Aus „ordentlich“ wird „richtig gut“: Die erstaunliche Wandlung der 80er-Persiflage „Shooting Ramirez“
Die Werbung ist schuld. Komplett erlogen. Von hinten bis vorne kein wahres Wort. Aber sie blieb mir im Kopf – weil sie so gut war. Gefunden habe ich sie im ersten Band von „Shooting Ramirez“, einer Geschichte, die ich irgendwie okay fand und unterschätzt habe.
Sie wirkte wie eine gute Kopie von Robert Rodriguez‘ „El Mariachi/Desperado“: Ein Killer geht um, ein Musiker kommt in die Stadt – und wird mit dem Killer verwechselt. Nur, dass diesmal der Musiker ein stummer Staubsaugervertreter ist und die Handlung in den USA der 80er spielt. Naja. Und tatsächlich war die Story randvoll mit Klischees. Was nicht schlimm sein muss, aber das Problem war: Für eine Parodie war es nicht witzig genug, aber dennoch wurde so viel gealbert, dass man die Figuren nicht richtig ernst nahm. Aber man konnte dem Zeichner und Autor Nicolas Petrimaux einfach nicht böse sein. Weil so viel grandioser handwerklicher Krimskrams drinsteckte.
Die 80er: cleveres Requisit statt nur Verarsche
Erstens klappte die Zeitreise ausgezeichnet. Obwohl Petrimaux, Ende 1982 geboren, sich eigentlich nur gerade eben noch für das Spielzeug dieser Dekade interessiert haben kann. Aber er hat ein Auge für die Architektur, das Design, die Mode, dass jeder Filmausstatter neidisch werden könnte. Noch wichtiger: er liefert diese Details nicht nur ab nach dem Motto „Guck-mal-Schulterpolster-haha-80er“, sondern er bindet sie in einen rundum stimmigen 80er-Jahre Tagesablauf.
Zweitens geht Petrimaux wundervoll verschwenderisch mit Platz um. Eine meiner Lieblingsseiten ist ein doppelseitiges Splash zu Beginn: die Staubsaugerfirma von oben. Eine hässliche Firma, so stilvoll Ihre örtliche Geschäftsstelle der AOK, aber plattgedrückt, wir sind ja in Amerika, wo man Platz hat. Es ist ein heißer Sommermorgen, rund um die Firma sind weitere Firmen, genauso hässlich, in der staubdunstigen Ferne sind Palmen und breite Straßen und noch mehr hässliche Gebäude, soweit das Auge reicht. Das ist nicht schön, aber man kann dennoch kaum aufhören, das Auge auf dieser Doppelseite spazieren zu führen, weil alles so gut passt. Die Firma heißt - Achtung, kleines Wortspielchen - „Robotop“. Drittens aber imitiert Petrimaux Werbung. Und da tobt er sich richtig aus.
Kurios inszenierte Kugelmuffe
Schon für den Buchvorsatz, also gleich auf der Innenseite des Covers, erfindet er ein altes Staubsaugerhandbuch. Es gibt eine Geräte-Garantie, er zerlegt akribisch die Einzelteile und erklärt die Montage von Seitenklammern (h.) und Kugelmuffe (k.). Und ganz hinten im Buch gibt nicht dasselbe nochmal, sondern zwei weitere Seiten vom Handbuch. Im Band gibt’s ganzseitige Annonce für den „Harrison Splendid“ (standardmäßig mit Kassettendeck) oder Michael Jacksons Lederjacke, dazu eine Seite der fiktiven „Falcon Today“. All das sieht auf den ersten Blick völlig normal aus, nur wenn man sich durch den ganzen kleinen Text wühlt, findet man die kleinen Pointen und den grotesken Werbe-Unfug. Und deswegen hab ich den zweiten Band in die Finger genommen. Gottseidank!
