Kniffliger Dauerbrenner mit Abnutzungsgefahr: Fünf aktuelle Comics widmen sich dem Nationalsozialismus – nicht alle überzeugen

So, das Thema „Nationalsozialismus“ war in diesem Jahr im Unterricht noch gar nicht dran. Was nicht hilfreich ist, wie jüngst gerade viele junge Menschen so nachdrücklich wie zutreffend bemängeln. Ein Tadel, der zur Rechten-Zeit zur rechten Zeit kommt, zur doppelt rechten Zeit obendrein, weil sich momentan eine ganze Menge Comics mit dem Thema befassen. Fünf Stück haben sich inzwischen angesammelt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, in der ganzen Bandbreite von erhellend bis ermüdend.
Rechter Schlächter

„Klaus Barbie“ ist ein eindeutiger Fall von „zu dicht dran“. Der SS-Mann war der „Schlächter von Lyon“, setzte sich nach dem Krieg ab nach Südamerika und verhökerte seine bei der Gestapo erworbenen Folterkenntnisse an die USA und diverse südamerikanische Diktaturen. Und zwar gegen Geld und Schutz vor Auslieferung.
So konnte er – obwohl in Frankreich bereits zum Tode verurteilt – auch mäßig gut getarnt bis 1983 untertauchen. Es ist also alles drin, in der Story: Naziverbrechen, Geheimdienstscheiß, Suche und Auslieferung, wie gemacht zum Sich-Verheddern, und das tun Frédéric Brrémaud und Jean-Claude Bauer denn auch. Es wäre schon schwer genug, chronologisch einleuchtend zu erzählen, wie Barbie abwechselnd vor den Amerikanern floh und für sie arbeitete oder wie seine Auslieferung eingefädelt wurde. Doch Bauer/Brrémaud verlieren sich in Details wie der Bombardierung des Gestapo-Hauptquartiers in Lyon. Bei Erschießungen müssen sie alle Opfer aufzählen oder wer es beobachtet oder wer die Leichen danach identifizierte. Und weil das Promi-Nazijäger-Paar Klarsfeld Barbie entdeckte, kommt deren Story auch noch rein. Bauers standbildhafte Regie tut ein Übriges, bis dann der finale Barbie-Prozess (den er als Zeitzeuge begleitete) in einer Flut konventioneller Porträts untergeht wie die Titanic. Und all das könnte man beiden noch nachsehen, käme man der Figur Barbie dabei auch nur einen Hauch näher. Aber genau hier, wo Comics glänzen können, weil sie eben nicht darauf beschränkt sind, was man abfotografieren könnte – hier enden die Fähigkeiten von Bauer/Brrémaud. „Klaus Barbie“ bleibt eine quälend ungeschickt erzählte Reportage mit statischen Bildern.
Die Sache mit dem Widerstand

