Noch 23 Tage und keine Geschenk-Ideen? Nicht weinen: Hier kommt fünfmal Abhilfe, mal skurril, mal kostenlos

Was denn noch alles?!? Nach der Klima-, Ukraine-, Nahost- und der Ergebniskrise der Nationalmannschaft ist nahezu unbemerkt eine weitere Krise ins Land gesickert: die Weihnachtskrise – und sie trifft Millionen! Laut einer wilden Vermutung wissen neun von zehn Deutschen nicht, was sie Millionen anderen Deutschen schenken sollen. Am härtesten trifft es wie immer: die Comic-Fans. Der Staat? Tut nichts. Olaf Scholz, glühender Comicfreund ohne nähere Angaben, sitzt die Probleme aus. Nur auf einem kleinen, fast völlig unbekannten Blog ist Rat zu finden. Nämlich: hier. Und Sie sind auch schon da? Wunderbar!
Tipp 1: Das Gartenparadies

Grandios, aber auch denkbar merkwürdig: „Kohlhoffs Garten“ gibt sich als eine Art Grußpostkarten-Katalog für ein bizarres Freizeitparadies. Also posieren lauter glückliche Leute in 50er-Jahre-Klamotten vor Attraktionen wie dem „Katastrophenwunderland“, wo man auf der sinkenden Titanic oder dem bald explodierenden Luftschiff „Hindenburg“ schaukeln kann. Man kann Riesenschweine reiten („Ein Taxi aus Fleisch!“), der Frühstückssaal ist so voll mit Schmetterlingen, dass man besser nicht den Mund zum Beißen öffnet, und nur anhand der wegfliegenden Hüte wird beim Blick auf die Schiffsschaukel klar, dass Drinsitzen eigentlich nicht so recht angenehm sein kann. Der Werbetext daneben jubelt dazu: „The feeling of dying is a wonderful refreshment!“ Olrik Kohlhoffs ausgefeilte Kohlezeichnungen saugen den Betrachter in eine entsetzliche Amüsierwelt, für deren Zweischneidigkeit es aktuell kaum Vergleiche gibt: Der Baron des Bizarren, Eugen Egner, fällt ein, oder Loriots gelegentlich schwarzhumorige Cartoons. Und in dieser Reihe großer Namen fällt Kohlhoff nicht ab. Der Extra-Vorteil: Der Band ist mehr Cartoon als Comic, auch gut informierten Comicfans könnte dieses Kleinod daher bislang durch die Finger gerutscht sein.
Tipp 2: Neu aufgerollt

In Berlin sitzt die kleine Firma round not square, die jetzt schon seit längerem eine Einzigartigkeit produziert: Rollcomics. Dahinter verbirgt sich eine simple Rolle Papier, etwa zewagroß, sehr lang, je nach Comic ein Dutzend Meter und mehr. Die Rolle liest sich überraschend komfortabel: Man öffnet den steifen Pappumschlag, nimmt ihn in die linke Hand, die übrige Rolle nimmt man in die rechte Hand, dann zieht man den Comic soweit auf, wie man mag. Links wird aufgerollt, rechts wird abgerollt, das kann man sitzend auf dem Sofa machen, aber auch auf einem Tisch. Der Vorteil ist das Format: Der Zeichner kann so breite Bilder zeichnen, wie er will. Stellen Sie sich einen Film vor, in dem die Kamera nach rechts schwenkt und einfach nicht mehr aufhört – das geht hier auch im Comic. Paul Rietzl hat das mal für eine Weltall-Story genutzt (die noch bestellbar ist), Alex Chauvel erzählt jetzt die Fabel von „Flüssiger Bär“, der das grüne Leben in die Welt bringt. Recht munter geschildert, aber noch spannender ist freilich, auf welche rechtsdrehenden Ideen der neue Künstler kommt. Unter den Höhenpunkten: Wie Chauvel spielerisch den Teppich von Bayeux aufgreift und sein optisch schlüssiges Konzept unterschiedlicher Lebensverläufe, die sich bei jeder Entscheidung neu abspalten und ineinander verwinden. Eine spielerische Erzählung, eine erzählerische Spielerei, etwas, was kaum ein Comicfan kennt und jeder gern in die Hand nimmt, wenn es erst mal ausgepackt ist. Auch, weil nicht nur der Zeichner autonom über die Bildbreite entscheidet – sondern seine Leserschaft genauso.
Tipp 3: Reisezeit für eine Zeitreise

