Die Outtakes (13): Verstrahltes aus Japan, Verflossenes aus Hamburg und Verwesendes aus den USA
Vögeln im Leichenmief
Das wird wohl nichts mehr mit mir und Tony Sandoval. Schon bei seinem Band „Doomboy“ war die Idee besser als die Ausführung. Bei „Die Leiche und das Sofa“ ist es ähnlich: Dass ein Junge verschwindet und plötzlich seine Leiche auftaucht, klingt noch verheißungsvoll. Dass sein Kumpel und seine Freundin die Leiche finden, auch noch. Dass sie dann ein Sofa herbeikarren, der (stark riechenden) Leiche beim Verwesen zusehen und daneben vögeln, das klingt wahlweise verkrampft abstoßend-originell oder schlicht nach einer Verhaltensstörung. Auf jeden Fall ist’s weder gruselig noch sonstwie berührend, weil man sich mit den beiden nicht ansatzweise identifizieren kann. Durch den bewährten Zeichenstil zwischen niedlich und gruftig wirkt das Gesamtpaket dann schon derart auf Provokation hinberechnet, dass schnarch. Andererseits: Vielleicht geht die Rechnung ja bei Ihnen auf?
Verflossene Heldin
Optisch ist „Viktoria Aal“ einnehmend: Schwarz-weiß mit Blautönen, simplifizierte Funny Animals, auf ähnlicher Basis errichtete Lewis Trondheim eine Weltkarriere. Bei der Hamburgerin Wiebke Bolduan schreibt nun eine junge Frau eine Geschichte über/als eine Meerjungfrau. Die schickt sie widerwillig einem Verlag. Der Verlag lehnt ab, doch druckt die Geschichte trotzdem. Sie merkt nix, obwohl's der Superbestseller und Internethype wird. Bis die Chefin ihres Freundes das Buch anschleppt: Als Vorlage, denn der Freund arbeitet im Aquarium im Wasserballett und ist eigentlich eine echte Meerjungfrau und – wotzefack??
Vielleicht eine Generationenfrage. Schon klar, „Meerjungfrau“ steht für „Sonstwas“. Aber wenn kein Protagonist was peilt, kein Problem konkreter wird als ein verheultes „Ich kann dir das jetzt nicht erklären“, wenn eine Autorin nicht schnallt, dass sie zum Bestseller wird, hinterher aber sagt: „Spenden Sie das Geld!“ (und zwar: dem Aquarium?!), dann muss man zum Aufgewühltsein schon ganz schön viel Betroffenheit selbst mitbringen. Aber: Die Welt ist grade voller Leute, die immer reichlich Betroffenheit dabei haben. Die wiederum bei „Viktoria Aal“ in besten Händen sein könnten.
Arbeiten bis ans Strahlenlimit
Der Mix ist eindeutig ungewöhnlich: Die ersten beiden Episoden in Susumu Katsumatas Geschichtensammlung „Teufelsfisch“ behandeln den Alltag von Arbeitern in japanischen Atomkraftwerken der 80er. Arbeiten, bis man die Strahlendosis voll hat – das ist auch deshalb so bizarr, weil Katsumata keine mangatypische geheimnisvolle Story drumherum webt, sondern nüchtern die Arbeit schildert, bei der man sich seine Giftration abholt wie das Essen in der Kantine. Mehr davon hätte mir gut gefallen, gibt’s aber nicht. In den weiteren Episoden begegnen junge Männer japanischen Geisterwesen, das erinnert an Shigeru Mizuki. Allerdings eher deprimiert-nachdenklich, ein bisschen wie Charlie Brown in „Peanuts“, nur sehr still, etwas langatmiger und ohne Pointen. Und so anspruchsvoll das sein mag: Ich musste mich zum Lesen richtig zwingen.
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
Hemmungsloser Slapstick, Gags ohne Rücksicht auf Geschmack und Geschlecht: „Fungirl“ ist das mutigste deutsche Spaß-Projekt seit fast 30 Jahren
Was für eine Rarität: respektloser, sogar rücksichtsloser Humor. Ich bin selber noch ganz baff, was ich da in Elizabeth Pichs Band „Fungirl“ finde. Weil ich sowas in vergleichbarer Qualität seit laaaaaaaanger Zeit nicht mehr gelesen habe. Schon gar nicht aus Deutschland. Oder ist da der Wunsch Vater des Lobs?