Schwach und stark zugleich: „Widerstand“ von Niels Schröder ist, rein comictechnisch unattraktiv. Schröder schildert die Biografien der SPD-Größen Julius Leber, Theodor Haubach und Tony Sender ohne Rücksicht aufs Bild. Texte, Zitate, Gedanken presst er ungekürzt in kinderfaustgroße Sprechblasen, unablässig denkt jemand, was besser erzählt oder gezeigt werden sollte. Mildernder Umstand: Berlins Kultursenator, der Kulturbeauftragte der Bundesregierung und die Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand fördern das Ganze und strahlen vermutlich, weil die Textblöcke so schön über die Comicelemente (viele Porträts plus Stadtansichten) hinwegtrösten. Soweit so schlimm, aber die Themenauswahl ist trotzdem gut.
Denn das Thema Widerstand, gerade um 1933, als man noch vieles hätte verhindern können, birgt eine Menge Unbekanntes. Ja, ich hatte schon vom „Reichsbanner“ gehört, aber genau wusste ich nicht, dass dahinter eine SPD-nahe Kampftruppe in Millionenstärke steckte, ebenfalls aus alten Frontsoldaten, die mindestens so gut prügelte wie die Nazis – aber eben für die Demokratie. Besonders interessant: Dass die Partei die Millionen nur deshalb nicht zum Kampf rief, weil Hitler irgendwie rechtskonform an die Macht kam. Was nicht nur das Verbot der AfD umso dringlicher scheinen lässt, sondern auch die verzagte Debatte darüber umso besorgniserregender. Weil Schröder nämlich auch zeigt: Wenn Figuren wie die Nazis erst mal an der Macht sind, läuft der Kampf richtig scheiße, selbst für weltkriegserprobte Kämpfer wie Leber und Haubach. Wie Verbotsgegner Olaf Scholz sich dann schlagen würde, mag man sich gar nicht erst vorstellen.
Weshalb der Comic trotz der mäßigen Aufbereitung in mein Regal kommt.
Hinz und Kunz und Frantisek
Es geht immer noch komplizierter: „Anthropoid“ von Zdenek Lezák und Michal Kocián hat sich das Attentat von 1942 auf den SS-„Star“ Reinhard Heydrich in Prag orgenommen. Und wenn sich schon bei Klaus Barbie die Autoren verheddert haben, dann regiert bei diesem Duo überhaupt nur noch heillose Überforderung. Dutzendweise werden Exil-Tschechen aus England über ihrer Heimat abgeworfen, vorgestellt, verhaftet, spätestens auf Seite acht hat man jeglichen Überblick verloren, wer sich denn nun von wo nach durchschlagen muss, was er da tun soll, wen er trifft und warum nicht. Zumal auch das Gesicht von Hinz aussieht wie das von Kunz und Frantisek, denn zeichnerisch herrscht solides Mittelmaß. Konsequenterweise finden sich im Anhang nochmal die Biografien der in die knapp 100 Seiten gepressten 39 (!) Charaktere – als gingen nicht einmal die Autoren selbst davon aus, dass der Comic das Thema erklären könnte. So überzeugen letztlich nur die Szenen der Planung in Prag, der Auswahl des Anschlagsorts sowie das Attentat selbst. Wenn man sich gleich auf diese Stärken konzentriert hätte, wäre es womöglich ein fesselnder Band geworden.
Gute Nummer

Zweifellos mehr versprechend ist „Adieu, Birkenau“. Zumal hinter der realen Geschichte der KZ-Überlebenden Ginette Kolinka jener JD Morvan steckt, der gerade erst für „Madeleine, die Widerständige“ ein sehr überzeugendes Szenario geliefert hat. Und der auch hier grandios anfängt: „Als ich ein Kind war, dachte ich, alle Mamas hätten eine Nummer auf dem Arm.“ Gut, oder?
Und Morvan zaubert tatsächlich weiter, mit allem, was er hat: Rückblenden, Überblendungen, die heute 100-Jährige beim Appell im KZ und im Yoga-Kurs. Er begleitet sie auf einer ihrer Schulführungen über das Gelände von Auschwitz, er lässt die Geister der Toten schattengleich neben ihr gehen, stellt naive Schülerfragen, gibt brettharte Antworten. Und erinnert dabei zunehmend an Barbara Yelin, die in „Emmie Arbel“ so großartig wie vergeblich gegen Routine und Zeitgeist anzeichnet. Denn wer nur ein bisschen im Thema ist, ahnt sofort, was von der Handlung zu erwarten ist: Glückliche Kindheit vorher, Rechteverlust, Zugtransport/Viehwaggons, das Entsetzen des KZ, die Verrohung. Der Moment der Enthüllung des Massenmords. Es ist bitter, aber je nach Umfang der eigenen Holocaust-Leseerfahrung schwankt der Schock zwischen frisch und abgenützt. Weshalb „Adieu, Birkenau“ für aufklärungswillige Schülervertretungen zwar absolut empfehlenswert ist. Aber dennoch muss man sich darüber im Klaren sein, dass man die 30 Prozent abgestumpfter Sachsen und Thüringer anders erreichen muss, die kein Problem haben, schon wieder ihre künftige Mittäterschaft in die Wege zu leiten.
Mit-Arbeiter von einst und morgen

