Auf den Busch geklopft: ein Testbesuch in Hannovers einzigem Museum mit Spaßgarantie

Was tun, wenn einen das Schicksal nach Hannover verschlägt? Ja, schon klar, schlimm ist das nicht, aber was unternimmt man da, wenn man grade drei Stunden Zeit hat? Man steigt zum Beispiel in die Straßenbahn (Linie 4 oder 5 nach Garbsen bzw. Stöcken), fährt zehn Minuten und geht ins Deutsche Museum für Karikatur und Zeichenkunst, das zugleich Museum Wilhelm Busch heißt. Hübsch gelegen im Georgenpalais im Georgengarten, knapp 200 Meter von der Haltestelle.
Gewitztes im Georgengarten

Natürlich ist ein Besuchsgrund der Namensgeber, der ja immer wieder vielseitiger ist als man denkt und gerade auch wegen dieser Vielseitigkeit so viel weglassen und seine Zeichnungen noch gewitzter auf Punkt und Pointe hin reduzieren konnte. Aber mindestens genauso empfehlenswert sind die wechselnden Ausstellungen.
Peng und Hu
Noch bis 20. April sind beispielsweise große Teile des Hauses anderweitig und nicht minder kompetent belegt, nämlich durch Peng und Hu: den unverschämten österreichischen Cartoonisten Peng und den schön kreuz- und querverdrahteten Deutschen Rudi Hurzlmeier. Gut präsentiert und auch angenehm dosiert, so dass man nach anderthalb Stunden schön sattgesehen ist, aber nicht mental überfüllt. Und das ist kein Zufallstreffer, denn ab Mai gibt’s schon wieder ähnlich Gutes von und über F. K. Waechter oder Tex Rubinowitz.

Denkt sich der reisefaule Münchner in mir, dass man sowas theoretisch eigentlich genausogut auch in der bayerischen Landeshauptstadt aufbauen, einrichten und zeigen könnte. Aber erstens ist Bayern ja so schon lustig genug, und zweitens hat es wahrscheinlich von ganz früher bis zum heutigen Tage noch nie verdienstreiche humoristische (Comic-)ZeichnerInnen gegeben, die man irgendwie in München verorten könnte. Das würde der kunst- und comicbegeisterte Ministerpräsident ja wissen.
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Die Outtakes (25): Mit einem Blick in Amerikas vergangene Zukunft, ganz normalen Superhelden und Lust-voller Archäologie

Erwartbares Fiasko
Derf Backderfs Sachcomic „Kent State“ ist richtig beeindruckend. Er kommt auch nur deshalb zu den Outtakes, weil er im Gegensatz zu Backderfs Jugenderinnerung „Mein Freund Dahmer“ fünf Jahre nach seinem US-Erscheinen noch immer nicht auf deutsch erhältlich ist. Womöglich ist das Ereignis zu speziell: Am 4. Mai 1970, zur Hoch-Zeit der Studentenproteste, eröffnet die Nationalgarde, also die offizielle Bundesstaats-Wehr von Ohio, auf dem Campus der Kent State University das Feuer. Vier junge Menschen sterben in dieser Mischung aus politisch-konservativer Schießwut, Terrorangst, Überforderung, und das in einer Situation, die weder vom Anlass noch von den Umständen her auch nur ansatzweise irgendeinen Schusswaffeneinsatz erfordert hätte. Backderf recherchiert sauber, legt seine Quellen offen, die im Unterschied zu manch anderem Sachcomic weniger aus bequem zugänglichen Wikipedia-Einträgen bestehen, sondern aus Dokumenten, Zeugenaussagen, zeitgenössischen Presseberichten etc. Besonders erschreckend ist dabei die Vorhersehbarkeit des Fiaskos, bei dem auch die Geheimdienste munter mitlauschten, mitpfuschten und mitvertuschten. Und zu wissen, dass der momentane US-präsidiale Wiedergänger bereits einmal kein Problem hatte, so unnötig wie rücksichtslos mit militärischen Mitteln zu arbeiten.
Gags, gründlich erläutert

