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Comicverfuehrer

In Zeiten von Krisen und Rezension ist Schenken erste Bürgerpflicht: Sechs kleine Geschenktipps von kostbar bis kostenlos

Illustration: Tom Haugomat - Helvetiq

Weihnachten, die letzte Insel der Seligen. Kinder duften nach Bratäpfeln, Zuckerwatte ersetzt flächendeckend den Schnee und in der allgemeinen Besinnlichkeit entdecken vereinzelte Amerikaner, was sie da eigentlich gewählt haben. Alles könnte so schön und friedlich sein, aber vor das Fest haben die Götter die Geschenke gesetzt. Woher nehmen und nicht stehlen? Aber gottseidank lesen Sie ja das richtige Blog zur richtigen Zeit.


Für Leute mit Tisch

Tja, damit kann man natürlich praktisch nichts falsch machen: Man geht zum Taschen-Verlag und erwirbt einen gefühlten Zentner Premium-Comics, beispielsweise den zweiten Sammelband der Marvel-Avengers-Abenteuer. Schön verschubert und verpackt in Originalgröße. Vorsicht: Originalgröße bedeutet hier die Größe der Originalzeichnungen, also die doppelte Heftgröße. Das ist nicht nur deshalb wichtig, weil man die Hefte in diesem Umfang früher niemals unter der Bettdecke hätte lesen können. Sondern weil Sie heute berücksichtigen sollten, dass sowas auch fürs Sofa nicht so handlich ist: Beschenkte sollten für ermüdungsfreies Lesen wenigstens einen soliden Tisch in der Wohnung haben, eine hauseigene Bibliothek nebst Ohrenbackensessel wäre optimal. Bei Gefallen sind dann auch weitere Geschenk-Ideen für die nächsten Jahrzehnte gesichert, Sie müssen nur daran denken, die unteren Stockwerke ggf. baulich abzusichern. Aber wenn das alles bedacht ist: Mehr Marvel geht einfach nicht.

 

Für Lebende

Illustration: Tom Haugomat - Helvetiq

Ein weiterer Teil der inoffiziellen Serie: Ist es überhaupt ein Comic? Tom Haugomat liefert mit „Ein ganzes Leben“ eine chronologische Erzählung in Jahresschritten. Rodney wird geboren und altert, und für jedes Jahr gibt es ein Bild Rodneys mit Ortsangabe sowie gegenüber etwas, das Rodney sieht. Was nicht nur eher wortlos klingt, sondern es auch ist. Aber es guckt sich sehr gut an: Fast schon meditativ blättert man durch die elegant designten Jahre, stets nur aus türkis/hellrot/ockergelb/weiß/schwarz zusammengesetzt. Das Konzept erinnert leicht an „Hundert“ von Valerio Vidali/Heike Faller: doch die schubsen noch mit kurzen Sätzen die Nachdenklichkeit an, während Haugomat die gesamte Kopfarbeit den Lesern freistellt. Funfact 1: beide Bände kommen aus der Schweiz. Funfact 2: „Ein ganzes Leben“ ist offenbar noch von einer echten Übersetzerin übersetzt, obwohl da wirklich nicht viel zu übersetzen war. Zu wünschen wäre es, aber vielleicht ist Philippa Smith auch irgendein Bot…

 


Für Tretende

Illustration: Max Julian Otto

Man möchte dringend, dass Max Julian Ottos „Es geht auch ohne Ehrgeiz“ funktioniert: Da ist so vieles sympathisch. Die Geschichte um den mittelalten Sohn eines verstorbenen Radprofis, der selbst das Radeln hasst, aber ein Café für Radfahrer eröffnet und in der Corona-Krise ins Zweifeln kommt. Die guten Beobachtungen, die professionellen, aber nicht zu anbiedernden Zeichnungen. Ottos Mut, den 200-Seiten-Comic einfach im Selbstverlag zu publizieren, in tadelloser Buchhandelsqualität, das fehlt sich nichts. Dazu fahr ich selber gern Fahrrad. Aber weil viele Einzelmomente noch keine gute Story ergeben, kommt die Geschichte selbst über nett leider nicht hinaus. Wobei: Der Radlersohn, der wieder zum Rad findet, das ist sehr, sehr gutes Wohlfühlmaterial, geeignet für Sat 1, ARD, ZDF, Familienfernsehen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.



