Sachcomics auf Bestellung können Inhalte spannend vermitteln oder lau abarbeiten. Vier Bände nutzen die Chance mal gut, mal besser, mal nicht
Comics werden gerne genutzt, um Themen zu vermitteln. Allerdings nicht immer, weil irgendjemand die Verbindung von Text und Bild für so geeignet hält. Sondern: Weil man (gerade in Deutschland) der Ansicht ist, das sei doch irgendwie was für junge Leute. Man macht ein paar Bilder und Blasen, und dann kommt der Rest von alleine. Ist das so? Es gibt einen Band, der die Messlatte für Comics von comicfremden Auftraggebern darstellt: Mikael Ross‘ „Der Umfall“. Der umging mit Glück und Geschick sämtliche Fallstricke und wurde zum mutigen Überraschungserfolg. Vier ähnlich entstandene Bände haben sich inzwischen wieder angesammelt, und es stellt sich ziemlich rasch heraus: An den „Umfall“ kommt vorerst niemand ran. Trotzdem ist manches lesenswert.
Da fehlt schon mal Salz!
Nummer eins ist eine typische Auftragsarbeit. Das Salzkammergut ist 2024 Kulturhauptstadt, also machen die örtlichen Salzwelten was mit Kultur, einen Comic. Man nimmt Geld in die Hand und findet den tadellosen Zeichner/Autor Simon Schwartz. Der mit „Das Parlament“ schon eine Auftragsarbeit gemanagt hat. Das ist vertrauensbildend, weil: Bei solchen Arbeiten kann’s immer passieren, dass der Auftraggeber nölt. Und dann sollte der Künstler diplomatisch sein, möglichst auch nicht so extrem, dass es arg nach Kunst aussieht. Ergebnis: ein solide-braver Comic für den Museums-Shop, der tatsächlich keine einzige Sprechblase enthält. Der Text kommt in Kästen, damit fühlt sich’s für Skeptiker schon comicartig an, ist aber auch irgendwie noch ein Sachbuch. Schwartz klappert die Historie so überraschungsarm und bergbaukonzentriert ab, dass nicht mal drinsteht, wozu die Leute überhaupt seit Jahrtausenden alle so dringend das „weiße Gold“ brauchten, vermutlich für ihre Pommes frites. Praktisch die Hälfte der knapp 30 Seiten fokussiert sich immerhin auf den skandalträchtigsten Knüller: Nazikram, also Raubkunst und Hitler. Fazit: Hier ist der Comic weder geschickt eingesetzt noch erschließt er neue Interessenten. Aber er stört auch nicht.
Eiskalte Profis
Nummer zwei ist da ganz anders, da ist nämlich der Künstler nicht der einzige Profi: „Weiß wie der Mond“ heißt der Band, der mir als Nachwehe des „Kerguelen-Archipels“ in die Hände fällt, und genau so war’s auch gedacht. Weil in Frankreich nämlich mehr Leute Comics lesen, lesen auch mehr Wissenschaftler Comics und damit auch eben jenen Band. Deshalb fragte das Französische Polarinstitut Autor Emmanuel Lepage, ob er sowas auch über die französische Antarktis-Basis machen möchte. Lepage will, und er will nicht nur hinfahren, sondern mitarbeiten, nämlich beim Raid: Einem von jährlich nur vier Versorgungstrecks, bei denen man mit gigantischen Raupenfahrzeugen containergroße Schlitten hinter sich her durch 1200 Kilometer Eiswüste zieht. Auf den Schlitten ist alles, was die Station fürs nächste Vierteljahr braucht. Ein idealer Job für Lepage, der weniger Reporter als Beobachter und Zeichner ist. Das Ergebnis sind 250 Seiten grandioses Eiswüstenberichtsabenteuer zum Fingerlecken, ein mutiger 40-Euro-Band, der alle Stärken des Mediums ausspielen kann, weil alle Beteiligten wissen, warum sie aus diesem Thema einen Comic machen wollen.
