Grandios gezeichnet, raffiniert inszeniert, Action bis zum Herzkasper: Die Fantasy-Serie „Klaw“ ist richtig, richtig gut - und findet in Deutschland keinen Verleger
Ich versteh’s nicht. Null. Dieser Comic hat alles, einfach alles für einen richtigen Bestseller. Er sieht geil aus und zugleich anspruchsvoll. Er hat eine eigenständige Geschichte, traumschöne Actionszenen, ist knallbunt und aufregend. Man muss sich auch nicht lang reinfinden, die Story explodiert schon auf Seite 3. Und sie ist keine Eintagsfliege, es gibt inzwischen zwölf Bände. In Frankreich, in Italien, in England und den USA.
Aber nicht in Deutschland.
Der Comic heißt: Klaw.
Neuer Mix mit vertrauten Elementen
Die Handlung ist ein Highlander-Superheldenmix, die besondere Zutat sind: Tiere. Wir lernen den Jungen Angelo kennen, genannt Angel, er ist Sohn eines Mafiabosses (was er aber nicht weiß). Eines Tages wird Angelo von Mitschülern verprügelt und verwandelt sich in seiner Not in sowas wie eine Mischung aus Hulk und Werwolf, einen Wer-Tiger. Schon dieser ersten vier Seiten sind fantastisch.
Seite 1: Schulalltag. Große Pause im Treppenhaus. Lauter Schüler, und jeder einzelne bewegt sich superecht, redet mit anderen, hat so viel Eigenleben, dass die Schule vor Lärm und Leben nur so brummt. Angel sieht seine Gegner, flieht in den Keller.
Seite 2: Der Fluchtweg - eine Sackgasse!
Seite 3: Angel wird verhauen. Eine Konkurrenzbande trifft ein. Und während beide Gangs streiten, wer das Opfer kriegt, setzt die Verwandlung ein.
Seite 4: Der Tiger. Und was für einer!
Bud Spencers Brummen wird zum Zirpen
Menschliche Gestalt, enorme Athletik, zweieinhalb Meter hoch, mit Tigerfell und einem derart bedrohlicher Kopf, dass man sich verkriechen möchte. Er trägt noch Angels Hose, hinten ringelt sich ein langer Schwanz heraus. Und wenn er spricht, klingt Bud Spencers Stimme wie ein Zirpen.
Der Tiger sieht nicht nur hammermäßig aus, Zeichner Joël Jurion setzt ihn auch hammermäßig in Szene. Wie er ihn aus einer Geistwolke auftauchen lässt, wie er durch geschickte Blickwinkel den gigantischen Tiger aufragen lässt, wie er Action und Wirkung gegeneinander schneidet, das wirkt genau so großartig wie gedacht.
Grell und explosiv: Angels erstes Mal
Auf Seite fünf spielt er erstmals mit den Panelformaten, mal thront der ganze Tiger auf seinem Opfer und brüllt, dass man vom Hinschauen taub wird. Dann: Die Tigerfaust vor dem Zuschlagen! Der Tiger klein, weil: vorne ganz groß die entsetzten Kinderaugen! Dann nur noch der aufgerissene Kindermund klein, weil sich davor die Kinderfinger verkrampft in den Boden krallen, und davor sind die Rillen, die diese verzweifelten Finger im Boden hinterlassen. Ende der Szene: Angels lakonischer Satz: „Das war das erste Mal, dass ich mich in einen Tiger verwandelte.“
Die Kinder werden natürlich nicht aufgefressen. Sie beschweren sich beim Rektor und keiner glaubt ihnen, aber so erfahren wir von Angels Gabe, mit der er danach natürlich viel angemessenere Gegner bekämpfen wird. Der Tiger ist ein Dizhi, ein Totem, das sich seit uralten Zeiten immer wieder einen menschlichen Wirt sucht. Es gibt nicht nur einen Dizhi, sondern zwölf, und das sind nicht alles Tiger, sondern es gibt auch die Ratte oder das Pferd oder das Kaninchen. Alle haben unterschiedliche Eigenschaften, und ihre Wirte sind nicht immer nett, freundlich oder auch nur Kinder. Aus diesen Zutaten entwerfen Jurion und sein Szenarist Antoine Ozanam eine atemberaubende Sage mit immer neuen Verwicklungen und irrsinnigen Zweikämpfen, denn wer einen Dizhi tötet, kann dessen Totemtier und seine Fähigkeiten highlandermäßig in sich aufnehmen.
