Panels im XXL-Format: München bietet sie derzeit doppelt bis dreifach – ideal für einen Wochenend-Trip
Was hat München, was Madrid nicht hat? Derzeit gleich zwei Mal die Möglichkeit, den Comic-Begriff ein bisschen auszudehnen, das sogar im Rahmen höherer bis höchster Kulturweihen: einmal museal, einmal in einer eigenen Ausstellung. Das erste Projekt ist dabei aufregender, das zweite aber charmanter. Spannend und sehenswert sind beide, und wer mag, kann damit einen Tag komplett füllen. Und hat dann noch immer die Option zu einer Zugabe.
Beschmolkte Archäologie
Projekt eins: die wiedereröffnete Archäologische Staatssammlung. Ein sehr schickes Gebäude, eine elegant designte Ausstellung – für die der Münchner Comic-Künstler Frank Schmolke engagiert wurde. Die spannende Frage ist: Hat man ihn sinnvoll eingesetzt? Was kann er, was ein Illustrator nicht kann? Tatsächlich zeigt die Ausstellung beides: Wie man einen Comic-Künstler geschickt nutzt – aber auch, wie man seine Fähigkeiten verplempert.
Kann man das so hart trennen? Ja, und gerade hier: Weil Schmolke so deutlich zeigt, was Comics leisten können. Im Idealfall: Szenen und Zusammenhänge verdichten, einen Minifilm bieten, dessen Tempo und Dauer der Betrachter mitbestimmt. Verplempert wird der Künstler immer dann, wenn er nur dekoriert. Und verplempert wird gerade anfangs viel.
Start im Sparformat
Da werden Schmolkes Panels einfach dem einleitenden Haupttext der Räume angeklebt. Die Tatsache, dass man eine ganze Wand zur Verfügung hat, wird beiläufig ignoriert – Schmolkes Panels sind hier nur etwa so groß wie eine „Spiegel“-Doppelseite. Was besonders dusselig ist, weil der Text natürlich so groß ist, dass ihn mehrere Leute zugleich aus der Entfernung lesen können. Für die Zeichnungen muss jeder näher ran, die sind nicht viel größer als im Ausstellungskatalog.
Kurz darauf allerdings erlebt der Besucher das komplette Gegenteil. Ein Raum ist ganz Begräbnisriten gewidmet. Er zeigt in einer Vitrine den Inhalt eines Grabes – und dazu kann man per Knopfdruck jeweils eine große Schmolke-Seite beleuchten, hochformatig, etwa 1x3 Meter. Das ist jetzt plötzlich exzellent gelöst: Wir sehen die realen Überreste, und dann liefert Frank Schmolke passende Szenen dazu, die trauernden Gesichter hebt er einzeln einzeln hervor, die Abläufe schildert er in der Totalen. Hier kann er neben der Darstellungspflicht auch die Inszenierungskür liefern, hier kann er das Leben zeigen, das Scherben und andere Relikte eben nur andeuten können. In Arrangements, die das Auge mehrfach über die Seite lotsen, bis der Besucher sein ganz persönliches Bild erstellt hat.
Bild mit Platz und Zeit
Die Comicform verhindert zudem, dass sich die Bilder gegenseitig behindern, dass nicht zwei oder mehr Filme nebeneinander her lärmen. Anders als beim Video kann man auch jederzeit einsteigen und muss nicht warten , bis der Film von neuem startet. So ist das sinnvoll, strukturiert, hat Hand und Fuß.
Die dritte Variante ist so mittendrin: erfreulich gelöst. Schmolke liefert hier große Wandbilder, in die Vitrinen eingebaut sind (Foto ganz oben) – die Zeichnung setzt also die echten Gegenstände ins Bild. Gut gemacht, doch da ist der Comic-Artist dann eben lediglich Illustrator. Bevor Sie aber abwinken: Das Haus ist gerade wegen des teils gelungenen, teils unter den Möglichkeiten gebliebenen Versuchs sehenswert. Man darf ja nicht vergessen, dass München hier weitgehend Neuland betritt, da funktioniert nicht alles sofort. Hingehen, angucken! Psst: Vor allem sonntags, wo’s nur einen Euro kostet.
