Die Outtakes (19): Ein schlagkräftiger Nachfolger, ein geduldiger Gruselmanga und eine umständliche KI
Vererbter Job als Hauptfigur
Die Serie um den „Donjon“ hab ich schon mehrfach empfohlen: Sie ist witzig, ironisch, und das für Fantasy-Freunde und -Skeptiker zugleich. Außerdem lernt man immer neue Zeichner kennen. Trotzdem ist nicht jeder der bisher rund 60 Bände gleich gut. Ein prima Band funktioniert (für mich) auch ohne dass man die ganze lange Geschichte kennt (weshalb die Serie anfangs auch kreuz und quer durch die Erzählzeit springen konnte). Der neue Band „Programmänderung“ schafft das nicht. Ist auch schwer, weil der Band am bisherigen Ende des Zyklus spielt. Obendrein wird die Story durch einen Trugschluss geschwächt: Serienhauptfigur Herbert mochte man wegen seiner verschrobenen Schwächen, aber deswegen wird doch nicht gleich dessen Neffe, Sohn, Enkel oder sonstwas ebenfalls gleich als Hauptfigur interessant. So kann der Band trotz aufgeweckter, knallbunter Action leider die Erwartungen nicht recht erfüllen.
Lovekräftig
Also: Das hier mag garantiert jemand, nur ich bin’s leider nicht. Gou Tanabe macht derzeit aus dem Horror von H.P. Lovecraft sehenswerte Mangas – beispielsweise das hier abgebildete „Grauen von Dunwich“. Tanabe serviert das Ganze erfreulich düster und vor allem sehr, sehr geduldig, mit geschickten Verzögerungen und ausgesuchtem, aber nicht zu starkem Splattereinsatz. Ich habe allerdings leider oft ein Problem mit Lovecrafts Schwurbelhorror (auch wenn ich „Die Farbe aus dem All“ recht gut fand). Doch deshalb sollte man Tanabes atmosphärisch sehr passende Adaptionen hier keinesfalls unter den Tisch fallen lassen, gerade als Lovecraft-Fan. Ausprobieren!
Verpasste Vorteile
Ein ehrgeiziges Projekt, mit Tücken. IT-Unternehmer Laurent Daudet und Zeichner Appupen greifen das aktuelle Thema KI auf. Und weil Daudet aus der Branche kommt, stricken sie die einfachstmögliche Geschichte um sich selber: Ein junger KI-Unternehmer steht kurz vor der Übernahme durch einen der Big Player und diskutiert unter anderem mit einem Comic-Zeichner über die Zukunft. Ist KI gut oder schlecht, was kann schiefgehen, wer wird sie nutzen und wie? All das wird debattiert, die einzige Frage, die offenbleibt, ist: Warum als Comic? Denn die Vorteile des Mediums bleiben weitgehend ungenutzt, Appupen illustriert recht brav dem Text hinterher, und weil dieser auch die Richtung vorgibt, wird prompt sehr viel geredet und wenig gezeigt. Was dazu führt, dass man für diese Comicversion mehr Zeit braucht als für einen fundierten Essay desselben Inhalts. Aber, zugegeben: So gibt’s mehr Bilder.
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Manu Larcenets Comicumsetzung des dystopischen Bestsellers „Die Straße“: erbarmungslos, verstörend und alptraumhaft gut
Ich habe die Hölle gesehen, und gezeichnet hat sie Manu Larcenet. Man kann es wirklich nicht anders nennen, obwohl „Die Straße“ (nach dem gleichnamigen Roman von Cormac McCarthy) natürlich auf furchtbare Art unterhaltsam ist. Aber man liest den Comic fassungslos, fühlt sich danach verstört, schockiert, auch deprimiert. Kann man sowas empfehlen?
Nein. Man muss.
„Resident Evil“, „Walking Dead“: alles Pipifax
Die Story ist denkbar einfach: Ein Vater wandert mit seinem Sohn durch eine zerstörte Welt, vermutlich in Amerika. Und „zerstört“ bedeutet in diesem Fall nicht die „Soylent Green“-Welt mit ihrem Rest an Zivilisation. Auch nicht die „Mad Max“-Welt mit ihrem noch kleineren, aber aufregend motorisierten Rest Zivilisation. Oder die attraktiv aufgemonsterte „Resident Evil“-Welt, nein, all das ist Pipifax.
Diese Welt ist unbewohnbar, es ist kalt und regnet Asche, und die „Walking Dead“-Gemeinde kann sich ihre Selbstversorger-Träume in die Haare schmieren: Hier wächst nichts mehr. Die Städte sind im Zustand von Deutschland ’45. Vater und Sohn wollen nach Süden, weil sie „noch einen Winter“ nicht überstehen werden und hoffen, im Süden sei es wohl wärmer. Und so ziehen sie los, in Lumpen gewickelt schieben sie irgendwas Einkaufswagenartiges durch den Schutt.
