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Comicverfuehrer

Ein harter Krimi, zwölf Jahre whiskyartig gereift: die harte Typenparade „Die falschen Gesichter“ von David B. und Hervé Tanquerelle

Illustration: David B./Hervé Tanquerelle - avant-verlag

Wenn Sie grad beim Comic-Händler nichts Neues finden: Denken Sie an die wunderbare Schatztruhe, die man im Verlag „Backlist" nennt. Lieferbar, aber nicht mehr beworben, weil der neue heiße Scheiß raus muss. Und in dieser Truhe findet sich beispielsweise dieser erstklassige Krimi, whiskyartig zwölf Jahre gereift, was ihm kein bisschen schadet, weil er sowieso in der Vergangenheit spielt: „Die falschen Gesichter“.


Warten auf Alain Delon


Die Krimisorte in diesem Fall: Nicht der „Wer war’s“-Tatort, nicht der Actionthriller, sondern mehr so die französische Gangsterballade. Und weil's auch hier wieder mehrere Sorten gibt: nicht die Geschmacksnote „nachdenklich“, sondern eher die „knallhart“. So dass man jeden Augenblick erwartet, Alain Delon käme zur Tür rein oder Yves Montand oder Lino Ventura.

Illustration: David B./Hervé Tanquerelle - avant-verlag

Acht Mann arbeiten im Paris der 70er und 80er zusammen, sie spezialisieren sich auf Banküberfälle. Ihre Masche: Sie arbeiten tagsüber und leeren dabei nicht nur die Kassen, sondern knacken genüsslich die leicht zu öffnenden Schließfächer. Die nötige Zeit und Seelenruhe haben sie, weil sie nicht fürchten müssen erkannt zu werden – sie sind gut verkleidet. Falsche Bärte, falsche Haare, falsche Brillen, falsche Berufsklamotten.


Bunt-brutale Typenparade


Nachdem sich der Modus der Überfälle kaum ändert, konzentriert sich die Story von David B. auf andere Aspekte: Die unterschiedlichen Typen innerhalb des Oktetts, der Waffennarr, der Ideenkopf, der Nachdenkliche, der Schießwütige, der Ängstliche. Auf die Vorgänge innerhalb der Polizei, die Ermittlungen, aber auch die korrupten Trittbrettfahrer, die sich nach dem Bruch an den Resten bedienen und es den Gangstern in die Schuhe schieben. Die Nachahmer von den anderen Banden. Die Informanten der Unterwelt. Die Langeweile der Gang, wenn sie grade nichts klaut. Und all das ist unterfüttert mit zynischen, abgebrühten, aber nicht abgedroschenen Dialogen, es ist eine einzige Freude.

Illustration: David B./Hervé Tanquerelle - avant-verlag

Wie es auch die Zeichnungen des erfrischend wandelbaren Hervé Tanquerelle sind: Tanquerelle kann Joann Sfar imitieren wie in „Professor Bell“, in Farbe zeichnen wie in der skurrilen Grönland Odyssee, diesmal arbeitet er schwarz-weiß mit der Ergänzungsfarbe Graublau. Der Stil ist nahe an Hergés „Tim und Struppi“, eine schattenlose, aber deutlich naturalistischere Ligne claire. Und der Mix ist alles andere als harmlos. Da wird geschossen, getroffen, geblutet. Härte und Realismus speisen sich zudem daraus, dass die Bande ein historisches Vorbild hat. Rundherum: ein spannender Nachmittag, und wem verdanke ich den?


Auf den Spuren der Geschichte


Leider irgendeinem Algorithmus. Dieser „Wenn Ihnen dies gefällt, gefällt Ihnen auch das“-Funktion. Es stecken ja zwei bewährte Namen dahinter, neben dem von Tanquerelle auch der von Szenarist David B.. Der mag Historisches wie in der Nahost-Aufarbeitung „Die besten Feinde“ oder in „Auf dunklen Wegen“, einem Porträt des Salon-Faschisten Gabriele d'Annunzio. Aber so unterhaltsam wie in den „falschen Gesichtern“ habe ich ihn bisher noch nicht erlesen. Also sag ich mal: danke, Algorithmus. Und trotzdem: Ich muss meine Cookies wohl noch öfter löschen.