Erfrischende Wiederentdeckung
Wer danach noch Zeit hat, setzt sich in die S-Bahn nach Pasing und geht ins Schloss Blutenburg, wo die Jugendbibliothek derzeit die Bilder von Walter Trier zeigt. Kennen Sie nicht? Kennen Sie bestimmt! Das ist der mit dem Titelbild von Erich Kästners „35. Mai“: Konrad und Onkel Ringelhuth auf dem Rollschuh laufenden Pferd. Oder „Emil und die Detektive“, zwei Knirpse hinter der Litfasssäule, die den Herrn mit Mantel und Hut verfolgen. Klingelt’s? Na also.
Überraschendes Kunst-Konfekt
Triers Bilder sind eine abwechslungsreiche, ungemein erfrischende Entdeckung. Denn sie sind vielseitiger als man gemeinhin annimmt. Ich wusste beispielsweise nicht , wie waghalsig der Jude Trier in einer Last-minute-Aktion emigrierte, aber auch nicht, wie erfolgreich er sofort in England arbeitete: Dort lieferte er nicht nur boshafte Nazi-Karikaturen, sondern auch gewitzte Cover-Illustrationen für Magazine wie Lilliput, dessen Frontseite als Running Gag jedes Mal ein Paar mit einem Hund zeigte.
Die Triersche Geschmacksrichtung ist dabei stets von einer einzigartig witzigen Eleganz, immer hübsch, aber doch nie einschmeichelnd. In Kombination mit den Räumen des sehr niedlichen Schlosses, liebevoll inszeniert in den kleinen Sälen und im langen schmalen Wehrgang, ist die Ausstellung ein unerwartetes Kunst-Konfekt für anderthalb sehr vergnügliche Stunden. Und obendrein auch noch extrem kinderfreundlich.
Der berühmteste Alleinerziehende
Wem das noch nicht reicht (oder wer noch einen Tag übrig hat): Das Valentin-Karlstadt-Musäum präsentiert im Isartor noch bis zum 17. September eine Ausstellung über Erich Ohser. Kennen Sie so wenig wie Walter Trier? Kennen Sie so gut wie Walter Trier: Das ist der E. O. Plauen, von dem die „Vater und Sohn“-Cartoons stammen, zu denen ich weiland Schulaufsätze schreiben musste: Gelebter Anschauungsunterricht, weshalb man gelungene Bildwitze nicht zu einer lustlosen Textform downcyceln soll. Einen Bericht zur Ausstellung finden Sie hier im exzellent sortierten Blog von Heiner Lünstedt.
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Viel zu sehen, viel zu lesen: Alexander Braun durchleuchtet die „Simpsons“ - und nie war der Comic-Historiker selbst so begeistert wie diesmal
Alexander Braun ist ziemlich beglückt. Deutschlands Comic-Historiker No.1 hat gerade seine neue „The Simpsons“-Ausstellung „Gelber wird’s nicht“ an den Start gebracht und freut sich über 1000 Besucher am ersten Wochenende, 300 bis 400 Besucher pro Tag in der Startwoche. 1000 Besucher! Wer den kleinen Doppel-Schauraum Comic und Cartoon in Dortmund kennt, denkt dabei vermutlich an alte Rekordversuche „Menschen in einer Telefonzelle“. Aber Braun will ja gerade das zeigen: Im Thema „Comic“ steckt viel mehr Potential als die zwei kleinen Räume fassen können.
Doppelzimmer voller Simpsonians
Braun ist auf Comic-Museumskurs, und mit den „Simpsons“ erhöht er geschickt neben dem Reiz der Idee auch den Druck. Auch wenn er dazu ein bisschen schummeln musste, oder? Denn: Sind die „Simpsons“ überhaupt ein Comic im eigentlichen Sinne?
