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Comicverfuehrer

Drogen, Dödel, Dämlichkeit: Alessandro Tota erkundet mit munterem Sarkasmus die hässliche Seite des Stiefels

Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt
Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt

Ich mag ja Italien. Und diese Liebe steckt viel weg: Schlimme Filme von Adriano Celentano genauso wie den Neorealismus von De Sica oder Giorgia Meloni. Nichts davon kann je verdrängen, dass in diesem Land jederzeit eine Pizza Margherita erhältlich ist. Und deshalb mag ich auch Comics wie die von Gipi, wie „Die Stadt der drei Heiligen“ oder „Der Schleuser“ und jetzt eben auch Alessandro Totas „Fratelli“.


Schaurig-schöne Realität


Von Tota habe ich grade „Die große Illusion“ empfohlen und daher ein bisschen gestöbert, was er (immer dem Autor folgen!) bisher so geschrieben hat. „Fratelli“, sein Durchbruch, reiht sich nahtlos ein in die großen schaurig-schönen Erzählungen der italienischer Realität.

Illustration:  Alessandro Tota - Reprodukt
Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt

Diesmal sind wir im Bari der 90er Jahre. Zwei träge und erschütternd dämliche Brüder leben zusammen, und zwar mehr oder weniger vom Verkauf von Teilen aus der Familienwohnung. Ja, sie sind ein bisschen drogensüchtig (Gras, Koks), vor allem aber faul. Beiden ist klar, dass nach dem Verkauf der nächste Verkauf ansteht, bis nichts mehr da ist. Beide wissen, dass sie im tadellos arbeitsfähigen Alter sind, und – naja, verkaufen wir erst mal Muttis Lieblingsbild, ohne ihr was zu sagen.


Mit Muttis Doggy-Bag aufm Klo


Den Abend verbringen sie mit Abhängen in der Clique von Freunden, wobei: Was, um Gottes willen, sind das für Freunde?? Jeder ist halb heruntergekommen, noch irgendwie funktionsfähig, aber jederzeit bereit, jeden zu bescheißen, Geld zu behalten, Drogen zu verstecken oder heimlich wegzurauchen, die bescheuerten Brüder futtern sich sogar heimlich auf dem Klo Muttis Doggy-Bag weg. Große Bewunderung haben alle nur für den seltsamen Claudio, der Heroin nimmt, wundersamer Weise aber dennoch arbeiten geht und in seiner Freizeit Flugblätter mit Aphorismen verteilt, einfach so, aus Spaß (!) und Interesse (!!) an Literatur (!!!).

Illustration:  Alessandro Tota - Reprodukt
Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt

Tota fängt all das in nüchtern-naivem Schwarz-Weiß ein, mit sehr guten, flotten Dialogen, aber auch atmosphärischen Szenen, womit er die Freudlosigkeit zugleich sehr genießbar macht. Es gibt immer wieder nächtliche Blicke in die laternenbeleuchteten Parks, wo die Clique abhängt. Verwaiste steinerne Bänke, bekritzelt, verschmiert, leere Schnapsflaschen, Zigarettenkippen, Bierdosen, gelegentlich eine Spritze. Der Tourist kennt das von Spaziergängen in italienischen Großstädten, es müsste eigentlich so trostlos sein wie die Frankfurter Bahnhofszene und ist es eigenwilliger Weise doch immer wieder nicht ganz. „Fratelli“ ist ein bittersüßes tja, nennen wir’s mal: Vergnügen. Liegt’s an der Sonne, liegt’s daran, dass man hier halt nicht lebt – oder liegt’s an der Pizza Margherita?

 


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Charmant, spannend, informativ: Vor dem Hintergrund der Großen Depression entwickelt Alessandro Tota eine kleine Geschichte des Comic-Hefts

Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt
Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt

Hut ab, das hier ist ein echtes Kabinettstück. Eine Kombination von Inhalten, die sonst selten gut zusammen gehen: Information und Unterhaltung. Die üble Variante kennen Sie aus vielen TV-Dokus mit Spielhandlung: manchmal entsetzlich, meistens furchtbar. Doch wie man’s richtig macht, zeigt Alessandro Totas „Die Große Illusion“.


Ein Held namens „Ghostwriter“


Wir sind im New York des Jahres 1938, die Große Depression ist noch nicht recht überwunden. Polizisten knüppeln eine Demonstration kommunistischer Arbeitervertreter brutal zusammen. Unter den Opfern ist Roberta, eine junge Frau, die unter einem harten Schlag auf den Kopf zusammenklappt – und eine Erscheinung hat. Allerdings erscheint ihr nicht der liebe Gott, sondern die reichlich abstrusen Superhelden Dogman (in Begleitung seines Hundes), Arachna und Ghostwriter. Warum, erzählen sie uns im delirierenden Kopf der jungen Frau selbst.

Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt
Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt

Die ist ein Landei, das ein paar schmuddlige Detektivgeschichten gelesen hat und dann in die Großstadt geflohen ist, weil sie nicht zwischen Vieh und Farm leben will wie Mutti. Schon hier ist viel von Totas ausgeklügeltem Mix erkennbar: Die Zeichnungen sind schlicht, bunt, mit einem Touch „Tim & Struppi“, also sehr zugänglich. Die seltsamen Superhelden sind nicht ganz ernst zu nehmen, sie kabbeln sich untereinander, da ist eindeutig eine spaßige Note. Aber: Die Geschichte der jungen Frau bleibt todernst.


Kofferklau dank Comicliebe


Als sie in New York ankommt, so begeistert von der bunten Stadt und den Kiosken voll bunter Comichefte, dass sie gleich einen Arm voll kauft und nicht merkt, wie ihr der Koffer geklaut wird, wie sie durch die rappelvollen Straßen schlurft, verängstigt, ohne Geld, ohne Bleibe für die Nacht – da gibt’s auch für den Leser nichts zu grinsen.

Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt
Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt

Es sind Kommunisten, die sich ihrer annehmen und ihr unter die Arme greifen. Roberta kriegt ein WG-Zimmer und soll Arbeit suchen, aber 1938 findet sich absolut nichts. Sie hilft gratis in einer Arbeiterzeitung, lernt mühsam Tippen und versucht sich nach Feierabend als Krimi-Autorin. Abends geht sie in linke Künstlerkneipen, wo Schwätzer jeden Kalibers versuchen, alles abzuschleppen, was nicht bei eineinhalb auf den Bäumen ist. Einer von ihnen ist der arrogante Battarelli, der gerne Maler wäre, aber von Illustrationen leben muss. Und jetzt kommen wir langsam zur historischen Info…


Der Gamechanger aus „Action Comics“


Battarelli ist in Nöten. Er soll für wenig Geld eine Comicgeschichte liefern, aber im Storys-Erfinden ist er lausig. Prompt denkt er an Roberta, die ihm aus der Patsche hilft und die er zum Dank genauso prompt um ihr Geld betrügt. Weshalb die Geschichte hier enden würde, aber wir haben ja 1938. Das Jahr, in dem – wie Comicfans wissen – das erste Heft mit Superman auf den Markt kam und der Superhelden-Boom entstand. Prompt wittert der ideenlose Battarelli das große Geld, aber diesmal ist Roberta gewarnt.

Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt
Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt

Im Lauf der Erzählung erfährt man praktisch alles. Wie eine Geschichte entsteht, wer zeichnet, wer tuscht, wie man sich einen neuen Superhelden ausdenkt. Wer kauft, wer verkauft, wer hat die Rechte? Und wo aus dem Nichts viel Bedarf kommt, gewinnt auch, wer schneller zeichnen und liefern kann. Man lernt Bob Kane kennen und Will Eisner, wirbt sich die Zeichner ab, holt talentierte Jungs von der Straße, alles passiert genauso, wie es damals wirklich passiert ist. Ohne dass man’s eigentlich mitkriegt, aber eben auch so, dass man’s sehr wohl mitkriegt. Und das ist der eigentliche Knaller.


Kompakt verpackt und doch exakt


Tota erfasst die Mechanik, die Ökonomie der Branche, sogar das Halbseidene so präzise, dass man Dinge mitbekommt, für die man bisher einen der (vorzüglichen!) Wuchtwälzer von Alexander Braun durchwühlen musste (der zur Ausstellung  „Black Comics“ ging gerade in Druck). Für Wissenschaft reicht’s noch nicht, fürs Verstehen aber dicke. Und vergnüglich ist es obendrein, weil Tota den Humor fein mit der Geschichte abschmeckt. Was nicht ganz überraschend kommt, denn Tota hat vor längerer Zeit schon einmal hintergründig gut überzeugt, und zwar hier.

 




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Der ideale Comic zur Frankfurter Buchmesse: "Der Bücherdieb" von Alessandro Tota und Pierre van Hove ist ein boshafter Rundumschlag gegen die Literaturszene.


GUT ZU FUSS Illustration: Alessandro Tota/Pierre van Hove - Reprodukt

Will man sowas lesen? Gerade jetzt, zur Buchmesse? Über 7000 Aussteller (und Ausstellerinnen), 200 Hammerautoren (und Hammerautorinnen), alles, was Rang und Namen hat, die richtig große Literatur, schöne, gute Premium-Kunst, und dann kommt da dieser kleine gemeine Comic und sagt: alles Humbug. „Der Bücherdieb“ heißt er, von Alessandro Tota und Zeichner Pierre van Hove, und das Gemeine ist, dass er so authentisch übertreibt.


