Alexander Brauns „Black Comics“: 400 Seiten über schwarze Künstler und Figuren – empörend, ermutigend, atemberaubend interessant

Heute gibt’s wieder mal ein Buch über Comics, von Alexander Braun. Heißt: Dick, aber nicht schlimm, weil sich die Masse an Informationen in „Black Comics“ unterhaltsam liest. Was wichtig ist bei 400 Seiten, die sich diesmal (ergänzend zur gleichnamigen Ausstellung) dem schwarzen Comic widmen. „Schwarz“ bedeutet dabei beides: Mit schwarzen Charakteren, aber auch von schwarzen Künstlern. Beides ist selten – und heikel.
Zeitgemäß im Wandel der Zeit
Warum? Erstens: Fällt Ihnen auf Anhieb eine schwarze Comicfigur ein? Zweitens: Ist diese Comicfigur dann auch zeitgemäß verarbeitet? Und „zeitgemäß“ bedeutet hier ja auch immer öfter: Unserer Gegenwart angemessen, nicht unbedingt der Gegenwart der Entstehung. Was ist zum Beispiel mit Franklin, der einzigen schwarzen Figur der „Peanuts“? War die okay, ist sie es noch oder nicht oder wie oder was?

Weil die Beantwortung solcher Fragen nicht einfach ist, schwoll Brauns Buch von geplanten 200 Seiten auf die doppelte Menge an. Das Erfrischende: Es wird nie akademisch, ist zugleich streitlustig, provokativ, sachlich und nicht zuletzt – empathisch. Denn tatsächlich kämpft Braun diesmal gleich doppelt: Für die oft vergessenen Verdienste des unterschätzten Mediums – und für Elemente, die im Bemühen um Diversitätsgerechtigkeit wieder vergessen werden sollen. Aber bevor man den Überblick verliert: Geht's nicht vor allem um Comics?
Raritäten im Giftschrank
Das ist nicht so leicht zu trennen: Das Medium ist doppelt weiß geprägt. Ende des 19. Jahrhunderts machten weiße Zeichner die Comics – wie Braun bereits schilderte – in Tageszeitungen zum Megaseller. Sie experimentierten erzählerisch und künstlerisch, wurden reich und zu einer Elite. Das Aufkommen billiger Comichefte in den 30ern/40ern hingegen war stark geprägt von Außenseitern, aber eben keinen schwarzen, sondern meist von jungen Juden. Es gibt darum gar nicht so viel schwarzes Personal und Material, und von dem wenigen soll auch noch einiges heute in den rassistischen Giftschrank. Brauns These: nicht immer zu Recht – und zur Untermauerung muss er ausholen. Brauns Ausholereien sind allerdings zuverlässig eine Lesefreude.

Das liegt nicht zuletzt an der üppigen Bebilderung. Nicht nur beim Comic-Material buddelt Braun Originale und gelungene Beispiele aus, auch wenn er den US-Rassismus dokumentiert. Er umgeht hundertmal gesehene Fotos, hält so wach, und seine Schilderungen lassen unmöglich kalt. Gerade dieses Vorgehen macht es dann auch so bedenkenswert, wenn Braun etwa Unterschiede beim Blackfacing erörtert.
Sorgsam aufgedröselt
Moment mal – gibt’s die denn? Ist Blackfacing, das früher praktizierte Schwarzschminken weißer Schauspieler, nicht per se schlimm? Braun sagt: Nein. Der Unterschied liegt darin, ob man Blackfacing betreibt – oder jemanden beim Blackfacing zeigt. Wie etwa Micky Mouse in einem Kurzfilm über „Onkel Tom’s Hütte“. Eine Satire von Comicfiguren über die boomende und fragwürdige Theaterverwertung des antirassistischen Romans: Braun dröselt sauber die unterschiedlichen Ebenen auf, denn – der Film gilt mittlerweile als Giftschrankmaterial.

