Mehr von Kafka, dem Jahrhundert-Toten: Nicht nur zwei Comics sind zu entdecken, sondern auch die Zeichnungen des Schriftstellers selbst
Es kafkt weiter, geradezu kafkadenhaft. Und zu Recht: Immer wieder fällt auch durch die Comic-Versionen die reizvolle Kauzigkeit des gerade jahrhundertlang Toten auf, sein wehleidiger Witz, seine absurden Ängste, die heutigen wie damaligen Lesern genauso nahekommen wie sie ihnen zugleich fern liegen. Und siehe da: Kafka selbst hat auch gezeichnet. Wie gut er seine Arbeiten selbst fand? Vermutlich ungefähr so: „Ich will niemandem die Mühe des Einstampfens machen.“
Zersäbelt wie alte Bravohefte
Da sind sie also, Kafkas Zeichnungen: Schon schick. Oft sehr knapp, auf den Punkt. Manchmal schön schwungvoll, wie der Fechter (ganz oben), manchmal aus wenigen, eleganten Kurven und Kringeln zusammengesetzt. Meistens spielerisch, der Charme besteht auch in der Kombination aus geringem Aufwand und unerwartet viel Wirkung. Aber für mehr waren sie erkennbar nicht gedacht. Und so viele von ihnen gibt es auch gar nicht. Interessanter ist daher eigentlich die hier schön aufgearbeitete Geschichte ihrer Veröffentlichung bzw. ihrer langen Nichtveröffentlichung.
Auf dem Nachlass saß ja lange Kafkas Schriftstellerfreund Max Brod, der sich erst zierte, dann ein paar Zeichnungen als Appetithäppchen herumreichte, um sie später doch lieber seiner Sekretärin zu schenken. Die sich genauso hartnäckig und bruthennenartig darauf niederließ. Bei der 2022 endlich erfolgten Veröffentlichung zeigte sich schlussendlich, dass Brod die Zeichnungen nicht viel rücksichtsvoller behandelt hatte als die Texte: Er säbelte Kafkas Zeichnungen nach Gutdünken mit der Schere aus dessen Skizzenheft wie weiland jugendliche Fans die Fotos ihrer Lieblingsband aus der Bravo. Aber warum sollte gerade dieses KafKapitel normaler sein als die anderen?
Der Interpret
Kafka und Farbe? Geht das? Die meisten Comic-Zeichner sehen ihre Kafka-Versionen ja eher in schwarz-weiß. Moritz Stetter nicht. Seine Umsetzung von Kafkas „Urteil“ entfernt sich auch deutlich weiter von naheliegenden Bildern als Crumbs bizarr-groteske Variante. Den mysteriösen Geschäftspartner des Protagonisten Georg verstrickt Stetter in pflanzlich-zopfartige Ornamente, und auch während des harten Dialogs zwischen Georg und seinem Vater lässt er den Sohn durch rätselhafte Gehirnwindungen kriechen, bevor er die Beziehung in den Panels geradezu wörtlich in Scherben zerschmettert. Das ist gut und einfallsreich gemacht, die Zufriedenheit des Lesers hängt hier daher wohl auch von etwas anderem ab: ob er seinen Kafka eher illustriert oder eher interpretiert bevorzugt.
Blättern im KafKatalog
Optisch ist es schon angenehm finster, was Danijel Zezelj da in „Wie ein Hund“ zeigt. Geschickte schwarz-weiße Düsternis, etwas zu viel Froschperspektive vielleicht, aber insgesamt bedrückend und cool zugleich. Doch es bleibt rätselhaft, warum Zezelj sich entschlossen hat, statt einer Originalgeschichte lieber aus Kafkatexten eine eigene Story zusammenzustückeln. Es beginnt mit gut gewählten Auszügen aus „Ein Hungerkünstler“, dieser immer wieder verblüffend zeitlosen Kurzgeschichte über Publikumsgeschmack und Künstlereitelkeit (die Wikipedia zufolge das tatsächliche Abklingen der einstigen Attraktion „Schau-Hungern“ in den 1920er Jahren aufgreift). Aber jetzt dichtet Zezelj plötzlich dem Hungerkünstler die Türhüterparabel an. Dann geht’s zurück zum Zirkus und von da zur Botschaft des Kaisers, alles fulminant bebildert, aber komplett beliebig. Letztlich hält man so einen schön illustrierten KafKatalog in Händen, ähnlich überzeugend wie weiland das Beatles-Medley von „Stars on 45“ – was schlussendlich wiederum die Wirkung der Bilder unnötig beeinträchtigt. Schade, eigentlich.
