5 Mangas in 5 Minuten (7): Serienmörder, Geisterkinder und ein nutzloser Mann - die Vorlieben von Deutschlands bekanntestem Comic-Historiker im Test
Herzlichen Dank: Die „Fünf Mangas in fünf Minuten“-Serie durfte als „Mangas auf Speed“ on the road zur Comic-Lesewoche nach Dortmund, mit einer Bonus-Beigabe: Denn der Comic-Historiker Alexander Braun hat nicht nur gleichfalls seinen Senf zu bereits besprochenen Manga-Bestsellern gegeben, sondern auch seine fünf Lieblingsmangas zur Beurteilung vorgelegt. Es folgt: das Verdikt.
Vergeigte Höllenmusik
Eigenwilliges aus der Vergangenheit: „Kitaro vom Friedhof“ ist eine über 50 Jahre alte Serie um einen einäugigen Geisterbuben und seinen Vater, der nur noch aus einem hüpfenden Augapfel besteht. Irritierender als diese Kombi ist jedoch ein anderer Mix: Einerseits werden dort Seelen gegessen, Menschen verschlungen, superdüstere Geschichten erzählt – die aber
in Erzählweise und Logik wirken, als kämen sie von einer Zwölfjährigen. Weshalb Kitaro auch mal zur Schule geht, in der Oper Höllenmusik vorgeigt oder um einen verzauberten Baseballschläger kämpft. Die Richtung der Stories ist unvorhersehbar, kann jederzeit kippen, es ist kaum möglich zu sagen: Ist das für Kinder? Oder nicht? Tatsächlich lesen sich manche Gespenstergeschichten verglichen mit Kitaro dramaturgisch geradezu hochkomplex. Aber: unbestreitbar hat es einen ganz eigenen, schwer widerstehlichen Charme, etwas Kindgerechtes, manchmal auch Splatteriges, das aber zu Halloween ja auch dazugehört.
Unvergessliche Bilder
Ahh, so wird’s gemacht: Gute Geschichte, geht sofort los, und ist extrem einfallsreich, allerdings auf eine unglaublich brutale Art. Held ist ein Super-Profiler, der aber eine mehrfach gespaltene Persönlichkeit ist. Und während er Serienmorde aufklärt, erfahren wir immer mehr von den Gründen der Spaltung und der vermutlich noch viel furchtbareren Geschichte dahinter. Ganz zu schweigen von den vielen Toten, bei denen man etwas Besonderes entdeckt, wenn man ihr unteres Augenlid runterzieht: einen Strichcode. MPD Psycho ist erschreckend gut: Weil es Persönlichkeitsentwicklung, Dialog und Schockmomente exzellent dosiert. Und diese Schockmomente sind so abstoßend wie bewundernswert: Die Tatorte liefern detailliert gezeichnete Bilder, die man nicht vergisst. Selbst wenn man möchte. Darf man das überhaupt? Schauen Sie in die Nachrichten: Der wahre Horror kommt aus Bomben und Schnellfeuergewehren.
Raumschiff kommt und bleibt
Dead Dead Demon’s Dededede Destruction – das sind fünf Schülerinnen in Tokyo. Eine nachdenklich, eine ausgeflippt, eine ruhig. Plötzlich ist da dieses Raumschiff über der Stadt. Und es greift an! Schnitt: Drei Jahre später. Die Schülerinnen sind älter. Das Raumschiff ist immer noch da, aber es greift kaum noch an. Irgendwie hat sich die Stadt dran gewöhnt, und die Raumschiff-Abwehr-Industrie ist total wichtig geworden. Gelegentlich mischen sich Aliens unter die Bevölkerung, und das könnte auch ganz interessant sein, wenn unser Fokus nicht dauernd auf diesen fünf wenig aufregenden Amseln bliebe. Kommt da jetzt noch was? Nach zweieinhalb Bänden geb ich’s auf. Klar, das erinnert daran, wie man sich an den Ukrainekrieg gewöhnt oder an Fukushima. Aber ab und an sollte schon irgendwas passieren. Auf später vertrösten ist als Geschäftsmodell bisschen dünn.
