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Comicverfuehrer

Die Outtakes (11): eine niedliche Depression, eine wirre Konfusion, eine nützliche Repetition

Illustration: Rina Jost - Edition Moderne

Ernste Sache, niedlicher Hund


Depression. Schlimm, keine Frage. Wichtig, auch. Aber zugleich: Trendthema. In Büchern, Zeitungen. Auch im Comic. In „Weg“ wählt Rina Jost die Angehörigenperspektive: Sybil versinkt (geradezu bildlich) in einer Depression, ihre Schwester Malin folgt ihr in diese Seltsamwelt, um sie zu retten. Damit muss ich schon kämpfen, weil – nach allem, was man so hört und liest – Nichtdepressive manches zwar verstehen können, komplett mitempfinden jedoch nicht. Aber okay, nehmen wir's als Symbol/Versuch: Warum geht dann Malins niedlicher Hund mit ins Depriversum? Vollzieht der auch irgendwas nach? Oder wollen wir bei aller Ernsthaftigkeit des Themas doch nicht auf niedliche Hunde verzichten? Nichtmög!

Warum ist dann „Weg“ nicht ganz weg, sondern bei den Outtakes? Weil Daniela Schreiters „Schattenspringer“ seit längerem abräumt ohne Ende, und Schreiter behandelt das Thema „Asperger-Autismus“ mit ähnlichem Niedlichkeits-Beigeschmäckle. Es gibt also viele Leute, die sowas mögen, und wenn Sie dazugehören, könnte „Weg“ genau Ihr Ding sein.



Verwirrende Verwunderung

Illustration: Jeff Lemire/Andrea Sorrentino - Splitter Verlag

Der Verdacht verfestigt sich, dass die Grusel-Einteiler von Jeff Lemire und Andrea Sorrentino mehr Atmosphäre liefern als Inhalt (den Vorgängerband finden Sie hier). „Zehntausend schwarze Federn“ erzählt von zwei Freundinnen, die sich eine Fantasywelt ausdenken und später aus den Augen verlieren. Um die eine zu retten, muss die andere ihr in diese Welt folgen. Die angenehm unangenehme Düsternis wird aber rasch so konfus, dass man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Korrekter Einwand: Ist Verunsicherung nicht der eigentliche Gag beim Grusel? Antwort: Ja, aber in Grenzen. Wenn der Leser nicht mehr beurteilen kann, was möglich oder unmöglich ist, dann kann er sich auch über nichts mehr wundern. Gut aussehen tut die Sache trotzdem.



Crash in der Speisekammer

Illustration: Neal Adams - DC Comics

Kleines Repetitorium: Wenn man Comics eines Teams von Autor und Zeichner gut findet, und wenn das Team nichts mehr zusammen produziert, wem folgt man dann auf der Suche nach ähnlich guten Comics?

Dem Autor?

Dem Zeichner?

Beiden, aber dem Zeichner mit mehr Vorsicht. Denn Autoren finden andere Zeichner, Zeichner hingegen machen gerne mal alleine weiter. Und da ist dann Vorsicht angeraten. Wer daran zweifelt, werfe einen Blick in die 2018er „Deadman“-Miniserie des inzwischen verstorbenen Alt-Meisterzeichners Neal Adams. Das sieht nach wie vor ansehnlich aus, aber wie schon in „Batman: Odyssey“ gilt: Adams ohne Autor ist wie eine Speisekammer, in der das Regal zusammengebrochen ist. Dosenravioli baden in der Büchsenmilch, Lebkuchen lungern dazwischen, und Muttis eingemachte Kirschen kugeln an den Essiggurken vorbei durchs Gulasch. Sie finden alles, was Sie mögen, aber das Ergebnis ist ungenießbar und voller Glassplitter.




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Lang nicht so gelacht: Blutchs bezaubernd brillante Episoden aus einem heranwachsenden Bubenkopf


Illustration: Blutch - Reprodukt

In unlustigen Zeiten käme was zu lachen recht. Und mir ist tatsächlich was sehr Spaßiges in die Hände gefallen. Mit (zugegeben) Verspätung, aber was soll's: ein würdiger Nachfolger des „Kleinen Nick“. Nein, nicht Riad Sattoufs „Araber von morgen“, auch nicht „Esthers Tagebücher“. Sondern der 15 Jahre alte (aber noch lieferbare!) Band „Der kleine Christian“ eines Herrn namens Blutch.


