Liegt's am Schnee oder an der Dunkelheit? Zwischen den Jahren gibt's zwei melancholische Manga-Tipps. Bei einem davon hat sogar ein Häuptling geweint!
Zwischen den Jahren arbeitet es sich etwas leichter durch den Comic-Stapel, der auch deshalb wächst, weil man Tipps aus der Vergangenheit kriegt. Das führt heute zu zwei Manga-Empfehlungen, die auf Anhieb gar nicht so viel miteinander zu tun haben, die aber doch eines verbindet: Sie investieren reichlich Zeit in den Aufbau, um dann fulminant die Ernte einzufahren. Und ja, ich habe schon Mangas beschimpft, die ewig nicht vom Fleck kommen: Aber bei diesem Duo ist die Relation von Vorbereitung zu Ernte absolut angemessen.
Blöde Jobs und Essen von Mutti
Tipp Eins stammt von Häuptling Berufener Mund, einem der großen Comic-Indianer. Mit dem sprach ich jüngst über diesen Comic. Bei dem, sagte der Häuptling, sei ihm das Herz schwer geworden, und seine Augen hätten das Wasser freigegeben wie die Blase des bedürftigen Bisons in der endlosen Prärie. Oder so. Was zuletzt beim Comic „Solanin“ geschehen sei. Wenn aber Häuptling Berufener Mund weint wie ein Waschweib, dann prüft man besser, ob einem was entgeht, wenn man nicht mitheult.
Tatsächlich ist „Solanin“ ein erstaunlicher, sehr erwachsener Manga. Was man sofort mitkriegt, weil die Story um die Twens Meiko und Naruo recht raffiniert eingeführt wird: Ein Paket, das für Meiko ankommt, gegengeschnitten mit Naruo, der nach Hause rollert. Naruo kommt an, der Paketbote geht weg, beide begegnen sich am Briefkasten – Zoom aufs Wohnungsschild mit den Namen von Meiko und Naruo. Da ist viel Film, man muss gucken und aufpassen und nicht weiterhasten, nur weil im Panel grade kein Text ist. Geduldig fächert Autor Inio Asano dann die verunsicherten Leben der beiden und ihrer Freunde auf: Öde Jobs, verschüttete Träume, eine wacklige Beziehung, nirgends richtig angekommen, noch nicht richtig erwachsen, und Mutti schickt noch immer Essen für den Kühlschrank. Und dann, gerade als Asano eine Perspektive und Zukunft eröffnet, lässt er das Schicksal brutal zuschlagen.
Teil zwei: So einfühlsam wie selten
Die gesamte zweite Hälfte der abgeschlossenen Serie widmet er daraufhin so einfühlsam dem Umgang der Gruppe mit den Folgen, dass man sich nicht mehr wundert, warum Häuptling Berufener Mund sehr gerührt ist. Auch ein bisschen traurig ist allerdings, dass vom (auf deutsch zweibändigen) Comic nur Band 1 noch auf Papier lieferbar ist. Zum Nachlesen von Teil 2 brauchen Sie entweder ein E-Book, eine gute Stadtbibliothek, oder aber Sie wechseln je nach Sprachkenntnissen zur englischen/italienischen/französischen Ausgabe. Da wird nämlich munter nachgedruckt. Zu Recht.
Die Angst der Spieler vor dem Match
Tipp Zwei ist der inzwischen erschienene letzte Band der ausgezeichneten Serie „Ping Pong“, auf die ich (ahem) bereits hier hingewiesen habe. Dieser dritte Teil zeigt auf eine etwas andere Art, wie sich geduldiger Aufbau auszahlen kann. Denn wer gleich mit diesem Band anfängt, kann eigentlich gar nicht mal so viel Freude am munteren, extrem schnell und einfallsreich geschnittenen Geschmetter haben. Wer hingegen das Heranwachsen der jungen Spieler Peco und Smile verfolgt hat, ihre Niederlagen, ihre Kämpfe mit sich und dem Halb-Erwachsenwerden, die aufrichtigen Bemühungen ihrer geduldigen Trainer, der wird vor jedem der Duelle Angst haben. Weil man von Spiel zu Spiel weniger möchte, dass einer der Protagonisten verliert. Zumal ein Großteil der Geschichten auch den Druck und die Ängste der Jungs einschließt: Ich kenne kaum einen anderen Comic, bei dem sich die Protagonisten 8-Mile-artig vor Nervosität kotzend auf der Toilette einschließen.