Das hier ist was für den sehr kleinen Geldbeutel – aber keineswegs gering zu schätzen. Verschenken Sie Zeit, gemeinsam verbrachte Zeit, solange es noch ein Deutschlandticket gibt, und entführen Sie die Beschenkten nach Dortmund. Das geht nicht von überall, aber ab Osnabrück im Norden, Bielefeld im Osten, Köln im Süden sollte das in anderthalb Stunden klappen. Und dann purzeln Sie praktisch direkt vom Bahnsteig in den schauraum comic + cartoon. Wo sich die Ausstellung „Staying West“ angucken lässt, die sich dem Westerncomic widmet, die hervorragend ist und trotzdem nichts kostet. Kuratiert von Alexander Braun, weshalb Sie nicht nur irgendwelche Comics an der Wand finden, sondern auch Zusammenhänge. Da erfährt man dann, warum die Argentinier so gute Comics haben, warum die deutschen Comics eher schaurig-schön waren, wie man Traditionsmarken wie „Lucky Luke“ retten kann, und, und, und. Den Katalog zur Ausstellung gibt’s vor Ort obendrein zum Sparpreis. Einziger Nachteil: Das geht an Weihnachten erst ab dem zweiten Feiertag.
Tipp 4: Weniger kann mehr sein

Weg vom immer-mehr: Auch Tipp vier ist recht kostengünstig. Wenn Sie richtig wohnen, sogar gratis, aber auch wer außerhalb von Berlin lebt, zahlt den Verlegern der Moga Mobo Comics nur die Portokosten für ihre eigenwilligen, aber auch einladenden Comic-Projekte. Tatsächlich ist deren Homepage eine erstaunliche, schwer vorhersagbare Wundertüte. Für ihre Umsetzung von „100 Klassikern der Weltliteratur“ (pro Klassiker eine Comicseite) haben sie unter anderem Isabel Kreitz, Nicolas Mahler und Reinhard Kleist verpflichtet, beim selben Projekt mit „100 Greatest Hits“ (pro Song eine Seite mit neun Panels) war auch Mawil mit Nina Hagens „Du hast den Farbfilm vergessen“ dabei. Aktuell hat das Verlegertrio einen lesenswerten Band mit Comic-Künstlern aus der Ukraine aus dem Boden gestampft, die ideale Möglichkeit, lauter extrem unterschiedlich arbeitende Zeichner kennenzulernen. Wer sagt, dass Comics immer teuer sein müssen?
Tipp 5: Heute schon an morgen denken

Weihnachten ist eine einzige Tradition, nicht wahr? Und Geschenkesuchen auch, oder? Machen Sie sich's leicht: Starten Sie mit einer Serie, denn mit etwas Glück haben Sie damit auch schon das passende Geschenk für 2024 ff. Sollte freilich nicht zu gängig sein: „Asterix“, „Peanuts“ und „Prinz Eisenherz“ scheiden daher aus. Aber wie wäre es mit dem klassischen Detektiv-Comic „Rip Kirby“? 14 Bände gibt's bereits, jeder versammelt zwei Jahrgänge meisterhafter Zeitungscomics. Oder, im selben Verlag: „Cisco Kid“, der Cowboy mit dem kompliziertest zu zeichnenden Hemd (siehe Bild)? Für Sportfans: „Ping Pong“ von Taiyo Matsumoto (Band 3 ist frisch raus). „Esthers Tagebücher“ umfassen inzwischen sieben Bände, mit denen gerade Eltern jeweils passgenau und kinderaltersgerecht (10-16 Jahre) beschenkt werden können, vom selben Autor ist man auch mit dem „Araber von morgen“ sechs Bände lang gut versorgt. Oder Will Eisners zwar berühmte, dennoch gar nicht so weitgelesene Spirit-Serie (24 Bände in der Archiv-Ausgabe). Oder „Usagi Yojimbo“, die mal bewegenden, mal actiongeladenen Abenteuer des Samurai-Hasen Miyamoto Usagi (23 Bände auf deutsch erschienen, 15 weitere harren noch der Übersetzung) ... Man sieht: Schenken muss nicht kompliziert sein, Sie müssen nur verhindern, dass der der/die Beschenkte zwischenzeitlich selber einkauft. Und natürlich die Nicht-Comicleser dringend zum Comic bewegen, damit man sie ähnlich nachhaltig versorgen kann.
Schöne Bescherung allerseits!
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George Orwells satirischer Klassiker Animal Farm ist jetzt doppelt als Comic erhältlich: Es ist an der Zeit für einen kleinen Contest

