Horror unterm Dach: „Böse Geister“ ist ein schaurig-traurig schöner Abgesang auf die Gebraucht-Comicläden des letzten Jahrhunderts
Okay, das trifft natürlich genau ins Herz: Nicht, weil das Thema „Comic“ im Comic auftaucht, das gibt’s ja öfter. Sondern weil’s auch noch sanft gruselig ist und nostalgisch und alles. Verantwortlich dafür ist der große, extrem zuverlässige Szenarist Peer Meter. „Böse Geister“ heißt dieses kleine Juwel aus dem Jahre 2013, illustriert von Gerda Raidt.
Staubiges Comic-Paradies
Die Story ist eigentlich simpel: Harry Wehrmann, ein Mann um die 60, kommt zurück in seine Heimatstadt, weil das Stadtviertel, in dem er aufgewachsen ist, abgerissen werden soll. Die Häuser sind schon geräumt, auch das, vor dem er stehen bleibt. Es ist das Haus, in dem er als Kind gewohnt hat. Ein kleines Ladengebäude, oben Wohnungen, unten ein Geschäft mit einem Schaufenster, drüber steht „Geffes Bücher-Börse – Ankauf – Verkauf – Tausch“. Und ruckzuck ist der alte Mann wieder in seiner Vergangenheit.
In dieser Vergangenheit ist er zehn oder zwölf, er mag Gruselcomics, und im anderen Zeitschriftenladen mault ihn die Verkäuferin an, weil er nicht alt genug ist und weil Comics Mist sind und ob seine Eltern davon wissen und, und, und. In der Schule darf man sich mit Comics nicht erwischen lassen, im Unterricht finden sie ohnehin nicht statt. Aber im Laden von Herrn Geffe unten im Haus, da ist das anders. Der fragt nicht blöd. Im Gegenteil, er freut sich, wenn Harry sich freut. Er sagt ihm, wenn neue Hefte angekommen sind, er lässt ihn stöbern, neu angekaufte Groschenromane sortieren und sich zur Belohnung ein paar Comics mitnehmen, die man sich dann im Sessel mit einer Flasche Cola reinschmökert. Doch dann stirbt plötzlich Harrys Vater…
Kontakt zum Totenreich
Eigentlich will ich gar nicht so viel verraten, es reicht die Andeutung, dass Harry versuchen wird, seinen toten Vater mit einer Beschwörung zurückzuholen, die aus den Comics stammt, oder? Viel bezaubernder ist dieses ganze Szenario. Oder kommt es nur mir so vor, weil auch meine Kindheitsgegenden gerade saniert, abgerissen, neugebaut werden? Möglich, vor allem aber mag ich das Thema, weil ich früher auch so ein Geschäft kannte wie das von Herrn Geffe.
Nicht nur eines, sondern mindestens drei. Klein, leicht staubig, es gab gebrauchte Bücher und gebrauchte Comics. Man trat ein und war voll Hoffnung, was es da wohl diesmal zu finden gäbe – zu einem erschwinglichen Taschengeldpreis. Die allermeisten dieser Geschäfte sind heute verschwunden. Plattenläden gibt’s noch ein paar, die sind sogar mit dem Vinyl-Comeback ein bisschen wiederauferstanden, aber Gebrauchtbuch- und Comic-Läden sind weg oder ins Internet abgewandert. Und jüngeren Lesern kann man versichern: Das Netz mag besser organisiert sein, aber analogen Zauber hat es nicht.
Raidts magischer Bleistift
Gerda Raidts Bleistiftzeichnungen tragen viel zur Vermittlung dieses Zaubers bei. Sie funktionieren hervorragend bei Harrys Jugend in den bedrückenden 50ern oder 60ern und genauso gut in dem todgeweihten, schuttstaubigen Abrisshaus. Aber zugleich machen sie Geffes Bücheroase zum gemütlich-entspannten Rückzugsort und Comic-Paradies. Man staunt ein bisschen, dass man von Raidt nicht schon öfter was gesehen hat, sie nutzt Meters Szenario nicht schlechter als Barbara Yelin drei Jahre vorher „Gift“. Aber Serienmord ist vermutlich einfach alterungsunabhängiger als diese kleine, feine NostalComiGrusel-Perle.
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Die Outtakes (20): Ein Gruß vom Altmeister, eine Ebbe im Altmärchens und eine Mixtur mit Alt-Dichtung
Abschied mit Frankenstein
Das also ist das Abschiedswerk des 2017 kurz vor Fertigstellung verstorbenen Grusel-Altmeisters Bernie Wrightson: „Frankenstein Alive, Alive!“. Traditionalisten werden sich wohl dran stören, dass das sonst gut verschraubte, klobige Monster diesmal als eine Mischung aus einem sehr verschlankten Swamp Thing und Iron Maidens Maskottchen Eddie daherkommt. Mir ist die Geschichte der weiteren Karriere des Monsters etwas zu rührselig geraten, aber dafür kommt sie recht opulent daher. Wrightson gönnt sich viele Splashes, und die sind nicht nur einfach aufgeblasen, sondern akribisch zugezeichnet, wie sich’s bei Laboratorien und Bibliotheken anbietet. Effektstark ausgeleuchtet, in düsterem schwarz-weiß, das wirkt schon sehr gut, aber der Story des Kurzgrusel-Experte tut der viele Platz nicht gut. Dass die Erzählerrolle mit dem oft wenig eloquenten Monster auch ein bisschen arg gegen den Typ besetzt ist, ist zwar vorlagengetreuer als manche andere Version, macht die Sache nicht unbedingt einfacher. Trotzdem: Atmosphäre satt.
