Fünf Mangas in fünf Minuten (VI): Von übler Abzocke bis zum faszinierenden Erotik-Grusel – der letzte Teil des Manga-Tests deckt nochmal alles ab
Arm dran
Hier war ich echt neugierig: Ich bekam „Berserk“ aus berufenem Munde ans Herz gelegt. Aber letztlich ist's nur eine recht klobige Kreuzung aus Django und „Evil Dead“. Der Held dieser Kreuzung heißt Guts, ist im europäischen Mittelalter in eigener Sache unterwegs (vermutlich Rache) und kämpft gegen Monster und Bösewichte. Der linke Arm fehlt ihm, er kann stattdessen eine schnell schießende Armbrust dranmontieren, außerdem hat er ein Schwert, das länger ist als er selber. Ob da noch was dazukommt? In Band 1 jedenfalls nicht, da laufen die vielen Zweikämpfe so ab, dass Guts erst verprügelt wird und dann mit seinem unhandlichen Schwert zurückdrischt. Hm.
Als heiteres Element gibt's noch einen Elf, aber der übernimmt klassische Mangafunktionen: Er staunt über den Helden, oder er bangt um ihn und sagt: „Oje!“ Bleiben die Monster, die tatsächlich recht einfallsreich sind. Trotzdem: dünne Suppe, wenig Einlage.
Der Sprücheklopfer
Das ist für mich wirklich schwer gut zu finden. Der skrupellose Superheld Deadpool ist dank seiner schier unbegrenzten Selbstheilungskräfte nicht totzukriegen. Weshalb die Spannung bei seinen Duellen so rasch auf den Nullpunkt sinkt, dass er die Zeit im Comic vorwiegend damit verbringt, Sprüche zu reißen oder mit den Lesern zu sprechen. Gerne bewirbt er dabei auch seinen eigenen Comic oder reißt Filmwitze wie: „Warum explodieren Autos eigentlich immer?“ (was die „Simpsons“ schon vor 30 Jahren beobachtet haben). Letztlich sind auch seine anderen Sprüche selten besser als die des frühen Spider-Man, und um den durfte man wenigstens noch Angst haben.
Aber mit genug Entschlossenheit zum Amüsement kann man sich's natürlich jederzeit schönlesen.
Teure Spielregeln
Sowas: Das ist mal zugleich vertraut und ganz anders! „Pokémon – Die ersten Abenteuer“ fängt mit einer brauchbaren Szene an, erklärt dann, was ein Pokémon ist, und folgt einfach dem jungen Rot, der, naja, Pokémontrainer werden will. Nicht originell, aber immerhin nachvollziehbar, und dann trifft er diesen Professor. Der gibt ihm ein Pokédex. Im Pokédex sammelt man die Infos über die Pokémons, wer alle hat, wird der „ultimative Pokémontrainer“. Und für alle, die's noch nicht begriffen haben, hält Rot 20 Seiten später nochmal das Kästchen groß ins Bild und präzisiert: „Ich habe vor, alle Daten, zu den Hunderten von Pokémon, die es in der Welt gibt, hier einzutragen und ein perfektes Lexikon zu erschaffen“... Moment mal.
Kann's sein, dass das Ding nur deshalb so verständlich ist, weil es nichts anderes ist als die &/*§!-Spielregeln für diese &%$!-Sammelkarten? Etwas, das den Dingern eigentlich gratis beiliegen sollte? Hältste doch im Kopf nicht aus!
Geister machen Lust
Ironie voll off. Auf Null. „Die Nacht hinter dem Dreiecksfenster“ ist extrem originell, wenn auch schwer einzusortieren. Der Geisteraustreiber Hiyakawa entdeckt in einem Buchladen den talentierten Verkäufer Mikado, der Geister viel besser sehen kann als er selbst. Doch Mikado fürchtet sich. Mit Engelszungen und Geld überredet Hiyakawa Mikado, bei ihm mitzuarbeiten. Noch nicht so besonders? Kommt noch.