Und daher meine Ratlosigkeit: Die Geschichte ist einerseits vertraut, aber optisch ungewohnt und aufregend, dabei aber mit einem leichten Mangatouch gefällig gewürzt. Immer neue Wendungen vermischen Freund und Feind wie in einer erstklassigen Mystery-Serie, und die Dynamik ist vorbildlich: Das Verwandlungselement darf ja nicht zu oft erscheinen, damit es immer wieder ein Höhepunkt ist, und wie Ozanam hier geschickt das Tempo rausnimmt und verzögert, ist der Zeichenkunst von Jurion ebenbürtig. „Klaw“ ist exzellentes Handwerk im Dienst von purem Entertainment. „Klaw“ könnte sooo viel schlechter sein, ist aber sooo viel besser. Und das größte Rätsel von allen: Autor Antoine Ozanam ist nicht meine supermühsame Entdeckung.
Top-Handwerk, pures Entertainment
„Klaw“ erscheint in Frankreich bei Dargaud, das ist keine Miniklitsche, sondern der Laden, der Asterix verlegt. Antoine Ozanam hat auch bereits bei zwei namhaften deutschen Verlagen veröffentlicht: „Burn Out“(avant-verlag) und „Dschingis Khan“ (Splitter). Die sagen also sicher nicht: „Antoine wer?“ Und Ozanam hat sicher auch nicht beschlossen, „Klaw“ geheim zu halten.
Soeben ist der vierte Sammelband auf englisch erschienen. Tja, und jetzt die Frage: Bin ich der Einzige, der das für so toll hält? Liege ich wirklich so komplett daneben? Funktionieren magische Viecher nur in der richtigen Schule, aber nicht im Actionsegment? Weiß ich tatsächlich nicht, wie kommerziell ansprechende Supertier-Battles aussehen müssen? Bilde ich mir das alles womöglich nur ein? Finden Sie's raus!
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Einladend einfach: Die gesammelten „Parker“-Krimis entpuppen sich als ideale Gelegenheit zu einer Begegnung mit dem wundervoll vielseitigen Kanadier Darwyn Cooke
Das ist mir schon lang nicht mehr passiert. Also: Dass man jemanden entdeckt, von dem man noch nie gehört hat. Und dass man sich dann durch seine Arbeiten wühlt und frisst und feststellt, dass alles von dem Jemand gut ist, mindestens, wenn nicht sogar exzellent. Der Jemand heißt: Darwyn Cooke, und am besten fangen Sie mit seiner Parker-Serie an. Denn mit diesem Krimi merken Sie sofort, ob Cooke auch was für Sie ist.
Die besten 60er seit „Mad Men“
Die Serie stammt aus den 60ern, wurde mehrfach verfilmt, mal mit Lee Marvin, mal mit Mel Gibson und zuletzt mit Jason Statham. Die Story: Berufsverbrecher Parker wird um seinen Anteil betrogen. Der Betrüger bezahlt mit dem Geld Schulden beim Syndikat. Parker will Rache – und sein Geld. Und wenn das Geld beim Syndikat ist, dann nimmt er’s eben mit der ganzen Organisation auf. Allein.
Warum die Story so oft verfilmt wurde, wird sofort klar: Die Figur des Einzelgängers Parker ist faszinierend kalt, nüchtern, methodisch, brutal, sie ermöglicht den Blick in die skrupellose, aber logische Schattenwelt des Verbrechens. Und eben weil die Story zu zuverlässig zündet, ist sie der ideale Einstieg in Darwyn Cookes eigenwilligen Retro-Stil.
