Fünf Mangas in fünf Minuten (IV): Vier Titel sind zwischen absurd und obszön, doch dann liefert ein guter Bekannter einen echten Volltreffer
Es ist tatsächlich viel Unsinn im Umlauf in Mangaland - was auch eine Chance ist: Was ich für blöd-absurd halte, können andere schon wieder witzig-absurd finden. Aber in einem Fall dürfte sich die Empfehlung für alle lohnen...
Zombie-Katzen
Wer glaubt, er habe schon alles gesehen: Jetzt kommen Katzen als Zombies. Wer in „Night Of The Living Cat“ gebissen wird, verwandelt sich in eine Katze. Das Resultat soll „süßen Katzenhorror“ ergeben, mit, logisch, Humor. Der darin besteht, dass ausgerechnet der Katzenfreund Kunagi die Monstermiezen bekämpfen muss. Indem er sie tötet? Nein, Humor hier ist nicht schwarz, sondern tantig: Kunagi bespritzt sie mit Wasser. Maunz.
Dann wird lang und breit erklärt, warum Katzen kein Wasser mögen. Weshalb sich die Parodie plötzlich liest, als hätte sie einen „Was ist was“-Band gefrühstückt. Und Kunagi, der Katzenfreund, jammert unablässig, wie schwer ihm das fällt. Weil er Katzen ja eigentlich mag. Er ist nämlich ein Katzenfreund. Sie verstehen, ja? Ausgerechnet! Er! Mag Katzen trocken! Macht Katzen nass! Heul! Oder auch: zum Katzen.
Rettung aus der Luft
Also, diesen Namen muss man sich wirklich merken: Naoki Urasawa. Bereits die schön mysteriösen „20th Century Boys“ waren sehr lesbar. Jetzt habe ich seinen ersten Band „Asadora“ durch und bin schon wieder angetan: Erneut schlägt Urasawa einen Zeitbogen von einer nicht klar erkennbaren Katastrophe 2020 ins Jahr 1959. Dort überrascht das Mädchen Asadora während eines Taifuns einen Einbrecher. Beide fliehen vor dem Sturm in einen Container. Als sie den wieder verlassen, ist das ganze Stadtviertel weg: Überflutet von Wasser und Tausenden schwerer Baumstämme.
So arbeitet Urasawa offenbar gern: Er bietet sehr kleine, stille Szenen (Dialog Asadora/Dieb) und langt dann richtig fett hin. Die (historische) Flutkatastrophe breitet er in beeindruckenden Totalen aus. Und anschließend lässt er das unwahrscheinliche Team aus Mädchen und Dieb eine spontane Hilfsaktion per Flugzeug organisieren. Was das mit der Katastrophe 2020 zu tun hat? Keine Ahnung, aber am Ende des Bandes hänge ich schon so an der pfiffigen Asa, dass ich sogar auf die Katastrophe verzichten könnte.
Bubenstück
Das ist für Manga-Anfänger leichter zu lesen: normale Leserichtung. Warum? Offenbar weil „BJ Alex“ aus Korea kommt. Damit enden aber schon die Vorteile. Es geht um Boys Love, also Männersex, Jungmännersex, alles inklusive (ja, auch herumspritzendes Sperma), nur die Penisse werden unscharf ausgeblendet (Ältere kennen das vom Grauen Star, Jüngere wissen jetzt, was sie später erwartet). Die Zeichnungen sind benutzerfreundlich realistisch, die Geschichte ist so hölzern, dass man schreien möchte, aber nicht vor Lust: Junge onaniert vorm Livestream eines fremden Jungen, dann treffen sie sich zufällig an der Schule, finden zueinander, blablabla. Die Schlüsselstellen „Unsicherheit“, „Annäherung“, die manche Mangas so clever ausreizen, kriegt die Leserschaft hier geradezu einlaufartig eingetrichtert. Bzw. so lieblos-funktional verabreicht wie die Soundwords „VERBEUG“, „ALLEINGELASSEN“ und „HARMONIE“.
Vokabeln abfragen
Also, aufgepasst: Wir sind in einer Welt, in der große und kleine Lateinvokabeln herumlaufen. Alle staunen über die Lateinvokabeln und sind ganz begeistert, und alle lernen alle Lateinvokabeln auswendig. Dazwischen finden Lateinvokabel-Wettkämpfe statt. Es gibt außerdem einen uralten Weisen, der noch ganze andere Lateinvokabeln kennt. Und er weiß von früher, wo die Leute noch Etruskisch geredet haben. OMFG! Eines Tages kommt Doofi in die Stadt, der viele Lateinvokabeln noch nicht kennt. Eieiei, das kann ja was werden! So, jetzt tauschen Sie „Lateinvokabeln“ gegen Pokémon, dann wissen Sie alles über „Pokemon - Schwert und Schild“. Na, Lust gekriegt?