Aus dem Donjon gebuddelt


Auf Blutch kam ich, weil ich locker den „Donjon“ verfolge. Jene Endlos-Fantasy-Parodie von Lewis Trondheim und Joann Sfar, die für alle empfehlenswert ist, die Fantasy nicht total ablehnen. Sie ist oft sehr gut und (noch wichtiger und schwieriger): praktisch nie schlecht. Sfar und Trondheim texten und lassen einen dritten Mann (bisher nur einmal eine Frau) zeichnen, weshalb man en passant eine Menge Zeichner mit ihren Stilen kennenlernt. Wie etwa in „Der Sohn der Drachenfrau“ jenen Blutch, der eigentlich Christian Hincker heißt.

Illustration: Blutch - Reprodukt

Die Story erkundet die Kindheit eines „Donjon“-Hauptcharakters, sie ist niedlich, sentimental, absurd und auch sehr brutal. Und sie wirkt so gut, weil Blutch sie geradezu champagnertrocken zeichnet. Weshalb ich ihn sofort als einen guten Blain-Epigonen einsortierte, was aber nicht ganz stimmen kann: Blutch hat sich am Comicmarkt früher etabliert als Blain.


Burt Lancaster muss nicht ins Bett


Egal: Weil Blutchs Umsetzung so gut war, suchte ich mehr von ihm und fand „Der kleine Christian“. Ich habe tatsächlich lang nicht mehr mit einem Band so viel Spaß gehabt. Dabei ist das Erfolgsrezept denkbar einfach. Blutch erzählt Episoden seiner Kindheit in den 70/80ern. Klein-Christian sieht fern, liest Comics und misst sein Leben an dem seiner Helden. Was würde Farah Fawcett tun, wie würde Steve McQueen gehen, stehen und dreinsehen, und sitzen die Haare so wie die von Rahan, dem Sohn der Vorzeit? Was gezeichnet so aussieht: Christians Familie sitzt beim Abendessen, Mutti sagt zu Christian, er soll seinen Teller leer essen. Aber da sitzt nicht Christian, sondern John Philip Law in seiner Rolle als „Dr. Justice“. Banal, oder? Aber brüllkomisch, weil Blutch alles richtig macht.

Illustration: Blutch - Reprodukt

Erstens nimmt er alles so todernst wie es nur Kinder können. Weshalb Dr. Justice den Weisheiten seines Kampfsport-Lehrers folgend glaubt, durch das Leeren des Tellers auch den späten Kriegsfilm im Fernsehen gucken zu dürfen. Klappt natürlich nicht. Zweitens überdreht Blutch den Einsatz seiner Filmstars und Helden nicht: Sie bekommen ihren Auftritt genau im richtigen Moment: Christian ist nur zwei Panels lang Burt Lancaster (s.o.), in denen er vor seinen Mitschülern behauptet, er dürfte abends ins Bett, wann er wolle und obendrein Filme ab 18 sehen. Und drittens hat Blutch auch sonst sein Handwerk im Griff: Etwa das schnelle Übersetzen einer Situation in eine absurd andere, weshalb beispielsweise die erste alleinige Flugreise zur Reise auf den Mars wird.


Demnächst: der Ritterschlag


Was letztlich dazu führt, dass ich sofort nach mehr von Blutch suchen muss. Gibt auf deutsch gar nicht mal so viel, aber im April wird’s vielversprechend: Blutch darf – wie zuvor schon Mawil und andere Stars – einen Lucky Luke Band gestalten. Gewissermaßen ein Ritterschlag. Ich freu mich drauf.




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Sandra Rummlers cleveres DDR-Memoir „Seid befreit“ eröffnet einen neuen Blick auf vertraute Mechanismen und die Migrationskrise

UNSCHARFE VERSUCHUNGEN Illustration: Sandra Rummler - avant-verlag

Also, vorsichtshalber: Sandra Rummler zeichnet in „Seid befreit“ ihre Protagonisten eher plakativ-naiv, also gar nicht toprealistisch, und  – wie? Das stört Sie nicht? Weil man sich schnell dran gewöhnt? Ja, dann lass ich natürlich die Vorwarnerei und sage: Rummlers Band ist nicht nur ausgesprochen ansehnlich, sondern – bei aller Nostalgie – auch unerwartet aktuell.


Bedrohliche Luftpost


Auf den ersten Blick erzählt die Berlinerin vor allem ein geschickt designtes DDR-Memoir. 1976 wurde sie in einem Land geboren, das 1989 verschwand – im Sinne der meisten Bewohner. Einen der Hauptgründe illustriert Rummler mit starken Bildern (deren Wirkung der knappe Text noch unterstreicht): Auf ihrer Seite der Berliner Mauer ist die Welt grau, heruntergekommen und so langweilig, dass bereits eine Postkarte an einem Luftballon eine Attraktion ist. Sie liest sie, schreibt arglos zurück und muss sich prompt rechtfertigen, als eine westdeutsche Antwort im Briefkasten landet.