Sexbesessene Titelheldin
„Fungirl“ ist in jedem Fall schon mal hemmungslos. Titelheldin ist eine kaum bis nicht beschäftigte junge Frau, die gerne lang ausgeht, noch länger schläft und sich vorwiegend für Sex interessiert, entweder mit anderen oder allein. Sie lebt mit ihrer ehemaligen Partnerin (noch?) in einer WG und benimmt sich dort so, wie man es gemeinhin jungen, rücksichtslosen Männern unterstellt. Typische Szene: Sie vergisst die Pizza im Ofen, löst einen Küchenbrand aus und entschuldigt sich bei Feuerwehr und Mitbewohnerin mit „Sorry, ich war am Masturbieren!“ Heftig? Aber noch kein Brüller? Stimmt beides.
Radikalhumor hat seine Tücken, wie bei „Grizzlyshark“. Soll superlustig sein, haut aber nur besinnungslos drauf. Guter Radikalhumor braucht also mehr, einen Mechanismus, der das Draufhauen clever ergänzt oder konterkariert. Und deshalb bricht Elizabeth Pich die Küchenszene auch nicht ab, sondern dreht sie weiter: Fungirl versucht mit einem noch blöderen Spruch den Feuerwehrmann auf ihre Seite zu ziehen und – scheitert. Genau an diesem Punkt wird aus Fungirl mehr als eine Radauschleuder.
Serienglotzen im Sarg
Denn Fungirl will gemocht werden. Sie hat konservative Träume, will einen Job und das entsprechende Gehalt, sie ahnt, dass sie Vieles nicht besonders geschickt löst. Aber jeder Ansatz zur Änderung des Lebens scheitert an ihrer Trägheit, am unüberwindlichen Drang, sich alle Rosinen rauszupicken und alles Unangenehme zu ignorieren. Einem Drang, den man selber zu gut kennt. Fungirl löst den Konflikt, indem sie etwa einen Job bei einem Bestatter annimmt, die Arbeitstage im Sarg liegend und serienglotzend verbringt, dann aber die Ruhetruhe bei Kunden als Nobelteil „mit Snacks und DVDs“ anpreist. Selbstverständlich erfolglos.
Fungirls Abenteuer sind definitiv nichts für Leute, die’s gern schön haben. Dafür füllt Elizabeth Pich jedoch eine Lücke, für die sich seit Klaus Cornfield Mitte der 90er in Deutschland kaum jemand zuständig fühlte: das gleichermaßen geschickte wie geschmacklose Zuschlagen, komplett rücksichtslos auch sich selbst gegenüber. Denn natürlich riskiert Elizabeth Pich, dass man nicht nur die Heldin für blöd, widerlich, kindisch hält, sondern die Autorin gleich mit. Auch wenn sie sich einige Rettungsnetze gespannt hat.
Derb, aber nie schmuddelig
Anders als bei Cornfield ist Pichs Kunst sauber durchstilisiert. Bunt, kräftige Farben, reduzierte Strichfiguren, die bisweilen an die Olympia-Piktogramme '72 erinnern. Fungirls Abenteuer sind vorm Schmuddel geschützt, weil sie nie als billiges Drecksheft unter irgendeinem Ladentisch lagen. Und Pich konstruiert zwischen den Episoden hübsche Hommagen an Ikonen der Trickfilm- und Comic-Kunst, Fungirl darf etwa wie Bart Simpson durch die Stadt skaten oder auf dem Dach von Snoopys Hundehütte liegen.
Tja, und nun? Sollte ich lobend oder gar ermutigend hervorheben, dass Pich eine Frau ist? Weil ich beobachtet zu haben meine, dass sich gerade Frauen oft schwerer damit tun, rücksichtslos und brachial zu sein? Oder sollte ich eher lobend oder gar ermutigend hervorheben, dass Pich eine gebürtige Deutsche aus Saarbrücken ist? Weil ich beobachtet zu haben meine, dass sich Deutsche oft schwerer damit tun, in Humordingen rücksichtslos und brachial zu sein? Für letzteres hätte ich immerhin eine Art Beleg.
Brachialhumor als Re-Import
Denn „Fungirl“ erschien zuerst in den USA. Der jetzt veröffentlichte Band wurde dementsprechend auch aus dem Englischen übersetzt. Und auf Deutsch veröffentlicht wurde er nicht in Deutschland, sondern bei Edition Moderne in der Schweiz. Vielleicht ist das alles aber auch viel unwichtiger als: Lesen und Lachen.
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
Wenn Anke Feuchtenberger einen Comic macht, jubeln Deutschlands Kulturberichterstatter. Zu Recht? Ein Selbstversuch.