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Joann Sfars träumerische Autobiografie „Die Synagoge“ ist auch eine warnende Bilanz nach jahrzehntelang kaum gebremstem Antisemitismus
Oh Mann. Der Comic ist gut, und trotzdem wär’s mir lieber, Joann Sfar hätte den Band nicht rausgebracht. Nicht so, wenigstens. Dabei ist „Die Synagoge“ erzählerisch, zeichnerisch tadellos, erstklassiges unterhaltsames Sfar-Material, dazu gezeichnet im besonders angenehmen „Die Katze des Rabbiners“-Look. Wo also ist das Problem?
Flucht vorm Gottesdienst
Sfar ist diesmal autobiografisch unterwegs. Er erholt sich von einer schweren Corona-Infektion. Im Fieber begegnet er dem französischen Abenteuer-Romancier Joseph Kessel, aber er erinnert sich auch an seinen Vater, den Anwalt André Sfar und an seine eigene Jugend in den 90ern. Einen Großteil davon verbrachte er beim jüdischen Wachdienst vor der örtlichen Synagoge. Um sie vor Anschlägen zu schützen? Auch, aber vor allem, weil er die Gottesdienste so sterbenslangweilig findet, und bevor er sich noch einen einzigen antut, verbringt er die Zeit lieber wie Sonne, Regen und Wind vor der Tür. Sagt er.
Tatsächlich setzt sich Sfar in dem ganzen Band mit Gewalt auseinander. Mit der Gewalt seines Vaters, der vor allem im Straßenverkehr gerne andere Autofahrer verprügelt. Mit der Gewalt der Juden und Araber. Und mit dem eigenen Wunsch nach Gewalt: Weil der kleine genauso wie der jugendliche Joann im französischen Nizza mitbekommt, wie sich jede Menge Antisemitismus und Neonazis breitmachen, seit den 80ern, seit den 90ern.
Ständer im Kampfanzug
Ungewöhnlich ist, wie liebenswert und dennoch präzise Sfar all das schildert: Eben noch haben Skinheads ihn aus einem Lokal vertrieben, auf der nächsten Seite übt er Kung Fu bei der hübschen blonden Trainer-Vertretung und hat keine größere Sorge als die, dass sie nichts von seiner Erektion im Kampfanzug mitkriegen möge. In diese Zeit fällt der Aufstieg des Rechtsradikalen Jean-Marie Le Pen, der 1993 den deutschen Alt-Nazi Franz Schönhuber nach Nizza holt – Sfar wird fassungslos Zeuge, wie die Franzosen im rappelvollen Saal dem SS-Mann zujubeln.
Er engagiert sich, beobachtet, trifft ratlose Juden, gedankenlose, aber manchmal nicht unfreundliche Neonazis (die ihm im Fall der Fälle natürlich nicht helfen würden, sondern „Schade, der war eigentlich nicht so schlimm“ sagen…). Und all das, so klug gemacht es auch ist, verströmt zugleich eine enorme Resignation.
Gefahr im Verzug
„Dieser Zorn auf jüdische Menschen ist eine Konstante, ich würde fast sagen ein Bindeglied der westlichen Gesellschaften. Ich habe aufgehört zu kämpfen“, schreibt er im Nachwort, „ich erzähle jetzt. Ohne die geringste Hoffnung“. Für ihn mag das eine Lösung sein: Tatsächlich weicht Sfar bei Konflikten gerne ins Rührende oder ins Humorige, auch ins Bitterhumorige aus. Doch für eine Gesellschaft ist das keine hilfreiche Option.
