Weil es die Großverlage nicht tun, veröffentlichen deutsche Liebhaber Comics aus dem Ausland selbst in Profi-Qualität. Das Ergebnis macht sie nicht arm, nicht reich, aber glücklich
Sie sind unzufrieden mit den Comics, die es zu kaufen gibt? Sie waren im Urlaub in Italien, in Frankreich, in den USA, und Sie haben dort Comics gesehen, die es leider nicht auf Deutsch gibt? Sie haben eine Lieblingsserie, aber die ist nach drei Bänden plötzlich eingestellt worden, weil es den großen Verlagen letztlich doch nur ums Geld geht? Dann ändern Sie das doch: Veröffentlichen Sie einfach das, was Sie wollen. Das ist im Comic-Bereich leichter möglich, als man denkt.
Mein Comic ist Hase
Vor mir liegt beispielsweise ein Band der exzellenten Serie „Usagi Yojimbo“. Der Amerikaner Stan Sakai zeichnet die Abenteuer des Samurai-Hasen Usagi, eine raffinierte Hommage an das mittelalterliche Japan, in der ein Hase sehr ernsthaft andere mickymaus-artige Tiere massakriert, nach allen Regeln der Kunst, mit seinen zwei Schwertern, dem Katana und dem Wakizashi, über die man nebenher genauso viel erfährt wie etwa über die Teezeremonie. Seit über 30 Jahren erscheint die US-Serie bei namhaften Verlagen wie Fantagraphics oder Dark Horse. In Deutschland erschien sie mal bei Carlsen, mal beim Schwarzen Turm. Jetzt veröffentlicht die Serie ein Krankenpfleger aus Mannheim.
Kein Ex-Krankenpfleger, wohlgemerkt: Josch Dantes arbeitet noch immer im Krankenhaus. Aber weil er die Serie liebt und mit der Veröffentlichungspolitik der bisherigen Verlage nicht zufrieden war, sicherte er sich die Rechte selbst. „Ich hab den US-Verlag einfach hartnäckig angerufen“, erzählt er, „bis ich beim Verleger war. Ich hab denen gesagt, wie ich das machen möchte. Und die haben mir die Chance gegeben.“ Es gab einen Probelauf, bei dem Dantes zwei Hasenbände unter dem Dach des Schwarzen Turms betreute, seitdem gibt er die Abenteuer in seinem eigenen Verlags heraus. So, wie er das als Leser selbst gerne hätte: neu übersetzt und nicht hin und wieder, sondern Schlag auf Schlag, alle zwei Monate einen weiteren Band, in der Originalreihenfolge, in professioneller Qualität.
Das Ergebnis sieht nicht aus wie von einem Krankenpfleger herausgegeben, sondern wie von jedem anderen seriösen Verlag. Angst hatte er dabei nicht: „Ich hab das vorher durchkalkuliert: Wieviel kann man verkaufen, was darf es mich kosten und was den Leser? Ich hab eine knapp fünfstellige Summe in die ersten beiden Bände investiert, aber es ist alles aufgegangen, ich hab nach einem Vierteljahr sogar 200 Euro übrig gehabt.“ Seither macht der 36-Jährige weiter, furchtlos, mit kleinen Auflagen. Inzwischen hat er sogar zwei weitere Serien im Programm, die er genauso liebt: „Slaine“ und „Gravel“, beide haben eine deutsche Misserfolgsvergangenheit, beide feiern ein kleines Comeback und machen den Verleger weder reich noch arm, doch dafür glücklich.
