Das 100. Todesjahr von Franz Kafka inspiriert zu zahlreichen Comics – zwei namhafte Künstler erleichtern dabei den Einstieg in Leben und Gesamtwerk
Alles Gute zum gleich eintreffenden Kafkajahr! Kafkajahr heißt, nicht ganz untypisch: Kafka wäre 2024 nicht 100 Jahre alt geworden, sondern hätte zum hundertsten Mal seinen Tod gefeiert, vermutlich mit einer ungemütlichen Party, der er selbst vorsichtshalber ferngeblieben wäre, aus Abneigung gegen die vielen Leute. Und aus Angst, die Schnittchen könnten falsch belegt sein. Aber die Party ist eh nicht die Hauptsache, sondern der Anlass für Bücher und erstaunlich viele KafKomics. Den Anfang macht ein Gipfeltreffen der Kafka-Porträts: Inhaltlich und gestalterisch erstklassig, dazu mit Promi-Faktor.
Duell der Giganten
Denn Band eins, „Komplett Kafka“, stammt vom kürzlich mit einer Schulleitung geadelten Nicolas Mahler (54), einem spannenden Wiener Grenzgänger, Max-und-Moritz-Preisträger, der von Cartoon bis Comic und Thomas-Bernhard-Adaption (gelesen von Georg Schramm) alles probiert, meist mit Erfolg. Mahler fordert den (am 2. Januar erscheinenden) Band „Kafka“ heraus.
Eine Wiederveröffentlichung, die vor 30 Jahren erstmals bei Zweitausendeins erschien. Dahinter steckt der Szenarist und Drehbuchautor David Zane Mairowitz, für die Illustrationen sorgte Comic-Legende Robert Crumb (heute 80). Namhafter geht’s kaum.
Drei Kurven, vier Streifen: ein Kafka
Tatsächlich ähneln sich beide Bände von der Herangehensweise verblüffend: Sie schildern Kafkas Leben und Umfeld, dazwischen interpretieren sie Auszüge aus seinen Werken. Mahler arbeitet dabei optisch reduzierter, häufig mit seinen langnasigen Figuren, sein Kafka ist aber ein Männchen aus drei Kurven (2 Ohren, 1 Nase) und zwei dicken, zwei schmalen Streifen (Seitenscheitel, Augenbrauen). Crumb zeichnet wie immer, die latente Selbstverachtung, die er sonst sich selbst angedeihen lässt, überträgt er nahtlos auf Kafka.
Damit sind beide eigentlich gleich nahe am Autor: Kafka selbst zeichnete (dazu demnächst mehr) mit seinen reduzierten Strichen und Kurven überraschend mahlerhaft. In punkto Selbsteinschätzung, dem Gewimmer, der weinerlichen Selbstanklage, dem (Selbst-)Bild vom Bücherwurm mit der schlechten Haltung kommt hingegen Crumb Kafka charakterlich so nahe, dass man ihn sich kaum anders vorstellen kann. Zudem wirken Crumbs altmodische Schraffuren erstaunlicherweise der Zeit Kafkas näher als Kafkas eigene Zeichnungen.
Der Langsamkauer
Inhaltlich sind die Unterschiede noch auffälliger. Mairowitz liefert ein facettenreiches Porträt Kafkas (inklusive seiner zahlreichen Macken) und seiner Zeit. Crumb, ohnehin Nostalgiker, liefert mühelos die Bilder des alten Prag, aber elegant-beiläufig auch das kuriose Element. So zeigt er Kafka am familiären Esstisch, freudlos dreinschauend kaut der stets um Optimierung seines Körpers bemühte Vegetarier jeden Bissen 30-mal – daneben sitzt sein wurstfressender Vater und wird schon beim Zuschauen so wahnsinnig wie man selber wahrscheinlich auch neben einem Kafka würde.
Da kann Mahler nicht mithalten, auch, weil ihm das eigene Konzept in den Weg geraten muss. Die karikaturhaft reduzierten Mahlereien können als Illustration nicht so vielseitig sein wie Crumbs ausgefeilte Panels, ihre Stärke ist der humoristische Kommentar. Mahler kann kaum anders als ständig nach Pointen zu suchen. Und selbst wenn er sie wegließe: das karge Bild wirkt immer wie ein trockener Gag. Was bei den Texten Kafkas manchmal noch ungünstiger sein kann.
