Die Outtakes (23): Ein Cowboy beschafft Bier, eine Hamburger Jüdin ermittelt und die tödliche Parker-Truppe kriegt ein Comeback

Mildes Schmunzeln
Das (erstaunlich kaffeelose) Comic-Café weht mir den neuen „Lucky Luke“ ins Haus: Aber Band 102, „Letzte Runde für die Daltons“, bestätigt den Eindruck, dass derzeit vom Comic-Cowboy nicht zu viel zu erwarten ist. Aufgegriffen wird der Aspekt deutscher Einwanderer in den USA (Trump-Witz inklusive): Einer Stadt fehlt das Bier, eine andere soll es liefern, dort wird aber gestreikt. Das Ganze hangelt sich an Deutschlandklischees (Bier, Sauerkraut, Ampeln) entlang, wobei Texter Jul und Zeichner Achdé unerwartet Nazis weglassen, dafür das Wort „Indianer“ behalten (jedenfalls im Deutschen). Luke ist nicht sehr engagiert, aber immer schön im Bild und irgendwann wieder weg, dann ist die Geschichte aus, dort läuft eine Maus, wer sie fängt, kann sich eine Pelzkappe daraus basteln. Aber zugegeben: Die lose Nummernrevue wirkt weniger verkrampft als die Konkurrenz von „Asterix“, und statt zu gähnen kann man manchmal auch mild schmunzeln.
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Zwischen Krimi und Erklärbär

An den Zutaten liegt es nicht: Jens Cornils setzt in „Zeter und Mordio“ die Erinnerungen der Glückel von Hameln als Comic um. Glückel geht im Hamburg des 17. Jahrhunderts dem Verschwinden eines Mitbürgers nach, und weil sowohl der Verschwundene als auch Glückel Juden sind, ist mit Geschichte, Kriminalfall und christlich-jüdischem Zusammenleben eigentlich jede Menge Substanz im Stoff. Aber Cornils trifft einige unglückliche Entscheidungen: Der Stil ist schon mal dermaßen brav gewählt (Cornils kann auch anders!), dass man die Hoffnung auf Klassenbestellungen durch nicht verschreckte Deutsch- und Geschichtslehrkräfte förmlich wittern kann. Ähnlich brav ist die Erzählweise, alles ist derart deutlich wie es der ARD-Vorabendkrimi vormacht. Und ja, Glückel ist Jüdin – aber gerade Juden erzählen sich doch nicht ständig gegenseitig, was es bedeutet, Jude zu sein. „Zeter und Mordio“ orientiert sich streng an deutschen Erzählkonventionen, wechselt daher immer zwischen Krimi und Erklärbär, macht nichts richtig falsch, aber genau deshalb leider auch nichts richtig richtig. Weshalb „Zeter und Mordio“ bei den Outtakes ideal aufgehoben ist.
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Moores Mördergörls

Es ist verständlich, dass Terry Moore Tambi, Francine und Katchoo, seine Charaktere aus „Strangers in Paradise“, nicht ruhen lassen mag. „Parker Girls“ ist eine Art Fortsetzung rund um die gleichnamige Mädel-Agententruppe, die in der tränenrührenden Serie für Blutspritzer und Verschwörungen zuständig ist. Gut aussehend, sensibel, bei Bedarf mörderisch brutal – das Material, aus dem Luc Besson „Nikita“ strickte. Aber obwohl Moore mit Freude ans Werk geht, springt der Funke nicht recht über. Den Rachethriller gegen den übermächtigen Tech-Tycoon mit Emotion zu vertiefen fällt Moore erkennbar schwerer als die „Strangers“-Romanze mit sporadischer Brachialität zu würzen. Zumal Leser, die den „Strangers“-Kosmos nicht kennen, wohl nur den halben Spaß haben. Wie Moore die Szenen anlegt und Dialoge führt, wie er Frauen trauen, schauen und hauen lässt, ist allerdings noch immer ausgezeichnet.
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Blutch darf „Lucky Luke“ interpretieren – ein Ritterschlag mit Risiko. Denn der Blick in den Backkatalog zeigt: Das Experiment hat seine Tücken

