Das Beste kommt zum Schluss? Ansichtssache: Vier Titel zwischen gut und gewöhnungsbedürftig beenden den kafkaesken Jubiläumswinter
Hellboy'sche Dunkelheit
In Teil 1 der Kafka-Veröffentlichungen habe ich das Team Crumb/Mairowitz auch deshalb gelobt, weil sie mit wenigen umgesetzten Szenen den Eindruck erwecken, man habe die ganze Geschichte gelesen. Dieser Aspekt ist die Hauptkonkurrenz für Texter Corbeyran (Éric Corberant) und Zeichner Richard Horne. Sie haben Kafkas „Verwandlung“ zu einem Album verarbeitet, 48 große Seiten, 30 mehr als Crumb/Mairowitz. Die Auswahl überzeugt dennoch: Corbeyran/Horne lenken die Aufmerksamkeit auf schöne Details wie Gregor Samsas Selbsttäuschung, alles würde schon wieder, würde er es erst mal schaffen aufzustehen und sich anzuziehen. Faustregel: „Nur nicht unnütz im Bett liegen bleiben!“ Oder Samsas Hoffnung, der Chef würde die Partei der riesigen Schabe ergreifen, weil sie sich ja erkennbar nach besten Kräften bemüht. All das illustriert Horne mit trostlosen Grau-Brauntönen und ähnlich viel Schwarz wie in Mike Mignolas „Hellboy“. Alles in allem erfreulich umgesetzt. Kein Wunder, dass Knesebeck inzwischen die 9. Auflage verkauft.
Diamantfehlbesetzt
„Verwandelt“ sollte vermutlich sowas wie ein eierlegender Allzweckkafka werden: Lebensgeschichte und Texte und Comic, und irgendwie kommt auch alles vor, aber eben auch alles zu kurz: In einer Rahmenhandlung wird Kafkas letzte Partnerin Dora Diamant gebeten, von seinem Leben zu erzählen, daraufhin folgt eine Aufreihung von Daten, die nicht mal Kafkas Partnerin so schildern würde. Alexander Pavlenkos Zeichnungen sind solide ansehnlich, können aber das häufig penibel die Vita abklappernde Skript nicht aufpeppen. Besonders ärgerlich: Dass den seitenlangen Kafka-Zitaten schon mal der letzte Absatz fehlt, obwohl der sehr wohl Platz gehabt hätte. So kriegt man nichts fürs Auge, die Authentizität leidet und misstrauisch wird man obendrein. Zum Schluss taucht plötzlich Dora Diamant nochmal auf und beendet das Buch so unmotiviert wie sie es eingeleitet hat. Der Eindruck bleibt: Das geht besser.
Leichtverdauliche KafKanapees
Der Vollständigkeit halber: Nicolas Mahler hat vor seinem Band „Kafka komplett“ schon ein bisschen geübt, mit „Kafka für Boshafte“. Vielleicht hat er auch geholfen, das „Kafka-komplett“-Konzept zu präzisieren: Denn Kafka taugt zwar als Fundgrube, aber nicht für Bissigkeiten nach Art von Karl Kraus. Mal wehleidig, mal aphoristisch, mal experimentierfreudig entstand so eine munter illustrierte Sammlung von KafKanapees, die meist unter der Reduktion zur Pointe und den so hochgeschraubten Erwartungen leiden.
Schlüssel zum Schloss
Ahh, das Schloss. Komplett aussichtslos, komplett deprimierend, zugleich aberwitzig lustig und alptraumhaft. K. kommt in einem verschneiten Dorf an, stellt sich als Landvermesser vor (und ist es vielleicht sogar?) und wird in die mysteriösen Dienste des Schlosses genommen, einer Bürokratie, die offenbar keine Arbeit für ihn hat. Sein aussichtloser Kampf, irgendwie die Beamtenhierarchien zu durchschauen. Die Geliebte aus dem Wirtshaus, das Guckloch, durch das man den Vorstand Klamm beobachten kann. Die idiotischen Gehilfen. David Mairowitz hat die Story eingedampft, Jaromir 99 (der eigentlich Jaromir Svejdik heißt) hat sie in holzschnitthafte schwarz-grau-weiße Panels überführt, die vor allem das Düstere gut treffen. Der einzige Nachteil des guten KafKomics: Er ist in vielen Sprachen neu erhältlich, aber nicht mehr auf deutsch.