Preisfrage: Wer wäre in einer Welt, in der jeder ein Superheld ist und Superkräfte hat, etwas Besonderes? Der, der wie alle ist – oder der einzige, der keine Kräfte hat?
Genau. Aber Känguru-Chronist Marc-Uwe Kling ist in seiner Parodie „Normal und die Zero Heroes“ leider zu begeistert von seinem Running Gag: lustige Superhelden mit lustigen Fähigkeiten zu erfinden. Lustig bedeutet hier beispielsweise: Die KOLLEGIN (Superkraft: verschwindet, sobald es Arbeit gibt). Oder der BEAMTE (Superkraft: unkündbar). Oder MÜLLMANN (beseitigt – was wohl?). Leider ruiniert Kling auch diesen sekündlich alternden Gag, in dem er Namen und Kraft lang und breit erklärt. Liegt’s an der Ur-Angst deutscher Komödien, weder dem eigenen Gag noch dem eigenen Publikum zu trauen? Parodiert Kling hier die hölzernen Erklär-Einblendungen in Mangas und verholzt damit die eigenen Pointen? Letztlich jammert hier der einzige Normale in einem fort, dass er kein Superheld ist, wird dann aber natürlich doch noch zum Helden und schnarch. Schade: Eine Welt voller Superhelden, die begeistert den Abenteuern des einzig Normalen folgt – das hätte witzig werden können, sogar mit diesen gefällig-harmlosen Zeichnungen.
Altertürme

Ulli Lust muss Spaß gehabt haben: Sie hat sich durch die Ur- und Frühgeschichte des Menschen gewühlt, für den Sachcomic „Die Frau als Mensch“ eine Menge gelesen, eine Menge untersucht. Es geht ihr um frühe Kunst und Gesellschaften, es geht um die Rollen von Frauen, es geht um Umwelt, ums große Ganze von Anbeginn der Menschheit an, und das ist leider ein bisschen viel. Lust türmt Archäologie und Artefakte auf, Reportagen indigener Gesellschaften, Umweltschutz, Korruption, dazwischen kleine Spielszenen, eine enorme Fundgrube, der vor allem eines fehlt: eine gezielte Fragestellung. Der Band wäre nicht halb so ermüdend, wenn man wüsste, was denn da jeweils gerade belegt werden soll. Geht es um die Rolle der Frau? Geht es um die Aussage und/oder Bedeutung von Artefakten? Geht es um das Zusammenleben von Gesellschaften? Doppelt schwammig wird es, weil Lust zwar viel Interessantes anhäuft, aber auch präzise sagt, dass man allenfalls vermuten kann, wie, wann und warum etwas sehr viel früher mal so oder anders gemacht wurde. Und weil Lust weder provokante noch irgendwelche anderen Thesen aufstellen mag, weiß man jedes Mal nicht, ob diese Vermutung nun etwas untermauert, widerlegt oder einfach Fun-Fact ist. Ergebnis: Man würde gern mal was zu diesem Thema lesen. Aber war das nicht eigentlich das, was Ulli Lust mit dem Comic liefern wollte?
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Charmant, spannend, informativ: Vor dem Hintergrund der Großen Depression entwickelt Alessandro Tota eine kleine Geschichte des Comic-Hefts

Hut ab, das hier ist ein echtes Kabinettstück. Eine Kombination von Inhalten, die sonst selten gut zusammen gehen: Information und Unterhaltung. Die üble Variante kennen Sie aus vielen TV-Dokus mit Spielhandlung: manchmal entsetzlich, meistens furchtbar. Doch wie man’s richtig macht, zeigt Alessandro Totas „Die Große Illusion“.
Ein Held namens „Ghostwriter“
Wir sind im New York des Jahres 1938, die Große Depression ist noch nicht recht überwunden. Polizisten knüppeln eine Demonstration kommunistischer Arbeitervertreter brutal zusammen. Unter den Opfern ist Roberta, eine junge Frau, die unter einem harten Schlag auf den Kopf zusammenklappt – und eine Erscheinung hat. Allerdings erscheint ihr nicht der liebe Gott, sondern die reichlich abstrusen Superhelden Dogman (in Begleitung seines Hundes), Arachna und Ghostwriter. Warum, erzählen sie uns im delirierenden Kopf der jungen Frau selbst.