Auf diesen Comic war ich supergespannt: Blutchs Version von „Lucky Luke“. Weil Blutch mich vor kurzem erst mit dem „kleinen Christian“ so begeistert hat. Tatsächlich hat sich das Warten gelohnt – aber etwas anders als ich mir's vorgestellt hatte.
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Erstaunliche Freiheiten
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Eines vorweg: Die „Lucky Luke“-Hommage-Reihe ist eine clevere Sache. Man nimmt eine beliebte Serie, vertraut sie für einen Band namhaften Comic-Künstlern an, und zwar mit erstaunlichen Freiheiten. Weshalb diese die Serie neu interpretieren oder auch persiflieren können. Damit verkauft man nicht nur der alten Kundschaft neue Bände, sondern interessiert sie auch für andere Künstler als den aktuellen Stammzeichner – wie etwa mit den gewitzten Luke-Varianten von Mawil oder Ralf König. Und jetzt eben Blutch mit „Die Ungezähmten“. Was, wie ich zwischenzeitlich herausfinden konnte, ein Risiko ist.

Denn während des Wartens habe ich Blutchs Backkatalog durchgelesen, und da war manches ziemlich anstrengend. So überzeugend seine Zeichnungen zuverlässig sind, so wandelbar sind seine Geschichten, und einige davon sind sogar extrem kopflastig. Dazu gehört die düstere, gelegentlich verwirrende  Antiken-Saga „Peplum“, die phasenweise einiges an Durchhaltewillen fordert.
Fantastisch fetter Fatzke
Oder die (nur auf Englisch erhältliche) Experimentalserie „Mitchum“, die ich schon sehr nahe an der Unverständlichkeit einsortieren muss. Und auch der verheißungsvolle Band „Ein letztes Wort zum Kino“ des bekennenden Cineasten Blutch entpuppt sich als mutige, aber nicht immer unterhaltsame Nabelschau. Doch so entschlossen Blutch experimentiert, so grandios komisch kann er auch sein. Wie etwa in seiner wundervollen Zeitungsparodie „Blotch – Der König von Paris“.

Eine Sammlung von Kurzgeschichten, die in den 1930er oder 1940er Jahren der französischen Metropole spielen. Dort ist Blotch, ein gealterter weißer dicker Mann, einer der Stammkarikaturisten des Humormagazins „Fluide Glacial“. Selbstverständlich ist der fantastisch fette Fatzke unter ihnen nicht nur der größte und beste und tollste, der Star des Hauses, sondern obendrein noch der einzige echte Künstler – wenn man ihn fragt.
Furioses Fremdschäm-Fest
Aber das denkt dort jeder von sich. Was Blutch zum bitterbösen Porträt der Szene nutzt: Wie jeder vornrum schleimt und hintenrum lästert, wie jeder die Anerkennung des Verlegers sucht, das ist einfach widerlich schön. Konterkariert wird die herrliche Fremdschäm-Orgie immer wieder mit Einblicken in Blotchs grandioses Schaffen: Das sich als derart bodenlos platt und furchtbar herausstellt, dass ich aus dem Lachen kaum noch rauskam. Zusätzlichen Charme gewinnt „Blotch“, wenn man weiß, dass Blutch sich und seine Kollegen hier selbst karikiert, in der echten, real existierenden „Fluide Glacial“ – aber zum Genuss nötig ist das nicht. Tja: Und wie ist es nun mit „Lucky Luke?“

Ordentlich. Überraschend konventionell: Lucky Luke findet zwei elternlose Kinder und muss daher auf sie aufpassen. Die Kinder sind anstrengend und ungezogen, das ist schon ganz mittellustig. Der verschnarchte Sheriff, okay. Und die Bürger, die finden, dass Lucky Lukes ständiger Nachschub an Gefängnisinsassen nicht gut ist für die Immobilienpreise, davon hätte ich gern mehr gehabt. Aber letztlich erlaubt sich Blutch leider kaum Frei- und noch weniger Frechheiten wie die auf der Comic-Rückseite. Dort untertitelt er den Klassiker vom