Denn Petrimaux ist jetzt auch erzählerisch besser geworden. Er lässt seinen Protagonisten die Zeit, ziemlich normale Gespräche zu führen, damit man sie allmählich ins Herz schließt. So dass man jetzt in den spektakulären Actionsequenzen richtig mit ihnen fiebert. Dazu hat er die immer wieder wirkungsvolle Option entdeckt, einige dieser aufwändig nahegebrachten Figuren zu opfern.
Spott und Spannung arbeiten Hand in Hand
Spott und Spannung geraten sich nicht mehr in die Quere, die Einzelteile rasten ein und plötzlich funktioniert alles: Es gibt wunderbare Gegenschnitte, weniger Dialog und mehr Bild, mehr Werbung, ganze imitierte Klatschmagazin und endlich, endlich engagiert sich „Robotop“ ethisch und druckt den neuen Kundenkatalog „aus total verantwortungsvolle Weise in 12 Millionen Exemplaren“.
Was man natürlich nur erfährt, wenn man den ganzen kleingedruckten Wutzifutzikram liest.
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Es ist selten, aber es kommt vor: Lewis Trondheim unterperformt. Aber ausgerechnet jetzt und hier?
Denn Comic-Superstar Trondheim veröffentlicht mit „Beim Teutates“ eine „Asterix“-Parodie – es trifft also Top-Name auf Top-Titel. Auf sowas warten Fans, das ist praktisch wie ein WM-Finale. Und eigentlich kann doch nichts schiefgehen, denn der 58-jährige Franzose ist ein absoluter Parodie-Experte.
Seine größten Erfolge, die Serien „Donjon“ und „Ralph Azham“ sind gewitzte Fantasy-Persiflagen, bei denen Trondheims Helden mit schöner Regelmäßigkeit die Erwartungen des Genres unterlaufen. Und gerade erst hat er zweimal die Disney-Figuren auf neue Abenteuer geschickt, auch hier hat er einfallsreich und mustergültig das Parodisten-Handwerk vorgeführt. Was also klappt in „Beim Teutates“ nicht? Schließlich fängt Trondheim auch noch richtig gut an!
Die Probleme liegen herum wie Römer im Wald
Trondheim schickt seine Figur „Herr Hase“ in die Asterixwelt. Der immer leicht verpeilte Großstädter landet aus dem Nichts in der Welt des gallischen Dorfs. Er trägt Asterix‘ Klamotten, hat aber im Unterschied zu Asterix selber alle Asterix-Abenteuer gelesen. Hase muss sich also zurechtfinden, vermutet eine „versteckte Kamera“, begreift dann, dass die Reise real ist – und hat ab hier den Vorteil, dass er als Einziger über alle Informationen eines leidenschaftlichen Asterix-Lesers verfügt. Kann jetzt noch was schiefgehen? Ja, und zwar schon bei der ersten Gelegenheit.
Trondheim lässt den Zaubertrank in der realen Gallierwelt tödlich wirken. Das ist plausibel, müsste aber Folgen haben: Gallier, die reihenweise Römer verkloppen, sind muntere Raufbolde – aber Gallier, die reihenweise Römer umbringen, sind Psychopathen. Und während Römer, die Prügel riskieren, konsequent ein sehr vorsichtiges und ängstliches Lagerleben führen, sind Römer, die sich zu Hunderten und Tausenden mit einem Fingerschnippen abschlachten lassen, einfach nicht mehr nachvollziehbar. Und wie löst Trondheim das Problem? Gar nicht. Es lässt es einfach herumliegen wie die toten Römer im Wald.
Zuwenig Persiflage, zuviel Abenteuer
Diese Halbherzigkeit, die fast wie Lustlosigkeit aussieht, zieht sich durch den ganzen Band. Die Standardthemen werden abgearbeitet wie von einer Einkaufsliste, auch mit bereits in den Originalalben genutzten Pointen: dass Fische nach Zaubertrankgenuss kräftig sind weiß man seit Asterix‘ Besuch in Britannien, und einen Kupferkessel hat man den Piraten auch schon mal an den Kopf gefeuert.