Die Macher der Menschheit
Auch der nächste Band ist Ergebnis der gut funktionierenden französischen Comic-Industrie, wenn auch eines etwas anderen Zweigs: der Comicverwertung bereits bestehender Bücher. Kürzlich etwa des deutschen Export-Försters Peter Wohlleben, der auf diese Weise bumerangartig als Comicversion wieder nach Deutschland kam. Oder jetzt Yuval Noah Hararis Sachbuchbestseller „Sapiens“, von einem Profi (David Vandermeulen) zum dreiteiligen Comic-Skript verarbeitet, von einem weiteren Profi (Daniel Casanave) gezeichnet. Beides nicht überwältigend, aber extrem routiniert. Ich als Nicht-Harari-Kenner hab „Sapiens – Das Spiel der Welten“ schmerzfrei gelesen, der als Casting-Show arrangierte Wettstreit der politisch wirksamen Kräfte (Religion, Geld, etc.) um den Spitzenplatz innerhalb der Menschheitsgeschichte ist mittelwitzig, aber nicht hinderlich. Ein hochprofessionelles Produkt, künstlerisch weder fordernd noch abschreckend. Aber sowas entsteht nun mal in einem Land, in dem Leute einfach gern Comics lesen. Und nicht in einem, in dem der „Süddeutschen Zeitung“ bei der Rezension als einzigem (!) Comic-Bezug des gesamten Seitenaufmachers die Frage an Harari einfällt, ob er nicht Angst hätte, dass man ihn nicht mehr ernstnähme, „wenn er jetzt auch noch Comichefte“ macht.
Willkommen in den 50ern.
Auswärtsschwäche statt Heymvorteil
Au, au, au. Jetzt gibt's mal Comics vom Lehrer, weil: kann ja nich so schwer sein. Der Lehrer hat zwar noch nie einen Comic gemacht, aber dafür weiß er Bescheid über Stefan Heym und außerdem kommt er aus der Heym-Stadt Chemnitz, und das ist ja die Hauptsache. Für „Die sieben Leben des Stefan Heym“ hat man tatsächlich lauter Chemnitzer Kompetenz versammelt, doch das klappt nur bei Zeichnung und Grafik ordentlich. Gerald Richters Konzept hingegen verströmt Überforderung: Da weiß einer zu viel, und dann nicht mehr, was er erklären müsste und was er weglassen sollte. Dabei ist die (mir zuvor unbekannte) Heym-Story eigentlich sensationell: Ein jüdischer Autor und Frauenfreund flieht erst vor den Nazis nach Amerika, dann vor den McCarthy-Amis in die DDR, und überall eckt er an, setzt sich aber ziemlich oft durch. Leider wird Richters Heymvorteil in der Comicfremde rasch zur Auswärtsschwäche: Woher der als Helmut Flieg geborene Heym sein Pseudonym hat? Keine Ahnung, und wenn’s ein Rätsel ist, könnte man auch das mal erwähnen. Wie Heym überall reüssiert, wie er sogar Mutter und Bruder in die USA schleust: Nichts wird erklärt, stattdessen heißt's: „… aber irgendwann hat er es ja dann doch geschafft.“ Danke. Die Chronologie eiert, es gibt jede Menge Heym-Zitate, manchmal auch einfach nur „frei nach“ zurechtgedengelt. Dafür wird eingangs erklärt, wie ein Comic funktioniert und dass es Sprechblasen gibt. Mal kindgerecht duzen, dann schlüpfrig über einen „gierigen Schoß“ speicheln, bei so viel Orientierungslosigkeit ist man nur noch dankbar für zweierlei: Dass a) Zeichner Marian Kretschmer sich nicht vom Chaos hat anstecken lassen und dass b) die Heym-Story selbst so unkaputtbar ist. Ach so: Warum Heym „sieben Leben“ hat, welcher Abschnitt als Leben zählt, welcher nicht, ob's angesichts seiner Unverwüstlichkeit nicht besser neun (Katze!) sein sollten... ach, was soll's.