Das Essbarste: andere Leute
Welche Katastrophe das ausgelöst hat, ist so unklar wie der Zeitpunkt. Fest steht: Er muss einige Jahre zurückliegen. Denn es findet sich kaum noch Essbares, obwohl praktisch keine Menschen mehr unterwegs sind. Das Essbarste sind: andere Menschen. Und weil Vater und Sohn das nicht machen wollen, müssen sie von der Straße, sobald sie von ferne näherkommende Menschen sehen. Jeder Andere ist eine Bedrohung, selbst die Nicht-Kannibalen berauben sich gegenseitig – und es ist schwer zu sagen, was entsetzlicher ist: das komplette Fehlen von Mitgefühl oder das armselige Diebesgut in Form einer Lampe oder einer halbwegs wasserdichten Plane.
Action gibt es wenig. Womit auch? Vater und Sohn haben einen Revolver mit zwei Patronen, die Menschenfresser Messer, Latten, Keulen mit Nägeln, Schusswaffen sind rar (weshalb als Schauplatz die USA eigentlich ausscheiden). Konflikte löst man durch Verstecken und Davonlaufen. Der Gegner sind die anderen Menschen und die Welt, die so unbewohnbar ist, dass man die wenigen brauchbaren Verstecke schnell wieder verlassen muss, weil sie gerade wegen ihrer Brauchbarkeit binnen Kürze andere Menschen anziehen würden. Faustregel: „Man darf nicht an einem Ort bleiben.“
Beiläufiger Horror
Manu Larcenet, der schon „Brodecks Bericht" kongenial bebilderte, illustriert diesen hoffnungs- und ausweglosen Horror mit geschickter Beiläufigkeit. Die Spuren der Gewalt, des Todes, der wiederholten Plünderung bis zum letzten essbaren Krümel sind zwar allgegenwärtig, aber Larcenet erhöht ihre Wirkung mit einem simplen Trick: Er betont stattdessen die menschenfeindliche Umwelt, die ewige Dunkelheit und Kälte, bis das Auge selbst die abstoßendste Spur von Menschen beinahe erholsam findet. Farbe gibt es allenfalls in homöopathischen Dosen, und bei besonderen Anlässen: etwa einer Dose Cola.
Und dann, nach etwas über 150 entsetzlich guten Seiten? Man rätselt beeindruckt. Als feuchter Traum der Prepper-Szene taugt der Comic nicht, die angelegten Vorräte finden bestenfalls andere Überlebende und sind auch sonst viel zu attraktiv für tödliche Konkurrenz. Eine Öko-Mahnung? Weil der Mangel im Menschen nur das Schlimmste hervorbringt? Aber die Menschen reagieren ja schon jetzt heftig, wenn man nur ein Schnitzel weniger pro Woche andeutet. Und trotzdem: „Die Straße“ lässt einen unmöglich kalt. An der Lehre daraus knabbere ich selber noch:
Auf die Welt aufpassen?
Keine Leute töten?
Keine Leute essen?
Finden Sie's raus!
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Vom Nachahmer überholt: Mit „The End“ und „Mechanica Caelestium“ hängen sich zwei Graphic Novels an bestehende Megatrends – und schlagen die Originale um Längen
Heute mal was Schönes aus dem Bereich MeToo. Nein, nicht das MeToo mit den Frauen, sondern das Marketing-MeToo: Also, wenn sich einer an einen bestehenden Trend hängt oder einen Erfolg kopiert. Meist ist das ein billiger, gelegentlich ein teurer Abklatsch, und man kehrt reumütig zum Original zurück. Manchmal kommt aber Besseres dabei raus. Zwei dieser Glücksgriffe hat gerade Schreiber und Leser gemacht. Gut möglich, dass was für Sie dabei ist, weil: Es handelt sich um Megatrends, die Sie kennen und wahrscheinlich sogar mögen.
Nummer Eins ist für Wohlleben-Fans. Jawohl, der Waldflüsterer. Einer seiner Leser heißt Philippe Chapuis, ist Schweizer und zeichnet unter dem Pseudonym Zep Comics. Zep hat sich „Das geheime Leben der Bäume“ vorgenommen, aber daraus keinen Sachcomic gemacht, sondern einen Ökothriller. Ein junger Praktikant kommt ins Forschungslabor eines Baumforschers. Der Prof hört rund um die Uhr das erste Album der Doors und ist auch sonst reichlich verschroben, zum Beispiel glaubt er, dass alle Bäume miteinander reden und Dinge tun, die Wohllesern arg bekannt vorkommen. Weshalb man Zep vorwerfen könnte, dass er sich einfach ins gemachte Nest setzt. Aber: Zep sitzt nicht einfach, sondern sehr geschickt.