Ebenfalls wenig hilfreich: dass Herr Hase recht schnell eine Erklärung für seine Zauberreise bekommt und eine Aufgabe, nämlich die Geheimhaltung des Zaubertranks zu retten. Dabei hätte man darauf noch am ehesten verzichten können: Hauptaufgabe einer Parodie ist das Parodieren. Das wenigstens kann Trondheim derart im Schlaf, dass ihm auch diesmal einige nette Momente gelingen, etwa wenn er die Sprachgewohnheiten der Gallier persifliert, oder die Frage beantwortet, wie der Zaubertrank eigentlich schmeckt. Davon hätte man gerne mehr gelesen.
Trondheim müsste es besser wissen
Warum Trondheim diese lauwarme Angelegenheit veröffentlicht, bleibt rätselhaft. Geldnot? Der Mann ist gut im Geschäft, seine Projekte kann er sich aussuchen. Dass es keine Sternstunde ist, muss ihm selbst aufgefallen sein: 2019 erschien „Asterix – Die Hommage“, bei der mehrere Dutzend Zeichner (darunter Mawil, Flix) sich mit dem Segen der Schöpfer an den Galliern versuchen konnten und deutlich mehr Ideen und Varianten entwickelten als „Beim Teutates“. Trondheim muss das wissen, er war einer von ihnen.
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Mit der Graphic Novel „Cassandra Darke“ gelingt Posy Simmonds ein unmögliches Kunststück: altersweise, altersmilde und zugleich bezaubernd mädchenhaft
Das ist schon seltsam mit Posy Simmonds. Irgendwas an ihren Comics wirkt auf mich immer unscheinbar. Sogar jetzt, wo ich doch weiß, dass ihr neuer Band „Cassandra Darke“ richtig großartig ist – kaum klappe ich ihn zu, denke ich: „Och, naja.“ Als hätten mich die Men in Black geblitzdingst. Aber man muss schon auch sagen: Diesmal hat Posy Simmonds eine besonders schwierige Heldin erschaffen.
Missmutige Heldin mit Fliegerhaube
Cassandra Darke ist weder jung noch sexy noch superlustig, sondern irgendwas zwischen 60 und 70 und war mal Galeristin, das ist noch gar nicht so lange her. Sie hat die Galerie ihres Ex-Mannes übernommen, und dann hat sie dort ihre Kunden beschummelt. Sie hat heimlich Kopien von Kunstwerken hergestellt und als echt verkauft, die Sache ist leider aufgeflogen, und dadurch hat Cassandra ihr kleines Vermögen verloren.
Die Haushälterin und der Fahrer sind passé, jetzt lebt sie in einem dieser typisch englischen Reihenhäuser, geht nicht mehr unter Leute, und im Winter vermummt sie sich im dicken Mantel unter einer pelzgefütterten Fliegerhaube. Dann findet sie plötzlich zuhause eine Pistole in der Schmutzwäsche. Das ist auf Seite 26, und zu diesem Zeitpunkt hat Posy Simmonds schon ein kleines Meisterstück abgeliefert, nämlich dass man es als Leser so lange bei Cassandra ausgehalten hat.