Nostalgisch ausgeblichen
Cooke zeichnet mit wenigen, kräftigen, entschlossenen Strichen. Für Parker wählte er schwarz-weiß mit einer Ergänzungsfarbe, Blau, Blaugrau oder auch mal Braunbeige, was den Panels etwas Nostalgisch-Ausgeblichenes verleiht, ein wenig wie diese Werbefotos bei Friseuren, wenn sie zu lang im Schaufenster gestanden haben.
Was Cooke aus diesem sparsamen Ansatz macht, ist nicht weniger als sensationell: Er wechselt so einfallsreich wie filmreif Blickwinkel und Einstellung, illustriert und inszeniert exzellent Dialoge. Arbeitet er ohne Text, zeigt er viele Details: Wie er dabei mit leichter Hand Gebäude, Autos, Möbel, Lampen, Werbeschilder, Kleidung der 60er zum Leben erweckt, hat man so vermutlich seit „Mad Men“ nicht mehr gesehen.
Obendrein ist Cooke ein wundervoller Weglasser: Er zeigt eben NICHT Parker, der frustriert eine Schnapsflasche an die Wand schmeißt. Sondern nur den leeren Hinterhof, und dann ZACK! – plötzlich die Flasche, die aus dem Fenster fliegt. Er zeigt nicht Parker, der eine Leiche mit dem Messer nachbehandelt. Sondern nur die Tote und dann die Hand, die das Messer erst nimmt und anschließend weglegt.
Zeichner, Erzähler, Regisseur
Dieses Talent hört nicht bei den Bildern auf: Denn Cooke muss ja die Romane, die er umsetzt, auch erzählerisch aufs Comic-Medium anpassen. Wo darf Parker aus dem Off erzählen? Wo ist es besser, ihn schweigen zu lassen, weil man alles besser nur mit Bildern zeigt? Ich habe mich lange nicht mehr so schnell einem Comic-Zeichner anvertraut, weil er so zuverlässig die richtigen Entscheidungen trifft.
Das Irritierendste für Neueinsteiger sind allenfalls Cookes Figuren, die er leicht karikiert, kantig anlegt, weshalb sie manchmal eine eigenwillige Hanna-Barbera-Aura bekommen, zu deutsch: einen Hauch Familie Feuerstein. Aber glauben Sie einem alten Feuerstein-Feind: Das schadet nicht! Weshalb ich sofort mehr von ihm besorgen musste. Und mit einem Titel hat er meine Bedenken dann restlos zerstreut.
Der Hinein-Fühler
Cooke ist einer derjenigen Zeichner, die machen durften, was „Watchmen“-Schöpfer Alan Moore stets verweigert hatte: die Prequels zu seiner preisgekrönten Superhelden-Novel zu liefern. Cooke wählte auch hier den Zeitsprung und erzählte die Geschichte der „Minutemen“ aus den 40ern, ein extrem gefährliches Pflaster. Denn Moore hat in „Watchmen“ vieles geschickt angedeutet: simples Nacherzählen läuft Gefahr, das einfach nur zu verwässern. Cooke füllt die Lücken jedoch erstaunlich einfühlsam, elegant und erfreulich vorbildgetreu. Weshalb ich auch bei „Selinas großer Coup“ zugegriffen habe. Und da wurde es dann richtig beeindruckend.
Denn hier bediente sich Cooke nicht bei einem fertigen Roman oder arbeitete mit vorgegebenen Elementen wie in „Before Watchmen“. Cooke erzählt ein hübsches „Catwoman“-Prequel mit Gentleman-Gangster-Zutaten, eine komplett neue Geschichte. Es gibt im Comic viele gute Zeichner mit unterschiedlichen Spezialbegabungen, Autoren, Lektoren, Dramaturgen, aber es gibt nur wenige, die in allen Bereichen derart überdurchschnittlich sind wie Cooke. Cooke kann nur eines nicht: weitermachen.
Er ist nämlich leider tot.
Der Kanadier ist vor knapp sechs Jahren gestorben, gerade mal mit Mitte 50. Und er kam erst relativ spät zum Comic, mit Ende 30. Weshalb es gar nicht mal sooo viel Cooke zu entdecken gibt. Aber wenn Sie was finden, bei dem er irgendwie beteiligt war: Lesen Sie’s!