 




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Die Outtakes (12): Tödliches aus Indien, Urgesteiniges aus Deutschland und das normale Elend aus der Ukraine

Illustration: Ram V/Filipe Andrade - Cross Cult

Der Tod wird arbeitslos


Exotisch: „The many deaths of Laila Starr” macht neugierig. Die Geschichte spielt in Indien, wo die Göttin des Todes plötzlich arbeitslos wird, weil ein Mensch bald die Unsterblichkeit erfinden wird. Die Göttin wird in einen menschlichen Körper versetzt, dem von Laila Starr. Sauer über die Rückstufung beschließt sie, den Unsterblichkeits-Erfinder zu töten. Dabei kommt sie selbst um, wird aber vom Gott des Lebens (der seinen Job ja noch hat) wieder zurückgeholt. Ab da versucht sie es in großen Zeitabständen erneut. Das Ganze ist nicht so klamaukig, wie es sich vielleicht liest, im Gegenteil sogar eher philosophisch angehaucht. Die Zeichnungen von Filipe Andrade sind frisch und ungewöhnlich, erinnern an Bill Szienkiewicz, das indische Setting von Ram V ist reizvoll. Aber die Story ist halbgar: Eine sterblich gewordene Göttin, die nicht stirbt – wo ist da der Unterschied zu vorher? Und wenn sie alle zehn, 20 Jahre bei ihrem Nicht-Opfer vorbeischaut, was macht sie eigentlich in der wesentlich längeren Zwischenzeit? Denn gerade weil die Dialoge sich derart dick über den Sinn des Lebens unterhalten, wäre es doch interessant, wie die eifrig Sinnierenden denn ihre eigenen unendlichen (!) Leben gestalten. Wer das jedoch nicht vermisst, kann mit Laila Starr recht viel Spaß haben.

 


Blass from the Past

Illustration: Chris Scheuer - edition aleph

Schade, da war mehr drin: Chris Scheuer ist Max-und-Moritz-Preisträger (1984), ein Urgestein vom Kaliber Gerhard Seyfried. Und auf den ersten Blick würde man seine schwarz-weiße Autobiographie „Buch I“ auch zwischen Reinhard Kleist und Frank Schmolke einsortieren. Aber dem Vergleich hält sie dann doch nicht durchgehend stand. Woran's liegt? Die Auswahl: Vieles ähnelt den Stories anderer 68er. Drogen genommen, Sachen geklaut, im Knast gewesen, kommt bekannt vor. Der richtige Tonfall könnte helfen, aber Scheuer kann sich weder zur Komödie noch zum Drama entschließen. Zudem entkräftet der latent cartoonige Stil auch ernster gemeinte Episoden, hübsche Hommagen an Will Eisner oder Gilbert Shelton machen das leider nicht wett. Oder haben sich die Maßstäbe seit den 80ern verändert? Kann gut sein: Marjane Satrapi („Persepolis“) oder Riad Sattouf haben inzwischen Jugenderinnerungen nicht nur eleganter erzählt, sondern auch mit direkteren Bezügen zur Gegenwart.


Der gewöhnliche Krieg

Illustration: Nora Krug - Penguin Verlag

Gutes Design. Pastellfarben. Künstlerisch ansprechend. Inhaltlich ehrgeizig: Nora Krug zeigt Einblicke in den Ukraine-Krieg. Ein Jahr lang sprach sie für „Im Krieg“ jeweils einmal wöchentlich mit einer Ukrainerin und einem Russen – und fasste das Ergebnis auf einer Doppelseite zusammen, links Ukraine, rechts Russe. Das Ergebnis ist doppelt frustrierend: Einerseits wegen der Tatsachen, andererseits aber auch, weil Krug nach zwei Jahren Krieg die Erschütterung des Anfangs kaum zurückholen kann. Was an der Gewöhnung liegt – und an der Erwartbarkeit des Beschriebenen. Selbst die Ereignisse von Butscha sind in der Rückschau nicht empörender als am Tag ihrer Enthüllung. Überraschendes entlockt Krug ihren Gesprächspartnern leider selten. Obendrein nutzt sie die Möglichkeiten des Comic allenfalls illustrativ: Dass sie rasch den Bildanteil von drei Panels auf eines pro Seite reduziert, ist da nur konsequent. Allerdings ist dann der Rest in Blöcken zusammengefasster Text. Und so sehr dieser Krieg Aufmerksamkeit brauchen würde, so sehr fühlt er sich an wie dieser Comicband: ermüdend. Womit Krug der Realität leider erstaunlich nahe kommt.

 



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Verständnis wecken, kurz und knapp: Das gut gemachte Webprojekt „Wie geht es dir“ vermittelt im Nahost-Konflikt

Illustration: Moritz Stetter - wiegehtesdir-comics.de

Heute gibt’s mal wieder was Kostenloses. Und politisch Interessantes, Brisantes, aber in jedem Fall: Sehens- und Lesenswertes. Nämlich die Netzseite „Wie geht es dir“, die nach dem 7. Oktober online ging – wie man am Datum sieht, geht's um die aktuelle Entwicklung im Nahostkonflikt. Einmal pro Woche fabrizieren deutsche Comic-Künstler aus einem Gespräch mit Konflikt-Betroffenen eine Seite, elf Stück sind schon zusammengekommen. Vieles daran ist gut, aber mit zum Besten gehört schon mal: die Einleitung.