Er hat vor allem die Hauptfalle erkannt: Wohlleben überzustrapazieren. Der Baum-Buddy ist bislang der Irren-Schublade entgangen – das kann aber schnell kippen. Also macht Zep keinen Fancomic. Hauptfigur ist nicht der Professor, sondern der junge Zweifler. Der Prof ist auch noch verschroben, damit Zweifler wie Lesenden die Zustimmung schwerer fällt. Und Zep füllt im rechten Moment die Wohlleben-Thesen passend ab: dreifach konzentriert wie Tomatenmark. So wie Frank Schätzing im „Schwarm“ oder Roland Emmerich im „Day After Tomorrow“. Ergebnis: erst unterhaltsamer Radau, danach die gewünschte Nachdenklichkeit. Versuchen tun sowas viele, hinkriegen nur wenige. Hut ab!
Das gelungene Beispiel Nr. 2, Merwan Chabanes „Mechanica Caelestium“, wildert in der „Tribute von Panem“-Ecke: Hat man jetzt öfter, dass irgendwelche Gesellschaften der Zukunft Jugendliche gegeneinander kämpfen lassen. In diesem Fall sind wir in einer kaputten Welt, in der die HiTech-Macht Fortuna die kleine Reis-Region Pan unterjochen will. Die Gemeinde von Pan fordert aber ein Urteil der „Mechanica Caelestium“: Man regelt den Streit in einer Art Völkerballspiel. Warum sich eine Supermacht darauf einlässt weiß kein Mensch, aber auch die „Tribute“ funktionieren ja nur durch die grandiose Jennifer Lawrence, der man sogar den blühendsten Quatsch abnimmt. Merwans Jennifer heißt: Aster.
Aster ist 17, frech, vorlaut, mit einem Fuchsschwanz am Knackarsch. Aster ist mutig, traut sich, aus rostenden Panzern mit Skeletten drin die verkäuflichen Granaten zu klauben. Der dürre Wallis mit seiner Schlappohrmütze ist in sie verknallt, aber irgendwie kommt Aster grade gut ohne Jungs klar. Aster ist wie aus dem Fundus von Luc Besson, wenn man die passende Action dazu liefern kann. Und hier kommt Merwan ins Spiel.
Ich habe schon lang keine Comicfigur derart auf den Seiten explodieren sehen wie Aster. Weil Merwan weiß, was er zeigen soll, wenn beispielsweise ein Mädchen einen Ball wirft. Ihre grimmige Entschlossenheit beim Ausholen, und dann sofort den Moment, in dem sie schon geworfen hat: Asters verdrehter Körper schwingt aus, der Ball ist längst zehn Meter aus dem Comic rausgeflogen, übrig bleibt ein perfekt eingefangener Augenblick aus Physik und Bio und Energie und Wut. Aster fängt, Aster weicht aus, rasant geschnitten, das erinnert manchmal an Mangas, ist aber um Klassen eleganter: Merwan braucht die penetranten Zoomlinien nicht, ihm reicht der richtige Bildausschnitt und etwas Staub.
Überhaupt: die Bilder. Grandiose Landschaften, blassbunt, als Aquarell oder getuscht. Viel Zeit: Aster kriegt fünf Panels zum Aufwachen, zehn Panels für Frühstück und Katzenwäsche, zehn weitere zum Anziehen, komplett wortlos, das Bild sagt alles. Es gibt zauberhafte kleine Momente, in denen Wallis die schlafende Aster anhimmelt. Der lakonische Humor: Aster und Wallis fliehen vor einem Bär auf ein Windrad, und dann steht unten der Bär in seiner ganzen Ratlosigkeit und kriegt einen winzigen Stein an die Rübe: „Poc“.
All das serviert Merwan immer wieder mit sanfter Slapstick-Attitüde: Entspanntere Actionmomente zeigen seine Figuren zwar auf der Flucht, aber grotesk hüpfend in der Flugphase. Wenn nicht alles täuscht, zitiert Merwan klassische Vorbilder: Aster verbreitet das unschuldige Chaos von „Little Nemo“ – mit dem Wumms von Ignatz Mouse. Die englische Ausgabe zieht Konsequenzen aus dem Wundermädel: Da heißt „Mechanica Caelestium“ einfach „Aster of Pan“. Und womit?
Mit Recht.
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.