„Der Letzte löscht das Licht“: Wie sich der Schweizer Tobias Aeschbacher mit einer munterschwarzen Komödie vielleicht zum Max-und-Moritz-Preis ballert
Die Nominierungen für den Erlanger Max-und-Moritz-Preis (größter wo gibt im deutschen Comic!) sind draußen, ein schöner Anlass für zwei Dinge: Erstens überprüfen, ob ich hier womöglich immer völlig am Trend vorbeiberichte. Und zweitens: Gucken, ob’s auf der Liste was Neues zu entdecken gibt. Zu zweitens: Ja, gibt es, und nach „Fungirl“ ist es schon wieder was aus der Schweiz – die muntere rabenfinstere Krimikomödie „Der Letzte löscht das Licht“, die überraschende „Pulp Fiction“-Qualitäten zeigt.
Talentierter Ersttäter
Die Antwort lautet: Ja.
Denn Sie wollten doch fragen, ob ich damit diese besondere Art Film meine, nicht wahr? Also: aus unterschiedlichen schwarzhumorigen Episoden unterschiedlicher Charaktere verknotet, die alle irgendwie miteinander zusammenhängen? Genau darum dreht sich’s bei diesem geschickt verquirlten Krimikompott des Graphic-Novel-Ersttäters Tobias Aeschbacher, mit einer Ausnahme: Aeschbacher springt nicht zwischen Gegenwart und Vergangenheit, er bleibt chronologisch. Die Rahmenhandlung bildet ein mäßig intelligentes Killertrio, das bei der Auftragserfüllung darüber diskutiert, ob man seiner Pistole einen Frauennamen geben darf, das aber auch schon Probleme hat, überhaupt die richtige Zimmernummer des Opfers zu finden – weil das ganze Haus konfus durchnummeriert ist.
In diesem Haus finden sich weitere Halbweltgestalten mit diversen illegalen Nebenverdiensten. Und wie das so ist, wenn man dauernd falsche Türen öffnet und falschen Leuten begegnet: Man hat eine Menge unerwünschter Zeugen, die man loswerden muss. Wie entspannt und lässig Aeschbacher das abwickelt, das nötigt schon Respekt ab. Seine Situationen sind eigenwillig, definitiv lustig, seine Dialoge sind noch nicht Quentin Tarantino, noch nicht Guy Ritchie, aber sie sind schon ganz nahe dran. Was heißt: Er liefert (noch) keine Klassiker zum Nachsprechen, aber man langweilt sich keine Sekunde. Und nebenbei hat Aeschbacher kein Problem damit, Blut zu vergießen, und auch das gekonnt: Nicht zu viel, nicht zu wenig und jeweils exakt im richtigen Moment.
Cartoons mit Kopfschuss
All das wirkt auch deshalb so gut, weil die Bildregie des Schweizers extrem ökonomisch ist. Viele Panels mit Leuten, die reden und reagieren, kaum Effekte, weil Aeschbacher weiß, dass er sich auf die Texte verlassen kann. Ebenfalls hilfreich: Die zahme Cartoon-Optik, durch die man die Protagonisten immer wieder unterschätzt. Können solche Leute mit Kopfschüssen töten? Nee, oder – hoppla.
Ganz nebenbei scheut Aeschbacher auch noch kniffligere Themen nicht. Suizid im Alter? Stalking? Und die Sache mit den Schweizern, die alle ein Gewehr im Schrank haben? Aeschbacher nutzt das ungewöhnlich geschmackssicher und zugleich erfreulich rücksichtslos, weshalb der ganze Band ein ziemlicher Heidenspaß ist (wenn „Heidenspaß“ nicht mehr okay ist, bitte eigenes Synonym einsetzen). So ein unverhoffter Fund! Und das dank der Max-und-Moritz-Nominierungen, wo Comic-Kunst im Sinne Buschs auch mal die Priorität aufs Entertainment setzen darf.
Was uns wiederum zu „erstens“ bringt: Ist da denn auch was von den Sachen nominiert, die Sie von hier kennen? Ja, ja, ja, ja und ja. Und wie hat Aeschbacher dann 2024 in Erlangen tatsächlich abgeschnitten? So.
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Blutch darf „Lucky Luke“ interpretieren – ein Ritterschlag mit Risiko. Denn der Blick in den Backkatalog zeigt: Das Experiment hat seine Tücken
Auf diesen Comic war ich supergespannt: Blutchs Version von „Lucky Luke“. Weil Blutch mich vor kurzem erst mit dem „kleinen Christian“ so begeistert hat. Tatsächlich hat sich das Warten gelohnt – aber etwas anders als ich mir's vorgestellt hatte.