Auch wenn man zwischendurch manchmal zweifelt: Braun argumentiert stets am Comic entlang. Die blutige Kolonialgeschichte des Kongo, die schwer erträglich bebilderten Greuel der Belgier führen zu Hergés „Tim und Struppi“, die sich derart rassistisch durch Afrika hindurchoberlehrern, dass einem himmelangst wird. Die Geschichte des Ku-Klux-Klan führt wiederum zum Belgier Jijé, der nicht nur in seinem Western „Jerry Spring“ das Thema aufgriff, sondern schon 1939 mit der Serie „Blondin et Cirage“ ein gleichberechtigtes schwarz-weißes Buben-Duo schuf. Was ist Rassismus, was nicht? Was war früher mal fortschrittlich? Unermüdlich sortiert und argumentiert Braun, zitiert Fachleute (inkl. Einordnung ob afroamerikanisch oder nicht), serviert dazu Facts und Funfacts, und hier kommt man langsam zu dem einen Punkt, an dem man ihn dann doch tadeln kann, womöglich sogar muss.
Die Sache mit den Fußnoten
Denn Braun liefert weder ein vollständiges Literaturverzeichnis noch Fußnoten. Wenn er also beispielsweise feststellt, dass ein Viertel (!) der US-Cowboys schwarz war, glaube ich ihm zwar – kann’s aber weder nachschlagen noch nutzen, weil ich weder einen Beleg habe noch wüsste, wo ich suchen muss. Das ist mehr als ärgerlich, auch weil es Braun und seiner Sache schadet: Er macht ja seine fulminante Arbeit vor allem, um Dinge vorm Vergessen zu bewahren. Zur wissenschaftlichen Überprüfung/Auswertung seiner scharfen Beobachtungen, Analogien und Argumentationen wären Quellen und Literaturangaben jedoch Voraussetzung. Sein Vorgehen wirkt allerdings sofort weit angemessener, sobald Braun ins Stöbern kommt.

Da übernehmen dann die zahlreichen Bildbeispiele die Belegpflicht. Militärcomics, in denen die Druckerei schwarze Soldaten einweißte, weil sie lieber an einen Irrtum bei der Farbgebung glaubte als an die gleichberechtigte Abbildung. Das allmähliche Auftauchen schwarzer Superhelden, schwarzer Menschen in Romantik-Comics, pädagogische Comics für schwarze Beteiligung, Positives, Negatives, erstaunlich Kritisches aus dem „Simplicissimus“, Braun gräbt aus, Braun bildet ab, vertieft, und alle Details und Nebeninfos, die ihm im Fließtext verloren gehen, schaufelt er manisch-akribisch in die oft blockstarken, aber immer lesenswerten Bildunterschriften.
„Intellektueller Eiertanz“
„Intellektueller Eiertanz“ nennt Alexander Braun das Ergebnis ironisch-selbstkritisch, aber tatsächlich liefert er weit mehr: Nachvollziehbare Kriterien für die Suche nach einer jeweils angemessenen Bewertung und zugleich eine Grundlage für einen sachlichen Streit, der zielführender ist als das vollautomatische Ankreiden von Wörtern oder Schreibweisen.

Und dennoch, so bedauert er, passte nicht alles rein: Charles M. Schulz' Franklin etwa. Zu dem und seiner Entstehung findet sich allerdings einiges bei Wikipedia, sogar mit Quellenangaben. Da dürfen Sie sich dann, alexanderbraungeschult, selbst eine Meinung bilden.
Die Ausstellung zum Katalog ist noch bis 11. Mai 2025 zu besichtigen, gratis und praktisch: Am Dortmunder Hauptbahnhof raus, ca. 73,4 Meter über den Königswall schlurfen und hinein in den Schauraum comic + cartoon.
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Auf den Busch geklopft: ein Testbesuch in Hannovers einzigem Museum mit Spaßgarantie

Was tun, wenn einen das Schicksal nach Hannover verschlägt? Ja, schon klar, schlimm ist das nicht, aber was unternimmt man da, wenn man grade drei Stunden Zeit hat? Man steigt zum Beispiel in die Straßenbahn (Linie 4 oder 5 nach Garbsen bzw. Stöcken), fährt zehn Minuten und geht ins Deutsche Museum für Karikatur und Zeichenkunst, das zugleich Museum Wilhelm Busch heißt. Hübsch gelegen im Georgenpalais im Georgengarten, knapp 200 Meter von der Haltestelle.
Gewitztes im Georgengarten

Natürlich ist ein Besuchsgrund der Namensgeber, der ja immer wieder vielseitiger ist als man denkt und gerade auch wegen dieser Vielseitigkeit so viel weglassen und seine Zeichnungen noch gewitzter auf Punkt und Pointe hin reduzieren konnte. Aber mindestens genauso empfehlenswert sind die wechselnden Ausstellungen.
Peng und Hu
Noch bis 20. April sind beispielsweise große Teile des Hauses anderweitig und nicht minder kompetent belegt, nämlich durch Peng und Hu: den unverschämten österreichischen Cartoonisten Peng und den schön kreuz- und querverdrahteten Deutschen Rudi Hurzlmeier. Gut präsentiert und auch angenehm dosiert, so dass man nach anderthalb Stunden schön sattgesehen ist, aber nicht mental überfüllt. Und das ist kein Zufallstreffer, denn ab Mai gibt’s schon wieder ähnlich Gutes von und über F. K. Waechter oder Tex Rubinowitz.