Der Zustand einer Demokratie lässt sich an ihrem Umgang mit den Juden ablesen. Das ist ähnlich wie früher bei den Kanarienvögeln im Bergwerk: Werden sie leiser, ist Gefahr im Verzug.
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Ein Alptraumsommer, heiße Kisten, neblige Düsternis: Drei schöne Comics scheitern an ihrer Story – die Outtakes (3)
Skrupellose Sommerliebe
Eine seltsame Geschichte: 1962. Drei Jungs in einem französischen Küstenort. Der letzte Sommer vor der Uni – alle drei wollen Karriere machen wie ihre Eltern. Dann trifft Odette die drei am Strand, zieht sich wortlos aus und badet mit ihnen nackt. Nachts darauf schlägt sie vor, man könnte in leerstehende Villen einsteigen und dort vögeln. Und während zwei Jungs sich schon mal nackig machen, lässt Odette ihre Komplizen rein, die sie überraschend fotografieren. Zwecks Erpressung: Odette und ihre Komplizen räumen die Häuser aus, die Erpressten können als Informanten hinterher nicht mal zur Polizei. Ende?
Nein: Odette hat sich in einen der Jungs verliebt. Und er hängt sich fasziniert an sie und drängt sich in die Einbrecherbande….
Was ist „Unter den Kieseln der Strand“ nun? Die Geschichte einer Sommerliebe? Eine Abrechnung mit der spießigen Gesellschaft, die sich erst vor kurzem mit ihren Nazis arrangiert hat und bald ihr eigenwilliges Rechtsverständnis zeigen wird? Pascal Rabaté, Zeichner und Autor macht es einem nicht leicht. Die Bilder der Sommerliebe sind zart und hübsch, aber auch kühl, weil Rabaté den Gelbanteil praktisch auf Null reduziert. Auch zum Identifizieren taugen die Liebenden nicht recht: sie sind zwiespältig, nicht immer ehrlich – sie sind nur wegen ihrer Jugend am entschuldbarsten. Das ist letztlich das Problem: Der guten Geschichte, die vieles aufgreift, fehlt jemand, dem man folgen mag.
Wie frisch aus der Waschanlage
Gerade Autofans könnten Jaouen Salaüns „Asphalt Blues“ mindestens anfangs mögen. Salaün zeigt eine nahe Zukunft, in der noch immer viel gefahren wird. Die Bilder sind ansehnlich, aber zu sauber und zu glatt. Liegt vermutlich auch an der Technik: digital gezeichnet kann sehr abwaschbar aussehen. Vor allem, wenn dann auch kein richtiger Grund zum Weiterlesen kommt: Ein Paar streitet, aber so ausgedehnt und reizlos, dass schon wieder das Auto, in dem sie unterwegs sind, das Interessanteste darin ist. Salaün kann Wasser und Oberflächen zeichnen und Leute mit Sonnenbrillen – aber er kann ihnen nichts zu tun geben.
Die Nebelmaschine
So ist das eben auch manchmal: Da fängt ein Comic schön rätselhaft an, minimalistisch, wortkarg, wie diese Geschichte von dem Falkner, der mit seinem Vogel an irgendeiner merkwürdig nebligen Küste etwas erlegt, was aussieht wie eine gigantische Staubmilbe. Und man denkt die ganze Zeit: Super, das ist ein Gefühl, als hätte man sich total verlaufen, jetzt macht mir das bloß nicht kaputt...
Und dann ändert sich der Stil, und es wird jede Menge und immer mehr Zeug geredet und die Handlung wird immer wirrer. Sich im Nebel verlaufen ist mystisch, sich im Geschwafel verlaufen ist anstrengend und wird dann irgendwann auch ein bisschen fad. Was bleibt, das sind Dave McKeans streckenweise hübsche Bilder. Aber die sind, zugegeben, sehr hübsch.