Es geht auch mit weniger Risiko
Aber was ist, wenn man nicht den Mut oder die Ersparnisse für fünfstellige Investments hat? Auch kein Problem: Man gründet einen Verlagsverein. Oder einen Vereinsverlag? Finix heißt das inzwischen über zehn Jahre alte Projekt, ein Kind des Internets, das aus dem Comicforum hervorging. Enttäuschte Freunde frankobelgischer Comicserien fanden zu einander, gruppierten sich um den umtriebigen (und früh verstorbenen) Optimisten Marc Schnackers und hatten letztlich nicht mehr zu bieten als die freundliche Fürsprache des Splitter-Verlags. Damit machten sie sich auf die Suche nach den Lizenzinhabern für die eingestellten Serien. Das Startkapital waren die freiwilligen „Investments“ der Vereinsmitglieder, jeweils nicht mehr als 100 Euro. Und seither läuft der Laden: Zwei bis drei Dutzend Serien wurden inzwischen komplettiert. „Manche laufen richtig gut, wie die Steampunk-Serie Hauteville House“, erklärt Vereins-Chef Oliver Hornig. „Damit machen wir dann Gewinn, mit dem wir die Serien veröffentlichen, die sich die Vereinsmitglieder wünschen.“
Die Wunschliste wird demokratisch erstellt, jedes Vereinsmitglied listet seine Top Ten auf. Das Ergebnis ist ein erstaunlicher Fundus frankobelgischer Qualität, nicht Champions-League-reif wie Asterix oder Lucky Luke, aber auf jeden Fall Bundesliga-Niveau. Mit drin: die sehenswerte Detektivreihe „Dieter Lumpen“, die Abenteuer des sanftmütigen Detektivs „Jackie Kottwitz“ oder die Tarzan-Parodie „King und Kong“, die mir etwas zu eindimensional ist. Aber eben darum geht es: Meine Meinung zählt nichts, die des Marktes genausowenig – „King und Kong“ waren ein Herzensanliegen der Vereinsmitglieder, Finix hat mit vielen Zusatzinfos eine liebevolle Gesamtausgabe hergestellt, bei der von vorneherein feststeht, dass man Miese macht.
Mit 100 Euro sind Sie dabei
200 Mitglieder hat der Verein inzwischen, die mit ihren „Investments“ das wirtschaftliche Risiko auch etwas abfedern: Für die 100 Euro bekommt man die zehn nächsten Alben gratis. Das einzige Problem ist, dass die deutschen Verlage inzwischen auf der Suche nach dem sicheren Absatzmarkt ebenfalls alte Ausgaben bewährter Stoffe entdeckt haben – für Finix engt das die Auswahl rentabler Alben ein. Hier soll jetzt eine Serie um „Die großen Seeschlachten“ einspringen, eine Augenweide für Schiffefans, die der Comic-Markt so bislang noch nicht bedient. Das Prinzip kennt man vom Rennfahrer-Comic oder vom Fliegercomic, für meinen Geschmack hätten’s mehr Schiffsbilder sein dürfen. Aber, wie gesagt: Auf den Kritiker pfeifen, selber machen!
Stan Sakai, Usagi Yojimbo, Dantes Verlag, Bände zwischen 14,95 und 18,95 Euro
Pat Mills, Slaine, Dantes Verlag, je Band zwischen 16 und 32 Euro
Warren Ellis/Mike Wolfer, Gravel, Dantes Verlag, je Band zwischen 15,95 und 19,95 Euro
Jorge Zentner/Ruben Pellejero, Dieter Lumpen, Gesamtausgabe, Finix-Verlag, 39,80 Euro
Alain Dodier/Pierre Makyo, Jackie Kottwitz, Gesamtausgabe, Finix-Verlag, Band 1-7 je 29,80 Euro
Jean-Yves Delitte, Die großen Seeschlachten, Finix-Verlag, je Band 15,80 Euro
Mazel/Cauvin, King und Kong, Gesamtausgabe, Finix-Verlag, je Band 39,80 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
Statt unerträglichem Realismus gibt’s Puppenstuben-Armut: Kristina Gehrmann macht aus Upton Sinclairs Roman „Der Dschungel“ eine harmlose Graphic Novel
Man kann bezweifeln, ob „Migration“ (wie vom Carlsen Verlag beworben) tatsächlich der aktuellste Aspekt an Upton Sinclairs „Der Dschungel“ ist: Unbestreitbar ist, dass die nagelneue Graphic Novel-Version ein Buch in den Blickpunkt rückt, das heute brisanter ist als man es lange für möglich gehalten hätte. Der Roman, 1906 veröffentlicht, ist empörend im besten Sinne, er zeigt Zusammenhänge auf, indem er Entsetzliches schildert, entsetzliche Ungerechtigkeit, entsetzliche Grausamkeit, entsetzliche Hilflosigkeit, er gehört zum Unerträglichsten, was ein Autor seinen Lesern zumuten kann. Jetzt hat Kristina Gehrmann einen Comic draus gemacht. Der ist leider ziemlich harmlos.