Jaaa, ich gebe zu, ich habe noch nichts von Frau Feuchtenberger gelesen. Ich weiß, ich weiß, wie kann das sein, dass ich nichts von Frau Feuchtenberger gelesen habe. Wo doch alle, alle schon was von Frau Feuchtenberger gelesen haben. Weiß ich denn nicht, wer Frau Feuchtenberger ist? Doooch, weiß ich, so halb wenigstens, Frau Feuchtenberger, das ist doch die, wo alle immer sagen: „Ah, Comic ist natürlich Kunst, man denke nur an Anke Feuchtenberger.“ Über Frau Feuchtenberger schreibt man Bücher, jeder einzelne Stipendiat von der Berthold Leibinger Stiftung hat gefühlt bei Frau Feuchtenberger studiert, weil feuchtenbergerfeuchtenbergerfeuchtenbergerfeuchtenberger...
Und trotzdem: noch nichts von ihr gelesen. Neiiii-en, auch Dings nicht. Aber jetzt, okay? Den neuen Band, „Genossin Kuckuck“.
1311 Gramm mit Goldschnitt
Viel Comic, 1311 Gramm. Goldschnitt, hat man selten. Und ein grandioser Einstieg: Erstes Panel ist ein gigantischer Keilerkopf an der Wand. Düster, schwarz-weiß. Zwei Mädels sitzen drunter und schwören sich ewige Treue. Klar, man muss beim Schwören die Hand ins Maul des toten Wildschweins schieben. Gute Szene. Aber dann wird’s sehr schnell sehr rätselhaft. Obwohl im Klappentext alles einfach klingt.
„Kerstin kommt zu spät“, heißt es da, „Ihre Großmutter ist bereits beerdigt und das Fotoalbum, welches ihr versprochen wurde, ist nicht zu finden. Sie kommt nicht mehr weg aus der alten Dorfschule, in der ihre Großmutter Russischlehrerin war“, und dann werden eine Menge alter Rechnungen aufgemacht. Aber so linear erzählt Anke Feuchtenberger nicht. Sie verschlüsselt vieles in traumartigen, kafkaesken Sequenzen, die etwa so aussehen: Zwei Männer in bizarrer Rennfahrermontur kommen zu einer Hotelrezeption und machen der Empfangsdame perfide Vorwürfe, sie lebe auf zu großem Fuß – ein Mix aus Steuerfahndung und kommunistischem Bourgeoisie-Vorwurf. Dann lassen sie sich von einem sprechenden Papierkorb (eines dieser Plastikteile mit großem Grinse-Einwurf-Mund) ins Hotel führen. Im Flur treffen sie auf seltsame Funktionäre, bevor sie eine alte, strickende Frau im Rollstuhl vorfinden, die statt einem Kopf eine Art Blumenkohlgeschwür hat…
Rätsel und Köder
Das ist nicht so anstrengend, wie es sich hier liest, Feuchtenberger hat einen schön skurrilen Sinn für Humor. Aber man versucht solche Szenen ja immer in die reale Geschichte zu übersetzen: Was passiert wirklich, was nicht, welches Symbol bedeutet was? Und man hofft, dass die nächste Szene wieder leichter einzusortieren ist – aber das ist sie nicht: Wir sehen die Familie als Hunde verfremdet, in Rot, ein altmodischer (sozialistischer?) Zeichenstil, es ist wohl die erwähnte Dorfschule, dann machen zwei Hundemädchen eine Teekanne kaputt, in der Schnecken wohnen, puuaaahh.
Ganz ehrlich? Ich war nahe dran, aufzugeben. Aber ich las weiter, weil Feuchtenberger kleine Hinweise fallen lässt. An denen merkt man, dass man eine faire Chance zur Entschlüsselung hat. Die Teekanne hat ihren Sinn, die Pilze, die Schnecken kommen vom Schild des Kinderheims und haben zugleich was Weiblich-Sexuelles. Und dass die Schnecken irgendwie mit den Kindern zusammenhängen, merkt man ja, wenn die Kinder plötzlich mit Blaukorn spielen… Aber man knuspert so einen Comic eben nicht weg wie eine Tüte Kartoffelchips. Obwohl –
Gänsebesuch auf dem Damenklo
Obwohl es so richtig viel Überwindung nicht braucht: Feuchtenberger verstreut eine Menge optischer Köder. Ihre Bilder sind provokativ, suggestiv, anziehend und abstoßend zugleich. Und selbst bei der größten Rätselei gilt: Es ist einfach absurd-unterhaltsam, wenn eine Frau auf dem Klo sitzt und plötzlich jede Menge Gänse reinwatscheln, und die Obergans fragt sie: „Du weißt, was das hungernde Volk von dir erwartet?“
Letztlich am überzeugendsten: Ich habe nie das Buch weglegen wollen. Und, noch aussagekräftiger: Ich habe nicht ein einziges Mal verstohlen nachgesehen, wie viele von den über 400 Seiten noch vor mir liegen. Anke Feuchtenberger, Genossin Kuckuck, Reprodukt, 44 Euro