Wie beim Franzosen
Comic und Film: sehr verwandt. Comic und Manga: auch. Gut zu sehen in „Unlucky Young Men“. Schon die Optik: Aufwendige, extrem einfallsreiche Einstellungen, sensible Schnitte. Dann in der Handlung: Die beiden Protagonisten drehen einen Film über einen Überfall auf einen Geldtransport, der zugleich tatsächlich stattfinden wird. Und dann die Art der Erzählung: Kennen Sie diese französischen Filme, in denen so furchtbar viel gequatscht wird und so furchtbar wenig passiert? Genauso machen es Kamui Fujiwara und Eiji Otsuka. Und sie machen es so gut, dass man jederzeit die Vorbilder spüren kann. Leider mehr Rohmer statt Chabrol. Weshalb man dasitzt und staunt, dass es möglich ist, eine Story mit einem Überfall, mit einer durchgeknallten Killerin (!), derart langweilig zu zerzeichnen. Den zweiten Band hab ich echt nicht mehr über mich gebracht.
Munterer Kummerbund
Das hier klingt erstmal nach wenig. In „Der nutzlose Mann” zeichnet ein eher melancholischer Herr Mangas, kann aber nicht davon leben. Doch sonst kann er eigentlich nichts. Er mag auch niemanden fragen, um nichts bitten und kommt insgesamt nicht gut mit Menschen klar. Deshalb fängt er auch ausgesprochen merkwürdige Jobs an: Er trägt Leute über einen Fluss – direkt neben einer Brücke. Er versucht Steine zu verkaufen, die er am Ufer findet, und die ziemlich genauso aussehen wie alle anderen Steine. Nichts davon bringt Geld, seine Familie (eine verbitterte Frau, ein ewig verheulter Sohn), verliert jeden Respekt vor ihm, und all das wird erzählt in dieser selbstmitleidigen, melancholischen Art – Moment, dieses ganze Elend ist eigentlich sogar ziemlich witzig. Wenn man damit klarkommt, dass es gerade eben nicht als Gagparade serviert wird.
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Asterix, die 38.: „Die Tochter des Vercingetorix“ wirft Traditionen über Bord und klaut bei Klassikern der Serie
(Beim Onlinegehen übersehen: Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online, verschlief aber den Umzug auf den Comicverführer-Blog - und wird hier aus aktuellem Anlass nachgereicht)
Neuer Asterix, neues Glück. Jetzt ist Band 38 erschienen, „Die Tochter des Vercingetorix“, der inzwischen vierte von Texter Jean-Yves Ferri und Zeichner Didier Conrad, und, um mit dem Kritikerkollegen Günter Netzer zu sprechen: „Ja, es ist ein Tiefpunkt.“ Hört, hört, denkt sich da womöglich der Leser, ein Tiefpunkt. Ein noch niedrigerer Tiefpunkt am Ende, gibt's das? Bei Asterix? Geht ja gar nicht, der Vermes sitzt wahrscheinlich gemütlich da und hat drei Weizenbier getrunken, und Niedermachen, das tun Kritiker ja immer besonders gern. Also: Kann das stimmen?
Die Story: Stückwerk aus dem Fundus
Sagen wir so: Drei Weizenbier wären sicher hilfreich. Weil ich selbst ja auch gern Spaß am neuen Asterix hätte, und mit drei Bier könnte man vielleicht über einiges hinwegsehen, was einem diesen Spaß nimmt. Wie zum Beispiel die hanebüchen geklaute Story: Das gallische Dorf soll auf Adrenaline aufpassen, die zwang- und sinnlos auftauchende Tochter des historischen Titelhelden. Julius Cäsar will sie nämlich als Geisel, um sie nach römischem Standard zu erziehen.
Woher kennen wir das? Genau, „Asterix in Spanien“, eine Geschichte, deren Reiz darin besteht, dass Asterix trotz allen Zaubertranks keine Chance hat gegen die Launen eines störrisch-verzogenen Knirpses. Und okay, das könnte hier auch funktionieren, zumal sie das Mädchen fast 1:1 aus Grautvornix geklont haben („Asterix und die Normannen“), sie ist also im idealen Teenageralter.