Das Original zeigt erbarmungslosen Kapitalismus
Sinclair schildert das Schicksal einer litauischen Großfamilie, die in die USA auswandert. Sie wollen sich eine Existenz in Chicago aufbauen, durch harte Arbeit. Und Journalist Sinclair, der zuvor in Chicagos Fleischindustrie recherchiert hat, schildert minutiös, wie der entfesselte Kapitalismus die Familie systematisch aufsaugt und zermalmt, so wie tausende anderer Familien jener Zeit.
Nicht nur mit endlosen Arbeitstagen für lächerliches Geld: Es geht auch um Arbeitsbedingungen, die sogar den bärenstarken Helden Jurgis Rudkus zermürben müssen. Verletzungen sind an der Tagesordnung, Vorkehrungen gibt es keine, weil man Verletzte einfach durch neue Mitarbeiter ersetzt. Man kann es nicht anders sagen: Die Schlachthöfe und Fabriken verarbeiten nicht nur Kühe und Schweine, sondern die angestellten Männer, Frauen, Kinder gleich mit.
Die Schwachen kämpfen – aber gegeneinander
Sinclair schildert den Dreck, die bittere Kälte im Winter, die Hitze im Sommer, Akkordhetze, durch die Unfälle zu Normalfällen werden. Parallel zeigt Sinclair genauso klar, wie die Armen sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen, der Schwache den Schwächeren betrügt und bestiehlt. In dieser Welt zählt nur das Recht des Stärkeren, und wer Sinclair liest, ist dankbar, dass es heute eine Gewerkschaft gibt, eine SPD, eine Linkspartei, einen Arbeitnehmerflügel in der Union. Als Comic ist das gut, sogar sehr gut vorstellbar, wo liegt also bei Gehrmann der Fehler?
Das mit der Perspektive kriegt sie noch ganz gut hin: Sinclair erzählt in einem verdächtig milden Ton, den Gehrmann mit ihrem Figurenstil auffängt: Ssie verordnet ihren Protagonisten eine mangaartige Niedlichkeit. Jurgis hat etwa große Kulleraugen und eine drollige Knollennase. Aber schon der nächste Schritt misslingt komplett: Sinclair konterkariert seinen Märchentonfall mit erbarmungsloser Präzision, was reale Verhältnisse angeht. Eben diese hässliche Realität mag aber Gehrmann nicht zeichnen.
Sinclair wird drastisch, Gehrmann nicht
Sie zeigt wenig aus Sinclairs Fabrikhöllen, ihr Chicago hat kaum Schmutz, reichlich Platz, selbst die Straßen sind nicht voll – und das in einer Stadt, die von Arbeitskräften derart überlaufen ist, dass die Menschen für einen Job alles geben, inklusive Geld und Sex.
Es ist kaum zu glauben, wie meilenweit Gehrmann ab hier das Ziel verfehlt.
Die Menschen sind bei ihr ordentlich gekleidet, wenn Kinder auf der Straße lungern, legen sie sich saubere Tüchlein unter den Hintern – das ist Armut aus der Puppenstube. Dazu passt, dass Gehrmann Sinclairs drastisch-plastisches Elend gern in Dialogen abfedert. Sich in einem Medium, dessen Stärke das Bild ist, aufs Schriftliche zu verlassen, ist, gelinde gesagt, unglücklich.
Kindstod entfernt, Heiteitei eingebaut
Wirklich ärgerlich aber ist Gehrmanns Neigung, schwer Erträgliches auch noch großzügig zu entfernen und durch Heiteitei zu ersetzen. Wir sehen die strahlende Mangafamilie bei der Geburt des kleinen Antanas im geräumigen Wohnzimmer, wir sehen, wie dumm sich Jurgis beim Wickeln anstellt, aber dass der Kleine nach nur anderthalb Jahren durch die vermoderten Holzdielen der angeblichen Traumhauses fällt und im Schlamm darunter ersäuft, erfahren Gehrmanns Leser nicht – warum auch: von Schlamm und Moderbohlen haben sie nie was gesehen.