„Mann, der schneller zieht als sein Schatten“ mit „Der Mann, der den Zaun erschoss“, so klammheimlich, dass ich den Satz bei Google bisher nicht finden kann. Doch ansonsten geht Blutch diesmal selten dahin, wo es wehtut, er verlässt kaum die gewohnten Bahnen einer „Lucky Luke“-Geschichte, er erweist dem berühmten Cowboy tatsächlich eher die Ehre. Das ist nicht schlimm, das ist sogar insgesamt gut, aber: für Blutch, der so viel mehr könnte, ist es dann wiederum doch ein bisschen wenig.
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Was denn noch alles?!? Nach der Klima-, Ukraine-, Nahost- und der Ergebniskrise der Nationalmannschaft ist nahezu unbemerkt eine weitere Krise ins Land gesickert: die Weihnachtskrise – und sie trifft Millionen! Laut einer wilden Vermutung wissen neun von zehn Deutschen nicht, was sie Millionen anderen Deutschen schenken sollen. Am härtesten trifft es wie immer: die Comic-Fans. Der Staat? Tut nichts. Olaf Scholz, glühender Comicfreund ohne nähere Angaben, sitzt die Probleme aus. Nur auf einem kleinen, fast völlig unbekannten Blog ist Rat zu finden. Nämlich: hier. Und Sie sind auch schon da? Wunderbar!
Tipp 1: Das Gartenparadies

Grandios, aber auch denkbar merkwürdig: „Kohlhoffs Garten“ gibt sich als eine Art Grußpostkarten-Katalog für ein bizarres Freizeitparadies. Also posieren lauter glückliche Leute in 50er-Jahre-Klamotten vor Attraktionen wie dem „Katastrophenwunderland“, wo man auf der sinkenden Titanic oder dem bald explodierenden Luftschiff „Hindenburg“ schaukeln kann. Man kann Riesenschweine reiten („Ein Taxi aus Fleisch!“), der Frühstückssaal ist so voll mit Schmetterlingen, dass man besser nicht den Mund zum Beißen öffnet, und nur anhand der wegfliegenden Hüte wird beim Blick auf die Schiffsschaukel klar, dass Drinsitzen eigentlich nicht so recht angenehm sein kann. Der Werbetext daneben jubelt dazu: „The feeling of dying is a wonderful refreshment!“ Olrik Kohlhoffs ausgefeilte Kohlezeichnungen saugen den Betrachter in eine entsetzliche Amüsierwelt, für deren Zweischneidigkeit es aktuell kaum Vergleiche gibt: Der Baron des Bizarren, Eugen Egner, fällt ein, oder Loriots gelegentlich schwarzhumorige Cartoons. Und in dieser Reihe großer Namen fällt Kohlhoff nicht ab. Der Extra-Vorteil: Der Band ist mehr Cartoon als Comic, auch gut informierten Comicfans könnte dieses Kleinod daher bislang durch die Finger gerutscht sein.
Tipp 2: Neu aufgerollt

In Berlin sitzt die kleine Firma round not square, die jetzt schon seit längerem eine Einzigartigkeit produziert: Rollcomics. Dahinter verbirgt sich eine simple Rolle Papier, etwa zewagroß, sehr lang, je nach Comic ein Dutzend Meter und mehr. Die Rolle liest sich überraschend komfortabel: Man öffnet den steifen Pappumschlag, nimmt ihn in die linke Hand, die übrige Rolle nimmt man in die rechte Hand, dann zieht man den Comic soweit auf, wie man mag. Links wird aufgerollt, rechts wird abgerollt, das kann man sitzend auf dem Sofa machen, aber auch auf einem Tisch. Der Vorteil ist das Format: Der Zeichner kann so breite Bilder zeichnen, wie er will. Stellen Sie sich einen Film vor, in dem die Kamera nach rechts schwenkt und einfach nicht mehr aufhört – das geht hier auch im Comic. Paul Rietzl hat das mal für eine Weltall-Story genutzt (die noch bestellbar ist), Alex Chauvel erzählt jetzt die Fabel von „Flüssiger Bär“, der das grüne Leben in die Welt bringt. Recht munter geschildert, aber noch spannender ist freilich, auf welche rechtsdrehenden Ideen der neue Künstler kommt. Unter den Höhenpunkten: Wie Chauvel spielerisch den Teppich von Bayeux aufgreift und sein optisch schlüssiges Konzept unterschiedlicher Lebensverläufe, die sich bei jeder Entscheidung neu abspalten und ineinander verwinden. Eine spielerische Erzählung, eine erzählerische Spielerei, etwas, was kaum ein Comicfan kennt und jeder gern in die Hand nimmt, wenn es erst mal ausgepackt ist. Auch, weil nicht nur der Zeichner autonom über die Bildbreite entscheidet – sondern seine Leserschaft genauso.
Tipp 3: Reisezeit für eine Zeitreise