Denkt sich der reisefaule Münchner in mir, dass man sowas theoretisch eigentlich genausogut auch in der bayerischen Landeshauptstadt aufbauen, einrichten und zeigen könnte. Aber erstens ist Bayern ja so schon lustig genug, und zweitens hat es wahrscheinlich von ganz früher bis zum heutigen Tage noch nie verdienstreiche humoristische (Comic-)ZeichnerInnen gegeben, die man irgendwie in München verorten könnte. Das würde der kunst- und comicbegeisterte Ministerpräsident ja wissen.
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In Zeiten von Krisen und Rezension ist Schenken erste Bürgerpflicht: Sieben kleine Geschenktipps von kostbar bis kostenlos

Weihnachten, die letzte Insel der Seligen. Kinder duften nach Bratäpfeln, Zuckerwatte ersetzt flächendeckend den Schnee und in der allgemeinen Besinnlichkeit entdecken vereinzelte Amerikaner, was sie da eigentlich gewählt haben. Alles könnte so schön und friedlich sein, aber vor das Fest haben die Götter die Geschenke gesetzt. Woher nehmen und nicht stehlen? Aber gottseidank lesen Sie ja das richtige Blog zur richtigen Zeit.
Für Leute mit Tisch

Tja, damit kann man natürlich praktisch nichts falsch machen: Man geht zum Taschen-Verlag und erwirbt einen gefühlten Zentner Premium-Comics, beispielsweise den zweiten Sammelband der Marvel-Avengers-Abenteuer. Schön verschubert und verpackt in Originalgröße. Vorsicht: Originalgröße bedeutet hier die Größe der Originalzeichnungen, also die doppelte Heftgröße. Das ist nicht nur deshalb wichtig, weil man die Hefte in diesem Umfang früher niemals unter der Bettdecke hätte lesen können. Sondern weil Sie heute berücksichtigen sollten, dass sowas auch fürs Sofa nicht so handlich ist: Beschenkte sollten für ermüdungsfreies Lesen wenigstens einen soliden Tisch in der Wohnung haben, eine hauseigene Bibliothek nebst Ohrenbackensessel wäre optimal. Bei Gefallen sind dann auch weitere Geschenk-Ideen für die nächsten Jahrzehnte gesichert, Sie müssen nur daran denken, die unteren Stockwerke ggf. baulich abzusichern. Aber wenn das alles bedacht ist: Mehr Marvel geht einfach nicht.
Für Lebende
Ein weiterer Teil der inoffiziellen Serie: Ist es überhaupt ein Comic? Tom Haugomat liefert mit „Ein ganzes Leben“ eine chronologische Erzählung in Jahresschritten. Rodney wird geboren und altert, und für jedes Jahr gibt es ein Bild Rodneys mit Ortsangabe sowie gegenüber etwas, das Rodney sieht. Was nicht nur eher wortlos klingt, sondern es auch ist. Aber es guckt sich sehr gut an: Fast schon meditativ blättert man durch die elegant designten Jahre, stets nur aus türkis/hellrot/ockergelb/weiß/schwarz zusammengesetzt. Das Konzept erinnert leicht an „Hundert“ von Valerio Vidali/Heike Faller: doch die schubsen noch mit kurzen Sätzen die Nachdenklichkeit an, während Haugomat die gesamte Kopfarbeit den Lesern freistellt. Funfact 1: beide Bände kommen aus der Schweiz. Funfact 2: „Ein ganzes Leben“ ist offenbar noch von einer echten Übersetzerin übersetzt, obwohl da wirklich nicht viel zu übersetzen war. Zu wünschen wäre es, aber vielleicht ist Philippa Smith auch irgendein Bot…
Für Tretende