Gelungene Gewichtung


Der grauenhafte Überfall der Hamas auf Israel … und das entsetzliche Leid, das die anhaltenden Angriffe des israelischen Militärs … über die Menschen bringen, machen uns fassungslos.“ Da ist schon mal in selten gelungener Gewichtung alles drin: Wer die jüngste Eskalation ausgelöst hat. Wer derart zurückschlägt, dass man es kaum noch angemessen finden kann. Und die Fassungslosigkeit, die wohl jeden packt, der den Irrsinn verfolgt. Unterfüttert von der endlosen Vorgeschichte, die nur eine Erzählrichtung kennt: schlimmer.

Illustration: Hannah Brinkmann - wiegehtesdir-comics.de

Die eigentliche Herausforderung des Projektes besteht allerdings darin, diesem Anspruch gerecht zu werden. Sonst drohen die Beiträge so fade zu werden wie der über die Erlanger „Initiative kritisches Gedenken“. Und auch die Befragung des Historikers Andreas Brämer, der den aufwallenden Antisemitismus und seinen Kampf dagegen schildert, ist reichlich erwartbar. Könnte aber auch an der Auswahl der Gesprächsteilnehmer liegen: Birgit Weyhe gelang etwa ein viel spannenderer Griff.


Manche haben mehr zu sagen


Weyhe befragt die Halb-Libanesin Andrea Karime. Die sagt deutlich, was im Grunde jeder beobachtet: „Je nachdem, mit wem ich mich unterhielt, war Empathie nur für eine Seite erlaubt, Israel oder Palästina. Dabei ist alles gleichzeitig furchtbar.“ Und so erzählt Karime, wie Bekannte (wegen ihres arabischen Vaters) ihr häufig im Zu-kurz-Schluss Sympathie für die Hamas unterstellen. Wie soll man damit umgehen, wenn man nur eine Seite bedauern darf? Plötzlich fühlt sie sich unter Generalverdacht, spürt, wie sie als Deutsche wieder zur fragwürdigen Araberin wird – und ist damit ganz nah bei der jüdischen Tante von Zeichnerin Hannah Brinkmann.

Illustration: Birgit Weyhe - wiegehtesdir-comics.de

Die stammt aus Israel, sah sich aber stets als Israeli unter Israelis und eben nicht als Jüdin – sie war endlich die Sonderrolle los. Jetzt, in London lebend, stellt sie fest, dass sie wieder bei den Juden einsortiert wird. Auch bei ihr zerfällt der Traum von der Normalität. Bemerkenswert: Dieselbe Tante registriert enttäuscht, dass nach dem Hamas-Attentat zwar viele Bekannte besorgt anrufen, aber nur wenige aus Deutschland. Also aus dem Land, das selbst so gern „normal“ wäre. Und an das die Israeli jetzt ihrerseits spezielle Erwartungen richtet. Brinkmann kommentiert das nicht, sie gibt es zum Begrübeln frei.


Schwimmen gegen die Wut und den Strom


Auch sehr elegant: Die beiden Beiträge von Barbara Yelin. Im ersten greift sie naheliegender Weise auf ihre Kooperation mit der Holocaustüberlebenden Emmie Arbel zurück, die resigniert dem Frieden Priorität vor dem Zuhause einräumt. Yelins zweiter Beitrag widmet sich einer gebürtigen Araberin, die mit elf nach Deutschland kam – der  Autorin Rasha Khayat. Die macht es schier wahnsinnig, dass sie seit Jahren für eine pluralistische Gesellschaft schreibt und sieht, wie ihre Arbeit durch das Hassgeplapper in den sozialen Netzwerken weggespült wird. Yelin zeigt sie beim Schwimmen, wie sie mühsam Bahn um Bahn versucht wieder runterzukommen.

Illustration: Barbara Yelin - wiegehtesdir-comics.de

Generell ist das Projekt geschickt gemacht: Kein endloser Sums, eine knackige Seite pro Woche, die auch mal eingängig reduziert werden kann wie beim piktografischen Beitrag von Thomas Gilke. Der Einleitung gemäß wären mehr reflektierte palästinensisch-muslimische Gesprächspartner schön, vor allem, weil deren Perspektive hier noch immer ungewohnter ist – aber das kann ja noch kommen. Auffallend ist hingegen jetzt schon, was den Interviewten fast durchgehend fehlt: Überraschung.


So schlimmer wie immer


Nur mal zur Erinnerung: Es gab die grausigen, extrabrutal inszenierten Anschläge, es läuft ein Rachefeldzug, der zigmal mehr Opfer fordert und diese inzwischen beinahe ebenso gleichgültig auswählt. Und all die befragten Menschen sind enttäuscht, frustriert, schockiert, über Ausführung und Ausmaß, aber kein einziger ist überrascht. Warum sollten sie es auch sein? Weil irgendwas diesmal noch schlimmer ist als vorher? Wen sollte das überraschen?


Und das ist denn auch das Einzige, was man dem Projekt, das vor allem Verständnis wecken möchte, (noch) wünschen würde: eine Perspektive, eine Folgerung. Um der drohenden Hoffnungslosigkeit wenigstens ein bisschen Hoffnung hinzuzufügen.

 


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