Ehrlich: Ich hatte erst NULL Lust auf Hannah Brinkmanns „Zeit heilt keine Wunden“. Wegen der Optik, Dunstnote „pädagogisch wertvoll“. Und dann die Story: Erinnerungen des jüdischen Kommunisten Ernst Grube. Puh. Immerhin: der Blickwinkel von Brinkmann/Grube ist eher selten.
Denn: Nur Mama Grube ist Jüdin, Papa nicht. Und weil die Nazis fein erkannten, dass „Arier“ Angehörige weniger entspannt ans Messer liefern als Nachbarn, waren Mutter Grube und ihre drei Kinder vor Deportation geschützt, zunächst. Erster geschickter Zug von Brinkmann: Wie sie diese Lage zwischen Hoffen und Bangen zuspitzt, die Strohhalme „Wird schon nicht so schlimm kommen“ und „Es gibt doch Gesetze“ so erbarmungslos stutzt wie die Nazis selbst (denn zum Schluss wird natürlich doch deportiert). Spätestens hier kam ich mit Brinkmanns Stil klar. Weil sie a) immer wieder eigenwillig die Gefühlslage illustriert, und weil sie mir b) immer wieder den Kleingeist der Nazi-Anordnungen vorführt: Ob man Jude war, hing auch vom Geburtsdatum (!) ab. Schon in der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz machten damit die Nazis selbst die Irrationalität des Rassismus amtlich – das war mir neu, herzlichen Dank. Und dann macht Hannah Brinkmann etwas komplett Unerwartetes...

Brinkmann lässt Grube links liegen und widmet sich dem Richter Kurt Weber, der Grube später in der Bundesrepublik verurteilen wird. Weber ist ein brillantes Beispiel für Millionen Deutsche, deren Verhalten die Diktatur erst ermöglichte. Jurist Weber könnte mit seiner jüdischen Verlobten das Land verlassen. Aber er hat sooo viel ins Studium investiert. Also bleibt er, steigt im Staatsdienst auf, tut irgendwie unpolitisch und beruhigt sich, weil er nicht ganz so viele Leute hinrichtet, wie die Nazis wünschen.
Was Brinkmanns Graphic Novel so wertvoll macht: sie begreift Potential und Notwendigkeit des Mittäter-Porträts und gibt ihm viel Platz. Wer wissen will, wieviel Mitarbeit autoritäre Regime verlangen (werden): Brinkmann führt es vor, schlüssig und mit einfühlsamem Unverständnis. Genau der richtige Comic zur richtigen Zeit!
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Die Outtakes (23): Ein Cowboy beschafft Bier, eine Hamburger Jüdin ermittelt und die tödliche Parker-Truppe kriegt ein Comeback

Mildes Schmunzeln
Das (erstaunlich kaffeelose) Comic-Café weht mir den neuen „Lucky Luke“ ins Haus: Aber Band 102, „Letzte Runde für die Daltons“, bestätigt den Eindruck, dass derzeit vom Comic-Cowboy nicht zu viel zu erwarten ist. Aufgegriffen wird der Aspekt deutscher Einwanderer in den USA (Trump-Witz inklusive): Einer Stadt fehlt das Bier, eine andere soll es liefern, dort wird aber gestreikt. Das Ganze hangelt sich an Deutschlandklischees (Bier, Sauerkraut, Ampeln) entlang, wobei Texter Jul und Zeichner Achdé unerwartet Nazis weglassen, dafür das Wort „Indianer“ behalten (jedenfalls im Deutschen). Luke ist nicht sehr engagiert, aber immer schön im Bild und irgendwann wieder weg, dann ist die Geschichte aus, dort läuft eine Maus, wer sie fängt, kann sich eine Pelzkappe daraus basteln. Aber zugegeben: Die lose Nummernrevue wirkt weniger verkrampft als die Konkurrenz von „Asterix“, und statt zu gähnen kann man manchmal auch mild schmunzeln.
Zwischen Krimi und Erklärbär

An den Zutaten liegt es nicht: Jens Cornils setzt in „Zeter und Mordio“ die Erinnerungen der Glückel von Hameln als Comic um. Glückel geht im Hamburg des 17. Jahrhunderts dem Verschwinden eines Mitbürgers nach, und weil sowohl der Verschwundene als auch Glückel Juden sind, ist mit Geschichte, Kriminalfall und christlich-jüdischem Zusammenleben eigentlich jede Menge Substanz im Stoff. Aber Cornils trifft einige unglückliche Entscheidungen: Der Stil ist schon mal dermaßen brav gewählt (Cornils kann auch anders!), dass man die Hoffnung auf Klassenbestellungen durch nicht verschreckte Deutsch- und Geschichtslehrkräfte förmlich wittern kann. Ähnlich brav ist die Erzählweise, alles ist derart deutlich wie es der ARD-Vorabendkrimi vormacht. Und ja, Glückel ist Jüdin – aber gerade Juden erzählen sich doch nicht ständig gegenseitig, was es bedeutet, Jude zu sein. „Zeter und Mordio“ orientiert sich streng an deutschen Erzählkonventionen, wechselt daher immer zwischen Krimi und Erklärbär, macht nichts richtig falsch, aber genau deshalb leider auch nichts richtig richtig. Weshalb „Zeter und Mordio“ bei den Outtakes ideal aufgehoben ist.
Moores Mördergörls