Man möchte dringend, dass Max Julian Ottos „Es geht auch ohne Ehrgeiz“ funktioniert: Da ist so vieles sympathisch. Die Geschichte um den mittelalten Sohn eines verstorbenen Radprofis, der selbst das Radeln hasst, aber ein Café für Radfahrer eröffnet und in der Corona-Krise ins Zweifeln kommt. Die guten Beobachtungen, die professionellen, aber nicht zu anbiedernden Zeichnungen. Ottos Mut, den 200-Seiten-Comic einfach im Selbstverlag zu publizieren, in tadelloser Buchhandelsqualität, das fehlt sich nichts. Dazu fahr ich selber gern Fahrrad. Aber weil viele Einzelmomente noch keine gute Story ergeben, kommt die Geschichte selbst über nett leider nicht hinaus. Wobei: Der Radlersohn, der wieder zum Rad findet, das ist sehr, sehr gutes Wohlfühlmaterial, geeignet für Sat 1, ARD, ZDF, Familienfernsehen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Für politisch Denkende

Die Zukunft sieht düster aus. Die USA fallen als Demokratie weg, gehen außenpolitisch zur Schutzgelderpressung über, die anderen Staaten finden Einigkeit zu anstrengend und kochen nach und nach ebenfalls nationale Süppchen, die logischerweise immer dünner werden. Und jeder, der festzustellen wagt, dass es früher irgendwie besser war, wird als innenpolitischer Feind verfolgt. Nein, das gibt es nicht als Comic, das ist die reale Zukunft. Es gibt aber einen Comic, der im Vergleich dazu tröstlich wirkt: „Die Straße“ von Manu Larcenet nach dem Roman von Cormac McCarthy. Das Tröstliche: Diese Zukunft ist derart entsetzlich, dass sie Trump, Putin und Sahra Weidel zusammen nicht hinkriegen. Jedenfalls nicht in den nächsten zehn Jahren. Oder fünf.
Für Versöhnungsbedürftige

Wo treffen sich Gutmensch und Impfgegner? Genau, im Reformhaus. Und für dessen Monatszeitung „Reformhauskurier“ hat der große, leider schon tote Cartoonist Bernd Pfarr von 1988 bis 2004 den Comic-Strip „Alex der Rabe“ gezeichnet - der jetzt erstmals gesammelt erscheint. Alex ist eine Art Parallel-Donald Duck samt einer Daisy (Nicki), einem Gustav Gans (Dietrich), Düsentrieb (Professor Alonso). Band 1 ist jetzt erschienen und zeigt eine interessante Mischform: Einerseits sind die Episoden alle kindgerecht, mit eher schlichter One-Pager-Pointe wie im Micky-Maus-Heft. Aber bei mindestens fünf Episoden habe ich extrem gekichert, nicht zuletzt bei der mit dem Titel-Gag. Zusätzlich geschenkgerecht ist die Aufmachung des Buchs und natürlich die munter angeschrägte Pfarr-Optik. Und politisch wird’s – überhaupt nicht. Was wäre an Weihnachten willkommener?
Für lau

Okay, das geht nicht für jeden, aber für viele in NRW und je nach Reiselaune auch darüber hinaus. Und es kostet: nix, wenn Sie ein Deutschlandticket haben, vielleicht sogar zweimal nix. Das Geschenk geht so: Am zweiten Weihnachtsfeiertag nehme man die Beschenkten an der Hand, steige in einen Zug und fahre nach Dortmund. Am Hauptbahnhof raus, ca. 73,4 Meter über den Königswall schlurfen und hinein in den Schauraum comic + cartoon mit der neuen Ausstellung „Black Comics“: Alles rundum Bestseller wie „Black Panther“ oder Eigenwilliges wie „Aya aus Youpogon“. Mit etwas Glück hat Ausstellungsmacher Alexander Braun für Sie sogar den lesenswerten Katalog noch passend zum Mitnehmen fertiggedruckt, zum günstigeren Ausstellungspreis. Vielleicht noch zwei Kaffeebecher einpacken, für den Glühwein daheim, einen Happen essen, dazu ein bis zwei Pilse einwirken lassen und sich der Bahn für die Heimfahrt anvertrauen. Kann man eigentlich alle Jahre wieder machen...
Ach so, ich hab ja sieben Tipps versprochen: Im Notfall schenken Sie einfach einer Comicfanin/einem Comicfan Ihrer Wahl ein Abo dieses Blogs... Kostet ebenfalls nix, ist schnell gemacht und auch noch Sekunden vor der Bescherung verfügbar.