Ja und nein. Sie kamen aus der Comic-Kultur, starteten aber als Trickfilm, der dann nebenher auch einer unerwartet guten Comic-Verwertung zugeführt wurde. Um die geht es Braun in der Ausstellung aber weniger, dazu ist er zu pragmatisch. Die TV-Serie ist das Zugpferd, das auch in Deutschland jeder kennt, und mit der englischen Trickfilmbezeichnung „cartoon“ im Schauraum-Namen ist das auch jederzeit locker legitimiert.
Da wird der Historiker zum Fan
Zum Ausstellungsbesuch kann man bekanntlich aus vier Gründen blind raten, auch wenn man (wie ich) noch nicht drin war: a) kostenlos, b) direkt neben dem Bahnhof, ohne Auto, Tram, Bus, Taxi zu erreichen, selbst wenn man einen Rollator hat, c) gibt's den Katalog dort zehn Euro günstiger (s. u.), und d) Alexander Braun. Aber man kann anhand des Katalogs schon mal sagen: Es wird diesmal weniger kunsthistorisch, weniger analytisch, viel fanorientierter, auch weil Braun selbst so fasziniert ist.
Tatsächlich ist das Phänomen „The Simpsons“ mindboggling: Eine Satire, die so erfolgreich ist, dass sie über das Merchandising in die Realität dringt und diese dort wiederum persifliert und in Frage stellt. Beispielsweise mit Barts Lieblingsfrühstückskringeln, einer gruseligen Orgie aus Farbstoff, Zucker und Mehl, nachempfunden „Kellogg’s Fruit-Loops“, die es natürlich bald als ganz reales Merchandise-Produkt zu kaufen gab, empfohlen und vermarktet vom gewissenlosen Serienclown Krusty mit dem denkwürdigen Slogan: „Das Beste, was man von einem TV-Clown erwarten kann!“
Satire im Quadrat
Braun ist mit seiner Faszination nicht allein: Andere Künstler befassen sich mit dem Phänomen (Banksy!), auf den über 300 Katalogseiten ist jede Menge Platz auch für deren Bilder. Vor allem für Fans, die (siehe unten) der Serie nicht mehr so leidenschaftlich folgen wie anfangs, bietet Braun eine Vielzahl spannender Seiteneinstiege, etwa die Kooperation mit Balenciaga oder die russische Intro-Variante.
Die vielschichtige Herstellung der Serie schildert Braun so sorgsam wie den Einbau der prominenten Gaststars, und immer wieder gelingt es ihm, die erstaunliche Hingabe der Macher zu illustrieren, die 35 Jahre lange erstaunliche Qualität in erstaunlicher Dichte fabrizieren. Hier zeigt sich allerdings auch ein erstaunlicher blinder Fleck in Brauns gewaltigem Gelbbuch.
Blinder Fleck in der gelben Geschichte
Denn die „Simpsons“ waren zwar sehr lange sehr gut. Dennoch erlebte die Serie ab Staffel 10 einen weltweit diskutierten Qualitätsverlust, von dem sie sich bis heute nicht mehr richtig erholt hat. Das passierte zwar auch den „Peanuts“, aber während diese von der Verfassung eines einzigen Mannes abhingen, erweckt Brauns vielschichtig gezeigter Produktionsablauf der „Simpsons“ den Eindruck, als wären hier zu viele Begeisterte dabei, sich gegenseitig anzuspornen, ein Abbau daher kaum möglich.
Der Frage hätte man durchaus nachgehen können, zumal Braun mit Bill Morrison einen Top-Insider zum ausführlichen Interview in die Finger bekam. Aber angesichts der immensen Materialfülle kann sowas einem schon mal durch die Lappen gehen, zumal Braun dafür umso gründlicher ausleuchtet, wie gewitzt die Serie inzwischen ihre nach wie vor politischen, kritischen, moralischen Anliegen abseits des grauen Serienalltags zur Gelbung bringt. Und wenn die Besucher weiterhin so den kleinen Schauraum füllen, dann werden sie in Dortmund wohl nicht umhin kommen, dem Herrn Braun langsam mal ein größeres Museum zu organisieren. Allein schon aus Sicherheitsgründen.