Erstaunliche Freiheiten
Eines vorweg: Die „Lucky Luke“-Hommage-Reihe ist eine clevere Sache. Man nimmt eine beliebte Serie, vertraut sie für einen Band namhaften Comic-Künstlern an, und zwar mit erstaunlichen Freiheiten. Weshalb diese die Serie neu interpretieren oder auch persiflieren können. Damit verkauft man nicht nur der alten Kundschaft neue Bände, sondern interessiert sie auch für andere Künstler als den aktuellen Stammzeichner – wie etwa mit den gewitzten Luke-Varianten von Mawil oder Ralf König. Und jetzt eben Blutch mit „Die Ungezähmten“. Was, wie ich zwischenzeitlich herausfinden konnte, ein Risiko ist.
Denn während des Wartens habe ich Blutchs Backkatalog durchgelesen, und da war manches ziemlich anstrengend. So überzeugend seine Zeichnungen zuverlässig sind, so wandelbar sind seine Geschichten, und einige davon sind sogar extrem kopflastig. Dazu gehört die düstere, gelegentlich verwirrende Antiken-Saga „Peplum“, die phasenweise einiges an Durchhaltewillen fordert.
Fantastisch fetter Fatzke
Oder die (nur auf Englisch erhältliche) Experimentalserie „Mitchum“, die ich schon sehr nahe an der Unverständlichkeit einsortieren muss. Und auch der verheißungsvolle Band „Ein letztes Wort zum Kino“ des bekennenden Cineasten Blutch entpuppt sich als mutige, aber nicht immer unterhaltsame Nabelschau. Doch so entschlossen Blutch experimentiert, so grandios komisch kann er auch sein. Wie etwa in seiner wundervollen Zeitungsparodie „Blotch – Der König von Paris“.
Eine Sammlung von Kurzgeschichten, die in den 1930er oder 1940er Jahren der französischen Metropole spielen. Dort ist Blotch, ein gealterter weißer dicker Mann, einer der Stammkarikaturisten des Humormagazins „Fluide Glacial“. Selbstverständlich ist der fantastisch fette Fatzke unter ihnen nicht nur der größte und beste und tollste, der Star des Hauses, sondern obendrein noch der einzige echte Künstler – wenn man ihn fragt.
Furioses Fremdschäm-Fest
Aber das denkt dort jeder von sich. Was Blutch zum bitterbösen Porträt der Szene nutzt: Wie jeder vornrum schleimt und hintenrum lästert, wie jeder die Anerkennung des Verlegers sucht, das ist einfach widerlich schön. Konterkariert wird die herrliche Fremdschäm-Orgie immer wieder mit Einblicken in Blotchs grandioses Schaffen: Das sich als derart bodenlos platt und furchtbar herausstellt, dass ich aus dem Lachen kaum noch rauskam. Zusätzlichen Charme gewinnt „Blotch“, wenn man weiß, dass Blutch sich und seine Kollegen hier selbst karikiert, in der echten, real existierenden „Fluide Glacial“ – aber zum Genuss nötig ist das nicht. Tja: Und wie ist es nun mit „Lucky Luke?“
Ordentlich. Überraschend konventionell: Lucky Luke findet zwei elternlose Kinder und muss daher auf sie aufpassen. Die Kinder sind anstrengend und ungezogen, das ist schon ganz mittellustig. Der verschnarchte Sheriff, okay. Und die Bürger, die finden, dass Lucky Lukes ständiger Nachschub an Gefängnisinsassen nicht gut ist für die Immobilienpreise, davon hätte ich gern mehr gehabt. Aber letztlich erlaubt sich Blutch leider kaum Frei- und noch weniger Frechheiten wie die auf der Comic-Rückseite. Dort untertitelt er den Klassiker vom
„Mann, der schneller zieht als sein Schatten“ mit „Der Mann, der den Zaun erschoss“, so klammheimlich, dass ich den Satz bei Google bisher nicht finden kann. Doch ansonsten geht Blutch diesmal selten dahin, wo es wehtut, er verlässt kaum die gewohnten Bahnen einer „Lucky Luke“-Geschichte, er erweist dem berühmten Cowboy tatsächlich eher die Ehre. Das ist nicht schlimm, das ist sogar insgesamt gut, aber: für Blutch, der so viel mehr könnte, ist es dann wiederum doch ein bisschen wenig.
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Hemmungsloser Slapstick, Gags ohne Rücksicht auf Geschmack und Geschlecht: „Fungirl“ ist das mutigste deutsche Spaß-Projekt seit fast 30 Jahren
Was für eine Rarität: respektloser, sogar rücksichtsloser Humor. Ich bin selber noch ganz baff, was ich da in Elizabeth Pichs Band „Fungirl“ finde. Weil ich sowas in vergleichbarer Qualität seit laaaaaaaanger Zeit nicht mehr gelesen habe. Schon gar nicht aus Deutschland. Oder ist da der Wunsch Vater des Lobs?