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Mehr von Kafka, dem Jahrhundert-Toten: Nicht nur zwei Comics sind zu entdecken, sondern auch die Zeichnungen des Schriftstellers selbst
Es kafkt weiter, geradezu kafkadenhaft. Und zu Recht: Immer wieder fällt auch durch die Comic-Versionen die reizvolle Kauzigkeit des gerade jahrhundertlang Toten auf, sein wehleidiger Witz, seine absurden Ängste, die heutigen wie damaligen Lesern genauso nahekommen wie sie ihnen zugleich fern liegen. Und siehe da: Kafka selbst hat auch gezeichnet. Wie gut er seine Arbeiten selbst fand? Vermutlich ungefähr so: „Ich will niemandem die Mühe des Einstampfens machen.“
Zersäbelt wie alte Bravohefte
Da sind sie also, Kafkas Zeichnungen: Schon schick. Oft sehr knapp, auf den Punkt. Manchmal schön schwungvoll, wie der Fechter (ganz oben), manchmal aus wenigen, eleganten Kurven und Kringeln zusammengesetzt. Meistens spielerisch, der Charme besteht auch in der Kombination aus geringem Aufwand und unerwartet viel Wirkung. Aber für mehr waren sie erkennbar nicht gedacht. Und so viele von ihnen gibt es auch gar nicht. Interessanter ist daher eigentlich die hier schön aufgearbeitete Geschichte ihrer Veröffentlichung bzw. ihrer langen Nichtveröffentlichung.
Auf dem Nachlass saß ja lange Kafkas Schriftstellerfreund Max Brod, der sich erst zierte, dann ein paar Zeichnungen als Appetithäppchen herumreichte, um sie später doch lieber seiner Sekretärin zu schenken. Die sich genauso hartnäckig und bruthennenartig darauf niederließ. Bei der 2022 endlich erfolgten Veröffentlichung zeigte sich schlussendlich, dass Brod die Zeichnungen nicht viel rücksichtsvoller behandelt hatte als die Texte: Er säbelte Kafkas Zeichnungen nach Gutdünken mit der Schere aus dessen Skizzenheft wie weiland jugendliche Fans die Fotos ihrer Lieblingsband aus der Bravo. Aber warum sollte gerade dieses KafKapitel normaler sein als die anderen?
Der Interpret
Kafka und Farbe? Geht das? Die meisten Comic-Zeichner sehen ihre Kafka-Versionen ja eher in schwarz-weiß. Moritz Stetter nicht. Seine Umsetzung von Kafkas „Urteil“ entfernt sich auch deutlich weiter von naheliegenden Bildern als Crumbs bizarr-groteske Variante. Den mysteriösen Geschäftspartner des Protagonisten Georg verstrickt Stetter in pflanzlich-zopfartige Ornamente, und auch während des harten Dialogs zwischen Georg und seinem Vater lässt er den Sohn durch rätselhafte Gehirnwindungen kriechen, bevor er die Beziehung in den Panels geradezu wörtlich in Scherben zerschmettert. Das ist gut und einfallsreich gemacht, die Zufriedenheit des Lesers hängt hier daher wohl auch von etwas anderem ab: ob er seinen Kafka eher illustriert oder eher interpretiert bevorzugt.
Blättern im KafKatalog
Optisch ist es schon angenehm finster, was Danijel Zezelj da in „Wie ein Hund“ zeigt. Geschickte schwarz-weiße Düsternis, etwas zu viel Froschperspektive vielleicht, aber insgesamt bedrückend und cool zugleich. Doch es bleibt rätselhaft, warum Zezelj sich entschlossen hat, statt einer Originalgeschichte lieber aus Kafkatexten eine eigene Story zusammenzustückeln. Es beginnt mit gut gewählten Auszügen aus „Ein Hungerkünstler“, dieser immer wieder verblüffend zeitlosen Kurzgeschichte über Publikumsgeschmack und Künstlereitelkeit (die Wikipedia zufolge das tatsächliche Abklingen der einstigen Attraktion „Schau-Hungern“ in den 1920er Jahren aufgreift). Aber jetzt dichtet Zezelj plötzlich dem Hungerkünstler die Türhüterparabel an. Dann geht’s zurück zum Zirkus und von da zur Botschaft des Kaisers, alles fulminant bebildert, aber komplett beliebig. Letztlich hält man so einen schön illustrierten KafKatalog in Händen, ähnlich überzeugend wie weiland das Beatles-Medley von „Stars on 45“ – was schlussendlich wiederum die Wirkung der Bilder unnötig beeinträchtigt. Schade, eigentlich.
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Das 100. Todesjahr von Franz Kafka inspiriert zu zahlreichen Comics – zwei namhafte Künstler erleichtern dabei den Einstieg in Leben und Gesamtwerk
Alles Gute zum gleich eintreffenden Kafkajahr! Kafkajahr heißt, nicht ganz untypisch: Kafka wäre 2024 nicht 100 Jahre alt geworden, sondern hätte zum hundertsten Mal seinen Tod gefeiert, vermutlich mit einer ungemütlichen Party, der er selbst vorsichtshalber ferngeblieben wäre, aus Abneigung gegen die vielen Leute. Und aus Angst, die Schnittchen könnten falsch belegt sein. Aber die Party ist eh nicht die Hauptsache, sondern der Anlass für Bücher und erstaunlich viele KafKomics. Den Anfang macht ein Gipfeltreffen der Kafka-Porträts: Inhaltlich und gestalterisch erstklassig, dazu mit Promi-Faktor.
