Flucht ist zwecklos: Weihnachten kommt. Mein Tipp: Sprechblasen schenken! Anschließend abchecken, ob alle schön lesen. Dann mit einer Flasche Schampus ins Bett und selber schmökern. Und feiern, dass ein Jahr lang Ruhe ist.
Für den jungen Menschen
Sitzt da und hält es für eine Zumutung, sein Smartphone weglegen zu müssen. Will schocken, in dem er alle Nase lang „Wichser“ oder „Fotze“ sagt. Naja, Schockieren geht besser, und wie, lernt der junge Mensch aus „Jenseits“ (von Szenarist Fabian Vehlmann und dem Zeichnerduo Kerascoët, dankenswerterweise gerade neu aufgelegt). Die Geschichte: Als ein kleines Mädchen auf dem Schulweg im Wald stirbt (oder umgebracht wird), verliert eine Gruppe putziger Mini-Kinder ihr Zuhause: Sie haben offenbar in diesem Mädchen gewohnt und müssen jetzt in einer riesenhaften Natur neben der verwesenden Leiche überleben, weshalb man gleich doppelt an „Herr der Fliegen“ denkt. Aber diese Variante ist so süß und so entsetzlich wie Zuckerwatte mit Glassplittern, und durch eben diesen Gegensatz wirkt das Grauen so absolut unvergleichlich. Aus dem grusligen Kontrast lernt der junge Mensch fürs Leben: Denn damit „Fotze“ richtig wirkt, muss man auch mal lieb sein. Warum nicht an Weihnachten?
Für Papa und Mama
Die Kinder sind aus dem Gröbsten raus, alle Fehler in der Erziehung sind gemacht, was bleibt jetzt noch? Genau: Fehler mit den eigenen Eltern. „Können wir nicht über was Anderes reden?“ zeigt einen der größten auf – ihr Alter einfach erst mal ignorieren und dann hilflos staunen, wie der langsame Zusammenbruch zweier 90-Jähriger zur Katastrophe für alle Beteiligten wird. Karikaturistin Roz Chast hat das so mit ihren Eltern durchexerziert. Ihr clever dosierter, gallebitterer Humor hält dabei den skurril-erschreckenden Erfahrungsbericht so perfekt im erträglichen Bereich, dass der Leser und die Leserin tatsächlich das ganze Elend mit durchhalten und dadurch eine faire Chance kriegen, es selber besser zu machen. Auch wenn sie’s jetzt noch nicht wissen: Die Beschenkten werden’s Ihnen eines Tages danken.
Für den AfD-Wähler
Machen Sie sich nichts vor, bei 20 Prozent Stimmenanteil sitzt wahrscheinlich einer von denen auch unter Ihrem Baum. Wie soll man zum Fest der Liebe damit klarkommen? Nun, es gibt Gemeinsamkeiten: eine gewisse Skepsis gegenüber den USA. Hier setzen wir an: Joe Sacco liefert mit „Bumf“ eine abgrundtief böse Parabel über den US-Datensammelwahn in Zeiten paranoider Regierungen. Mit gemeinsamen Gegnern zum Nichtangriffspakt, welcher AfDler könnte dieses bewährte Prinzip ablehnen? Es winkt also Weihnachtsfriede mit Freunden von Grünen, Linken, Piraten, SPD und Teilen der CDU, für die sich Saccos genial-garstiger Band übrigens genauso eignet. Oder anders ausgedrückt: mit allen Demokraten außer Horst Seehofer. Und das Schönste daran: Es ist ungefährlich. Denn die USA darf man kritisieren, ohne dass sie einen mit Polonium 210 vergiften.
Für den, der alles hat
Leute, denen nichts mehr fehlt, sind um die 50, haben den Arsch im Trockenen und den Keller voll mit Rotwein. Aber was haben sie nicht mehr? Bingo: ihre Jugend. Die bringt man ihnen zurück, mit Fils gesammelten Geschichten von „Didi & Stulle“. Zwei dumme Schweine faseln sich im breitesten Berlinerisch präpubertär durch eine Postmoderne aus Musik, Phrasen und furchtbaren Fernsehsendungen der 80er und 90er, mit Gastauftritten von Gott, dem Teufel, Madonna, David Bowie, Michael Jackson, Mick Jagger und Angela Merkel. Knapp 800 Seiten sensationell grober Unfug – weniger wäre weniger. Und Fil hilft viel.
Für Genießer
Muss denn die Welt immer verstörend und furchtbar sein? Nicht mit den richtigen Drogen. Zu den schönsten gehört „El Cid“ von Antonio Hernandez Palacios. Nach der bildgewaltigen Western-Serie „Manos Kelly“ hat der Avant-Verlag auch Palacios’ Mittelalter-Saga aus den 70ern gesammelt herausgegeben. Ritter-Action aus überwältigenden Perspektiven, traumhafte Landschaften, psychedelische Farben, unvergessliche Gesichter und obendrein Palacios’ Spezialität, Pferde: grasend, scheuend, galoppierend, springend und als Krönung gibt’s den ganzseitigen, vermutlich grandiosesten Pferdecrash der gesamten Comicgeschichte. Da kann Hollywood einpacken.
Für die lieben Kleinen
Was tun, wenn Papa deine Lieblingskatze einschläfern musste? Weinen – und warten bis plötzlich Panter aus der Kommode kommt. Panter ist lieb und stark und lustig und trinkt mit dir Tee. Du musst ihn vor Papa verstecken, weil Panter im Haus nicht so gern gesehen sind. Aber er kommt immer wieder, abends, aus seiner Kommode, so dass du deine Lieblingstiere gar nicht mehr brauchst. Nach einiger Zeit sind sie auch seltsam verändert, bis sie eigentlich nicht mehr sehr lieb sind und ganz merkwürdige Spiele spielen wollen, die überhaupt keinen Spaß mehr machen. Gezeichnet hat das mulmige Meisterwerk der sensationelle Onkel Brecht Evens, und wenn du bisher schon gern nachts eine kleine Lampe im Zimmer hattest, brauchst du nach „Panter“ in jeder Zimmerecke einen Flutlichtmast.
Wie? Was sagst du?
Das Ganze ist eigentlich nichts für Kinder?
Tja, da hast du wahrscheinlich recht. Zu spät. Frohe Wein-Nacht.