Alexander Braun, Die Simpsons - Gelber wird's nicht, schauraum: comic + cartoon, (Vertrieb über Panini), 39 Euro (direkt im Schauraum zum Ausstellungspreis von 29 Euro)
„Die Simpsons - Gelber wird's nicht“, Schauraum Comic + Cartoon, Dortmund, Max-von-der-Grün-Platz 7. Geöffnet: di-so 11-18, do/fr bis 20 Uhr. Eintritt frei.
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Die Rückkehr in den Wilden Westen: „Staying West“ von Alexander Braun überzeugt erneut mit dem einzigartigen Mix aus Anekdote und Kunstgeschichte
Falls Sie’s eilig haben: Diesmal gibt’s keinen Comic, sondern nur Informationen zur Geschichte der Comics. Trotzdem sehr unterhaltsam, aber wie gesagt: Wer sich nur für Comics interessiert, hat jetzt schon frei. Wenn nicht: Lassen Sie sich den neuen Band von Alexander Braun ans Herz legen, „Staying West“.
Fünf Gründe zum freudigen Zugreifen
Der Laie könnte skeptisch werden: Fast zwei Kilo Buch, eigentlich ein Begleitkatalog zu einer Ausstellung, und geschrieben von einem Kunsthistoriker, Hilfe! Aber hier kommen die Gründe, warum Sie stattdessen freudig zugreifen sollten. Erstens: Braun schreibt so, wie man es sonst eher von anglo-amerikanischen Sachbüchern kennt: Nicht nur fundiert, sondern auch unterhaltsam, abwechslungsreich, mit Sinn für Humor und einem sicheren Auge für lustige, traurige, spannende Details und Anekdoten. Da erfährt man nicht nur, wer hinter den so beliebten wie durchschnittlichen „Bessy“-Comics steckte, sondern auch wer sich mit der ähnlich weitverbreitet-mediokren Serie „Silberpfeil“ selbständig machte und sich – als sie nicht mehr gefragt war – in seinem Haus erhängte.
Zweitens, weil Braun immer auch den Kontext im Auge hat: Er strickt ein ganzes Kapitel rund um den Goldrausch in Alaska, weil…? Klar, Onkel Dagobert hat da schließlich sein Vermögen gemacht. Wussten Sie, wie schwer es war, da 1897 überhaupt hinzukommen? Je nach Route zwischen 800 und 1500 Kilometern, zu Fuß. Dauer: bis zu zwei Jahre. Braun illustriert’s mit Fotos, Comic-Panels und weiteren Comic-Vorschlägen.
Bilder, die begeistern
Drittens: Weil Braun hier alles reinpacken kann, wofür bei seiner ersten Western-Ausstellung „Going West“ der Platz nicht mehr reichte: Lucky Luke, Western im Ostblock-Haus des Sozialismus, die boomartige Verwurstung von Winnetou, das italienische Dauerphänomen „Tex“, aber auch die bei uns kaum bekannten argentinischen Comic-Legenden. Alles entstanden in einer Zeit, in der deutsche Kinder mit Durchschnittsware wie „Fix und Foxi“ und „Buffalo Bill“ abgespeist wurden. Apropos: Immer wieder erkundet Braun das Mysterium, warum gute Comics in Deutschland praktisch nicht veröffentlicht wurden – und das Medium genau aus diesem Grund auch keinen besseren Ruf erwerben konnte.
Viertens: Weil Braun ein liebevoller Bebilderer ist, der nicht nur Ihre Lieblinge von früher mit reinpackt, sondern auch wunderliches, nie gesehenes, aber jederzeit sehenswertes Zeug: Weil er Sie nämlich nicht quälen will, sondern begeistern.
Fümpftnz: Weil Sie dann wissen, warum Sie dringend mal einen Zug besteigen und nach Dortmund fahren sollten. Die Ausstellung zum Buch ist direkt gegenüber vom Hauptbahnhof im schauraum comic + cartoon, komfortabler geht’s nicht, das kriegt man vor jedem Heimspiel der Borussia bzw. jedem Auswärtsspiel im ehemaligen Westfalenstadion mühelos hin. Eintritt kostet auch nix. Geht's noch besser?