Duell der Giganten
Denn Band eins, „Komplett Kafka“, stammt vom kürzlich mit einer Schulleitung geadelten Nicolas Mahler (54), einem spannenden Wiener Grenzgänger, Max-und-Moritz-Preisträger, der von Cartoon bis Comic und Thomas-Bernhard-Adaption (gelesen von Georg Schramm) alles probiert, meist mit Erfolg. Mahler fordert den (am 2. Januar erscheinenden) Band „Kafka“ heraus.
Eine Wiederveröffentlichung, die vor 30 Jahren erstmals bei Zweitausendeins erschien. Dahinter steckt der Szenarist und Drehbuchautor David Zane Mairowitz, für die Illustrationen sorgte Comic-Legende Robert Crumb (heute 80). Namhafter geht’s kaum.
Drei Kurven, vier Streifen: ein Kafka
Tatsächlich ähneln sich beide Bände von der Herangehensweise verblüffend: Sie schildern Kafkas Leben und Umfeld, dazwischen interpretieren sie Auszüge aus seinen Werken. Mahler arbeitet dabei optisch reduzierter, häufig mit seinen langnasigen Figuren, sein Kafka ist aber ein Männchen aus drei Kurven (2 Ohren, 1 Nase) und zwei dicken, zwei schmalen Streifen (Seitenscheitel, Augenbrauen). Crumb zeichnet wie immer, die latente Selbstverachtung, die er sonst sich selbst angedeihen lässt, überträgt er nahtlos auf Kafka.
Damit sind beide eigentlich gleich nahe am Autor: Kafka selbst zeichnete (dazu demnächst mehr) mit seinen reduzierten Strichen und Kurven überraschend mahlerhaft. In punkto Selbsteinschätzung, dem Gewimmer, der weinerlichen Selbstanklage, dem (Selbst-)Bild vom Bücherwurm mit der schlechten Haltung kommt hingegen Crumb Kafka charakterlich so nahe, dass man ihn sich kaum anders vorstellen kann. Zudem wirken Crumbs altmodische Schraffuren erstaunlicherweise der Zeit Kafkas näher als Kafkas eigene Zeichnungen.
Der Langsamkauer
Inhaltlich sind die Unterschiede noch auffälliger. Mairowitz liefert ein facettenreiches Porträt Kafkas (inklusive seiner zahlreichen Macken) und seiner Zeit. Crumb, ohnehin Nostalgiker, liefert mühelos die Bilder des alten Prag, aber elegant-beiläufig auch das kuriose Element. So zeigt er Kafka am familiären Esstisch, freudlos dreinschauend kaut der stets um Optimierung seines Körpers bemühte Vegetarier jeden Bissen 30-mal – daneben sitzt sein wurstfressender Vater und wird schon beim Zuschauen so wahnsinnig wie man selber wahrscheinlich auch neben einem Kafka würde.
Da kann Mahler nicht mithalten, auch, weil ihm das eigene Konzept in den Weg geraten muss. Die karikaturhaft reduzierten Mahlereien können als Illustration nicht so vielseitig sein wie Crumbs ausgefeilte Panels, ihre Stärke ist der humoristische Kommentar. Mahler kann kaum anders als ständig nach Pointen zu suchen. Und selbst wenn er sie wegließe: das karge Bild wirkt immer wie ein trockener Gag. Was bei den Texten Kafkas manchmal noch ungünstiger sein kann.
Literatur auf engstem Raum
Das Folterbett in der „Strafkolonie“ ist bei Crumb ein ausgefeiltes Instrument des Entsetzens, bei Mahler schweben über dem Bett vier Gelenkarme von der Gruseligkeit einer Schreibtischlampe. Schon klar, Mahler kann Stil und Tonart nicht beliebig wechseln, und er federt das geschickt ab, indem er den Fokus vom Inhalt „Strafkolonie“ auf die irritierte Reaktion der zeitgenössischen Literaturkritik („kann nur Ekel erzeugen“) richtet. Trotzdem sind Mairowitz/Crumb flexibler, was sie zugleich zu einer erstaunlichen Meisterleistung nutzen.
Fünf Comic-Seiten gönnen sie sich für Kafkas Erzählung „Das Urteil“, 17 für die „Verwandlung“, neun für die „Strafkolonie“, acht für den ganzen Roman „Der Prozess“. Und dennoch hat man hinterher einen so starken Eindruck vom Text und seinen Eigenheiten, dass man glaubt, das ganze Werk gelesen zu haben.
Pointen mit Respekt
Mahler kann den beiden hier unmöglich folgen. Seine einzige Chance wäre, mehr mit Pointen zu punkten – aber davor bewahrt ihn der Respekt: Mahler erkennt zutreffend, dass Kafkas Reiz die Ambivalenz ist. Die 1000 besten Kafkalauer würden mehr schaden als erreichen. Doch um mehr Freiheiten zu haben, müsste er mehr Mahler weglassen – und das wäre auch jammerschade.
Dennoch ist verständlich, dass die Münchner Villa Stuck erhebliche Teile ihrer noch bis Februar dauernden Kafka-Ausstellung mit großformatigen Reproduktionen des Teams Crumb/Mairowitz bestreitet. Nicht-Aussteller machen jedoch mit beiden Bänden keinen Fehler.
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