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Die Outtakes (14): Wanderer aus Norwegen, Kommunisten aus Schweden und Miesepeter aus dem Reich der Tiere
# metoo
Das Thema „Jakobsweg“ scheint seit Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ (2006) immer weiterzugehen. Comiczeichner Jason liefert jetzt mit „Ein Norweger auf dem Jakobsweg“ seine Version dieser Mischung aus Wandern, Selbstfinden und Fasten, und die unterscheidet sich von den ganzen anderen Jakobswandereien erstaunlich wenig. Man muss sich jeden Morgen den Weg erst suchen, weil er so gut/schlecht beschildert scheint wie viele andere Wanderwege. Man begegnet auf den Etappen immer denselben Leuten, nämlich denen, die etwa im selben Tempo unterwegs sind. Und den Langsameren, die man ein-/überholt. Die Dialoge ähneln und wiederholen sich und obwohl Jason das mild-ironisch thematisiert, wird es allein dadurch noch nicht komischer. Und durch den trockenen, schwarz-weißen Stil kommt auch die möglicherweise hübsche Landschaft nicht recht zur Geltung. Aber wer weiß, wenn man das alles selbst mitgemacht und dreizehn andere Bücher dazu gelesen hat, dann wälzt man sich vielleicht am Boden und japst: „Irre! Genauso isses!“
Bepoppte Eigenheime
Schweden in den 70ern. Ulrik und Siv sind verliebt. Siv hat zwei Kinder und steckt noch in einer faden Ehe. Ulrik ist überzeugter Betonkommunist. Kann das gutgehen? Ich will's nicht verraten, aber ich vermute: Je älter Sie sind, desto eher liegen Sie richtig. Was ich sagen kann: Das betrübliche Szenario von Anneli Furmarks „Roter Winter“ ist präzise beobachtet. Die bürgerliche Fassade, die kommunistische Fassade, nichts davon gibt Halt oder Hoffnung. Und Siv grübelt recht treffend über die schwedische Kleinhäuschenlandschaft, dass es womöglich „nur eine Sache gibt“ die das Ganze „am Laufen hält: Dass die Paare darin miteinander schlafen. ... Wenn sie damit aufhören, stehen die Häuser zum Verkauf. An ein Paar, das noch miteinander schläft.“ Bei allem gekonnten Trübsinn hat mich die Geschichte dann zum Schluss doch noch gekriegt. Warum dann Outtake? Vor allem, weil ich mir ein bisschen mehr Erkenntnis für heute erhofft hatte. Scheinheilige politische Sturköpfe in einer wunderlichen Gesellschaft hat die Realität ja ausreichend zu bieten.
Zuckerlieb
Es gibt was Neues von Josephine Mark, der „Trip mit Tropf“erin. Also, teilweise, weil sie den „Bärbeiß“ nur gezeichnet hat, der Text stammt von Jutta Bauer und Annette Pehnt. Die Geschichten sind relativ simpel: In einem asterixniedlich geratenen Dorf leben lauter nette Tiere und das harmoniesüchtige Tingeli. Dann zieht der Bärbeiß ein, in Miesepeter, der alle anraunzt und am liebsten daheim bleibt. Das Tingeli nimmt sich seiner an, und knackt natürlich die harte Schale. Klingt nett, ist aber nicht umwerfend: Schuld ist ein Konstruktionsfehler. Während nämlich das Tingeli so schön unerträglich zuckerlieb ist, weil es Streit nicht erträgt, ist der Titelheld bärbeißig, weil… hm, einfach so. Anders als bei „Trip mit Tropf“ bilden beide keine Zwangsgemeinschaft, sondern könnten die Bemühungen genauso gut einstellen, grade der Bärbeiß käme damit gut klar. Aber: Ist das Kindern wichtig? Da entscheiden vermutlich eher Optik und Lacher, bei beiden kann „Der Bärbeiß“ ordentlich punkten.
Annette Pehnt, Jutta Bauer (Text), Josephine Mark (Zeichnungen), Der Bärbeiß, Kibitz Verlag, 15 Euro
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Familiensaga aus der Nachkriegszeit: Titus Ackermann erzählt die Geschichte seines Großvaters in einem Vierteiler, der gratis ist – aber nicht billig
Was nichts kostet, taugt nichts? Kommt drauf an. Der Moga Mobo-Komplex des Berliner Gratiscomic-Verlegers Titus Ackermann hat sich jetzt ein richtig dickes Brett vorgenommen: eine vierteilige Graphic Novel über Ackermanns Großvater, eine Familiengeschichte aus der Nachkriegszeit. Die auch dadurch an Brisanz und Aktualität gewinnt, weil der Mann bereits damals dasselbe dachte wie Leute, die heute wieder von gestern sind: Er hielt Nazis für eine gute Sache. Ist sowas nicht zu schwere Kost für ein Gratisheft?
Statt Cartoons jetzt: heiße Eisen
Denn normalerweise liefern Gratiscomics ja risikoarme Sachen: Cartoons, sanft nachdenkliche Dreiseiter, oder (Knax!) verbrämte Werbung. Auch Ackermann nutzt das Prinzip gelegentlich: Wenn zum Beispiel die Deutsche Bahn kultig sein will, organisiert er ihr ein Geschichtenheft, für das sogar Mawil einen erstklassigen Beitrag liefert.