Das hier ist was für den sehr kleinen Geldbeutel – aber keineswegs gering zu schätzen. Verschenken Sie Zeit, gemeinsam verbrachte Zeit, solange es noch ein Deutschlandticket gibt, und entführen Sie die Beschenkten nach Dortmund. Das geht nicht von überall, aber ab Osnabrück im Norden, Bielefeld im Osten, Köln im Süden sollte das in anderthalb Stunden klappen. Und dann purzeln Sie praktisch direkt vom Bahnsteig in den schauraum comic + cartoon. Wo sich die Ausstellung „Staying West“ angucken lässt, die sich dem Westerncomic widmet, die hervorragend ist und trotzdem nichts kostet. Kuratiert von Alexander Braun, weshalb Sie nicht nur irgendwelche Comics an der Wand finden, sondern auch Zusammenhänge. Da erfährt man dann, warum die Argentinier so gute Comics haben, warum die deutschen Comics eher schaurig-schön waren, wie man Traditionsmarken wie „Lucky Luke“ retten kann, und, und, und. Den Katalog zur Ausstellung gibt’s vor Ort obendrein zum Sparpreis. Einziger Nachteil: Das geht an Weihnachten erst ab dem zweiten Feiertag.
Tipp 4: Weniger kann mehr sein

Weg vom immer-mehr: Auch Tipp vier ist recht kostengünstig. Wenn Sie richtig wohnen, sogar gratis, aber auch wer außerhalb von Berlin lebt, zahlt den Verlegern der Moga Mobo Comics nur die Portokosten für ihre eigenwilligen, aber auch einladenden Comic-Projekte. Tatsächlich ist deren Homepage eine erstaunliche, schwer vorhersagbare Wundertüte. Für ihre Umsetzung von „100 Klassikern der Weltliteratur“ (pro Klassiker eine Comicseite) haben sie unter anderem Isabel Kreitz, Nicolas Mahler und Reinhard Kleist verpflichtet, beim selben Projekt mit „100 Greatest Hits“ (pro Song eine Seite mit neun Panels) war auch Mawil mit Nina Hagens „Du hast den Farbfilm vergessen“ dabei. Aktuell hat das Verlegertrio einen lesenswerten Band mit Comic-Künstlern aus der Ukraine aus dem Boden gestampft, die ideale Möglichkeit, lauter extrem unterschiedlich arbeitende Zeichner kennenzulernen. Wer sagt, dass Comics immer teuer sein müssen?
Tipp 5: Heute schon an morgen denken

Weihnachten ist eine einzige Tradition, nicht wahr? Und Geschenkesuchen auch, oder? Machen Sie sich's leicht: Starten Sie mit einer Serie, denn mit etwas Glück haben Sie damit auch schon das passende Geschenk für 2024 ff. Sollte freilich nicht zu gängig sein: „Asterix“, „Peanuts“ und „Prinz Eisenherz“ scheiden daher aus. Aber wie wäre es mit dem klassischen Detektiv-Comic „Rip Kirby“? 14 Bände gibt's bereits, jeder versammelt zwei Jahrgänge meisterhafter Zeitungscomics. Oder, im selben Verlag: „Cisco Kid“, der Cowboy mit dem kompliziertest zu zeichnenden Hemd (siehe Bild)? Für Sportfans: „Ping Pong“ von Taiyo Matsumoto (Band 3 ist frisch raus). „Esthers Tagebücher“ umfassen inzwischen sieben Bände, mit denen gerade Eltern jeweils passgenau und kinderaltersgerecht (10-16 Jahre) beschenkt werden können, vom selben Autor ist man auch mit dem „Araber von morgen“ sechs Bände lang gut versorgt. Oder Will Eisners zwar berühmte, dennoch gar nicht so weitgelesene Spirit-Serie (24 Bände in der Archiv-Ausgabe). Oder „Usagi Yojimbo“, die mal bewegenden, mal actiongeladenen Abenteuer des Samurai-Hasen Miyamoto Usagi (23 Bände auf deutsch erschienen, 15 weitere harren noch der Übersetzung) ... Man sieht: Schenken muss nicht kompliziert sein, Sie müssen nur verhindern, dass der der/die Beschenkte zwischenzeitlich selber einkauft. Und natürlich die Nicht-Comicleser dringend zum Comic bewegen, damit man sie ähnlich nachhaltig versorgen kann.
Schöne Bescherung allerseits!