Konfliktpotential: null
Doch da fängt's schon mal an: Asterix, Obelix und das zickige Gör haben praktisch nichts miteinander zu tun. Das Mädchen wohnt im Haus von Häuptling Majestix, Asterix und Obelix sollen sie eher be- und überwachen, und so verbringen beide große Teile des Hefts hinterhertappend. Konfliktpotenzial: null. Und der einzige erkennbare Vorteil ist, dass man als Running Gag einbauen kann, wie Asterix und Obelix versuchen, tarnungshalber „natürlich zu sein“.
Der Gag ist freilich zurechtgeklaut aus „Asterix als Legionär („liebenswürdig sein“) und „Asterix und der Kupferkessel“ („unauffällig benehmen“), was nicht nur doppelt arm ist, sondern gleich dreifach, weil Ferri obendrein keine Notwendigkeit für die Tarnung einfiel: Adrenaline ist Bodyguards gewöhnt. Weshalb der sonst so clevere, reaktionsschnelle, einfallsreiche, improvisationsfreudige Asterix in diesem Band erstmals wirkt wie der Dorfdepp.
Gallien goes Maischberger
Derart verhunzt hat Ferri selbst auch keine Lust mehr, ihn einzusetzen. Wer mal nachzählt, merkt: Rund 350 Panels gibt es, Asterix und Obelix tauchen nur auf etwa 130 davon auf, Asterix selbst sogar nur auf 120, ein gefühlter Minusrekord. Stattdessen bekommt Adrenaline seitenlange Soloauftritte bei den Piraten (witzfrei, spannungsarm). Oder Miesetrix, der Schurke des Bands, muss - auch das eine Neuheit - die Motivation für sein Schurkentum bierernst mit Methusalix diskutieren: „Dein Vercingetorix“, jammert er, „konnte mich nie leiden.“ Prost, denkt man da beim vierten Bier, Gallien goes Maischberger.
Statt des unbrauchbaren Asterix rührt Ferri nun munter neue Charaktere in die Suppe, in der Hoffnung, viel könnte viel helfen. Wo einst pro Band ein Gegenspieler und ein Gast aus fremden Landen genügten, kommen jetzt zu Adrenaline und Miesetrix die Gallier Mausklix und Monolitix, ein Zenturio ohne Namen, ein Galeerenkommandant, Flocircus mit seinem Sohn Ludwikamadeus, ein Love-Interest namens Letitbix, sowie, weil's eh schon wurscht ist, ein Kurzauftritt von Epidemais (wer erinnert sich?) und, für lange, fade Dialoge unter Teenagern, Aspix und Selfix, die bisher völlig unbekannten älteren Söhne von Automatix und Verleihnix.
Mimik eines Garagentors
Bringen tut der ganze Auftrieb nichts, vor allem weil Ferri keine Ahnung hat, wie Humor funktionieren könnte. Es fallen ihm vor allem Wortspiele ein: Wer Wein transportiert, „hat Schlagseite“, wer ins Wasser fällt „gerät ins Schwimmen“. In „Asterix bei den Goten“ bestand der Gag noch darin, dass sich der schlicht gewirkte Obelix seitenlang über das Wortspiel „er ist entfesselt“ wegschmeißt - heute schätzt Ferri seine Leser genau so ein. Zeichner Conrad ist leider keine Spur hilfreicher. Schon das Naheliegendste ist zu viel verlangt: Letitbix, der sehr schön „Imagine“ zitiert, sieht nicht aus wie der junge John Lennon. Adrenaline erhält mit je einem offen strahlenden und einem verschlossen schmollenden Gesichtsausdruck das Mienenspiel eines Garagentors. Und bei Actionszenen wird klar, dass Conrad auch das Zusammenspiel von Körperhaltung, Wucht, Schwung, ja, jedes physikalische Gesetz von Schlag und Wirkung nicht wirklich nachvollziehen kann.
Ganz nebenbei werden jede Menge Traditionen geringschätzig über Bord geworfen: Alesia, der Ort der gallischen Niederlage, den früher keiner kannte, wird zur Allerweltsfloskel. Dafür darf Vercingetorix' bisher stets unproblematischer Name auf einmal nur noch geflüstert werden. Asterix fängt plötzlich Pfeile Zentimeter vor seinem Gesicht auf - doch der Zaubertrank hat bislang nie Reaktionen beschleunigt. Nein, das hat mit Asterix nichts mehr zu tun, und was besonders wehtut, ist nicht, dass Ferri und Conrad es nicht könnten, sondern, dass es ihnen spürbar egal ist. Vor zwei Jahren konnte man auf Lewis Trondheim verweisen, der Micky Maus würdig fortsetzte, inzwischen ist Mawil dazugekommen, der sich um Lucky Luke verdient gemacht hat. Asterix wünscht man dringend dasselbe, statt diesen Rumpelfußball in Comicform.