Zwecks besserer Kooperation müssen beide irgendwie verschmelzen, was sich seltsam geil anfühlt. Hiyakawa genießt diesen angenehmen Nebenaspekt. Mikado ist reichlich irritiert. Das ist sexy und amüsant zugleich, obwohl niemand auch nur ansatzweise nackt ist. Schon mal eine Rarität. Aber es kommt noch besser: die Geisterbegegnungen, die sie haben, sind wirklich spooky. Auf eine clevere Art spooky, so wie das Mädchen ohne Gesicht in „The Ring“. Dazu kaum Soundwords, Zeichnungen im reduzierten Mangastil, also sehr realistisch. Richtig, richtig gut.
Copy and manga
Tja, von wem ist dieser Comic? Von wem ist „Star Wars: Rebels“? Die „redaktionelle Leitung“ hat die Lucasfilm, die „Vorlage“ stammt von der Walt Disney Company, und dann, an dritter Stelle, kommt dann überraschend doch noch der Typ, der den Kram letztlich zeichnen musste: Akira Aoki. Er ist so wichtig, dass man ihm gleich den falschen Vornamen verpasst hat, er heißt nämlich (ab Band 2 auch gedruckt) Mitsuru Aoki. Entsprechend viele Freiheiten hatte er auch: Wer die gleichnamige Anime-Serie sieht, findet den gleichen Start, die gleichen Bilder, die gleichen Kameraeinstellungen. In ein paar Jahren fertigt sowas die KI serienmäßig bei allen Animes auf Knopfdruck. Aber immerhin: Das Lesen spart Zeit. Die DVD verschlingt über fünf Stunden, die drei Mangabände kann man in drei Stunden schaffen.
... und damit endet diese Manga-Testreihe.
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Härtetest für Kindercomics (Finale): Die Zutatenliste von „Animal Jack“ hat alles, was Kinder mögen. Aber schmeckt Julia (11) auch das fertige Gericht?
Puuuh. Bei „Animal Jack“ sträubt sich mir sofort alles, und da weiß ich noch nicht mal, dass Zeichnerin Isabelle Mandrou alias Miss Prickly schon die schreckliche „Adele“ mitentwickelt hat. Es liegt an der Sparkassencomic-Optik. An den berechnend verbratenen Kinderelementen. Aber: Der Comic soll ja dem Wurm schmecken, nicht dem Fisch oder so…
„Politiker sind alle korrupt“?
Worum geht's? Jack ist ein Bub, der sich alle Nase lang in ein Tier verwandelt. Etwa wie Fred Clever, Jack scheint es aber nicht immer steuern zu können. Sprechen kann er jedenfalls nicht, weshalb immer irgendwer seine Verwandlung beschwafeln muss. Und falls keiner da ist, hat Jack ein Glühwürmchen dabei, das seinen belehrenden Senf dazugibt. Das nervt, aber so richtig ärgert mich etwas anderes.
Auch Jack muss einen Wald retten. Doch die Bedrohung sind hier nicht die Wünsche der Eltern, der Gesellschaft, sondern korrupte Politiker und Bosse. Weshalb der Comic einfach einem Waldbewohner unwidersprochen in den Mund legt, „die Politiker sind alle korrupt“ und Wahlen würden nichts ändern. Schon klar: Je weniger Demokratie, desto gesünder der Wald. Ich bin so sauer, dass es schwer wird, nichts zu sagen, als ich Julia den Comic gebe. Aber ich halte den Mund.
Posterqualität statt Storytelling
Julia auch, aber nicht wegen der Politik. Jack scheint irgendwie so gar keinen Eindruck zu hinterlassen. Es ist zwar alles drin, was sie mag (Tiere, Magie), aber ein Zuckerwürfel und ein Löffel Fett sind halt nur rein rechnerisch dasselbe wie ein Keks. Weshalb Julia auch die Höhepunkte eher aussucht wie im Poster-Shop, weniger aus der Handlung heraus.