In diesem Fall verlässt sich Ackermann aber auf einige Annoncenseiten, den zusätzlichen Verkauf einer Premiumversion und Selbstausbeutung. Im Gegenzug kriegt er so viel künstlerische Freiheit, dass diese ihm auch selbst etwas Angst zu machen scheint: Im Vorwort entschuldigt er sich so ausufernd, als würde man durch einen Nazi-Opa selbst zum Holocaust-Leugner. Aber bei der Geschichte selbst hat er sich dann wieder im Griff. Worin besteht die nun?
Im Schrank steht „Mein Kampf
1989 stirbt Opa Ackermann, seine Söhne und Enkel räumen das Haus aus. Und erfahren dabei die Geschichte von einem, der den Krieg verlor, danach aber Nazi blieb, Passiv-Nazi könnte man sagen. Der Hitlers „Mein Kampf“ und eine Pistole zuhause hatte, der Ausländer nicht mochte und Juden auch nicht. Das ist – auch wenn Opa zu seinen Nachkommen mitunter sehr nett sein konnte – oft nicht sympathisch. Aber mal ehrlich: Konnte man von Opa Ackermann ein Umdenken erwarten?
Erhoffen: ja. Erwarten: nein. Seine Jugend ist mit Nazidenke verseucht, mit 20 war er ein Herrenmensch, ein Welt(herrschafts)-Star qua Geburt. Luftwaffenpilot, 1942 abgeschossen im exotisch-wüsten Nordafrika, wo die Wehrmacht modisch so ungewohnt lässig herumlief wie die angloamerikanische Konkurrenz. Das kann/muss sich phasenweise für einen jungen Mann richtig gut angefühlt haben. Danach war zwar den einsichtigeren Wehrmächtigen unangenehm, dass sie sich für so ein Regime haben einspannen lassen. Aber Opa Ackermann und viele andere gehörten nicht dazu: Sie hielten es lieber für die spannendste Zeit ihres Lebens, in der sie noch etwas galten. Bloß: Der Krieg ging halt verloren.
Der NS-Opa lernt: So kann man auch gut leben
Dieser Aspekt unterscheidet nun Opa Ackermann von fanatischen Nazis: Er kartet nicht nach. Er akzeptiert die Niederlage, die neuen Gesetze, die Demokratie, auch wenn es bedeutet, dass er Juden und Ausländer plötzlich wie gleichwertige Menschen behandeln muss. Er fängt an, in der deutschen Trümmerlandschaft aus Stacheldraht gemachte Nägel zu verkaufen, gründet so ein Geschäft und ernährt seine Familie. Fertig. „Mein Kampf“ steht im Schrank, wie bei vielen, aber er geht damit nicht hausieren. Er hat sogar irgendwo eine Pistole versteckt, aber er fällt weder auf noch organisiert er einen Umsturz. Warum auch: Das Leben ist als auch Nicht-mehr-Herrenmensch ziemlich okay. Und genau hier liegt das Aktuelle, das Moderne in Titus Ackermanns Geschichte.
Denn während Ackermann immer wieder grübelt, welchen Einfluss Opa auf ihn hatte, präsentiert er das wohl praktikabelste Modell für die ganzen AfD-Wähler. Denn der Opa ist ein gutes Beispiel, wie man mit Nazi-Sympathisanten trotzdem noch etwas Sinnvolles anfangen kann: Es geht nicht darum, sie zu überzeugen. Es reicht völlig, ihnen die Partei wegzunehmen und mit Härte klarzumachen, wo sie sich ihre Naziparolen hinstecken können: Nämlich hinten in den Schrank. Wenn man ihnen dann noch die Möglichkeit gibt, ihr Geld zu verdienen, sind die meisten zufrieden und hören auf, das Boot zu versenken, in dem sie selber mitsitzen.
Gratis, aber nicht billig
Verpackt in eine solide gezeichnete und designte Geschichte mit vielen persönlichen Facetten und Anekdoten ist das schon mal erstaunlich. Und von einem kostenlosen Heft gleich doppelt. Band 1 ist bereits erschienen, die weiteren Bände sollen bis zum November folgen.
P.S.: Wo findet man die Hefte? Gratis beim Comic-/Buchhändler, der sie über den PPM-Vertrieb gleichfalls gratis ordern kann. Aber: Verschenk-Comics sind bei manchen Händlern umstritten, das ist wie bei Wirten und Freibier. Wer keinen Händler findet, kann bei Moga-Mobo direkt bestellen. Weil das für den Verlag aufwändiger ist als die Gratisverteilung, sind die Hefte per Post dann allerdings nicht mehr kostenlos.
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