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„Shunas Reise“ erscheint nach 40 Jahren erstmals auf deutsch. Der Klassiker ist so attraktiv, so verführerisch, dass man sich vor allem wundert: Wieso erst jetzt?
Das ist eine Premiere, wenn ich's recht sehe: Der erste Manga, der hier eine ganze Empfehlungsgeschichte für sich alleine bekommt. Und zu recht: Er heißt „Shunas Reise“, ist von Hayao Miyazaki und tatsächlich etwas ganz Eigenes, Besonderes – nicht nur, weil er durchgehend farbig ist. Die Geschichte selbst ist bereits knapp 40 Jahre alt, Anime- und Mangafans kennen den Autor gut: Miyazaki ist Trickfilmer und Mitbegründer des berühmten Studios Ghibli. Zum Genießen ist dieses Vorwissen aber nicht nötig.
Ein Holzschiff in der Wüste
Vom Design her erinnert die Geschichte stark an die typischen Trickfilme der späten 70er, frühen 80er, aber die Ausführung ist untypisch und wirkt sofort weniger industriell: Bleistiftzeichnung, Aquarellfarben, das schaut alles eine deutliche Spur handwerklicher, handgemachter, gemütlicher aus. Obwohl die Gegend der Handlung eher ungemütlich ist: Die Geschichte spielt offenbar in einem asiatischen Hochgebirge. Genau kann man’s nicht sagen, vieles ist rätselhaft.
Shuna, der Held und Thronfolger des namenlosen kleinen Königreichs, hat ein altmodisches Repetiergewehr, das spricht für unsere Welt in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Aber er reitet auf Lamas mit Geweih, und die gibt’s nicht. Um eine bessere Getreidesorte zu finden, zieht er nach Westen. Er kommt an eigenwilligen Statuen vorbei, einem gigantischen Holzschiff in der Wüste, an menschenfressenden Frauen, all das ist sehr real und sehr fantasyhaft zugleich. Ist „märchenhaft“ vielleicht eine passende Bezeichnung?
Zwischen Idylle und Barbarei
Ja und nein, weil Miyazaki auch von ungewöhnlicher Barbarei erzählt: Shuna begegnet merkwürdigen Gefängniskutschen, von zehn büffelartigen Tieren gezogen, die wie viele andere ähnliche Wagen Hunderte, Tausende Menschen zu einem riesigen Sklavenmarkt in einer enormen Stadt transportieren. Der einzige Grund dafür, dass Shuna nicht in den Transporten endet, ist: Er hat ein Gewehr, er ist erkennbar eine andere, wehrhafte Sorte Mensch. Das ist nicht der übliche Märchenstoff (auch wenn Miyazaki sich an ein tibetisches Volksmärchen anlehnt), es ist auch nicht der Stoff nordischer Sagen wie Beowulf und Grendel.
Genauso ungewöhnlich ist die Bildaufteilung: Die Panels sind großzügig, nichts vom häufigen, hektischen Manga-Gehäcksel. Und sie nutzen oft die Breite der Doppelseite, sie zwingen den Blick über den Bundsteg (da, wo die Seiten zusammenstoßen), sie nutzen die gesamte obere oder untere Hälfte der Doppelseite, und das auch noch außergewöhnlich attraktiv: mit transparenten und dennoch kräftigen Farben, für weite Blicke in eine verführerische Natur, mal wüstenhaft heiß und trocken, mal üppig blühend, mal polarkaltblau.
Echter Genusscomic
Zur Geschichte mag ich gar nicht viel mehr verraten: Eine Abenteuergeschichte, aber in einer ganz eigenwilligen Mischung, stellenweise geradezu kindgerecht, dann aber wieder von rücksichtsloser Härte, dabei jederzeit ungemein ansehnlich.
Was „Shunas Reise“ zu einem echten Genusscomic macht.