Niedlichbub und Süßygirl
Das hier ist Fließbandware in Industriequalität: „Miraculous“ ist eine französische TV-Serie aus dem großen Disney-Fresskorb, Giganto-Franchise inzwischen längst inklusive. Zielgruppenorientiert. Letztlich geht es um zwei Teenies (Niedlichbub/Süßygirl) aus derselben Schulklasse, die nicht wissen, dass sie beide nebenher auch die Superhelden Cat Noir bzw. Ladybug sind. Und jetzt: Niedlichbub liebt Ladybug, aber nicht Süßygirl, Süßygirl liebt Niedlichbub, aber nicht Cat Noir. Irrungen, Wirrungen. Das Ganze radikal jugendfrei, das walte Disney, und die südkoreanische Animation füllt die Spaßromantiksuppe praktisch noch sendewarm in den Manga ab. Ist das gut? Schlecht? Prinzip Zuckerkette: Ab einem gewissen Alter nur noch im Freibad genießbar.
Zag, Dorothea Klapper (Üs.) Miraculous – Abenteuer von Ladybug und Cat Noir, panini manga, 7,99 Euro
... wird natürlich fortgesetzt
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5 Mangas in 5 Minuten (II): Ein Volltreffer und zweimal erotischer Kundenservice – im zweiten Fernost-Set überzeugt ein 50-jähriger Klassiker am meisten
Man kann über Mangas sagen was man will, aber sie sind erstaunlich vielfältig, zielen oft präzise auf die Schlüsselreize der Kundschaft und dröseln diese Reize gerade bei Erotik ähnlich fein auf wie die Pornobranche. Man muss das Ergebnis nicht mögen, aber: fad ist es nicht – auf zum nächsten Mangaquintett.
Per Händedruck durch die Zeit
Zeitsprünge hatten wir ja schon in der letzten Stunde: „look back“. Die „Tokyo Revengers“ arbeiten ähnlich. Der Loser Takemichi erfährt, dass seine Ex und ihr Bruder bei einem Bandenkrieg starben. Am selben Tag wird er vor eine U-Bahn gestoßen und ist plötzlich zwölf Jahre in der Vergangenheit, in der er den Bruder warnt. Der wird daraufhin in der Vergangenheit Polizist, um mit Takemichi den Bandenkrieg zu verhindern und so seine Schwester zu retten. Die Technik dazu: Takemichi springt jedesmal, wenn er den Bruder berührt, zwölf Jahre vor oder zurück. Warum? Darum!
Nerviger als diese Erklärung ist, wie unentschlossen die Geschichte zwischen Jugendbanden-Ding, Zeitreise und Beziehung herumeiert. Das Ergebnis ist eine Art „Zurück in die Zukunft“, aber nicht spielfilmlang, sondern ausgewalzt auf 16 Bände. Und: sehr, sehr witzlos.
Rohrloser Klempner
Cleveres Fastfood der sexuellen Orientierung: Die Schülerin Satomi verliebt sich in den coolen Kanda und hat den idealen Vorwand, ihn anzusprechen: Es fehlen Jungs für das Crossdress-Café am Unifest, bei dem sich (wie so üblich) Männer als Frauen und Frauen als Männer verkleiden. Kanda erklärt sich bereit, aber nur wenn – Satomi eine Nacht in einem Spukschloss verbringt? Nein, sondern: seine Freundin wird. Denkt er natürlich: Macht die nie. Macht sie aber doch! Fortan hat er sie an der Backe und will sie wieder loswerden. Denn: Kanda ist gar kein Junge, sondern ein Mädchen! Wieso das bisher keiner gemerkt hat (Sportunterricht?) – egal: die lesbische Zusatzverwirrung ist durchaus originell. Der Rest ist Profihandwerk: Gags und Story werden überdeutlich vorgekaut, dazwischen gibt’s den Fan-Modus, bei dem man als Bonus etwa die Handtaschen der beiden im „Fashion-Check“ vergleicht. Das Ergebnis ist gut gefertigte Romantik-Dienstleistung oder sexlose Pornografie: der Klempner verlegt halt kein großes Rohr, sondern hält Händchen und macht sich tiefe Gedanken darüber.