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Die Outtakes (11): eine niedliche Depression, eine wirre Konfusion, eine nützliche Repetition
Ernste Sache, niedlicher Hund
Depression. Schlimm, keine Frage. Wichtig, auch. Aber zugleich: Trendthema. In Büchern, Zeitungen. Auch im Comic. In „Weg“ wählt Rina Jost die Angehörigenperspektive: Sybil versinkt (geradezu bildlich) in einer Depression, ihre Schwester Malin folgt ihr in diese Seltsamwelt, um sie zu retten. Damit muss ich schon kämpfen, weil – nach allem, was man so hört und liest – Nichtdepressive manches zwar verstehen können, komplett mitempfinden jedoch nicht. Aber okay, nehmen wir's als Symbol/Versuch: Warum geht dann Malins niedlicher Hund mit ins Depriversum? Vollzieht der auch irgendwas nach? Oder wollen wir bei aller Ernsthaftigkeit des Themas doch nicht auf niedliche Hunde verzichten? Nichtmög!
Warum ist dann „Weg“ nicht ganz weg, sondern bei den Outtakes? Weil Daniela Schreiters „Schattenspringer“ seit längerem abräumt ohne Ende, und Schreiter behandelt das Thema „Asperger-Autismus“ mit ähnlichem Niedlichkeits-Beigeschmäckle. Es gibt also viele Leute, die sowas mögen, und wenn Sie dazugehören, könnte „Weg“ genau Ihr Ding sein.
Verwirrende Verwunderung
Der Verdacht verfestigt sich, dass die Grusel-Einteiler von Jeff Lemire und Andrea Sorrentino mehr Atmosphäre liefern als Inhalt (den Vorgängerband finden Sie hier). „Zehntausend schwarze Federn“ erzählt von zwei Freundinnen, die sich eine Fantasywelt ausdenken und später aus den Augen verlieren. Um die eine zu retten, muss die andere ihr in diese Welt folgen. Die angenehm unangenehme Düsternis wird aber rasch so konfus, dass man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Korrekter Einwand: Ist Verunsicherung nicht der eigentliche Gag beim Grusel? Antwort: Ja, aber in Grenzen. Wenn der Leser nicht mehr beurteilen kann, was möglich oder unmöglich ist, dann kann er sich auch über nichts mehr wundern. Gut aussehen tut die Sache trotzdem.
Crash in der Speisekammer
Kleines Repetitorium: Wenn man Comics eines Teams von Autor und Zeichner gut findet, und wenn das Team nichts mehr zusammen produziert, wem folgt man dann auf der Suche nach ähnlich guten Comics?
Dem Autor?
Dem Zeichner?
Beiden, aber dem Zeichner mit mehr Vorsicht. Denn Autoren finden andere Zeichner, Zeichner hingegen machen gerne mal alleine weiter. Und da ist dann Vorsicht angeraten. Wer daran zweifelt, werfe einen Blick in die 2018er „Deadman“-Miniserie des inzwischen verstorbenen Alt-Meisterzeichners Neal Adams. Das sieht nach wie vor ansehnlich aus, aber wie schon in „Batman: Odyssey“ gilt: Adams ohne Autor ist wie eine Speisekammer, in der das Regal zusammengebrochen ist. Dosenravioli baden in der Büchsenmilch, Lebkuchen lungern dazwischen, und Muttis eingemachte Kirschen kugeln an den Essiggurken vorbei durchs Gulasch. Sie finden alles, was Sie mögen, aber das Ergebnis ist ungenießbar und voller Glassplitter.
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Das 100. Todesjahr von Franz Kafka inspiriert zu zahlreichen Comics – zwei namhafte Künstler erleichtern dabei den Einstieg in Leben und Gesamtwerk
Alles Gute zum gleich eintreffenden Kafkajahr! Kafkajahr heißt, nicht ganz untypisch: Kafka wäre 2024 nicht 100 Jahre alt geworden, sondern hätte zum hundertsten Mal seinen Tod gefeiert, vermutlich mit einer ungemütlichen Party, der er selbst vorsichtshalber ferngeblieben wäre, aus Abneigung gegen die vielen Leute. Und aus Angst, die Schnittchen könnten falsch belegt sein. Aber die Party ist eh nicht die Hauptsache, sondern der Anlass für Bücher und erstaunlich viele KafKomics. Den Anfang macht ein Gipfeltreffen der Kafka-Porträts: Inhaltlich und gestalterisch erstklassig, dazu mit Promi-Faktor.
Duell der Giganten
Denn Band eins, „Komplett Kafka“, stammt vom kürzlich mit einer Schulleitung geadelten Nicolas Mahler (54), einem spannenden Wiener Grenzgänger, Max-und-Moritz-Preisträger, der von Cartoon bis Comic und Thomas-Bernhard-Adaption (gelesen von Georg Schramm) alles probiert, meist mit Erfolg. Mahler fordert den (am 2. Januar erscheinenden) Band „Kafka“ heraus.