Hass auf "verblödete Weihnachtsshopper"
Denn erstens passiert ja eigentlich nicht wirklich viel, und zweitens ist Cassandra, hm, wie soll man sagen, eine selten unsympathische Kartoffel, verbiestert, unerbittlich, arrogant, und es gibt nur eine Sache, die sie mehr hasst als sich selbst, und das sind alle anderen. Die Leute in der Stadt sind für sie „verblödete Weihnachtsshopper“, Jane, die Frau des von ihr heimlich kopierten Künstlers ist ein „altes, naives Schaf“. Es ist kein Wunder, dass ihre Assistentin Phoebe mit den Worten kündigt: „Ich hasse die Arbeit bei Ihnen!“
Cassandra nimmt auch Nicki, die Tochter ihres Ex-Mannes, nur als Untermieterin auf, um sie als Hundesitterin und Billigassistentin auszunutzen. Und natürlich fliegt Nicki schnell wieder raus, weil sie Kunst fabriziert, die Cassandra für Mist hält, weil sie so laut vögelt, dass es Cassandras Gäste hören. Wobei Cassandra schmerzlich klar wird, dass kein Mann beim Sex je ihren Namen geschrien hat und es wohl auch nicht mehr tun wird: „Jetzt saß ich da, alt und grau, und beschäftigte mich in Gedanken mit dem Tod, obwohl ich gar nicht wirklich gelebt hatte.“
Die Pistole in der Schmutzwäsche
Es ist nicht leicht zu beschreiben, was Cassandras Geschichte so faszinierend macht, die gefundene Pistole ist es in jedem Fall nicht. Klar, sie bringt Cassandra wieder mit der Nervensäge Nicki in Kontakt, dem blöden Typ, der Nicki dauernd besteigt und ganz bestimmt nur ausnutzt, mit irgendeinem Kleingangster und der Londoner Kunstgemeinde – aber das ließe sich auch anders bewerkstelligen. Es ist eher die erfrischende Mitleidlosigkeit, in die Posy Simmonds alle ihre Protagonisten tunkt, und es ist das Geschick, mit dem sie die Handlungsstränge verknüpft.
Sie wechselt munter zwischen Comic und Fließtext, den sie dann aber mit wortlosen Bildern und Details eindrucksvoll illustriert, kommentiert, karikiert. Wenn sie etwa Cassandra im Weihnachtstrubel der Einkaufsstraßen mit der heilen Welt der Kommerzromantik zusammenführt, ist es unmöglich zu unterscheiden, was schwerer auszuhalten ist: Die alternde Spaßbremse mit ihrer bizarren Sturmhaube oder die Tische im Deko-Shop, auf denen sich die Christbaumkugeln türmen, so anheimelnd wie Plastikäpfel.
Die Verspieltheit eine Künstlerkladde
Dann wieder wechselt Simmonds die Zeitebene (mal Rückblende, mal Vorgriff), die Perspektive (mal erzählt auch Nicki, mal ihr Freund Billy), mal zeichnet Simmonds Zeitungsauschnitte oder Briefe. Ihre hinterlistigen neugebauerhaften Szenen und Porträts lockert sie durch charmante Details von Vorgärten, Straßen, Gassen auf, ein oft willkommener Kontrast zu der allgemeinen Verachtung, die sie Cassandra in den Mund legt. Und manchmal gibt es dazwischen ganz unironisch eine vernebelte Landschaft oder einen zärtlich-romantischen Kuss. Erstaunlich, wie Simmonds das unter einen Hut bringt, ohne dass es ihr auseinanderfliegt: Das Ergebnis erinnert in seiner Verspieltheit und Vielseitigkeit an eine Künstlerkladde, es hat etwas aufgeweckt Mädchenhaftes, was auch deshalb überraschend ist, weil Simmonds‘ 14. Geburtstag schon 60 Jahre zurückliegt.
Es ist auch nicht ihre erste Graphic Novel, aber die Vorgänger „Tamara Drewe“ und gerade „Gemma Bovery“ sind mir irgendwie nicht so bitterböse und bitterbritisch in Erinnerung. Oder hat mich nur wieder wer geblitzdingst? Ich glaube, die muss ich gleich nochmal nachlesen.
Posy Simmonds, Cassandra Darke, Reprodukt, 24 Euro Posy Simmonds, Tamara Drewe, Reprodukt, 20 Euro Posy Simmonds, Gemma Bovery, Reprodukt, 20 Euro
Dieser Text erschien zuerst bei SPIEGEL Online.