Auch vom Tod Onas bei der zweiten Schwangerschaft bekommen sie nichts mit, oder von Jurgis Trunksucht oder Marijas Morphinproblem. Bei Sinclair wird Jurgis Neffe Stanislovas von Ratten aufgefressen, aber wo sollen in Gehrmanns Schnuckel-Chicago Ratten herkommen? Der kleine Kristoforas stirbt bei Sinclair an einer Lebensmittelvergiftung durch den wurstähnlichen Dreck eben jener Ekelfleisch-Fabriken. Pikant, könnte man sagen, aber leider hat Gehrmann Kristoforas komplett aus dem Comic entfernt.
Andere zeigen: Es geht besser
Man hätte sich Vorbilder nehmen können, ja müssen. Eddie Campbell etwa, der in „From Hell“ Londons Enge, Kälte, Elend um 1890 zeichnete, gleichfalls in schwarz-weiß. Oder Barbara Yelins trübes, bleistiftiges Bremen-Portrait in „Gift“. So bleibt nur die Enttäuschung über eine verpasste Chance: In einer Welt, in der immer mehr Demagogen von Trump bis zur AfD hemmungslos Rücksichtslosigkeit predigen, wäre es wichtig gewesen zu zeigen, warum sich die Menschen so mühsam von eben dieser Rücksichtslosigkeit befreit haben. Doch Gehrmann zeigt statt Unerträglichem lieber Unannehmlichkeiten. Und das ist zu wenig.
Kristina Gehrmann/Upton Sinclair, Der Dschungel, Carlsen Verlag, 28 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
Zwei Comics verarbeiten Zeitgeschichte doppelt gut: Die US-Nahostpolitik entpuppt sich als planloses Dauerchaos – und Stalins Tod wird zum mörderischen Polit-Thriller
Können Comics Geschichte nachvollziehbarer erklären als andere Medien? Klar: Asterix illustriert sehr schön die römische Legion, aber Zusammenhänge versteht man dadurch noch nicht. An den Zusammenhängen versuchen sich jetzt zwei Neuerscheinungen: das Duo David B./Jean-Pierre Filiu mit Teil drei ihrer Serie „Die besten Feinde“, das Duo Fabien Nury/Thierry Robin mit dem Band „The Death Of Stalin“, dessen Verfilmung Ende März ins Kino kommt. Das Ergebnis: Gut sind beide Bände, aber einer ist sagenhaft.
Provokante Bilder wie von Klaus Staeck
Das liegt auch am Thema: B./Filiu wollen in „Die besten Feinde“ das Dauerfiasko der US-Nahostpolitik verständlich machen. Erfahrung hat B. (eigentlich Pierre-Francois Beauchard) reichlich: Beim Festival in Angouleme ausgezeichnet, hat er schon öfter als Comic-Historiker gearbeitet. Diese Routine spürt man: Es funktioniert erstaunlich gut, obwohl die Comic-Form wenig dazu beiträgt.
B.s Bilder sind expressiv, er porträtiert seine Protagonisten holzschnittartig, fast immer von vorn oder im Profil. Sachverhalte illustriert er grell und plakativ. Den Ausbruch des Aufstands im Irak 1991 gegen Saddam Hussein bebildert er mit einem schreienden Revolutionär, aus dessen Mund ein weiterer kriecht, aus dessen Mund wieder ein weiterer herauskommt. Den Verrat an diesem Aufstand (den die USA erst förderten, dann aber aus Angst vor einer Mullah-Herrschaft im Stich ließen) symbolisiert ein Rebell, an dem der US-General Schwarzkopf und Ayatollah Rafsandschani zerren.
Mal ungeschickt, mal ahnungslos
Häufig ergibt das einen skurrilen Beigeschmack, aber diese 1:1-Illustrationen stützen vor allem die Aufmerksamkeit und kommen erst durch den Text zur Geltung, der das Thema sehr gut aufarbeitet. Knapp, zuspitzend, erfreulich wenig wertend. „Die besten Feinde“ zeigt ungeschönt, aber auch ohne Polemik eine imperialistische Supermacht, die ihre Attraktivität durch eben die Prinzipien gewinnt, die sie zur Verteidigung ihrer Interessen und jener Prinzipien immer wieder verrät. Oft zwangsläufig, oft aus Ignoranz.