Die niedlichste Stelle: Jack schmust mit Tieren
Die beste (weil lustigste Stelle): Jack kommt als Hund heim und schlabbert seinen Vater ab
Julias Entscheidung
Das Ranking bestätigt den Eindruck: Julia fängt von unten an, weil's effektiver ist. „Adele“ wird überholt, aber dann schwindet der Schwung. Die Top-5 sind außer Reichweite, „Jack“ muss sich mit „Trip mit Tropf“ und „Willkommen in Oddleigh“ auseinandersetzen...
1. Idefix und die Unbeugsamen
2. Alldine & die Weltraumpiraten
3. Das unsichtbare Raumschiff
4. Zack!
5. Witches of Brooklyn
6. Hugo & Hassan forever
7. Boris, Babette und lauter Skelette
8. Hände weg von unserem Wald!
9. Trip mit Tropf
10. Willkommen in Oddleigh
11. Animal Jack
12. Karl der Kleine: Printenherz
13. Superglitzer
14. Die schreckliche Adele
P.S.
Ein kleiner Nachtrag: Tanja Eschs „Boris, Babette und lauter Skelette“ hat zur Frankfurter Buchmesse 2023 den Preis den Deutschen Jugendliteraturpreis abgeräumt. Kann man trotz Platz 7 bei Julia absolut vertreten.
Das war's: auf Wiederlesen in der nächsten Staffel!
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Grandios gezeichnet, raffiniert inszeniert, Action bis zum Herzkasper: Die Fantasy-Serie „Klaw“ ist richtig, richtig gut - und findet in Deutschland keinen Verleger
Ich versteh’s nicht. Null. Dieser Comic hat alles, einfach alles für einen richtigen Bestseller. Er sieht geil aus und zugleich anspruchsvoll. Er hat eine eigenständige Geschichte, traumschöne Actionszenen, ist knallbunt und aufregend. Man muss sich auch nicht lang reinfinden, die Story explodiert schon auf Seite 3. Und sie ist keine Eintagsfliege, es gibt inzwischen zwölf Bände. In Frankreich, in Italien, in England und den USA.
Aber nicht in Deutschland.
Der Comic heißt: Klaw.
Neuer Mix mit vertrauten Elementen
Die Handlung ist ein Highlander-Superheldenmix, die besondere Zutat sind: Tiere. Wir lernen den Jungen Angelo kennen, genannt Angel, er ist Sohn eines Mafiabosses (was er aber nicht weiß). Eines Tages wird Angelo von Mitschülern verprügelt und verwandelt sich in seiner Not in sowas wie eine Mischung aus Hulk und Werwolf, einen Wer-Tiger. Schon dieser ersten vier Seiten sind fantastisch.
Seite 1: Schulalltag. Große Pause im Treppenhaus. Lauter Schüler, und jeder einzelne bewegt sich superecht, redet mit anderen, hat so viel Eigenleben, dass die Schule vor Lärm und Leben nur so brummt. Angel sieht seine Gegner, flieht in den Keller.
Seite 2: Der Fluchtweg - eine Sackgasse!
Seite 3: Angel wird verhauen. Eine Konkurrenzbande trifft ein. Und während beide Gangs streiten, wer das Opfer kriegt, setzt die Verwandlung ein.
Seite 4: Der Tiger. Und was für einer!
Bud Spencers Brummen wird zum Zirpen
Menschliche Gestalt, enorme Athletik, zweieinhalb Meter hoch, mit Tigerfell und einem derart bedrohlicher Kopf, dass man sich verkriechen möchte. Er trägt noch Angels Hose, hinten ringelt sich ein langer Schwanz heraus. Und wenn er spricht, klingt Bud Spencers Stimme wie ein Zirpen.