Deftiges ab 16
Okay, auch hier: handwerkliche Hochachtung für einen solide gemachten Halbporno. Was das ist? Man sieht viel, aber auch viel nicht, es gibt mehr Atmosphäre als Vollzug. Ryuta Amazumes Thema ist „Leder, SM und Scham“, und sie stielt die Story branchenüblich rücksichtslos ein: Kaoru stellt sich seine beste Freundin Nana in Leder vor, Mutti findet sein Lederzeugs, nimmt es ihm weg und gibt es wem zum Aufbewahren? Klar, Nana, wem sonst? Die es daraufhin, Überraschung: prompt neugierig anzieht, und so wird seine Fantasie wahr usw. So weit, so blöd.
Aber wie Amazume die Szenen ausspielt, ist schon wieder gut gemacht: es wird viel gedacht und gezweifelt, viel soll-ich/soll-ich-nicht, was-denkt-der-andere, viel Scham, endlose Überwindung – und das muss man auch erst mal richtig ausspielen können. Im Zentrum steht eindeutig Nanas Perspektive, es wird nach und nach gefesselt und gepinkelt und fotografiert, und all das so, dass man's doch immer noch „ab 16“ anbieten kann. Man staunt.
He-Man auf der Heizung
Au, au. „Fist of The North Star“ ist definitiv in der „Jojo“-Kategorie. Tumbe Dialoge und eine Art „Mad Max“-Welt, durch die der Held Kenshiro schreitet und sich Runde um Runde abkämpft. Ständig hält irgendwer irgendwem einen Vortrag über seinen Kampfstil und welcher besser ist und schnarch. An allen Ecken und Enden verrutscht die Perspektive, außer einer: Den schmollmundigen Heldenkopf sieht man vorzugsweise von unten rechts. Die Proportionen orientieren sich häufig an He-Man-Figuren, die man auf der Heizung vergessen hat. Es heißt, der Comic sei ultrabrutal, aber selbst die blutigste Prügelei ist nicht so schmerzhaft wie diese erstaunliche Kombination aus Storytelling, Artwork und Presswurst.
Kinderkram
Dieses Duo kann ich eindeutig empfehlen: In „Lone Wolf & Cub“ schiebt der Ex-Samurai und Jetzt-Auftragsmörder Ogami Itto seinen Dreijährigen in einem Kinderwagen durch die Gegend. Kazuo Koike und Goseki Kojima nutzen in diesem über 50 Jahre alten Klassiker die Konstellation nicht für billige Witze, sondern geschickt als zusätzliche Herausforderung: Für Ogami im Kampf – und für die Erzählung, denn Ogami findet umgekehrt auch immer wieder Lösungen, für die der Kleine hilfreich ist. All das wird in handlichen Episoden erzählt, die nicht nur spannend sein können, sondern auch tragisch, mit Zeichnungen, die explosiv sind, ideen- und abwechslungsreich, rasant und geduldig, je nach Situation. Und gerade durch die vielfältigen Episoden ahnt man: Hier ist eines der Vorbilder von Stan Sakais „Usagi Yojimbo“.
... wird natürlich fortgesetzt
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Grandios gezeichnet, raffiniert inszeniert, Action bis zum Herzkasper: Die Fantasy-Serie „Klaw“ ist richtig, richtig gut - und findet in Deutschland keinen Verleger
Ich versteh’s nicht. Null. Dieser Comic hat alles, einfach alles für einen richtigen Bestseller. Er sieht geil aus und zugleich anspruchsvoll. Er hat eine eigenständige Geschichte, traumschöne Actionszenen, ist knallbunt und aufregend. Man muss sich auch nicht lang reinfinden, die Story explodiert schon auf Seite 3. Und sie ist keine Eintagsfliege, es gibt inzwischen zwölf Bände. In Frankreich, in Italien, in England und den USA.
Aber nicht in Deutschland.
Der Comic heißt: Klaw.
Neuer Mix mit vertrauten Elementen
Die Handlung ist ein Highlander-Superheldenmix, die besondere Zutat sind: Tiere. Wir lernen den Jungen Angelo kennen, genannt Angel, er ist Sohn eines Mafiabosses (was er aber nicht weiß). Eines Tages wird Angelo von Mitschülern verprügelt und verwandelt sich in seiner Not in sowas wie eine Mischung aus Hulk und Werwolf, einen Wer-Tiger. Schon dieser ersten vier Seiten sind fantastisch.
Seite 1: Schulalltag. Große Pause im Treppenhaus. Lauter Schüler, und jeder einzelne bewegt sich superecht, redet mit anderen, hat so viel Eigenleben, dass die Schule vor Lärm und Leben nur so brummt. Angel sieht seine Gegner, flieht in den Keller.
Seite 2: Der Fluchtweg - eine Sackgasse!