Literatur auf engstem Raum
Das Folterbett in der „Strafkolonie“ ist bei Crumb ein ausgefeiltes Instrument des Entsetzens, bei Mahler schweben über dem Bett vier Gelenkarme von der Gruseligkeit einer Schreibtischlampe. Schon klar, Mahler kann Stil und Tonart nicht beliebig wechseln, und er federt das geschickt ab, indem er den Fokus vom Inhalt „Strafkolonie“ auf die irritierte Reaktion der zeitgenössischen Literaturkritik („kann nur Ekel erzeugen“) richtet. Trotzdem sind Mairowitz/Crumb flexibler, was sie zugleich zu einer erstaunlichen Meisterleistung nutzen.
Fünf Comic-Seiten gönnen sie sich für Kafkas Erzählung „Das Urteil“, 17 für die „Verwandlung“, neun für die „Strafkolonie“, acht für den ganzen Roman „Der Prozess“. Und dennoch hat man hinterher einen so starken Eindruck vom Text und seinen Eigenheiten, dass man glaubt, das ganze Werk gelesen zu haben.
Pointen mit Respekt
Mahler kann den beiden hier unmöglich folgen. Seine einzige Chance wäre, mehr mit Pointen zu punkten – aber davor bewahrt ihn der Respekt: Mahler erkennt zutreffend, dass Kafkas Reiz die Ambivalenz ist. Die 1000 besten Kafkalauer würden mehr schaden als erreichen. Doch um mehr Freiheiten zu haben, müsste er mehr Mahler weglassen – und das wäre auch jammerschade.
Dennoch ist verständlich, dass die Münchner Villa Stuck erhebliche Teile ihrer noch bis Februar dauernden Kafka-Ausstellung mit großformatigen Reproduktionen des Teams Crumb/Mairowitz bestreitet. Nicht-Aussteller machen jedoch mit beiden Bänden keinen Fehler.
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Skurril, zart spöttisch und erfreulich frühlingshaft: Chloé Cruchaudets „Céleste“ schildert, wie der Schriftsteller Marcel Proust seine unentbehrliche Helferin fand
Comics lesen ist eine Sache, Comics finden eine andere: Hin und wieder tauchen welche dort auf, wo man selten bis nicht stöbert, nämlich bei einem Eigentlich-eher-Buch-Verlag. Wo man sie verpasst, wenn man nicht aufpasst. Was manchmal schade wäre, wie in diesem Fall beim Inselverlag und Chloé Cruchaudets so ansehnlichem wie unterhaltsamem Band „Céleste“.
Der komplizierte Asthmatiker
Es geht um den Schriftsteller Marcel Proust, der 1913 eine junge Frau ohne jede Berufserfahrung einstellt, die sich zu seiner unentbehrlichen rechten Hand entwickeln wird. Proust-Kenner wissen davon wahrscheinlich schon, aber mir Nichtkenner ist die Geschichte neu. Was ich vorfinde, ist ein pingeliges, kränkliches, mittelaltes Männlein, das aufschreit, wenn jemand in seiner luxuriösen Wohnhöhle falsch oder überhaupt Staub wischt. Das Männlein ist zugleich überzeugt von der eigenen Genialität, aber es kann sich das auch leisten, weil: Es hat erstens reich geerbt (und wird zweitens bald tatsächlich von der Verlagswelt als Genie gefeiert).
Pflegeleichter wird der Asthmatiker dadurch allerdings nicht.
Céleste, ein Landei, das in Paris bereits mit dem Anheizen eines Ofens überfordert ist, kriegt den Job, weil ihr Mann Prousts bevorzugter Taxi-Chauffeur ist. Und sie behauptet sich in dieser Stellung, weil sie eine rasche Auffassungsgabe besitzt, Menschen beobachtet, schnell und praktisch denkt und sich nichts gefallen lässt. Das ist ziemlich wichtig, weil Proust offenbar gerade Célestes Unabhängigkeit und ihre leicht mütterliche Robustheit anziehend findet. Aus Arbeitgebersicht, wohlgemerkt, beziehungsmäßig tendiert Proust zu Männern.
Giganto-Paris
Diese schon recht nette Geschichte wird durch Chloé Cruchaudet zu einer besonderen. Zunächst dank ihrer erfrischenden Farben: aquarellhaft transparent, mit viel Weiß, so dass die finstere französische Hauptstadt mit ihren dunklen Gassen und der Proustschen Altbauwohnung geradezu frühlingshaft aussieht. Dazu kommt Cruchaudets geschickte Bildregie: Die Häuser des Paris der „guten alten Zeit“ zeigt sie oft hochkant, manchmal zeichnet Cruchaudet extra vom Bodenniveau nach oben, die Jugendstilfassaden der Großstadt wirken dann nochmal überwältigender und newyorkhafter, was ganz gut zum Blickwinkel eines Mädchens vom Lande passen könnte.