Der Tiger sieht nicht nur hammermäßig aus, Zeichner Joël Jurion setzt ihn auch hammermäßig in Szene. Wie er ihn aus einer Geistwolke auftauchen lässt, wie er durch geschickte Blickwinkel den gigantischen Tiger aufragen lässt, wie er Action und Wirkung gegeneinander schneidet, das wirkt genau so großartig wie gedacht.
Grell und explosiv: Angels erstes Mal
Auf Seite fünf spielt er erstmals mit den Panelformaten, mal thront der ganze Tiger auf seinem Opfer und brüllt, dass man vom Hinschauen taub wird. Dann: Die Tigerfaust vor dem Zuschlagen! Der Tiger klein, weil: vorne ganz groß die entsetzten Kinderaugen! Dann nur noch der aufgerissene Kindermund klein, weil sich davor die Kinderfinger verkrampft in den Boden krallen, und davor sind die Rillen, die diese verzweifelten Finger im Boden hinterlassen. Ende der Szene: Angels lakonischer Satz: „Das war das erste Mal, dass ich mich in einen Tiger verwandelte.“
Die Kinder werden natürlich nicht aufgefressen. Sie beschweren sich beim Rektor und keiner glaubt ihnen, aber so erfahren wir von Angels Gabe, mit der er danach natürlich viel angemessenere Gegner bekämpfen wird. Der Tiger ist ein Dizhi, ein Totem, das sich seit uralten Zeiten immer wieder einen menschlichen Wirt sucht. Es gibt nicht nur einen Dizhi, sondern zwölf, und das sind nicht alles Tiger, sondern es gibt auch die Ratte oder das Pferd oder das Kaninchen. Alle haben unterschiedliche Eigenschaften, und ihre Wirte sind nicht immer nett, freundlich oder auch nur Kinder. Aus diesen Zutaten entwerfen Jurion und sein Szenarist Antoine Ozanam eine atemberaubende Sage mit immer neuen Verwicklungen und irrsinnigen Zweikämpfen, denn wer einen Dizhi tötet, kann dessen Totemtier und seine Fähigkeiten highlandermäßig in sich aufnehmen.
Und daher meine Ratlosigkeit: Die Geschichte ist einerseits vertraut, aber optisch ungewohnt und aufregend, dabei aber mit einem leichten Mangatouch gefällig gewürzt. Immer neue Wendungen vermischen Freund und Feind wie in einer erstklassigen Mystery-Serie, und die Dynamik ist vorbildlich: Das Verwandlungselement darf ja nicht zu oft erscheinen, damit es immer wieder ein Höhepunkt ist, und wie Ozanam hier geschickt das Tempo rausnimmt und verzögert, ist der Zeichenkunst von Jurion ebenbürtig. „Klaw“ ist exzellentes Handwerk im Dienst von purem Entertainment. „Klaw“ könnte sooo viel schlechter sein, ist aber sooo viel besser. Und das größte Rätsel von allen: Autor Antoine Ozanam ist nicht meine supermühsame Entdeckung.
Top-Handwerk, pures Entertainment
„Klaw“ erscheint in Frankreich bei Dargaud, das ist keine Miniklitsche, sondern der Laden, der Asterix verlegt. Antoine Ozanam hat auch bereits bei zwei namhaften deutschen Verlagen veröffentlicht: „Burn Out“(avant-verlag) und „Dschingis Khan“ (Splitter). Die sagen also sicher nicht: „Antoine wer?“ Und Ozanam hat sicher auch nicht beschlossen, „Klaw“ geheim zu halten.
Soeben ist der vierte Sammelband auf englisch erschienen. Tja, und jetzt die Frage: Bin ich der Einzige, der das für so toll hält? Liege ich wirklich so komplett daneben? Funktionieren magische Viecher nur in der richtigen Schule, aber nicht im Actionsegment? Weiß ich tatsächlich nicht, wie kommerziell ansprechende Supertier-Battles aussehen müssen? Bilde ich mir das alles womöglich nur ein? Finden Sie's raus!
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