Illustration: Sandra Rummler - avant-verlag

Warum sich Staat und linientreue Eltern sorgen, weiß jeder aus dem Intershop, wo es für Westgeld Westprodukte gibt. Dort herrscht bunter, sauberer Überfluss. Im DDR-„Konsum“ dagegen „roch es muffig und die Regale waren nur halb gefüllt.“ Möglich, dass im „Konsum“ Profit tatsächlich nicht an erster Stelle stand. Aber die Bürger offenbar noch viel weniger. Eben das machte Westpost zur Staatsgefahr.


Das Leuchten! Die Farben!


Die Wochen nach dem Mauerfall sind aufregend und bunt. Rummler zeigt die Attraktionen unscharf, aber dafür deren Leuchten und Farben umso brillanter. Obendrein bietet gefühlt jede Wand neue Graffitis, Freiheit und die Lust, sie auszuleben. Ein Happy End, sollte man meinen. Aber schon bald sind die Westler zunehmend genervt von den überall glotzenden Ossis. Ihnen wird klar, dass die Neuen Routinen und Hackordnungen durcheinander bringen. Als Sina in eine Schule im Westteil der Stadt kommt, wird sie wegen Kleidung, Benehmen und Dialekt als Ossi erkannt und gemobbt.


Illustration: Sandra Rummler - avant-verlag

Hintergrund ist natürlich, dass der Westen allmählich merkt, dass die DDR-Integration Geld kosten wird. Helmut Kohl redet von blühenden Landschaften, aber viele Wessis rufen Sina und ihren Freundinnen lieber zu: „Geht da hin, wo ihr herkommt!“ und – Moment mal.


Sind solche Sätze vielleicht gar nicht nur für Syrer, Libanesen, Ghanaer reserviert? Sondern schlicht für jede Gruppe, die in größerer Zahl neu ankommt? Und vielleicht mal was klaut? Denn auch Sina und ihren Freundinnen fehlt Geld für die schöne neue Warenwelt, weshalb sie zur Selbsthilfe greifen. Waren etwa Helmut Kohls „blühende Landschaften“ am Ende nichts anderes als Merkels „Wir schaffen das“? Und wenn das alles so ähnlich ist – wie haben wir dann damals diese Krise gelöst? Mauern hochgezogen? Anreize gestrichen? Die Leute hinter Zäunen eingepfercht? Nicht? Sondern?


Vertriebene, Spätaussiedler, Migranten


Laut Statistik haben wir 1,75 Billionen Euro ausgegeben. Und nehmen in Sachsen, Thüringen & Co inzwischen jährlich rund 60 Milliarden Euro allein an Landessteuern ein. Rentiert sich also, wie 1945. Da nahm Westdeutschland acht Millionen Heimatvertriebene auf, Schlesier, Sudetendeutsche und etliche mehr. Die ungeliebt waren, weil sie Wohnungen brauchten, heulheulheul, und heute? Rentierrentierrentier. Unter Helmut Kohl wurden in den 90ern zwei Millionen Spätaussiedler eingesammelt, wieder wohnungslos, wieder blöd, heulheulheul, und heute? Was die Migrationsproblematik zwar nicht beseitigt, aber doch stark relativiert.

Illustration: Sandra Rummler - avant-verlag

Frau Rummler ist auch nirgendwohin abgeschoben worden (wohin auch?), sondern geblieben. Sie malt und zeichnet heute spannende Stadtansichten (gucken Sie mal hier), ist Grafikerin und macht eben auch sehr gute Comics, die in einem Verlag verlegt, in einer Druckerei gedruckt, im Buchhandel verkauft werden. Da haben alle was davon, sogar Nicht-Comicleser, die kriegen nämlich Steuern. Was bleibt, ist das Heimweh der Einwanderer, von dem auch Sina nicht verschont bleibt: „Manchmal würde ich gern meine Heimat besuchen“, schreibt Rummler mit einem nostalgischen Blick in die letzten verbliebenen, vertraut-verlotterten Hinterhöfe. „Mir in der Bäckerei ein Makronentörtchen holen, Softeis am Bahnhof essen, Maracuja-Limo im Konsum kaufen.“

Und wieder: kein Unterschied zum Iraker, Afghanen, wem auch immer.


 


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