Die ist ein Landei, das ein paar schmuddlige Detektivgeschichten gelesen hat und dann in die Großstadt geflohen ist, weil sie nicht zwischen Vieh und Farm leben will wie Mutti. Schon hier ist viel von Totas ausgeklügeltem Mix erkennbar: Die Zeichnungen sind schlicht, bunt, mit einem Touch „Tim & Struppi“, also sehr zugänglich. Die seltsamen Superhelden sind nicht ganz ernst zu nehmen, sie kabbeln sich untereinander, da ist eindeutig eine spaßige Note. Aber: Die Geschichte der jungen Frau bleibt todernst.
Kofferklau dank Comicliebe
Als sie in New York ankommt, so begeistert von der bunten Stadt und den Kiosken voll bunter Comichefte, dass sie gleich einen Arm voll kauft und nicht merkt, wie ihr der Koffer geklaut wird, wie sie durch die rappelvollen Straßen schlurft, verängstigt, ohne Geld, ohne Bleibe für die Nacht – da gibt’s auch für den Leser nichts zu grinsen.

Es sind Kommunisten, die sich ihrer annehmen und ihr unter die Arme greifen. Roberta kriegt ein WG-Zimmer und soll Arbeit suchen, aber 1938 findet sich absolut nichts. Sie hilft gratis in einer Arbeiterzeitung, lernt mühsam Tippen und versucht sich nach Feierabend als Krimi-Autorin. Abends geht sie in linke Künstlerkneipen, wo Schwätzer jeden Kalibers versuchen, alles abzuschleppen, was nicht bei eineinhalb auf den Bäumen ist. Einer von ihnen ist der arrogante Battarelli, der gerne Maler wäre, aber von Illustrationen leben muss. Und jetzt kommen wir langsam zur historischen Info…
Der Gamechanger aus „Action Comics“
Battarelli ist in Nöten. Er soll für wenig Geld eine Comicgeschichte liefern, aber im Storys-Erfinden ist er lausig. Prompt denkt er an Roberta, die ihm aus der Patsche hilft und die er zum Dank genauso prompt um ihr Geld betrügt. Weshalb die Geschichte hier enden würde, aber wir haben ja 1938. Das Jahr, in dem – wie Comicfans wissen – das erste Heft mit Superman auf den Markt kam und der Superhelden-Boom entstand. Prompt wittert der ideenlose Battarelli das große Geld, aber diesmal ist Roberta gewarnt.

Im Lauf der Erzählung erfährt man praktisch alles. Wie eine Geschichte entsteht, wer zeichnet, wer tuscht, wie man sich einen neuen Superhelden ausdenkt. Wer kauft, wer verkauft, wer hat die Rechte? Und wo aus dem Nichts viel Bedarf kommt, gewinnt auch, wer schneller zeichnen und liefern kann. Man lernt Bob Kane kennen und Will Eisner, wirbt sich die Zeichner ab, holt talentierte Jungs von der Straße, alles passiert genauso, wie es damals wirklich passiert ist. Ohne dass man’s eigentlich mitkriegt, aber eben auch so, dass man’s sehr wohl mitkriegt. Und das ist der eigentliche Knaller.
Kompakt verpackt und doch exakt
Tota erfasst die Mechanik, die Ökonomie der Branche, sogar das Halbseidene so präzise, dass man Dinge mitbekommt, für die man bisher einen der (vorzüglichen!) Wuchtwälzer von Alexander Braun durchwühlen musste (der zur Ausstellung „Black Comics“ ging gerade in Druck). Für Wissenschaft reicht’s noch nicht, fürs Verstehen aber dicke. Und vergnüglich ist es obendrein, weil Tota den Humor fein mit der Geschichte abschmeckt. Was nicht ganz überraschend kommt, denn Tota hat vor längerer Zeit schon einmal hintergründig gut überzeugt, und zwar hier.
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