Die Geschichte spielt im Paris der 50er Jahre. Daniel Brodin studiert widerwillig Jura und stiehlt nebenher Bücher. Er hält sich für geschickt und kaltblütig, tatsächlich ist seine Masche eher brachial: Er lässt sich vom Buchhändler erwischen, verprügeln und das gemopste Buch wieder abnehmen – weil er insgeheim ein zweites geklaut hat. Obwohl er sanfte literarische Ambitionen hat, schreibt er selbst nicht. Seine Flamme Nicole schleppt ihn zu einem Dichterwettstreit, nur als Zuhörer, und als die Literatenrunde nach langen Streitereien in die Runde fragt, ob denn womöglich ein „junger, unerfahrener Dichter“ anwesend sei, steht er auch nur auf, um Nicole zu beeindrucken. Er trägt ein geklautes Gedicht vor, immerhin selbst übersetzt – die Literaturszene ist begeistert. „Sie umringen mich, loben mich“, stellt er fest, „ich wünschte es würde nie enden.“


"Ich wünschte, es würde nie enden"


Kurz darauf verschlägt es Brodin in ein literarisches Untergrund-Café, wo er sich als frisch entdeckter Dichter erst blamiert und dann die Runde für sich gewinnt, indem er seinen Coup mit dem geklauten Gedicht als avantgardistisches Kabinettstück beichtet. Ein weiterer Triumph, Brodin ist auf Wolke Sieben. Und obwohl man die ganze Geschichte aus Brodins naiv-geltungssüchtigem Blickwinkel erlebt, hat man da schon eine Menge über den Literaturbetrieb gelernt. Oder?


Da wäre schon mal Brodins Schwanken zwischen grandioser Selbstüberschätzung, Suche nach Anerkennung (von Establishment, Untergrund oder einfach nur Frauen) und nackter Furcht vor Entlarvung. Oder die gesellschaftliche Erwartung an einen Dichter: „Mein gewöhnliches Aussehen sorgt für Enttäuschung. Man hätte sich einen Proletarier gewünscht oder besser noch einen Obdachlosen.“ Nicht zu vergessen: der versammelte Quatsch der Untergrund-Szene, der plötzlich klingt wie eine weise Weltanschauung, wenn man ihn nur selbstbewusst genug vorträgt: „Man sollte gehen, um sich zu verirren, nicht um anzukommen.“ Oder: „Die Avantgarde ist ein gefährliches Metier.“ Oder: „Wenn ich ein Auto klaue, warte ich auf den Besitzer ehe ich losfahre. Er soll mich sehen.“


"Bravo, mein Junge. Sie haben das Zeug zum Dichter!"


Ebenfalls nicht ganz unvertraut ist der Wunsch der Literaturkenner, neue Künstler selbst zu entdecken: „Sie wollen die Pariser Literaturszene in die Luft jagen“, reimt sich der Experte Bélanchon daraus zusammen, dass er Brodin mal als Gedichtrezitator und mal mit dessen Saufkumpanen gesehen hat. „Bravo, mein Junge. Sie haben das Zeug zum Dichter!“

Klar, den „Bücherdieb“ kann man auch als soliden Rundumschlag bezeichnen. Besonders wirkungsvoll ausgeteilt, weil Pierre van Hoves Bilder so lakonisch daherkommen. Schwarz-weiß getuscht, auf jede Karikatur verzichtend, ein bisschen Sempé zitierend, sehr nahe an Joann Sfar arbeitend, zielsicher auf die rauchgeschwängerte, anzugtragende Ernsthaftigkeit vertrauend, in der die Protagonisten ihre Ansichten zelebrieren. Aber insgesamt drischt „Der Bücherdieb“ doch auf jeden gleichermaßen ein und schießt dazu auch noch aus sehr sicherer Distanz, denn die 50er, die waren wirklich ziemlich altbacken und spießig, nicht wahr? Damals hat einen ja schon ein Rollkragen zum Revoluzzer befördert, heute ist das alles längst ganz anders. Souveräner, gereifter, toleranter, entspannter.


Ist es das?


Was ist denn der munter zelebrierte deutsch-türkische-Slang hiesiger Gangster-Rapper anderes als der Rollkragen des Hip-Hop? Wenn der bekannt reflektierte Kollegah schreibt, dass „ein Alpha“ den Blick „nicht auf den Arsch irgendeines Anführers“ richtet, für eine Leserschaft, die mit dem Kauf seines Buches genau das tut und sich dafür auch noch willig die Ohrfeige des Autors abholt – zeugt das nicht vom einhelligen Wunsch von Autor und Leserschaft nach einem modernen Existenzialismus: „Isch fick disch also binnisch“? Und wenn Rowohlt die Verlegerin Barbara Laugwitz gegen Florian Illies austauscht, weil ihre sachorientierte Nüchternheit nicht die Sehnsüchte der Szene bedient – ist das nicht dasselbe wie: Ihre „gewöhnliche Erscheinung sorgt für Enttäuschung“?

Will man sowas lesen? Gerade zur Buchmesse?

Ich auf jeden Fall.


Alessandro Tota/Pierre van Hove, Der Bücherdieb, Reprodukt, 20 Euro


Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.

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