Eine Wiederveröffentlichung, die vor 30 Jahren erstmals bei Zweitausendeins erschien. Dahinter steckt der Szenarist und Drehbuchautor David Zane Mairowitz, für die Illustrationen sorgte Comic-Legende Robert Crumb (heute 80). Namhafter geht’s kaum.
Drei Kurven, vier Streifen: ein Kafka
Tatsächlich ähneln sich beide Bände von der Herangehensweise verblüffend: Sie schildern Kafkas Leben und Umfeld, dazwischen interpretieren sie Auszüge aus seinen Werken. Mahler arbeitet dabei optisch reduzierter, häufig mit seinen langnasigen Figuren, sein Kafka ist aber ein Männchen aus drei Kurven (2 Ohren, 1 Nase) und zwei dicken, zwei schmalen Streifen (Seitenscheitel, Augenbrauen). Crumb zeichnet wie immer, die latente Selbstverachtung, die er sonst sich selbst angedeihen lässt, überträgt er nahtlos auf Kafka.
Damit sind beide eigentlich gleich nahe am Autor: Kafka selbst zeichnete (dazu demnächst mehr) mit seinen reduzierten Strichen und Kurven überraschend mahlerhaft. In punkto Selbsteinschätzung, dem Gewimmer, der weinerlichen Selbstanklage, dem (Selbst-)Bild vom Bücherwurm mit der schlechten Haltung kommt hingegen Crumb Kafka charakterlich so nahe, dass man ihn sich kaum anders vorstellen kann. Zudem wirken Crumbs altmodische Schraffuren erstaunlicherweise der Zeit Kafkas näher als Kafkas eigene Zeichnungen.
Der Langsamkauer
Inhaltlich sind die Unterschiede noch auffälliger. Mairowitz liefert ein facettenreiches Porträt Kafkas (inklusive seiner zahlreichen Macken) und seiner Zeit. Crumb, ohnehin Nostalgiker, liefert mühelos die Bilder des alten Prag, aber elegant-beiläufig auch das kuriose Element. So zeigt er Kafka am familiären Esstisch, freudlos dreinschauend kaut der stets um Optimierung seines Körpers bemühte Vegetarier jeden Bissen 30-mal – daneben sitzt sein wurstfressender Vater und wird schon beim Zuschauen so wahnsinnig wie man selber wahrscheinlich auch neben einem Kafka würde.
Da kann Mahler nicht mithalten, auch, weil ihm das eigene Konzept in den Weg geraten muss. Die karikaturhaft reduzierten Mahlereien können als Illustration nicht so vielseitig sein wie Crumbs ausgefeilte Panels, ihre Stärke ist der humoristische Kommentar. Mahler kann kaum anders als ständig nach Pointen zu suchen. Und selbst wenn er sie wegließe: das karge Bild wirkt immer wie ein trockener Gag. Was bei den Texten Kafkas manchmal noch ungünstiger sein kann.
Literatur auf engstem Raum
Das Folterbett in der „Strafkolonie“ ist bei Crumb ein ausgefeiltes Instrument des Entsetzens, bei Mahler schweben über dem Bett vier Gelenkarme von der Gruseligkeit einer Schreibtischlampe. Schon klar, Mahler kann Stil und Tonart nicht beliebig wechseln, und er federt das geschickt ab, indem er den Fokus vom Inhalt „Strafkolonie“ auf die irritierte Reaktion der zeitgenössischen Literaturkritik („kann nur Ekel erzeugen“) richtet. Trotzdem sind Mairowitz/Crumb flexibler, was sie zugleich zu einer erstaunlichen Meisterleistung nutzen.
Fünf Comic-Seiten gönnen sie sich für Kafkas Erzählung „Das Urteil“, 17 für die „Verwandlung“, neun für die „Strafkolonie“, acht für den ganzen Roman „Der Prozess“. Und dennoch hat man hinterher einen so starken Eindruck vom Text und seinen Eigenheiten, dass man glaubt, das ganze Werk gelesen zu haben.
Pointen mit Respekt
Mahler kann den beiden hier unmöglich folgen. Seine einzige Chance wäre, mehr mit Pointen zu punkten – aber davor bewahrt ihn der Respekt: Mahler erkennt zutreffend, dass Kafkas Reiz die Ambivalenz ist. Die 1000 besten Kafkalauer würden mehr schaden als erreichen. Doch um mehr Freiheiten zu haben, müsste er mehr Mahler weglassen – und das wäre auch jammerschade.
Dennoch ist verständlich, dass die Münchner Villa Stuck erhebliche Teile ihrer noch bis Februar dauernden Kafka-Ausstellung mit großformatigen Reproduktionen des Teams Crumb/Mairowitz bestreitet. Nicht-Aussteller machen jedoch mit beiden Bänden keinen Fehler.
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