichen wird: Weil Comicfiguren nämlich nicht altern und damit den Sozialstaat Jahrhunderte lang belasten. Also suchen beide bei ihrem Zeichner einen neuen Job in einem neuen Comic. Das ist, zugegeben, nicht der stärkste Plot. Wie überhaupt Seyfried möglicherweise auch ein wenig bequem geworden ist.
Nach wie vor: Der Gag steckt im Detail
Die Zeichnungen, früher penibel getuscht, bleiben jetzt erstaunlich bleistiftlastig, stellenweise sind sogar die Text-Linien noch zu sehen, das kannte man von Seyfried bislang nicht. Der größere Verlust ist, dass er seitenweise Dialoge ohne Hintergründe zeichnet, die Figuren vor schlichtem Hellblau abbildet – dabei ist Seyfrieds Stärke das Beobachten von Kleinigkeiten, nach wie vor: Seine Wimmelbilder sind unnachahmliche Städte- und Massenportraits, bei denen jedes noch so kleine Plakat einen Gag liefert, und sobald Seyfried einen Alternativ-Markt, die Getränketafel in einem Coffee-Shop oder eine Straßenszene zeichnet, ist der anarchische Witz noch immer genauso da wie vor 40 Jahren.
Überwacht von der "Drohne Maja"
Von den Wänden wirbt „Zahlando“, auf Plakaten grüßt die SPD-Chefin „Infer Nahles“, auf dem Alternativmarkt gibt es Pflastersteine zu kaufen, aufgetürmt wie Äpfel, „Sorte 1. Mai“, und in Berlin servieren sie nur noch Burger: Döner-Burger, Haggis-Burger und Sushi Burger im „Happy Dolphin“. An der Wand warnt ein Graffito vor der „Drohne Maja“, und wann immer er Lust hat, stellt Seyfried in den Hintergrund bizarre Bausünden, die er so oder ähnlich in Berlin beobachtet.
All das ergibt eine schaurig-schöne Bestandsaufnahme der Gegenwart, die empört und zugleich versöhnt, die so entwaffnend und präzise kritisiert, dass man Seyfried nie wirklich böse sein kann, ihm aber dennoch permanent zustimmen muss. Wenn in 50 oder 100 Jahren Historiker oder Filmausstatter auf der Suche nach authentischem Material unserer Zeit sind, ist gut vorstellbar, dass sie bei Seyfried landen werden. Das gilt auch für „Zwille“, obwohl der Band diesmal nicht so zum Überlaufen vollgestopft ist mit optischen oder sprachlichen Pointen wie sonst.
Der Alltag braucht mehr Seyfried
Man möchte Seyfried mehr durch unseren Alltag schicken, mehr von unserem Leben durch seine Augen sehen, aber, wie er der taz verriet: „Comicmachen ist ein teures Hobby“. Inzwischen lebt er mehr von seinen Romanen, weil da die Vorschüsse höher sind und er davon die Miete besser und zuverlässiger zahlen kann. Das ist verständlich, zumal deutsche Comic-Zeichner üblicherweise nur zwei Altersvorsorge-Optionen besitzen: Hoffen und Bangen. Aber es ist zugleich auch unendlich schade.
Gerhard Seyfried, Zwille, Westend-Verlag, 16 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.