Es ist verständlich, dass Terry Moore Tambi, Francine und Katchoo, seine Charaktere aus „Strangers in Paradise“, nicht ruhen lassen mag. „Parker Girls“ ist eine Art Fortsetzung rund um die gleichnamige Mädel-Agententruppe, die in der tränenrührenden Serie für Blutspritzer und Verschwörungen zuständig ist. Gut aussehend, sensibel, bei Bedarf mörderisch brutal – das Material, aus dem Luc Besson „Nikita“ strickte. Aber obwohl Moore mit Freude ans Werk geht, springt der Funke nicht recht über. Den Rachethriller gegen den übermächtigen Tech-Tycoon mit Emotion zu vertiefen fällt Moore erkennbar schwerer als die „Strangers“-Romanze mit sporadischer Brachialität zu würzen. Zumal Leser, die den „Strangers“-Kosmos nicht kennen, wohl nur den halben Spaß haben. Wie Moore die Szenen anlegt und Dialoge führt, wie er Frauen trauen, schauen und hauen lässt, ist allerdings noch immer ausgezeichnet.
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Unerwartete Hilfeleistung unter Autorinnen: Wie Liv Strömquist den neuen Comic von Alison Bechdel rettet

Es gibt Neues von zwei Frauen, die ich eigentlich nicht so mag. Die aber derart dick im Geschäft sind, dass ich sie Ihnen nicht vorenthalten will, weil: Bananen sind auch furchtbar, trotzdem können Sie zu den Millionen gehören, die Bananen mögen. Vielleicht sogar die Comic-Bananen Alison Bechdel und Liv Strömquist. Also spring ich mal tapfer über meinen Schatten und versuche, objektiv zu bleiben.
Auch wenn's schwer fällt.
Die Tochter des Bestatters
Alison Bechdel kann vermutlich am wenigsten dafür. Ein Bestseller (und dieser Test) haben sie in den Rang einer Weisen katapultiert, einer lesbischen Philosophin und Feministin. Bechdel hat sich den Schuh angezogen, mehr ist ihr kaum vorzuwerfen. Bechdel erzählt üblicherweise von sich selbst. In ihrem Megabestseller „Fun Home“ etwa vom Aufwachsen bei ihrer ichbezogenen Mutter und dem verkappt schwulen Vater, wobei „Fun“ nicht von Spaß kommt, sondern von „Funeral“ – die Eltern betreiben ein Bestattungsinstitut.

Das Folgebuch „Wer ist hier die Mutter?“ setzte sich dann mit dem Verhältnis zu Mutti auseinander. Und jetzt, in „Das Geheimnis meiner Superkraft“, erzählt Bechdel zum dritten Mal ihr ganzes Leben von vorn, diesmal mit dem Schwerpunkt auf ihrer Sportbesessenheit. Zugegeben: auf sehr einzigartige Weise. Die kann ich allerdings nur schwer empfehlen.
Eine Abarbeitung an Kranken?
Bechdel erzählt vor allem dauerhaft vorwurfsvoll missgelaunt. Und überall da, wo der ähnlich gelagerte Woody Allen einen Witz gemacht hätte, macht Bechdel: keinen. Ihre dysfunktionale Familie kommentiert die ehemalige Cartoonistin (!) in „Fun Home“ mit heiter angehauchter Verbitterung, meist klingt es, als hätten alle anderen ihre Verhaltensstörungen nur, um Bechdel den Weg ins Glück besonders zu erschweren. So führt sie mit bitterer Genugtuung die emotionslos-skurrilen Reaktionen ihres Vaters vor. Doch was soll das, wenn der mit seiner Sexualität selber so wenig klarkam, dass er sich umbrachte? Ab-Arbeiten an einem seelisch Kranken? Der Folgeband „Wer ist hier die Mutter“ war ähnlich, nur mit noch mehr Freudlosigkeit.