Seite 3: Angel wird verhauen. Eine Konkurrenzbande trifft ein. Und während beide Gangs streiten, wer das Opfer kriegt, setzt die Verwandlung ein.
Seite 4: Der Tiger. Und was für einer!
Bud Spencers Brummen wird zum Zirpen
Menschliche Gestalt, enorme Athletik, zweieinhalb Meter hoch, mit Tigerfell und einem derart bedrohlicher Kopf, dass man sich verkriechen möchte. Er trägt noch Angels Hose, hinten ringelt sich ein langer Schwanz heraus. Und wenn er spricht, klingt Bud Spencers Stimme wie ein Zirpen.
Der Tiger sieht nicht nur hammermäßig aus, Zeichner Joël Jurion setzt ihn auch hammermäßig in Szene. Wie er ihn aus einer Geistwolke auftauchen lässt, wie er durch geschickte Blickwinkel den gigantischen Tiger aufragen lässt, wie er Action und Wirkung gegeneinander schneidet, das wirkt genau so großartig wie gedacht.
Grell und explosiv: Angels erstes Mal
Auf Seite fünf spielt er erstmals mit den Panelformaten, mal thront der ganze Tiger auf seinem Opfer und brüllt, dass man vom Hinschauen taub wird. Dann: Die Tigerfaust vor dem Zuschlagen! Der Tiger klein, weil: vorne ganz groß die entsetzten Kinderaugen! Dann nur noch der aufgerissene Kindermund klein, weil sich davor die Kinderfinger verkrampft in den Boden krallen, und davor sind die Rillen, die diese verzweifelten Finger im Boden hinterlassen. Ende der Szene: Angels lakonischer Satz: „Das war das erste Mal, dass ich mich in einen Tiger verwandelte.“
Die Kinder werden natürlich nicht aufgefressen. Sie beschweren sich beim Rektor und keiner glaubt ihnen, aber so erfahren wir von Angels Gabe, mit der er danach natürlich viel angemessenere Gegner bekämpfen wird. Der Tiger ist ein Dizhi, ein Totem, das sich seit uralten Zeiten immer wieder einen menschlichen Wirt sucht. Es gibt nicht nur einen Dizhi, sondern zwölf, und das sind nicht alles Tiger, sondern es gibt auch die Ratte oder das Pferd oder das Kaninchen. Alle haben unterschiedliche Eigenschaften, und ihre Wirte sind nicht immer nett, freundlich oder auch nur Kinder. Aus diesen Zutaten entwerfen Jurion und sein Szenarist Antoine Ozanam eine atemberaubende Sage mit immer neuen Verwicklungen und irrsinnigen Zweikämpfen, denn wer einen Dizhi tötet, kann dessen Totemtier und seine Fähigkeiten highlandermäßig in sich aufnehmen.
Und daher meine Ratlosigkeit: Die Geschichte ist einerseits vertraut, aber optisch ungewohnt und aufregend, dabei aber mit einem leichten Mangatouch gefällig gewürzt. Immer neue Wendungen vermischen Freund und Feind wie in einer erstklassigen Mystery-Serie, und die Dynamik ist vorbildlich: Das Verwandlungselement darf ja nicht zu oft erscheinen, damit es immer wieder ein Höhepunkt ist, und wie Ozanam hier geschickt das Tempo rausnimmt und verzögert, ist der Zeichenkunst von Jurion ebenbürtig. „Klaw“ ist exzellentes Handwerk im Dienst von purem Entertainment. „Klaw“ könnte sooo viel schlechter sein, ist aber sooo viel besser. Und das größte Rätsel von allen: Autor Antoine Ozanam ist nicht meine supermühsame Entdeckung.
Top-Handwerk, pures Entertainment
„Klaw“ erscheint in Frankreich bei Dargaud, das ist keine Miniklitsche, sondern der Laden, der Asterix verlegt. Antoine Ozanam hat auch bereits bei zwei namhaften deutschen Verlagen veröffentlicht: „Burn Out“(avant-verlag) und „Dschingis Khan“ (Splitter). Die sagen also sicher nicht: „Antoine wer?“ Und Ozanam hat sicher auch nicht beschlossen, „Klaw“ geheim zu halten.
Soeben ist der vierte Sammelband auf englisch erschienen. Tja, und jetzt die Frage: Bin ich der Einzige, der das für so toll hält? Liege ich wirklich so komplett daneben? Funktionieren magische Viecher nur in der richtigen Schule, aber nicht im Actionsegment? Weiß ich tatsächlich nicht, wie kommerziell ansprechende Supertier-Battles aussehen müssen? Bilde ich mir das alles womöglich nur ein? Finden Sie's raus!
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