Wie die USA glauben konnten, im Irak oder in Afghanistan bekäme man nach dem Krieg einfach eine stabile Demokratie, ist heute noch unbegreiflicher als damals – und leuchtet durch wiederkehrende Elemente ein, die David B. schön herausarbeitet: tiefes Desinteresse und eine Naivität, die schon vor Trump nahe an der Doofheit liegt. Nur so versteht man, wie die USA – allen alles versprechend – die Öl-Partnerschaft mit Saudi-Arabien praktisch zeitgleich mit dem Staat Israel realisieren konnten. Band drei endet im Jahr 2013, mit Obamas Versuch eines Rückzugs aus dem Nahen Osten. Man darf getrost davon ausgehen, dass Washington längst Material für eine weitere Fortsetzung erarbeitet.
Die Angst beherrscht die Diktatur bis in die Spitze
„The Death Of Stalin“ hat es da leichter: Der Band pickt geschickt eine prächtige Rosine aus dem Kuchen der Geschichte – die Vorgänge rund um den Tod Josef Stalins 1953. Die Vermarktung als Satire ist dabei wohl dem Film geschuldet, der Comic ist vor allem ein exzellenter, beklemmender Polit-Thriller. Die Story: Der 75-jährige Stalin schwebt nach einem Schlaganfall zwischen Leben und Tod – die Spitzen der Partei kommen zusammen und beratschlagen, was zu tun ist. Sofort ist klar: Hier geht es nicht um die Zukunft des Kommunismus, sondern um Opportunismus, Misstrauen und vor allem nackte Angst.
Es hilft, wenn man weiß, was vorher passiert ist: Stalin hat seine Partei und sein Volk erbarmungslos gesäubert. Damit ist nicht Degradierung oder Verbannung gemeint – er ließ die Konkurrenten umbringen, mit oder ohne Schauprozess, dann wurde von oben nach unten hunderttausendfach, millionenfach gemordet. Entscheidend war dabei nicht mehr die (ohnehin fragwürdige) Schuld, sondern der Terror.
Komplizen, Kriecher, Karrieristen
Die verschlagenen Gestalten, die sich nun beim siechen Stalin sammeln, sind Produkte dieser mörderischen Gewaltherrschaft – Komplizen, Kriecher, Karrieristen. Leute wie Beria, Molotow oder Chruschtschow haben gelernt, dass nur Stalins Wohlwollen Sicherheit garantiert. Sie alle wissen, dass sich ohne Stalin nur derjenige schützen kann, der selbst die Macht erobert. Beim Kampf um Posten geht es nicht um die Karriere, sondern ums Überleben. Das erste Opfer wird Stalin selbst: Aus Angst vor Fehlern und seinem möglichen Zorn verzögern die Politschranzen die medizinische Hilfe.
Genau das ist es, was „The Death Of Stalin“ besser funktionieren lässt: David B. muss vieles erklären, Nury/Robin können vieles einfach zeigen. Auch wer nichts über Stalin weiß, erkennt an der Furcht in den düsteren Panels, wie groß die Gefahr sein muss. Und so werden acht Seiten in einem Sitzungssaal spannend wie die Schießerei am OK-Corral – obwohl statt Kugeln nur verlogene Argumente fliegen.
Nicht minder hilfreich: Nury/Robin lockern das bittere Szenario geschickt auf – die Vorbereitung der Leiche auf den Sarg, das Staatsbegräbnis sind überzeugend inszenierte Hingucker. Da hätte es die kleineren Schummeleien (die sie nicht leugnen), gar nicht gebraucht: Sie beschleunigen manches, erfinden kleinere Szenen dazu. David B. würde das nie tun, aber da ist ja auch das Ziel ein anderes: Wo er knapp zusammenfasst, machen Nury/Robin Lust aufs Vertiefen und Weiterlesen.
Dieser Text erschien erstmals auf SPIEGEL Online.