Immer öfter bedienen sich Demokratie-Gegner bei Kabarett und Comics - gegen deren Willen. Jetzt wehrt sich der erste Superheld: der Punisher.
Eine der frustrierendsten Erscheinungen in der Kunst ist derzeit das Kunst-Kapern. Kunst-Kapern geht so: Man nimmt die Kunst und fährt mit ihr einfach woanders hin. Dem Kabarett widerfährt das beispielsweise seit längerem: Kritik an der Regierung wird flugs als Plädoyer für eine rechtslinksscheißegalene Wir-sind-das-Volksdiktatur umgedeutet. Bei Youtube sammeln sich etwa unter Beiträgen der eher unverdächtigen "Anstalt" oder unter älterem Material von Georg Schramm nach wenigen Zeilen Jubelkommentare hoffnungsvoller Reichstagsstürmer.
Die Gekaperten reagieren meist mit Schockstarre oder Wegschauen, Gegenreaktionen sind selten, kommen aber inzwischen vor: Volker Pispers hat sich eindeutig distanziert und ratlos zurückgezogen, Florian Schroeder hat sich von Querdenkern einladen lassen und ihnen dann live die Meinung gegeigt. Jetzt schlägt auch der erste Comic zurück – der Punisher.
Vom Antiheld zum Kapitolssturm-Logo
Dieser Antiheld begann als verbitterter Rächer, der den Mord an seiner Frau und seinen beiden Kindern vergelten will. Anschließend scheint er jedoch etwas beliebiger und damit universeller deutbar geworden zu sein, denn: „Reale Söldner und politisch extreme Gruppierungen eigneten sich in den USA das Logo von Marvels Bestrafer an“, heißt es unter Bezug auf den 6. Januar 2021 im Vorwort zum neuen Punisher-Band „Der König der Killer“. Deshalb sei „eine Neudefinition von Vergangenheit, Gegenwart und … der Symbolik“ der Figur nötig. Hat’s geklappt?
Sagen wir mal so: Entglorifiziert haben sie ihn tatsächlich. Der neue Punisher gerät in die Fänge der Mördergruppe "Die Hand", die ihn als Obermörder beschäftigen will. Normalerweise würde der Einzelgänger so was natürlich nie mitmachen, aber Autor Jason Aaron hat einen nicht ungeschickten Dreh gefunden: Die "Hand" hat dem Punisher mysteriöserweise seine tote Frau zurückgegeben. Und der Punisher macht weiter mit, weil als weitere Belohnung auch noch die Rückkehr seiner Kinder winkt.
Rechtsruck kaputt. Held auch.
Beides liefert durchaus Motive, um den Punisher weiter gehen zu lassen als je zuvor, bis er noch wahlloser tötet und sich tatsächlich als Marionette missbrauchen lässt. Der einsame Wolf mit dem ganz eigenen Wertesystem ist damit von Seite zu Seite mehr Geschichte, das Problem dabei ist: Damit wird genau das hinfällig, was den Punisher mal attraktiv gemacht hat. Und auch wenn man davon ausgehen darf, dass er das Spiel in absehbarer Zeit vermutlich durchschauen dürfte, so hat er bis dahin nicht nur seine eigenen Werte gründlich verraten.
Denn wir erleben einen Punisher, der mit einem Schwert reihenweise Leute köpft, von deren Schuld er sich nicht selbst überzeugt hat, sondern die ihm Die Hand zu Dutzenden anliefert. Wie immer die Geschichte ausgeht, danach wird man kaum sagen können: "Ach, da hatte er gerade eine schlechte Phase." Und je länger er braucht, um zu ahnen, dass da irgendwas seltsam ist, desto naiver wird er wirken. Um nicht zu sagen: Operation gelungen, Patient doof.
Was heißt, dass bislang auch für Superhelden die Florian-Schroeder-Lösung noch am besten funktionieren dürfte: Einfach mal deutlich sagen, zu welchem Verein man gehört - und zu welchem eben nicht. Weniger elegant, aber immerhin eindeutig.