Für politisch Denkende

Illustration: Manul Larcenet/Cormac McCarthy - Reprodukt

Die Zukunft sieht düster aus. Die USA fallen als Demokratie weg, gehen außenpolitisch zur Schutzgelderpressung über, die anderen Staaten finden Einigkeit zu anstrengend und kochen nach und nach ebenfalls nationale Süppchen, die logischerweise immer dünner werden. Und jeder, der festzustellen wagt, dass es früher irgendwie besser war, wird als innenpolitischer Feind verfolgt. Nein, das gibt es nicht als Comic, das ist die reale Zukunft. Es gibt aber einen Comic, der im Vergleich dazu tröstlich wirkt: „Die Straße“ von Manu Larcenet nach dem Roman von Cormac McCarthy. Das Tröstliche: Diese Zukunft ist derart entsetzlich, dass sie Trump, Putin und Sahra Weidel zusammen nicht hinkriegen. Jedenfalls nicht in den nächsten zehn Jahren. Oder fünf.

 


Für Versöhnungsbedürftige 

Illustration: Bernd Pfarr - Kibitz Verlag

Wo treffen sich Gutmensch und Impfgegner? Genau, im Reformhaus. Und für dessen Monatszeitung „Reformhauskurier“ hat der große, leider schon tote Cartoonist Bernd Pfarr von 1988 bis 2004 den Comic-Strip „Alex der Rabe“ gezeichnet - der jetzt erstmals gesammelt erscheint. Alex ist eine Art Parallel-Donald Duck samt einer Daisy (Nicki), einem Gustav Gans (Dietrich), Düsentrieb (Professor Alonso). Band 1 ist jetzt erschienen und zeigt eine interessante Mischform: Einerseits sind die Episoden alle kindgerecht, mit eher schlichter One-Pager-Pointe wie im Micky-Maus-Heft. Aber bei mindestens fünf Episoden habe ich extrem gekichert, nicht zuletzt bei der mit dem Titel-Gag. Zusätzlich geschenkgerecht ist die Aufmachung des Buchs und natürlich die munter angeschrägte Pfarr-Optik. Und politisch wird’s – überhaupt nicht. Was wäre an Weihnachten willkommener?

 


Für lau

Illustration: Alexander Braun - Panini Verlag

Okay, das geht nicht für jeden, aber für viele in NRW und je nach Reiselaune auch darüber hinaus. Und es kostet: nix, wenn Sie ein Deutschlandticket haben, vielleicht sogar zweimal nix. Das Geschenk geht so: Am zweiten Weihnachtsfeiertag nehme man die Beschenkten an der Hand, steige in einen Zug und fahre nach Dortmund. Am Hauptbahnhof raus, ca. 73,4 Meter über den Königswall schlurfen und hinein in den Schauraum comic + cartoon mit der neuen Ausstellung „Black Comics“: Alles rundum Bestseller wie „Black Panther“ oder Eigenwilliges wie „Aya aus Youpogon“. Mit etwas Glück hat Ausstellungsmacher Alexander Braun für Sie sogar den lesenswerten Katalog noch passend zum Mitnehmen fertiggedruckt, zum günstigeren Ausstellungspreis. Vielleicht noch zwei Kaffeebecher einpacken, für den Glühwein daheim, einen Happen essen, dazu ein bis zwei Pilse einwirken lassen und sich der Bahn für die Heimfahrt anvertrauen. Kann man eigentlich alle Jahre wieder machen...





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Die Outtakes (22): Mit einer bizarren Lebensgeschichte, einem ostdeutschen Kummer-Comic und einer ansehnlichen Trantüte

Illustration: Daniel Clowes - Reprodukt

Meisterwerk in Billigoptik


Rätselhaft, sehr gut – und dennoch nicht uneingeschränkt empfehlenswert: Daniel Clowes‘ in den USA als Meisterwerk gefeierter Band „Monica“ ist exzellent gemacht, aber dennoch anstrengend. In neun Abschnitten erzählt Comic-Star Clowes Monicas Lebensgeschichte aus unterschiedlichen Blickwinkeln, manchmal auch als Horror-Story verfremdet – was nicht so recht auffällt, weil die ganze Geschichte in der Optik alter US-Billig-Comics daherkommt: Die Zeichnungen sind leicht trashy, sehr viel Erzähltext in den Kästen verbreitet eine „Gespenster Geschichten/EC-Horror“-Atmosphäre, die jedoch über die ganze Strecke mehr beklemmend als gruslig/splatterig wird. Und obwohl Clowes exzellent mit dem Medium, den Genre-Eigenheiten der Billigst-Comics seiner Jugend spielt: Es ist gut möglich, Monicas Werdegang vom ungewollten Kind zur Unternehmerin zum Sektenmitglied auch als eher zäh zu beurteilen.