Bilder-Buch
Da hab‘ ich aber mehr erwartet: Rébecca Dautremer hat zuletzt mit einer fantastischen Version von John Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“ überzeugt: Sie hat den kompletten Roman illustriert und damit brillant erweitert. Und das erhoffte ich mir auch von „Alice im Wunderland“ – aber diesmal ist’s tatsächlich nur ein bebildertes Buch geworden. Schön bebildert, gewiss, aber eben nur ein bisschen bebildert und, noch viel schader: äußerst konventionell. Während sie in den „Mäusen“ durch eine wahre Bilderflut die Gedankenwelt der Protagonisten frei ausbreitete und zeigte, was ein illustrierter Roman zu leisten imstande ist, sind’s hier erwartbare Illustrationen in einer Bilderebbe. Wer „Alice“ noch nicht im Schrank hat, mag zugreifen, ansonsten entsteht hier leider kein Zusatznutzen.
Mehrdeutig oder orientierungslos?
Ambivalenz ist oft gut. Aber Maren Aminis Berthold-Leibinger-prämiertes Einwanderer-Epos „Ahmadjan und der Wiedehopf“ fabriziert eindeutig so viel des Guten, das geht schon Richtung Orientierungslosigkeit. Ahmadjan (der Vater der Autorin) lernt im Kabul der 70er westliche Lebensart kennen und wandert nach Deutschland aus. In Berlin malt er, entdeckt noch mehr Kunst, all das ist optisch sehr hübsch, karikaturistisch an Sempé angelehnt. Das Problem ist hier schon der Humor, der so niedlich-lieb und schmerzfrei ist, dass er praktisch nicht mehr stattfindet. Was fatal ist, sobald Ahmadjan ausgewiesen und nach Afghanistan zurückgeschickt wird: Amiri schafft es nicht, den harmlosen Tonfall der verfinsterten Story anzupassen, und das beeinträchtigt Pointen und Betroffenheit zugleich. Alles mit einer alten persischen Dichtung zu überlagern/unterfüttern macht den Stoff zudem nicht beherrschbarer. Das Resultat: Viel Gutgemeintes, immerhin sehr oft von ansehnlichen Seiten aufgelockert. Und: Wer Probleme gern watteweich verpackt mag, liegt hier richtig.
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Die Outtakes (19): Ein schlagkräftiger Nachfolger, ein geduldiger Gruselmanga und eine umständliche KI
Vererbter Job als Hauptfigur
Die Serie um den „Donjon“ hab ich schon mehrfach empfohlen: Sie ist witzig, ironisch, und das für Fantasy-Freunde und -Skeptiker zugleich. Außerdem lernt man immer neue Zeichner kennen. Trotzdem ist nicht jeder der bisher rund 60 Bände gleich gut. Ein prima Band funktioniert (für mich) auch ohne dass man die ganze lange Geschichte kennt (weshalb die Serie anfangs auch kreuz und quer durch die Erzählzeit springen konnte). Der neue Band „Programmänderung“ schafft das nicht. Ist auch schwer, weil der Band am bisherigen Ende des Zyklus spielt. Obendrein wird die Story durch einen Trugschluss geschwächt: Serienhauptfigur Herbert mochte man wegen seiner verschrobenen Schwächen, aber deswegen wird doch nicht gleich dessen Neffe, Sohn, Enkel oder sonstwas ebenfalls gleich als Hauptfigur interessant. So kann der Band trotz aufgeweckter, knallbunter Action leider die Erwartungen nicht recht erfüllen.
Lovekräftig
Also: Das hier mag garantiert jemand, nur ich bin’s leider nicht. Gou Tanabe macht derzeit aus dem Horror von H.P. Lovecraft sehenswerte Mangas – beispielsweise das hier abgebildete „Grauen von Dunwich“. Tanabe serviert das Ganze erfreulich düster und vor allem sehr, sehr geduldig, mit geschickten Verzögerungen und ausgesuchtem, aber nicht zu starkem Splattereinsatz. Ich habe allerdings leider oft ein Problem mit Lovecrafts Schwurbelhorror (auch wenn ich „Die Farbe aus dem All“ recht gut fand). Doch deshalb sollte man Tanabes atmosphärisch sehr passende Adaptionen hier keinesfalls unter den Tisch fallen lassen, gerade als Lovecraft-Fan. Ausprobieren!
Verpasste Vorteile
Ein ehrgeiziges Projekt, mit Tücken. IT-Unternehmer Laurent Daudet und Zeichner Appupen greifen das aktuelle Thema KI auf. Und weil Daudet aus der Branche kommt, stricken sie die einfachstmögliche Geschichte um sich selber: Ein junger KI-Unternehmer steht kurz vor der Übernahme durch einen der Big Player und diskutiert unter anderem mit einem Comic-Zeichner über die Zukunft. Ist KI gut oder schlecht, was kann schiefgehen, wer wird sie nutzen und wie? All das wird debattiert, die einzige Frage, die offenbleibt, ist: Warum als Comic? Denn die Vorteile des Mediums bleiben weitgehend ungenutzt, Appupen illustriert recht brav dem Text hinterher, und weil dieser auch die Richtung vorgibt, wird prompt sehr viel geredet und wenig gezeigt. Was dazu führt, dass man für diese Comicversion mehr Zeit braucht als für einen fundierten Essay desselben Inhalts. Aber, zugegeben: So gibt’s mehr Bilder.