Als die Forschung laufen lernte: Der charmante Thriller „Stupor Mundi“ führt seine Leser zurück ins stockfinstere Mittelalter und zur Schnittstelle von Glauben und Wissenschaft
Impfen ist schädlich. Der Klimawandel existiert nicht. Die Evolutionstheorie ist erfunden. Und all diese Thesen überprüfe man am besten nicht, sondern lässt sie sich in einem möglichst entlegenen Winkel des Internets bestätigen. Man trifft dieser Tage immer öfter auf Menschen, die hartnäckig versuchen, ins finstere Mittelalter zurückzufinden. Und daher ist es schön, dass der Verlag Schreiber & Leser mit dem so lesenswerten wie unterhaltsamen Comic „Stupor Mundi“ darauf hinweist, wie mühsam es war, aus eben diesem Mittelalter herauszukommen.
Der Kaiser als Wissens-Sammler
Schauplatz und Handlung sind geschickt gewählt, wie Mittelalterologen längst ahnen: „Stupor Mundi“, das „Staunen der Welt“ ist der Beiname des Stauferkaisers Friedrich II., der um 1240 herum hartnäckig versuchte, so viel Wissen wie möglich zu sammeln. Während um ihn her die Menschen über eine Erde voller Teufelswerk und Gotteswunder tappen, hat Friedrich in Apulien das Castel del Monte errichtet, ein Monument der Vernunft: schnörkellos, achteckig, und an jeder der acht Ecken haftet wiederum ein gleichmäßig achteckiger Turm – so weit, so historisch korrekt. Der Comic-Friedrich versammelt dort nun die größten Wissenschaftler und Künstler seiner Zeit, und dorthin lädt er auch den Moslem Hannibal Quassim al Battuti ein, einen Meister der Optik, der sowas wie eine frühe Form der Fotografie entwickelt hat.
Der bislang in Deutschland wenig bekannte Autor und Zeichner Nejib aus Tunesien lockt den Leser mit Skurrilität und lakonisch-leichter Hand in seine Geschichte: Hannibal, die hakennasige Kapuzenkapazität, bringt seine gewitzte, doch gelähmte Tochter Houdeh mit, die sich zur Fortbewegung einem riesigen Leibwächter vorn an den Bauch schnallen lässt. Die aufgeweckte Houdeh ist Hannibals Gedächtnis, sie hat ganze Büchereien auswendig im Kopf.
Ein kniehoher Batman assistiert
Hannibals Gehilfe in der Burg ist Khanefousse, ein eifriger Zwerg, der durch die Schutzkappe für seine empfindlichen Ohren wirkt wie ein kniehoher Batman. Ebenfalls hilfreich einladend für den Leser ist Nejibs Zeichenstil. Der 41-Jährige arbeitet sparsam, mit wenigen Strichen, großen Farbflächen, viel Schwarz, und lässt gerade dadurch mehr Platz für die Geheimnisse der Wissensburg. Davon gibt es genug, denn das Zentrum der Vernunft entpuppt sich eben auch als eine Brutstätte von Intrige und Streit. Und genau hier liegt der eigentliche Reiz des Comics.
Natürlich vermarktet der Verlag „Stupor Mundi“ als Thriller in der Tradition von „Der Name der Rose“. Aber mindestens ebenso spannend wie Hannibals Kampf um sein großes Experiment ist der Widerstand des Glaubens. Denn weil man sich’s im Glauben leichter gemütlich machen kann, wenn man das Wissen vor der Tür lässt, ist Hannibals größter Widersacher der Bibliothekar Gattuso.
"Gott und das Wissen sind ein und dasselbe."
Als Mönch verwahrt er die Forschungsergebnisse, vervielfältigt die Schriften mit seinen eifrig kopierenden Brüdern und misstraut dabei dem angehäuften Erkenntnis-Schatz doch zutiefst: „Meine Liebe zur Wissenschaft endet da wo sie meine Gottesliebe schmälert“, sagt er zu Hannibal, und der entgegnet: „Gott und das Wissen sind ein und dasselbe.“ Womit man ruckzuck beim Islamischen Staat ist, bei den Kreationisten oder auch inmitten einer philosophischen Rauferei.
Wer’s weniger theoretisch mag, für den bietet Nejib in „Stupor Mundi“ einen ausgefeilten Kriminalfall, eine blutige Kreuzigung, einen gespaltenen Schädel, mehrere ausgestochene Augen, die Köpfung von drei sehr niedlichen Affen (oooch) oder auch die perfide Wendung, dass gerade der Wissenschafts-Fan Friedrich Hannibals Fototechnik nutzen möchte, um sowas wie das Turiner Grabtuch zu fälschen: eine Reliquie, die ihm im Konkurrenzkampf mit dem Papst eine völlig unwissenschaftliche, aber dafür um so wirksamere Aura verleihen soll. Ein Gottesbeweis aus der Belichtungskammer – in diesem Fall sind Gott und das Wissen tatsächlich ein und dasselbe.
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.