Immer wieder gut: „Farm der Tiere“ von George Orwell. Sie wissen schon: Die Fabel über die Revolution, bei der erst die Tiere die Macht übernehmen, dann aber die Schweine sich als sehr menschenähnliche Ausbeuter an die Spitze setzen. Ähnlichkeiten mit Diktaturen im Allgemeinen und der Sowjetunion Stalins im Besonderen sind natürlich gewollt. Zweifellos ist das Material für einen Comic, wie ihn gerade der Knesebeck-Verlag herausgebracht hat. Etwas überraschend, weil vor knapp drei Jahren Panini bereits dasselbe gemacht hat. Was eine willkommene Gelegenheit zum Produkttest ist: Wer liefert die bessere Variante?
Preislich geht's um fünf Euro
Von den Kosten her hat Knesebeck die Nase vorn: Die französische Version von Patrice Le Sourd (Zeichnungen) und Rodolphe (Text) ist mit 20 Euro etwas günstiger, hat das größere Albumformat, aber weniger Seiten (48). Die Version des Brasilianers Odyr (bürgerlich: Odyr Bernardi) kostet 25 Euro, bietet dafür 180 Seiten, die zwar etwas kleiner sind, aber unterm Strich deutlich mehr Platz ergeben. Die Frage ist freilich: was macht wer aus seinen Voraussetzungen?

Rein optisch ist der Ansatz von Patrice Le Sourd kommerziell zugänglicher: Die Geschichte kommt in sauberen Panels, konventionellen, aber nicht anbiedernden Zeichnungen. Odyr hingegen zeichnet mit breiten Farbstrichen, spielt deutlich nuancierter mit Licht und Atmosphäre, verteilt den Text mal zu den Bildern, mal mit Sprechblasen.
Wer hat wieviel Platz? Wer nutzt ihn?
Und Odyr nimmt sich den Platz, den er hat, auch um explizit Zeit vergehen zu lassen. Was dem Farmleben, der Abfolge der Jahreszeiten, entgegen kommt. Es ist vor allem dieser Vergleich, der zeigt, dass die Knesebeck-Variante Probleme hat, alles unterzubringen.

Hier wird es tatsächlich knifflig: Denn wer die Wirkung von „Animal Farm“ hervorrufen will, braucht tatsächlich trotz des kurzen Ausgangstexts ein bisschen Zeit. Er muss den Traum der Tiere von der gerechten Welt ausbreiten, ihr Leid, ihre Hoffnung – und er darf deren Enttäuschung nicht zu hastig abklappern. Schon der Traum des alten, sterbenden Schweins „Old Major“ im Stall kriegt bei Rodolphe/Le Sourd nur knapp zehn Panels, in denen auch noch die Hymne „Tiere Englands“ abgeliefert werden muss. Odyr hat die doppelte Zahl Panels, er kann Old Majors Ansprache rhetorisch ausbreiten. Le Sourd kann den Stall nicht verlassen, Odyr kann eindringliche Symbolbilder liefern, und die Hymne ist nicht nur komplett abgedruckt, es reicht auch noch für den (originalgetreuen) Hinweis, dass die Tiere so begeistert sind, dass sie das Lied fünfmal hintereinander singen. Es sind solche sarkastischen Details, die einem die Tiere, aber auch die literarische Vorlage näherbringen.
Wer kürzt wie – und wo?
Interessant ist auch die unterschiedliche Kürzung. Als das idealistischere Schwein Schneeball verjagt und vom verbliebenen Oberschwein Napoleon ab sofort für alle Fehlschläge verantwortlich gemacht wird, kann das kräftige Pferd Boxer die verordnete Kehrtwende von Schneeball als Held zum Verräter nicht glauben. Boxer wird zurechtgewiesen. Kurze Zeit später veranstaltet Napoleon Schauprozesse und lässt die Verurteilten von seinen Hunden zerreißen. Auch Boxer wird angegriffen, kann sich aber dank seiner Kraft durchsetzen. Odyr kürzt den Angriff auf Boxer weg, behält aber die blutigen Schauprozesse. Nachvollziehbar: Napoleon wird sich später ja noch an Boxer für dessen öffentlich geäußerte Zweifel rächen. Rodolphe hingegen behält Boxers Sieg, streicht dafür die brutalen Schauprozesse. So triumphiert bei Odyr und Orwell Napoleon, aber bei Rodolphe ist es Boxer. Ohne jede Not.