 


No Future auf Ost

Illustration: Schwarwel - Glücklicher Montag

Ein guter Ruf eilt Schwarwels „Gevatter“ voraus, ich kann nur nicht so ganz nachvollziehen, weshalb. Wohlgemerkt: beim „Gevatter“, die Verdienste von Schwarwel selbst sind unstrittig. Der Mittfünfziger, der eigentlich Thomas Meitsch heißt, war Art Director der „Ärzte“, drehte Videos für Top-Bands und arbeitet in „Gevatter“ offenbar seine Jugend in der DDR auf. Wie nahe er da an der eigenen Geschichte ist, kann man schwer sagen, der Protagonist erzählt jedoch über 160 Seiten hinweg in streng-düsteren Schwarz-weiß-Zeichnungen von Alkohol, Scheidungen, Depressionen und Selbstmordgedanken in den 70er/80er Jahren. Das alles ist zwar stilistisch schlüssig, doch der Erkenntnisgewinn ist dünn: Die begrenzten Möglichkeiten in der DDR sind bekannt, depressiv war die No-Future-Generation im Westen auch. Und weil die Story gleich im doppelten Sinne tod-ernst ist und sich dann auch noch furchtbar todernst nimmt, ist das Ergebnis in etwa so unterhaltsam wie eine laange, laaange Bahnfahrt neben einer entsetzlich schwermütigen Rentnerin.

 


Zauberlehrling auf Kräutersuche

Illustration: Gipi/Luigi Critone - Carlsen

Ein kleine Nachtrag zu Gipi auf Abwegen: Für die sehr zugängliche Mittelaltergeschichte „Aldobrando“ hat der (auch von mir) Oftgelobte vor knapp vier Jahren nur das Skript verfasst, die ansehnlichen Zeichnungen stammen von Luigi Critone. Das Ergebnis überzeugt trotzdem nur halb. So hübsch die Saga vom naiven Titelhelden auch aussieht, so hölzern-gutmenschlich ist sie zusammengenagelt. Der Zauberlehrling Aldobrando wird losgeschickt, um für seinen verletzten Meister ein lebenswichtiges Kraut zu finden. Auf seiner Suche wird Aldobrando übertölpelt, eingesperrt, begegnet bösen Bösen, guten Guten und stellt allen so unbeirrt immer die superrichtigen Fragen, dass man sich wundert, warum er nicht rafft, dass sein Meister längst tot sein muss. Was soll also noch die trantütige Sucherei? Aber das Ganze sieht gut aus, der blöde König ist als Insidergag dem großen Charles Laughton wie aus dem Gesicht geschnitten, man schaut sich gerne durch die Seiten. Nur: richtig gut ist halt was anderes.








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Die Leinwand als Comic-Stoff: Zwei Biografien beleuchten die Karrieren von Ava Gardner und Hedy Lamarr. Sehenswert sind beide, aber nur eine überzeugt

Illustration: Emilio Ruiz/Ana Miralles - Schreiber & Leser

Zwei echte weibliche Hingucker sind gerade auf dem Comic-Markt, und - bitte? Ja, das kann man so sagen. Das muss man sogar so sagen, denn wenn die beiden Frauen keine Hingucker wären, dann würde überhaupt niemand einen Comic über sie machen. Man hat sie explizit so bezeichnet: Hedy Lamarr war die „schönste Frau der Welt“, Ava Gardner laut Regisseur/Autor Jean Cocteau sogar „das schönste Tier der Welt“. Beides würde man heute wohl nicht mehr so formulieren, verspricht aber ansehnliche Comics. Frage: Sind sie auch gut?


Es riecht nicht nach Rauch


Hängt ein bisschen davon ab, was man sich erhofft. Beide Comics führen uns zurück in eine glamourös nostalgische Welt: In „Ava“ sind es die 50er mit ihren Hotels, Salons, die Ana Miralles sehr einladend illustriert. Ava Gardner ist gerade auf Promo-Tour in Rio, wir sehen viele Interieurs von Flugzeugen, Hotels, Limousinen, Nachtclubs, Bars, polierte Autos und gottseidank sehen wir nicht, wie all das riecht.