Nun können lieblose Eltern bewirken, dass man nie das Gefühl hat, etwas richtig zu machen. Dass es schwer fällt, sich selbst zu mögen. Und als so einen Menschen schildert sich Bechdel im „Geheimnis meiner Superkraft“. Sport als verzweifelter Versuch, den Kopf ruhigzustellen, über Jahrzehnte hinweg ergänzt durch Schlaftabletten und Alkohol. Man sollte meinen, dass jemand, der sich bei diesem Irrsinn beobachtet, auch was dagegen tun könnte: Mal nett zu sich sein, nachsichtig, daran arbeiten, sich zu mögen. Nicht so Bechdel: Lieber zieht sie unablässig Vergleiche zu Jack Kerouac und anderen, die auch mal Sport gemacht haben. Macht das Bechdel zu Kerouac? Ist alles gut, wenn man säuft wie Hemingway?
Bechdeln heißt auch: Schwafeln
Unterm Strich besteht auch der „Superkraft“-Band aus 200 Seiten, in denen sich Bechdel humorarm im eigenen Verhalten wälzt, sich zwischen viel Zahlenmystik manchmal selbst widerspricht oder Blödsinn behauptet wie „Laufen ist Jagen. Frühe Menschen liefen weite Strecken, um ihre Beute zu ermüden.“ Bechdeln bedeutet immer auch Schwafeln, aber das gibt es natürlich in männlich genauso. Das Verwirrende ist: die verbiesterte Bechdel wirkt in Interviews aufgeweckt, sympathisch, beinahe heiter. Aber ich zuhause hab nun mal nur den Comic mit der Spaßbremse. Ich wäre nur im Leben nicht draufgekommen, dass mich ausgerechnet Liv Strömquist rettet.

Auch Strömquist machte sich einen Namen mit feministischer Satire, anders als Bechdel bemühte sie sich jedoch um Pointen. Weil ich die meist blöd fand, hab ich Strömquist lang ignoriert. Was vielleicht voreilig war, wie der neue Band „Das Orakel spricht“ zeigt.
Triebfeder Todesangst
Strömquist spitzt hier das Thema „Selbstoptimierung“ zu, durchaus geschickt. Grob zusammengefasst unterstellt sie der Gesellschaft eine irrsinnige Angst vor negativen Erfahrungen im Allgemeinen und dem unausweichlichen Tod im Besonderen. Den gesamten Ratgebermarkt aus Büchern und Influencern präsentiert sie konsequent als Scheinlösungen, die vorgaukeln, man könnte alles Negative vermeiden, wenn man alles richtig macht. Der Zauber liegt dabei in der beruhigend-tröstlichen Wirkung: Denn natürlich sterben weiter Leute oder haben Liebeskummer oder sind arm – aber diese Leute waren dann eben selber schuld, weil sie die Ratschläge nicht befolgt haben.

Auch, wenn aus Strömquist keine besondere Comic-Zeichnerin mehr wird, auch wenn ihr Artwork vor allem im spärlichen Illustrieren von Text besteht, so sind ihre Beobachtungen diesmal deutlich schlüssiger, treffender, unterhaltsamer. Und auch bedrückender: Der millionenfache verzweifelte und letztlich völlig irrsinnige Versuch, Kontrolle über etwas zu bewahren, das man nicht kontrollieren kann, eigentlich sogar die Tatsachen bis hin zum eigenen Tod umzudeuten oder wegzuleugnen, lässt kaum beruhigende Rückschlüsse auf den Zustand der Welt zu. Hat aber einen anderen Vorteil.
Bechdel ist Strömquists Paradebeispiel
Denn das „Orakel“ ist eine unerwartet geniale Ergänzung zum „Geheimnis meiner Superkraft“. Kapitelweise abwechselnd gelesen wird Bechdel so erst genießbar: Die gefeierte Denkerin, die jedem neuen Sporttrend wie besessen hinterherhechelt, die verzweifelt die 24 Stunden des Tages noch effizienter auspressen möchte, die Schuld für jeden (vermeintlichen) Fehlschlag hemmungslos im eigenen Versagen verortet: Bechdel macht Strömquists Thesen in Echtzeit überprüfbar. Oder auch: Strömquists beharrliche Zuspitzung liefert genau jene Erkenntnis, die der ganzen Bechdelei so sehr fehlt.
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