Das macht einen dann ein wenig misstrauisch, ob Rodolphe sich noch weitere, ähnliche Freiheiten nimmt. Was er tut, in mindestens einem Fall, dem der Farm-Verfassung der Sieben Tiergebote. Die sind anfangs klar und eindeutig, werden aber allmählich von den Schweinen verwässert. Was Rodolphe so attraktiv findet, dass er das Original-Ende gleich doppelt variiert. Der bekannte Satz „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher“ ziert bei ihm munter das Ende der Sieben-Gebote-Liste – und das ist dann das Ende des Comics. Im Buch hingegen ist dieses Gebot als einziges überhaupt noch übrig.
Was verstand schon Orwell von Büchern?
Odyr vertraut hingegen dem Original. Und findet danach auch noch Platz für Orwells tatsächlichen, effektvolleren, eindringlicheren Schluss, der bitter den Wandel der Schweine von Revolutionären hin zu einer anderen Sorte Mensch bilanziert. Rodolphe sieht den Gedanken schon auch, verlegt ihn aber vor und unterschätzt ihn, weil er kaum erwarten kann, seine Gebotstafel-Idee zu präsentieren. Was wusste schon Orwell vom Bücherschreiben?

Fazit: Die Variante von Rodolphe/Le Sourd funktioniert schon auch, wenngleich etwas hektisch und holprig. Dem Original deutlich näher kommt Odyr, nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Wirkung. Weshalb ich wohl die fünf Euro mehr ausgeben würde.
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Lese lieber ungewöhnlich
Man merkt sofort: Dieser Comic ist anders. Zunächst mal: Blassere Neonfarben, ein bisschen leuchtstiftig, das ist nicht der Standard. Und auch die Tiere sind nicht knuddelig. Ist das überhaupt ein Kindercomic? Ich hab's nochmal auf der Verlagshomepage überprüft: Ja, ist er. Und darum geht's:
Die Tiere im Wald finden ein Smartphone. Erst rätseln Fuchs und Elster, was es ist. Dann zeigen die Ameisen, wie man's bedient. Und anschließend bestellen die Tiere eine Pizza. Wie das geht, ohne sprechen zu können? Wie man als Tier überhaupt ein Handy bedient?
All das ist Teil des Spaßes.
Prädikat: fabel-haft
Allerdings ist dieser Spaß anders als bei „Zack!“ oder „Boris und Babette“. Weniger abenteuerlich, eher fabel-haft. Und die Tiere sind auch nicht superniedlich. Die Elster ist sehr natürlich, der Fuchs dagegen eher gestreckt, eckig. Auch die Ameisen sind sehr kantig und winklig, das sieht alles sehr nach Kunst aus. Sehr ästhetisch, aber ... Julia akzeptiert die Optik. Die Story hingegen weniger.
Weil Julia höflich ist, sagt sie: „Naja, ist ein bisschen langweilig.“ Das Selfie, das die Tiere versehentlich machen (was ich ziemlich komisch fand) - Julia zuckt mit den Achseln. Die überall herumliegenden Blätter mit den staunenden Augen, der Pilz, der „OMG“ sagt, all das beeindruckt sie nicht. Eher stört sie, dass es Tiere (oder Pflanzen?) mit langen Borsten gibt, die sie nicht eindeutig zuordnen kann: Was soll das sein? Spontan begeistert ist eher ... die Frau, die mit mir in der Wohnung wohnt. Die sagt sofort: „Das sind aber schöne Farben“. Hm. Ist das wirklich ein Kindercomic? Ja, ist es.
Die beste (weil lustigste) Stelle: Die SMS der Ameisen mit den ganzen Rechtschreibfehlern.
Die zweite Entscheidung
Erneut die Frage: Wenn Julia einen Comic an eine Freundin verschenken dürfte, welcher wäre es?
1. Zack
2. Boris, Babette und lauter Skelette
3. Superglitzer