Illustration: Emilio Ruiz/Ana Miralles - Schreiber & Leser

Nach kaltem Rauch nämlich, weil praktisch jeder überall quarzt. Aber Miralles und Szenarist Emilio Ruiz schwelgen erkennbar gern in der guten alten Zeit, die sie eingängig frankobelgisch zeichnen, beinahe schon buck-dannyesk. Den Star-Appeal von Gardner nutzen sie weidlich und besonders gern mit einer Zigarette in der Hand. Bei Hedy Lamarr ist das deutlich differenzierter.


Sie drehte mit Stewart, Gable, Tracy

Illustration: Sylvain Dorange/William Roy - bahoe books

Zeichner Sylvain Dorange zeichnet weit weniger realistisch. Seine 30er, 40er, 50er Jahre sind stilisiert, reduziert, und wenn er die Demonstrationen im Wien der 30er zeigt, will man nicht unbedingt dabei sein oder gar einen Kaffee ordern. Das Umfeld eines Filmstars kann auch er attraktiv zeigen, Lamarrs Schönheit lässt er in Filmplakaten oder Zeitungsausschnitten aufblitzen, aber er schwelgt nicht: Seine Geschichte hat ihm Szenarist William Roy auch deutlich anders angelegt.


Es funkt


Die schöne jüdische Schauspielerin hat bereits ihren ersten Kinoerfolg erlebt, als sie 1937 (weniger vor den Nazis als vor ihrem besitzergreifenden Mann) nach Amerika flieht. Dort nimmt sie Filmmogul Louis B. Mayer unter seine Fittiche und baut sie zur „schönsten Frau der Welt“ auf. Mayer erlaubt ihr zwar (wie damals üblich) nicht, die Rollen frei zu wählen. Aber dennoch wird sie ein Weltstar, dreht (mehrfach!) mit James Stewart, Spencer Tracy, ihr Name steht gleich groß neben Clark Gable oder Claudette Colbert, so dass man sich wirklich wundert, wieso man bei allen TV-Wiederholungen so selten auf Lamarr stößt. Wesentlich präsenter ist ihr Wirken hingegen bei der Bluetooth-Technik.

Illustration: Sylvain Dorange/William Roy - bahoe books

Sie haben richtig gelesen: Die technisch interessierte Schauspielerin entwickelte mit dem Komponisten George Antheil ein Verfahren zum Frequenzwechsel im Funkverkehr. Gedacht war‘s für Torpedos, genutzt wurde es lang nach dem Krieg zur Telekommunikation. Weshalb Lamarr letztlich zu Lebzeiten und posthum mehr Ehrungen für ihr technisches Wirken erhielt als für ihre Filmkarriere.

Illustration: Sylvain Dorange/William Roy - bahoe books

Szenarist William Roy hat einen festen Plan: Mit gut gewählten Episoden will er eine selbstbewusste, auch technisch einfallsreiche Frau zeigen, die Szenen werden dabei nicht ausgewalzt, sondern präzise geschnitten. Was ist dagegen der Plan bei Emilio Ruiz?


Ein Traum von Kleid und Cadillac

Illustration: Emilio Ruiz/Ana Miralles - Schreiber & Leser

Es fällt erst nicht so recht auf, aber der Vergleich mit „Hedy Lamarr“ zeigt: Es gibt im Gardner-Band nicht viel Plan jenseits von „schön“ und „Star“ und allenfalls noch Howard Hughes, denn der heikle Tech-Tycoon hatte ein konfliktreiches Verhältnis mit ihr. Aber Ruiz mag es nicht zur Hauptsache machen, und so ist der prominente Dauerknatsch nur eine von vielen Szenen, die Ava mal feurig, mal leidend durchsteht. Was seine Vorzüge hat, ich sehe schon recht gern, wie Frau Gardner in einem Traum von Kleid und Cadillac zum Flughafen schippert. Doch der Person komme ich dabei nicht näher. Von der Geschichte Hedy Lamarrs bleibt hingegen nachher einiges hängen, ­und genau das macht den Unterschied.




Illustration: Emilio Ruiz/Ana Miralles - Schreiber & Leser


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