Prouststilzchen
Manchmal legt sie auch Prousts Texte über die Bilder, immer wieder inszeniert sie dabei die schmale Céleste in der ausladenden Metropole. Dazwischen streut Cruchaudet mal skurrile Dialoge, mal schenkt sie Proust einen schönen Monolog als schimpfendes Rumpelstilzchen, manchmal lässt sie einfach nur stumm die Bilder sprechen. Und immer wieder verdichtet sie gekonnt: Weil Proust Célestes Mann an „ein Luxusding unter Glas“ erinnert, setzt sie den Autor auf die Spitze einer Insel, die sich aus seiner verschachtelten Wohnung hochtürmt, und ganz oben ist Proust, im Bett, unter einem Glassturz. Cruchaudet beim Spielen mit ihren Zutaten zuzusehen, ist eine helle Freude. Und das Schöne ist: Der Spaß ist nach den 120 Seiten nicht zu Ende, in Frankreich ist die Fortsetzung bereits erschienen.
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Die Outtakes (4): Kolonialexotik, Fußball und ein spinnender Niederländer – ab hier lesen Sie auf eigene Gefahr
Linie klar, Inhalt sparsam
„Rampokan“ erzählt die Geschichte der niederländischen Besatzer auf Java, die nach der Niederlage der Japaner zurückkehren. Ligne claire, hübsch gezeichnet, zweifellos. Doch so ansehnlich die Menge an Lokalkolorit, so wissenswert der Hintergrund auch ist, beides versinkt in so viel Geschwafel, dass man nicht weiß, wozu man weiterlesen soll. Und sich wundert, wie es möglich ist, in eine Kolonial-Militärgeschichte so wenig Action zu packen.
Ersatzterix
„Gilles der Gauner“ ist ein Paradebeleg dafür, dass man seine Jugend nicht mehr einfach zurückholen kann. Hätte ich vor 45 Jahren den Comic in die Finger bekommen, hätte ich ihn verschlungen. Heute habe ich zu viel gelesen, das besser ist. Und das kann ich leider nicht mehr löschen.
Gilles ist ein Asterix-Mitbewerber aus den 80ern und spielt im 16. Jahrhundert. Die Spanier, die die Niederlande erobern wollen, sollen die Römer ersetzen. Und die Niederländer – aber da geht's schon los. Die Niederländer sind nicht die Hauptdarsteller, Star ist der Wegelagerer Gilles, und der ist irgendwie auf keiner Seite. Er ist weder freundlich noch ideenreich, sogar leicht dämlich, und als Sympathieträger fällt er auch deshalb aus, weil man zwar weiß, dass man (Hauptrolle!) auf seiner Seite sein sollte, aber leider nicht wieso. Manche Stories erinnern an die Bemühungen des Koyoten vom Roadrunner, sind aber nicht halb so komisch. Weil die halbverhungerte, tragische Viehgur keine Wahl hat, Gilles hingegen – tja, was will der eigentlich?
Aber: Es ist eine hübsche Gelegenheit zur Comicpädagogik. Schenken Sie's Kindern. Gucken Sie, ob sich Gilles gegen Asterix durchsetzen kann.
Finden Sie die Unterschiede.
Reden Sie mal drüber.
Gottes Händchen
Fußballcomics sind schwierig, schwieriger noch als Boxercomics, weil Fußball mehr aus Szenen besteht als aus Momenten. Texter Paolo Baron und Zeichner Ernesto Carbonetti weichen daher in ihrem Comic über Diego Maradona geschickt dem Fußball aus. In „Die Hand Gottes“ konzentrieren sie sich auf die Biografie, einige ikonische Bilder und die nahezu religiöse Kombination aus Maradona und Neapel, wo er sieben Jahre lang spielte.
Das sieht streckenweise richtig gut aus, geht aber nur für Fans vollständig auf. Denn: Um diesen erst genialen, dann koksenden und schließlich übergewichtigen Weltstar faszinierend zu finden, muss man jene komplexen, mehrsekündigen Szenen erlebt haben, die er einem Millionenpublikum vorzauberte. Und Nachgucken bei Youtube ist kaum ein wirklicher Ersatz.