Sexbesessene Titelheldin
„Fungirl“ ist in jedem Fall schon mal hemmungslos. Titelheldin ist eine kaum bis nicht beschäftigte junge Frau, die gerne lang ausgeht, noch länger schläft und sich vorwiegend für Sex interessiert, entweder mit anderen oder allein. Sie lebt mit ihrer ehemaligen Partnerin (noch?) in einer WG und benimmt sich dort so, wie man es gemeinhin jungen, rücksichtslosen Männern unterstellt. Typische Szene: Sie vergisst die Pizza im Ofen, löst einen Küchenbrand aus und entschuldigt sich bei Feuerwehr und Mitbewohnerin mit „Sorry, ich war am Masturbieren!“ Heftig? Aber noch kein Brüller? Stimmt beides.
Radikalhumor hat seine Tücken, wie bei „Grizzlyshark“. Soll superlustig sein, haut aber nur besinnungslos drauf. Guter Radikalhumor braucht also mehr, einen Mechanismus, der das Draufhauen clever ergänzt oder konterkariert. Und deshalb bricht Elizabeth Pich die Küchenszene auch nicht ab, sondern dreht sie weiter: Fungirl versucht mit einem noch blöderen Spruch den Feuerwehrmann auf ihre Seite zu ziehen und – scheitert. Genau an diesem Punkt wird aus Fungirl mehr als eine Radauschleuder.
Serienglotzen im Sarg
Denn Fungirl will gemocht werden. Sie hat konservative Träume, will einen Job und das entsprechende Gehalt, sie ahnt, dass sie Vieles nicht besonders geschickt löst. Aber jeder Ansatz zur Änderung des Lebens scheitert an ihrer Trägheit, am unüberwindlichen Drang, sich alle Rosinen rauszupicken und alles Unangenehme zu ignorieren. Einem Drang, den man selber zu gut kennt. Fungirl löst den Konflikt, indem sie etwa einen Job bei einem Bestatter annimmt, die Arbeitstage im Sarg liegend und serienglotzend verbringt, dann aber die Ruhetruhe bei Kunden als Nobelteil „mit Snacks und DVDs“ anpreist. Selbstverständlich erfolglos.
Fungirls Abenteuer sind definitiv nichts für Leute, die’s gern schön haben. Dafür füllt Elizabeth Pich jedoch eine Lücke, für die sich seit Klaus Cornfield Mitte der 90er in Deutschland kaum jemand zuständig fühlte: das gleichermaßen geschickte wie geschmacklose Zuschlagen, komplett rücksichtslos auch sich selbst gegenüber. Denn natürlich riskiert Elizabeth Pich, dass man nicht nur die Heldin für blöd, widerlich, kindisch hält, sondern die Autorin gleich mit. Auch wenn sie sich einige Rettungsnetze gespannt hat.
Derb, aber nie schmuddelig
Anders als bei Cornfield ist Pichs Kunst sauber durchstilisiert. Bunt, kräftige Farben, reduzierte Strichfiguren, die bisweilen an die Olympia-Piktogramme '72 erinnern. Fungirls Abenteuer sind vorm Schmuddel geschützt, weil sie nie als billiges Drecksheft unter irgendeinem Ladentisch lagen. Und Pich konstruiert zwischen den Episoden hübsche Hommagen an Ikonen der Trickfilm- und Comic-Kunst, Fungirl darf etwa wie Bart Simpson durch die Stadt skaten oder auf dem Dach von Snoopys Hundehütte liegen.
Tja, und nun? Sollte ich lobend oder gar ermutigend hervorheben, dass Pich eine Frau ist? Weil ich beobachtet zu haben meine, dass sich gerade Frauen oft schwerer damit tun, rücksichtslos und brachial zu sein? Oder sollte ich eher lobend oder gar ermutigend hervorheben, dass Pich eine gebürtige Deutsche aus Saarbrücken ist? Weil ich beobachtet zu haben meine, dass sich Deutsche oft schwerer damit tun, in Humordingen rücksichtslos und brachial zu sein? Für letzteres hätte ich immerhin eine Art Beleg.
Brachialhumor als Re-Import
Denn „Fungirl“ erschien zuerst in den USA. Der jetzt veröffentlichte Band wurde dementsprechend auch aus dem Englischen übersetzt. Und auf Deutsch veröffentlicht wurde er nicht in Deutschland, sondern bei Edition Moderne in der Schweiz. Vielleicht ist das alles aber auch viel unwichtiger als: Lesen und Lachen.
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